Aus der Wörtersammlung: rom

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beobachtung

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ulys­ses : 6.12 — Wäh­rend ich Jack Kerou­acs Roman On the Road in der unge­kürz­ten Fas­sung als E‑Book las, bemerk­te ich, dass ein Com­pu­ter , ver­mut­lich von Nord­ame­ri­ka aus ver­zeich­ne­te, wel­che Zei­len die­ses Romans von Lesern oder Lese­rin­nen wäh­rend ihrer Lek­tü­re mar­kiert wor­den waren. Eine aus­ge­dehn­te, prä­zi­se Leser­be­ob­ach­tung scheint kaum merk­lich Stun­de, um Stun­de voll­zo­gen zu wer­den. Ich stell­te mir vor, Licht­ma­schi­nen, die von Men­schen in der Hand gehal­ten wer­den, doku­men­tie­ren, wie lan­ge Zeit sich lesen­de Men­schen mit einem bestimm­ten Text beschäf­ti­gen, wie sie den Text stu­die­ren, ob sie die Lek­tü­re der ein oder ande­ren Sei­te wie­der­ho­len, an wel­chen Text­or­ten ihre Augen inne­hal­ten oder ihre Hän­de über den Bild­schirm strei­chend vor­wärts blät­tern, wie vie­le Leser sich zunächst mit dem Ende einer Geschich­te beschäf­ti­gen, ehe sie die ers­te Sei­te des Tex­tes öff­nen, um nun tat­säch­lich mit der Lek­tü­re zu begin­nen, so wie sich der Autor oder Autorin die Lek­tü­re ihres Tex­tes ein­mal vor­ge­stellt haben könn­ten. Dass fun­ken­de Bücher Kör­per­tem­pe­ra­tu­ren mes­sen, Feuch­tig­keit, Sal­ze der Hän­de, wel­che sie berüh­ren, ist nicht unwahr­schein­lich. Man will wis­sen, weil man es wis­sen kann, an wel­cher Stel­le des Tex­tes Leser ver­lo­ren gehen oder von wel­cher Stel­le des Tex­tes an Leser rest­los ein­ge­fan­gen sind, ja, das ist denk­bar. Guten Mor­gen. Es ist der 16. Okto­ber, leich­ter Regen. — stop

ping

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zugvögel

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oli­mam­bo : 0.33 — Wo sind die Häl­se der Hüh­ner geblie­ben, die vor Jah­ren noch in Tief­kühl­tru­hen unse­rer Super­märk­te lager­ten? Ver­mut­lich wird sich ein Han­dels­strom von Hüh­ner­häl­sen süd­wärts aus­ge­bil­det haben, nach Afri­ka hin. Ob sie mit Flug­zeu­gen trans­por­tiert wer­den? — stop
einhundert

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samstags

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fox­trott : 5.12 — Frü­her Nach­mit­tag, Som­mer. Ich beob­ach­te auf einem Fähr­schiff, das nach Sta­ten Island fährt, einen älte­ren Mann bei kon­zen­trier­ter Arbeit. Er sitzt auf einer Bank des Pro­me­na­den­decks, tief über ein Buch gebeugt. Eini­ge Kin­der tol­len in sei­ner Nähe her­um, er nimmt, so sehr ist er bemüht, mit einem Blei­stift den Zei­len eines Buches zu fol­gen, kei­ne Notiz von ihnen. Ich den­ke zunächst, der alte Mann wür­de sei­ne Augen mit­hil­fe eines Blei­stifts ent­lang der Zei­chen­li­nie füh­ren, aber als ich mich nähe­re, ent­de­cke ich Wort für Wort eine leich­te Ver­zö­ge­rung der Bewe­gung, die aus der Ent­fer­nung betrach­tet doch wie eine flie­ßen­de Bewe­gung wirkt. Am Ende jeder Zei­le notiert der Mann eine Zif­fer, ver­mut­lich des­halb, weil er die Wör­ter des Buches zählt. Das ist selt­sam und zugleich berüh­rend, wie er so selbst­ver­ges­sen auf dem gro­ßen Schiff ver­weilt, und ich hof­fe, er möge auf Sta­ten Island ange­kom­men, mit dem nächs­ten Schiff zurück­fah­ren nach Man­hat­tan, und wie­der­um auf sei­nem Trans­fer Wör­ter zäh­len. Als das Schiff an das St. Geor­ge Ter­mi­nal anlegt, schließt der alte Mann das Buch, ver­staut sei­nen Blei­stift in einer Tasche sei­nes Jacketts, erhebt sich mühe­voll, um das Schiff lang­sam gehend über die Brü­cke, die sich zur Fäh­re hin senk­te, zu ver­las­sen. Im Saal des Ter­mi­nals bleibt er für einen Augen­blick vor einem Aqua­ri­um ste­hen, betrach­tet die Fische oder sein Spie­gel­bild, um sich weni­ge Minu­ten spä­ter von der Men­schen­men­ge, die auf das war­ten­de Schiff strömt, mit­neh­men zu las­sen. Nebel ist auf­ge­kom­men, die Möwen, die das Schiff auf sei­nem Weg nach Man­hat­tan beglei­ten, still. Ich ste­he drau­ßen auf der Pro­me­na­de und beob­ach­te das Was­ser, wie es weit unten ent­lang des Schiffs­kör­pers schäumt. Gele­gent­lich schaue ich durch Fens­ter zu dem alten Mann hin, zu sei­nem Buch, sei­nem Blei­stift, sei­nen Hän­den. — stop
unterwassertapete6

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von ohrenbäumen

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marim­ba : 0.55 — Auf der Suche nach der Exis­tenz der Ohren­bäu­me in der digi­ta­len Sphä­re, ent­deck­te ich, dass sie mög­li­cher­wei­se nicht exis­tie­ren. Ich könn­te einen Ohren­baum dem­zu­fol­ge erfin­den. So viel ist noch zu sagen: Eine Ame­ri­ka­ne­rin, Mrs. Eliza­beth Ohren­baum, soll von 1796 bis 1885 in dem Städt­chen Lado­ga im Staa­te India­na gelebt haben. Außer­dem mög­li­cher­wei­se ein Mann namens Lud­wig Ohren­baum, nach dem Mr. Bene­dict Orn­b­urn an einem Sonn­tag, den 6. Sep­tem­ber 1998 um 22:50:02 Uhr im Jahr 1998 mit fol­gen­den Wor­ten such­te: Query: I am loo­king for infor­ma­ti­on about LUDWIG OHRENBAUM / The first OHRENBAUM (LUDWIG) is sup­po­sed to have come to Berks Cnty about 1699 from Ger­ma­ny. This OHRENBAUM or a decen­dent, LUDWIG OHRENBAUM had a son, also cal­led LUDWIG OHRENBAUM (LUDWIG II).LUDWIG II is recor­ded in Penn­syl­va­nia Archi­ves, second series Vol 14. I would like to know more. — Acht­zehn Jah­re spä­ter ver­such­te ich ver­geb­lich, Lud­wig Orn­b­urn per E‑Mail zu errei­chen. Fol­gen­de Ant­wort einer Ser­ver­ma­schi­ne ist zu ver­zeich­nen: host ff-ip4-mx-vip2.prodigy.net[144.160.159.22] said: 550 5.2.1 … Address unknown, relay=[194.25.134.82] (in rep­ly to RCPT TO com­mand) — /// Bit­te mel­den! — stop

ping

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herzfach

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romeo : 0.06 — Unlängst erzähl­te ich E. von gekühl­ten Herz­fä­chern, die in einem Insti­tut der Uni­ver­si­tät Oslo ange­legt wor­den sein sol­len. Ich sag­te: Ist das nicht erstaun­lich, seit eini­gen Mona­ten exis­tiert dort in einem Fach ein Herz, das mei­nem Her­zen ähn­lich ist, weil es von mir, weil es nach mei­nen Zell­in­for­ma­tio­nen gewach­sen ist. Weißt Du, soll­te mein eige­nes Herz ein­mal schwach oder sehr krank wer­den, könn­te man die­ses voll­kom­men neue Herz in mei­nen Brust­korb set­zen, wir, das Herz und ich, wären sofort befreun­det. Nun ist das so gekom­men, dass E. sich heim­lich der­art für die­se Mög­lich­keit eines zwei­ten Her­zens begeis­ter­te, dass sie selbst gern über ein zwei­tes Herz ver­fü­gen wür­de. Ich bin jetzt ein wenig in Ver­le­gen­heit. Ich den­ke seit Stun­den über die For­mu­lie­rung einer ein­fühl­sa­men Ant­wort nach. – stop

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schatten eines mädchens

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nord­pol : 0.58 — Ich notier­te: Viel­leicht ist das so, dass sich die See­le eines Ortes, bei­spiels­wei­se die See­le eines Fähr­schif­fes, auf Wör­ter über­trägt, wenn die­se Wör­ter an dem Ort, von dem sie erzäh­len, geschrie­ben wer­den wäh­rend einer län­ge­ren Zeit der Beob­ach­tung. Ich sehe, was ich nicht erfin­den kann. Oder ich erfin­de, was ich nur hier erfin­den kann. Ja, so könn­te das sein. South Fer­ry. Hur­ri­ca­ne Deck. Zit­tern­des, schep­pern­des Brum­men. Obwohl Mai, bläst eis­kal­ter Wind durch eine halb­ge­öff­ne­te Tür ins Inne­re des Schif­fes. Ein Mäd­chen, das unent­wegt lei­se spricht, hüpft über den höl­zer­nen Boden des Decks. May i have your atten­ti­on, plea­se. The Fer­ry is docking short­ly. Die Stim­me des Mäd­chens, die kaum hör­bar ist, aber sicht­bar, spricht die Sät­ze der Maschi­nen­stimm­loops nach. Sie lacht und eilt, ihre Mut­ter hin­ter sich her zie­hend, zum Heck des Schif­fes, wo sich in die­sem Moment das Land dem Schiff durch die Dun­kel­heit in Gestalt einer eiser­nen Brü­cke ent­ge­gen fal­tet, Trom­pe­ten­ge­räu­sche, wim­mern­des Metall, Klän­ge, die das lachen­de Mäd­chen imi­tie­rend zu über­tö­nen sucht. Ein paar Möwen, die dicht über dem Schiff krei­sen, ver­ren­ken ihre Köp­fe, als ob sie dem Mäd­chen zuhö­ren wür­den. — stop
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frankie x 12

pic

echo : 2.28 — Jemand erzähl­te mir unlängst, irgend­wo in Brook­lyn exis­tie­re ein Laden, in dem man aus­ge­stopf­te Eich­hörn­chen kau­fen kön­ne, äußer­lich voll­stän­di­ge Wesen, die aus einer gewis­sen Ent­fer­nung betrach­tet, von noch leben­den Art­ge­nos­sen nicht zu unter­schei­den sei­en. In ihrem Inne­ren sol­len sich elek­tri­sche Moto­ren bewe­gen, sodass jedes die­ser Eich­hörn­chen, ent­we­der geduckt, oder ein ande­res Mal auf­recht sit­zend erscheint oder gar in der Hal­tung eines kurz vor dem Sprung ste­hen­den Tie­res. Javier Men­lo, der in Mee­res­nä­he auf Sta­ten Island lebt, habe ein gutes Dut­zend die­ser Eich­hörn­chen­ge­spens­ter am Strand plat­ziert, wo sie in einer Grup­pe sit­zen und selt­sa­mer­wei­se von Möwen nicht behel­ligt wer­den. Unsicht­ba­re, weil im Erd­reich ver­leg­te Dräh­te ver­sor­gen Javiers Eich­hörn­chen mit dem Strom einer Auto­bat­te­rie. Kein Hin­weis weit und breit, der die Exis­tenz die­ser Eich­hörn­chen­grup­pe erklä­ren wür­de, wes­we­gen sie mög­li­cher­wei­se unheim­lich erschei­nen, bedeu­tungs­voll, wie ein Gebet, eine Anru­fung, eine Dro­hung oder Erin­ne­rung. — stop

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