Aus der Wörtersammlung: papier

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nahaufnahme

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india : 0.02 — Erschei­nun­gen auf Bild­schir­men, die sich wie Traum­bil­der, wie beweg­te Gemäl­de ver­hal­ten. Woll­te sie berüh­ren, jenen islän­di­schen Mann im Moment, da er aus dem Atem des Vul­kans auf eine Wie­se tritt, die­ses voll­kom­men graue Wesen, stau­big, stei­nern, und auch das Schaf an sei­ner Sei­te, unsi­che­ren Schrit­tes, ein stei­ner­nes Schaf. Aber dann, in dem sie näher­kom­men, die Augen des Man­nes und die Augen des Scha­fes, wie sie zwin­kern, zwei Leucht­kör­per in Dun­kel­heit, über­lebt, eine Chif­fre des Wider­stan­des. – Man müss­te jetzt ein gut trai­nier­ter Atlan­tik­schwim­mer sein. — stop
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morsen

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echo : 0.25 — Ges­tern, am spä­ten Abend, eine ers­te Zei­le in mei­nen Bogen leben­den Papiers ein­ge­tra­gen, einen Satz, den Wal­ter Ben­ja­min vor lan­ger Zeit ein­mal unter dem Begriff Kak­tus­blü­te ver­zeich­ne­te. Die­ser Satz geht so: Der wah­re Lie­ben­de freut sich, wenn der gelieb­te Mensch strei­tend im Unrecht ist. — Zärt­lich, ohne zu atmen, arbei­te­te ich Zei­chen für Zei­chen vor­an. Und als ich fer­tig gewor­den war mit einem schlie­ßen­den Punkt, lehn­te ich mich zurück und war­te­te. Ich war­te­te lan­ge. Ich war­te­te so lan­ge, bis ich ein­ge­schla­fen war. Dann wach­te ich auf und staun­te. Sicher ist nun, dass sich Papier­tier­chen mit­tels einer Spra­che ver­stän­di­gen, die mor­sen­den Zei­chen ähn­lich ist. Sie ver­fü­gen dem­zu­fol­ge über Ohren und ihre Stim­men sind hell, sind Fle­der­mäu­sen, Walen und Del­fi­nen nur ver­nehm­bar. — stop
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feuerblume

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marim­ba : 6.28 — Kurz nach Mit­ter­nacht. Hun­der­te gestran­de­ter Men­schen lie­gen, Flug­ha­fen­ter­mi­nal 2, auf Feld­bet­ten, schla­fen unter grau­en Decken, still, als sei­en sie ohne Träu­me, bewe­gungs­los, ver­puppt. Saß auf einer Bank in nächs­ter Nähe, war­te­te, notier­te: Die Augen der Papier­tier­chen befin­den sich im Zen­trum ihrer Kör­per­schei­be, eines erha­ben auf­wärts, das ande­re erha­ben abwärts gerich­tet. Licht und Schat­ten, Bewe­gung und Still­stand, so ist ihre Welt beschaf­fen. stop – Nie wer­den die­se Augen sehen, was ich in ver­gan­ge­nen Stun­den mit mensch­li­chen Augen auf dem Bild­schirm mei­nes Com­pu­ters beob­ach­te­te. Foto­gra­fien einer Feu­er­blu­me aus dem Eis, ihr tief­schwar­zer Atem, das Blut der Erde, ursprüng­lichs­te Kraft. — Bleibt noch, mit den Win­den zu sprechen.

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animals

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kili­man­dscha­ro : 0.58 — Die wirk­lich klei­nen Din­ge die­ser Welt sind dem mensch­li­chen Auge nicht sicht­bar. Sie befin­den sich in Räu­men des Ahnens, des Wün­schens, des Erfin­dens. Nie­mand könn­te je sagen, ob man von dort aus betrach­tet wird. Wenn ich nun ein Papier­tier­chen ganz für sich allein belich­te, dann erken­ne ich zunächst, sei­ne Gestalt ist rund. — stop

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herzgeschichte

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oli­mam­bo : 0.02 — Das wei­ße Papier ist nie­mals leer. Die­sen Satz habe ich ges­tern Nach­mit­tag gegen 15 Uhr genau so notiert, wie er hier ver­zeich­net ist. Ich saß am klei­nen See im Pal­men­gar­ten und dach­te an Her­zen und sol­che Din­ge, und als ich den Satz eine Stun­de spä­ter noch ein­mal gele­sen habe, konn­te ich nicht sagen, war­um ich den Satz eigent­lich auf­ge­schrie­ben hat­te. Das war ein merk­wür­di­ger Moment gewe­sen, die­se Sekun­de, da ich bemer­ke, dass ich einen Satz, den ich selbst aus­ge­dacht, nicht erken­nen konn­te. Trotz­dem gefiel mir der Satz. Ich hat­te den Ein­druck, dass es sich um einen wah­ren Satz han­deln könn­te, und dass ich nur abwar­ten müs­se, bis sich sein fei­nes Wesen zei­gen wird. Und so lau­sche ich nun also. Irgend­et­was brummt in mei­ner nächs­ten Nähe. Däm­me­rung. Und ich stel­le mir vor, wie gut es doch wäre, wenn Men­schen für eine gewis­se Zeit ihre Her­zen tei­len könn­ten. Man mel­det sich zum Bei­spiel in einem Hos­pi­tal. Guten Abend, sagt man, guten Abend, wir haben heu­te Nacht etwas Zeit, mein Herz und ich. Und dann fährt man unver­züg­lich los, man fährt durch die Stadt und ihre Lich­ter und Düf­te und legt sich sehr bald zu einem Men­schen, des­sen Herz schwach gewor­den ist, ver­bun­den liegt man Stun­den still.

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wortklangstempel

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echo : 0.06 — Da war ein i am frü­hen Mor­gen, viel­leicht weil ich nach einer lan­gen Traum­nacht noch nicht ganz wach gewe­sen, in das Wort Leben­de hin­ein­ge­ra­ten, sodass das Wort Lei­ben­de ent­stand. Im Zusam­men­hang einer blü­hen­den Regen­kä­fer­ge­schich­te eigent­lich kein ver­rück­tes oder schlam­pi­ges Wort, und doch eine merk­wür­di­ge Sache, weil ich den klei­nen Text zwei- oder drei­mal, ehe ich ihn ver­öf­fent­lich­te, prüf­te, ohne das nach­drück­lich umge­stal­ten­de i ent­deckt zu haben. Ich spie­le nun mit dem Ver­dacht, dass ich Tex­te, die ich notie­re und kurz dar­auf wie­der lese, zunächst einem Nah­zeit­spei­cher mei­nes Gehirns ent­neh­me, in wel­chem Wör­ter oder gan­ze Sät­ze eines Tex­tes als schein­bar kor­rek­te Klang­stem­pel im Moment der Zei­le erin­nert wer­den. Und dann gehe ich schla­fen oder spa­zie­ren, beob­ach­te einen Film oder unter­hal­te mich mit einem Freund oder einer Freun­din, Zeit ver­geht, in wel­cher die Stem­pel mei­nes erfun­de­nen Tex­tes wie­der zu Buch­sta­ben, zu iso­lier­ten Tönen zer­fal­len, so dass ich mei­ne Gedan­ken, mei­ne Wör­ter und Sät­ze genau so zu lesen oder zu hören ver­mag, als wären sie von einem ande­ren Men­schen notiert. Ja, so könn­te das sein, so wol­len wir das zunächst ein­mal anneh­men. — Noch zu tun in die­ser Nacht: Dimen­sio­nen der Papier­tie­re erspü­ren / µm = 10–6 m = 0,000.001 m. — stop
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