Aus der Wörtersammlung: enten

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ein bauch voll licht

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alpha : 0.01 — Kurz nach Mit­ter­nacht, also Nach­mit­tag. Ich habe gera­de eine Tas­se hei­ßer Scho­ko­la­de getrun­ken, und wie immer, wenn ich Scho­ko­la­de getrun­ken habe, mei­ne ich, vom Licht uralter Glüh­bir­nen genascht zu haben. Jetzt ste­he ich mit einem war­men Bauch voll Licht vor einem Fens­ter, hin­ter dem pola­re Käl­te knis­tert. Ja, eine ange­neh­me Nacht ist ange­bro­chen. Ich könn­te gleich eine Rei­se begin­nen. Ich stel­le mir eine Lese­zeit wie eine Rei­se­zeit vor? Ich set­ze mich auf mein Sofa, öff­ne ein Buch gesam­mel­ter Geschich­ten, sagen wir, gesam­mel­ter Geschich­ten aus aller Welt, und lese. Ich lese fünf Stun­den, ohne ein­zu­schla­fen, weil die Geschich­ten, die ich lese, gute Geschich­ten sind. Dann trin­ke ich Kaf­fee und lau­fe ein wenig in der Woh­nung her­um. Dann schla­fe ich. Dann lese ich wei­ter. Dann schla­fe ich wie­der. Habe ich aus­rei­chend Was­ser, Enten, Brot für eine Woche? — stop

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caracas

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MELDUNG. Am gest­ri­gen Abend vor­zei­tig deto­niert, sind im Opern­haus zu Man­aus [ Bra­si­li­en ] Tei­le eines kost­ba­ren Fro­sches [ Gat­tung : dendro­ba­tes ama­zo­ni­cus ] gegen das Publi­kum geflo­gen. Ein Auge, ein gan­zer Damen­kopf, wur­de von Frag­men­ten aus Schä­del und Wir­bel­säu­le der Amphi­bie durch­schla­gen. Wei­te­re öffent­li­che Spren­gun­gen im Monat Mai : San­ta Cruz, 21. [ d. aura­tus ] : Por­to Veh­lo, 22. [ d. azu­reus ] : Cara­cas, 23. [ d. leu­co­me­las ] : San Jose, 24. [ d. reti­cu­la­tus ] : New Orleans, 25. [ d. pumi­lio ] : Phoe­nix, 26. [ d. gra­nu­li­fer ] : Chi­ca­go, 27. [ d. imi­ta­tor ]. Zün­dung je 22.00 Uhr Orts­zeit. Alle Vor­stel­lun­gen sind aus­ge­bucht. — stop
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schlafende vögel

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echo : 8.25 — Weil ein unter der Was­ser­ober­flä­che leben­der Vogel noch immer ein Vogel ist, weder Fisch noch Amphi­bie, wird er sich von Zeit zu Zeit an die Gestalt der Bäu­me erin­nern, an den Luft­ge­sang sei­ner Freun­de, an den Wind, der durch sein Gefie­der streif­te, an das Vor­däm­me­rungs­licht der Son­ne, das ihm Augen und Schna­bel öff­ne­te, auch an die Far­ben der Wol­ken, an den Schnee, an den Duft der Blü­ten, an das Öl der Samen, der Nüs­se. Er wird viel­leicht auf san­di­gem Boden unter wei­te­ren Vögeln sit­zen und das Licht der Wel­len wird ihm schmei­cheln, komm zurück, komm zurück, und er wird in die­sen Momen­ten füh­len, dass etwas anders gewor­den ist, dass man als schla­fen­der Vogel auf und davon trei­ben, dass man nie­mals wis­sen kann, wo man erwa­chen wird. – Ein wun­der­bar ruhi­ger Abend, spa­zier­te ins Café, besuch­te L., notier­te end­lich wie­der ein paar ana­to­mi­sche Sät­ze, stu­dier­te Zug­fahr­plä­ne Mum­bai – Dar­jee­ling. Wie schritt­wei­se die Far­ben zurück­keh­ren, Gra­vi­ta­ti­on, ein Oben, ein Unten. Und plötz­lich die­ses fei­ne Bild eines Schwarms der Unter­was­ser­vö­gel, wie sie schla­fend als Vogel­wol­ke in der Strö­mung trei­ben. Man­che schwe­ben auf dem Rücken, die Flü­gel weit geöff­net, ande­re haben ihren Kopf ins nas­se Gefie­der gesteckt, glei­ten in einer Hal­tung dahin, als wür­den sie wie immer auf dem Ast eines Bau­mes sit­zen. Das Nacht­ge­spräch der Schla­fen­den in mei­nem Kopf, ein lei­ses Sin­gen, ein Sin­gen, das schon bald zu einem Gespräch gewor­den ist. — stop

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que sera, sera, whatever will be, will be …

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tan­go : 8.52 — Immer schon hab ich geträumt. Als Jun­ge saß ich auf Bäu­men, mein­te, hoch auf einem Schiff zu schau­keln, bis ich bemerk­te, dass die Zeit der Phy­sik­stun­de bereits hin­ter mir lag. Dann war ich Astro­naut oder Tau­cher, ich träum­te Glüh­bir­nen, wie man sie macht, war ein Ent­de­cker in luf­ti­gen Räu­men. Eines Tages begann ich, mei­ne Träu­me auf­zu­zeich­nen, um sie fort­set­zen zu kön­nen. Nun hat­te das Träu­men etwas mit Erfin­dung zu tun, weil die geträum­te Zeit und ihre Geschich­ten der wirk­li­chen Welt ein­ge­schrie­ben, ja ein­ver­leibt wer­den konn­ten, einer Welt auf dem Papier, wo sie sich behaup­ten soll­ten. Von die­sem Moment an sam­mel­te ich Träu­me, Ent­de­ckun­gen, Nacht­zep­pe­li­ne, konn­te zei­gen, was ich erfand, konn­te tei­len mit ande­ren Men­schen, eine span­nen­de Auf­ga­be, nie ist mir seit­her lang­wei­lig gewor­den. Oft steh’ ich mor­gens in mei­nem Zim­mer und schon wird geträumt, noch wäh­rend ich mich wasche begin­ne ich mei­ne Arbeit, suche, bin auf­merk­sam, lau­sche. Ja, ich arbei­te, wenn ich lau­sche, wenn ich träu­me, ohne zu schla­fen. Manch­mal träu­me ich auf der Stra­ße, wäh­rend ich spa­zie­re, das ist natür­lich sehr gefähr­lich, weil ich Ampeln ver­ges­se, weil ich mich ver­lau­fe oder in ver­kehr­te Stra­ßen­bah­nen stei­ge. Ges­tern Nach­mit­tag beleuch­te­te ich einen Frosch, der die mensch­li­che Spra­che zu imi­tie­ren ver­mag. Zwei Stun­den lang arbei­te­te ich, ging Ein­kau­fen, fort­wäh­rend träu­mend, erfin­dend, küm­mer­te mich in der Küche um eine Enten­brust, ein­mal tele­fo­nier­te ich, ohne je mei­ne Gedan­ken an den klei­nen, spre­chen­den Frosch auf­zu­ge­ben. Ein Geschenk die­ses Erzäh­len, die­se Art und Wei­se zu leben, gera­de in schwie­ri­gen Zei­ten. — stop

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oe

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marim­ba : 1.15 — Saß früh­abends am See unter blü­hen­den Aka­zi­en­bäu­men. Viel­leicht des­halb, weil die Aka­zi­en blühn, nie­sen in die­sen Tagen und Näch­ten die Schwä­ne und auch die Rot­wan­gen­schild­krö­ten nie­sen und alle Enten. Hör sie noch aus gro­ßer Ent­fer­nung, fei­ne, hel­le Luft­ge­räu­sche, wäh­rend ich am Schreib­tisch sit­ze und Kenzabu­ro Oe’s Roman Der Stolz der Toten beob­ach­te, das geschlos­sen vor mir liegt. Gleich wer­de ich das Buch öff­nen und sei­ne Zei­chen zählen.
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real online kiss

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15.14 — Wie­der etwas Féné­on gele­sen, fei­ne Geschich­ten, die von schnel­len Zügen, von rau­chen­den Pis­to­len, von lie­bes­tol­len Mör­dern, von Bom­ben und ande­ren Unglücks­mo­men­ten erzäh­len. — Geschich­te No 162 zum Bei­spiel : Kaum getraut, war das Ehe­paar Boulch aus Lam­bé­zel­le ( Finis­tère ) schon so betrun­ken, dass man es auf der Stel­le ein­sper­ren muss­te. — Oder die­se Geschich­te No 373 : Auf dem Dach­first des Bahn­hofs von Eng­hien erhielt ein Maler einen elek­tri­schen Schlag. Man hör­te noch das Klap­pern sei­nes Gebis­ses, dann fiel er auf die Mar­ki­se. — Muss neue Spra­che ler­nen. rok = real online kiss. — Nichts weiter.

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apollo

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3.15 — Zwei Stun­den vor Com­pu­ter­ma­schi­ne. Ich beob­ach­te­te Astro­nau­ten einer Apol­lo­mis­si­on, wie sie sich Fischen gleich durch ihre Kap­sel oder durch den Welt­raum bewe­gen. Indem ich ver­fol­ge, wie sie vor einer Kame­ra an Spiel­ob­jek­ten die Wir­kun­gen der Schwe­re­lo­sig­keit demons­trie­ren, indem ich ihre beschä­dig­ten Stim­men höre, der Gedan­ke, die­ses Schep­pern, Pfei­fen, Knis­tern, Kräch­zen könn­te ent­stan­den sein, weil ihren Stimm­in­stru­men­ten das Gewicht der Welt ent­zo­gen wur­de. – Weit nach Mit­ter­nacht. Woll­te mich erhe­ben, da ver­sag­te mein lin­kes Bein den Dienst. Hat­te gedan­ken­ver­lo­ren auf ihm Platz genom­men und wäre um ein Haar umge­fal­len. Ein selt­sa­mes, ein irri­tie­ren­des Gefühl der Lee­re. Dann die sicht­ba­re Gegen­wart eines Kör­per­teils, ohne die Anwe­sen­heit die­ses Kör­per­teils von innen her­aus bestä­ti­gen zu kön­nen. — stop
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seide

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5.24 — In der U‑Bahn immer wie­der der Ein­druck, dass Men­schen mit­tels ihrer rascheln­den Zei­tun­gen zuein­an­der spre­chen. Eine Wei­le ist Ruhe, aber dann blät­tert jemand eine Sei­te um, und schon knis­tert der Wag­gon von Rei­he zu Rei­he wei­ter. Man möch­te in die­sen Momen­ten mei­nen, die Papie­re selbst wären am Leben und wür­den die Lesen­den bewe­gen. Ein­mal habe ich mir Zei­tungs­pa­pie­re von stoff­ar­ti­ger Sub­stanz vor­ge­stellt, Papie­re von Sei­de zum Bei­spiel, sodass kei­ner­lei Geräusch von ihnen aus­ge­hen wür­de, sobald man sie berühr­te. Eine eigen­tüm­li­che Stil­le, Geräusch­lo­sig­keit, Lee­re, ein Sog, eine Wahr­neh­mung gegen jede Erfah­rung, eine ver­geb­li­che Erwar­tung. — stop

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