Aus der Wörtersammlung: is

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fingertiere

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marim­ba : 20.56 UTC — Wie nur nennt man die­se Ver­rückt­heit, dass einer gern Bücher auf einer Schreib­ma­schi­ne tippt, anstatt sie zu lesen, wie einen, der nur lesen kann, was er auch schreibt mit den Hän­den? — Wenn ich das Wort Schreib­ma­schi­ne höre, den­ke ich an Lebe­we­sen mei­ner Kind­heit, an Krea­tu­ren mit Wal­ze und Tas­ten, die merk­wür­di­ge Geräu­sche erzeug­ten, sobald man sie beweg­te. Was waren das damals doch für Unge­tü­me, Knöp­fe auf Stel­zen, so groß, dass sie von mei­nen klei­nen Fin­gern kaum bewegt wer­den konn­ten. Hoch oben auf einem Tisch­chen ruh­te die Schreib­ma­schi­ne, manch­mal war sie ver­bor­gen unter einer Hau­be, dann wie­der klap­per­te sie. Mut­ter saß am Tisch und tipp­te vor sich hin. Bis­wei­len setz­te sie mich auf ihren Schoß und ich sah ihren Fin­gern zu, wie sie sich beweg­ten, indes­sen Mut­ter mit mir sprach oder dem Radio zuhör­te. Ich glaub­te manch­mal in den Bewe­gun­gen ihrer Hän­de, etwas Frei­es, Unab­hän­gi­ges zu sehen, als wären die Hän­de mei­ner Mut­ter eigen­sin­ni­ge Lebe­we­sen. — stop

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tauchgang

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india : 0.08 UTC — ‘Es ist das Inter­es­san­te an Büchern, über denen man eigent­lich den Ver­stand ver­lie­ren müss­te, dass man durch sie viel­mehr an Ver­stand gewinnt. Frei­lich ist das nur ein neu­er Kom­pro­miß — denn anstän­di­ger­wei­se müss­te man aller­dings nach ihrer Lek­tü­re abdan­ken. Aber das Leben ist nicht das, was wir anstän­dig zu nen­nen lie­ben. Allein schon der Umstand, dass der Autor sei­nen Ver­stand behal­ten hat, wird genü­gen, den Leser zum glei­chen zu ver­an­las­sen; es sei denn — dass er nur so bewei­sen zu kön­nen mein­te, dass er noch tie­fer als jene sei, dass er sozu­sa­gen aus Ehr­geiz, aus “Wil­len zur Macht” wahn­sin­nig zu wer­den gera­de­zu — wünsch­te.’ Chris­ti­an Mor­gen­stern 1906 in sei­nen Apho­ris­men/ — stop
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ein schneckenforscher

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sier­ra : 20.15 UTC — Ein Freund erzähl­te, er habe end­lich, nach lan­gen Jah­ren unent­weg­ten Spre­chens, gelernt zu schwei­gen. Das Gespräch mit mir sei eine Aus­nah­me. Er habe Freu­de dar­an gefun­den, nur sel­ten und nur noch das unbe­dingt Not­wen­di­ge zu spre­chen. Des­halb lese er ein Buch nach dem ande­ren. Kurz dar­auf manch­mal, eigent­lich immer, schrei­be er auf, was ihm die Stim­men in den Büchern erzähl­ten. Er sag­te, man kön­ne Bücher, die man gele­sen habe, nach­er­zäh­len. In die­ser Wei­se wür­den doch ganz ande­re Tex­te ent­ste­hen, Tex­te, die sich mit den gele­se­nen Büchern unter­hiel­ten. Irgend­wann lös­ten sich die Tex­te von den erin­ner­ten Büchern. Manch­mal wis­se er nicht, mit wel­chem Buch er sich gera­de schrei­bend unter­hal­te. Sobald er den Blick von sei­nem Text lösen wür­de, wenn er auf den See hin­aus­schaue und eine Schild­krö­te bemer­ke, sei er plötz­lich in einer Spur gefan­gen, die von Schild­krö­ten erzähl­te, oder von sich lie­ben­den Sche­cken und ihren For­schern. — stop

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rom

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echo : 10.22 UTC — Ein Bahn­hof in Rom. Es ist spä­ter Abend. Rat­ten wan­dern in Her­den über Wän­de der Sta­ti­on. Nahe eines Aus­gangs sit­zen schnee­wei­ße tin­ten­fisch­ar­ti­ge Wesen. Sie schei­nen intel­li­gent zu sein. Ich fra­ge sie nach dem Weg und wache auf. — stop

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schildkrötengeschichte

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india : 15.03 UTC — Vor weni­gen Stun­den war ich im Stadt­wald spa­zie­ren. Ich ging um einen Teich her­um, in dem Schild­krö­ten unter der Was­ser­ober­flä­che gegen­ein­an­der kämpf­ten. Plötz­lich hör­te ich das Geräusch einer hel­len, schep­pern­den Glo­cke, ein Klin­geln oder metal­le­nes Hupen. Ich dach­te, je­mand möch­te Dich wecken. Und ich dach­te, Du kennst die­se Geschich­te, das hast Du schon ein­mal geträumt. Du musst zunächst ver­su­chen, wach zu wer­den, dach­te ich. Also ver­suchte ich, wach zu wer­den. Ich wan­der­te zunächst in die Küche. Das Geräusch wan­derte mit mir, und ich bemerk­te, die Küche ist kein guter Ort, um wach wer­den zu kön­nen. Plötz­lich erin­nerte ich mich, woher ich das Geräusch kann­te. Es war das Glöck­chen, das am Weih­nachts­abend hin­ter einer Tür von mei­nem Vater durch hef­tige Bewe­gung zum Klin­gen gebracht wur­de, ein ver­trau­tes, jähr­lich wie­der­keh­ren­des Geräusch. Ein­mal bekam ich ein Radio geschenkt. Das Radio war das ers­te Radio mei­nes Lebens gewe­sen, ein Tran­sis­to­r­emp­fän­ger, hand­lich und doch schwer. Ich weiß nicht wes­halb, ich öff­nete das Radio mit­hil­fe eines Schrau­ben­zie­hers, ich zer­legte die klei­ne Appa­ra­tur in ihre Ein­zel­teile und wun­derte mich. Ein Jahr dar­auf bekam ich einen Foto­ap­pa­rat, den ich am dar­auf­fol­gen­den Tag wie zuvor das Radio öff­ne­te und auf das genau­es­te unter­such­te, im Früh­ling zähl­te ich Vögel, im Som­mer durch­such­te ich das Unter­holz nach Kno­chen von Hasen und Rehen, um sie in mei­nem Zim­mer auf dem Schreib­tisch so zu kon­fi­gu­rie­ren, dass ich sie mir vor­stel­len konn­te. Es ist merk­wür­dig, wie Geräu­sche über gro­ße Zeit­räu­me hin­weg wie­der­keh­ren, als wären sie gera­de erst in der Wirk­lich­keit abge­spielt wor­den. Es lässt sich nicht über­prü­fen, aber sie schei­nen sich tat­säch­lich nicht ver­än­dert zu haben, sind unteil­ba­re Wesen. — stop
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radar

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oli­mam­bo : 0.05 UTC — Ich habe eine Bit­te: Wer in der Lage ist, fol­gen­de Zei­chen in einer für mich les­ba­ren Art und Wei­se dar­zu­stel­len, bit­te mel­den! >

! [ W Y à  &  / – U c ! É F Ç  ä  ¬  ‡ O ‘ £ % ø È ¨   < ’ ≥ ∫ z . \  G ‹ — t V Ê … ì è z t O ˇ í  ß _ “ \ ˛ m  ˚ t ÿ Ì “ Î ! = M ? • { ü ø Y § Î 7 i Q ˛ Ω π  À < Ø  . v › π Å ã y ∫ X — 7 i ª € ß ≈ r µ à  ö — — l ’ f 3 ¢ y  ≥ ø à ˝ ¸ Ò ” ˇ … ¯ Æ_ • ˚ W i ±µ o ∑ i ? O ã’ ” ] Ω J ˜ Æ Æ 2 ‹ ´ Á È Ô © ˇ Á ù 4 ü — ∫ ~ »  ó ©  } ’ ] »  ©  ˆ ≤ | í Ø æ ∑ K /  ≈ O ¯ Ä A … $ > ’ ] è / ® É c _  { © ?  Q ± C e œ ‘ G ¥ ˛ # ] } ï æ ∏ J è ª ˝ a ∂ Y Ô Ö é ˝ z ù  õ ’ l ∑ fi o  } a Á fi 7 √ Î Î · Á ” Ø œ ^ ¶ ◊ / Ñ Ñ ï ˙ + æ   ˇ w Î m ¶ · fi  ´ E z p Ï  ß { fl  / ü ù ^ º  > æ < æ ~ Ò j 8 Ω ~ q ≠  ’ Ÿ  ” Ê Û ˘ 2 ] ] K D å H  2 O À › Æ ´ à Ï á Î  ƒ £ ´  Ë , ” y 2 ì h . ˜ ≥ Õ n ª ÿ   π ª ç Ç û œ ÷ € ¸ ø ¸ ù } Í ¯ È ¶ X V  V Àï ≈ r … X ˛ ß Ñ ¡ Ÿ ◊ p  «  á  ; ı É F Y b ˚ ° î H ï ∞ #   ∞ í   û í  1 ( g ≥ ≠ F ∏ > T  ; … ∂ ”  P l p ¸ ’ , * Ç ‘ ø   È – X Ó , œ k À B µ Ü « π  — ö ◊ P ˇ ù ô ˘ ± 8 * ú \ fl È T ‚ 4 Ö ë  Ÿ @ @ © ! Ö § ∂ ñ í ¥ ˚ › ! ≠ v  À   Ú  “ ? ≤ ø  ± ø _  ê œ Ï ø  | q k « ◊ K  x ∞    x Ï —  G / ñ ª Ÿ ∫ Î  Ü â 1  _ ê I ˝ √ © – ( e w ] ∫ + K ÿ å Œ  ° ≈ fl I  ∫ ü ò ”  ã K ] é ø * ¬ µ k | Ò É Ç l Í fl  È @ Ä  ’ ! N É  ≈ E V  È r  G ‘ © Ç A . 2 @  > N 8 ˚ ◊ ‚Ä T fl ë ›  ‘ ∏ “÷ Í s À ã fl Õ € ” …  x j ¬ ‘ ı ó & w  M ∞ F _ a l Ç ¥ fl L  ¸ î ± t – 4 & | Ω Ç Ø œ J y â ” b Î √ ≈ T ’ Û z Ω  ’ s »  û À ˆ b ≥ ù Ì R ? ∆ à § p ë Ø ç ’ · ∑ ; “ }  ñ /// — stop

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ai : KOLUMBIEN

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MENSCHEN IN GEFAHR: „In Bojayá im Depart­a­men­to Chocó befin­den sich 7.000 Ange­hö­ri­ge afro-kolum­bia­ni­scher und indi­ge­ner Gemein­schaf­ten in Unión Baquia­za, Egoró­quera, Unión Cui­tí, Play­ita, Meso­po­ta­mia und Car­ri­l­lo im Kreuz­feu­er der Kampf­hand­lun­gen zwi­schen bewaff­ne­ten Grup­pen. Amnes­ty Inter­na­tio­nal betrach­tet die Lage mit Sor­ge und ist der Ansicht, dass die Gefahr mas­sen­haf­ter Tötun­gen und Ver­trei­bun­gen besteht. Im Depart­a­men­to Chocó wur­den in jüngs­ter Zeit meh­re­re Gemein­de-spre­cher_in­nen ermor­det, und die Prä­senz bewaff­ne­ter Grup­pen stellt eine stän­di­ge Bedro­hung für die dor­ti­gen Gemein­schaf­ten dar. Die kolum­bia­ni­schen Behör­den haben bis­her nichts unter­nom­men, um die­se Men­schen zu schüt­zen. / Die meis­ten der betrof­fe­nen Per­so­nen kön­nen sich bereits seit mehr als einem Jahr nicht mehr frei bewe­gen, da sie ver­su­chen, sich vor den Akti­vi­tä­ten der Gue­ril­la­grup­pe Ejérci­to de Libe­r­ación Nacio­nal (Natio­na­le Befrei­ungs­ar­mee) und der para­mi­li­tä­ri­schen Grup­pe Auto­de­fen­sas Gai­ta­ni­s­tas de Colom­bia zu schüt­zen. Die­se haben im ver­gan­ge­nen Jahr Anti­per­so­nen­mi­nen in der Gegend gelegt, Kin­der rekru­tiert, Gemein­de-spre­cher_in­nen getö­tet und gan­ze Gemein­schaf­ten bela­gert. Es gab eini­ge Fäl­le, in denen Ange­hö­ri­ge der Gemein­schaf­ten die Zusam­men­ar­beit der bewaff­ne­ten Grup­pen mit Ange­hö­ri­gen der kolum­bia­ni­schen Armee ange­pran­gert haben. / Amnes­ty Inter­na­tio­nal warn­te in einem 2017 ver­öf­fent­lich­ten Bericht, dass die kolum­bia­ni­sche Regie­rung in die­ser Gegend von Chocó ein Kli­ma der Aus­gren­zung und Ver­nach­läs­si­gung geschaf­fen hat, was die Schutz­be­dürf­tig­keit der dor­ti­gen Gemein­schaf­ten noch wei­ter ver­stärkt. Die Reak­ti­on der Behör­den auf die dor­ti­ge Lage war bis­her alles ande­re als umfas­send und kon­zen­triert sich ledig­lich auf mili­tä­ri­sche Maß­nah­men.“ - Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 30. Mai 2019 unter > ai : urgent action

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zebraspringspinne

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echo : 5.18 UTC — Ich beob­ach­te an die­sem Mor­gen auf dem Fens­ter­brett nach Süden zu eine Zebra­spring­spin­ne von höchs­tens 2 Gramm Gewicht. Sie spa­ziert dort unter mei­nen Augen furcht­los auf und ab. Mög­li­cher­wei­se ist sie kürz­lich erst durch die Luft geflo­gen oder aber den gan­zen Win­ter über in mei­ner Nähe gewe­sen, ohne dass ich sie bemerk­te. Für einen Moment hal­ten wir bei­de inne und schau­en in Rich­tung der Däm­me­rung. Eine Stra­ßen­bahn kommt um die Kur­ve gefah­ren, es ist die ers­te Stra­ßen­bahn die­ses Tages. Ich schlie­ße die Fens­ter. Mit die­ser ers­ten Stra­ßen­bahn kommt der Tag in die Nacht, Vögel stei­gen aus und hocken sich in Bäu­me und sin­gen, wäh­rend Flie­gen und Fal­ter aus mei­ner Woh­nung flüch­ten, um ein­zu­stei­gen und rasch davon­zu­fah­ren. Ich soll­te mor­gens ein­mal auf die Stra­ße tre­ten und zur Hal­te­stel­le gehen und war­ten, da nun die ers­te Fahrt der Linie 16 ein­tref­fen und der Fah­rer von Nacht­fal­tern bedeckt sein wird, und die Sit­ze und Lam­pen, und auch die Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen der Früh­schicht. Dich­te, bit­te­re, stau­bi­ge Luft, ein sono­res Sum­men zehn­tau­sen­der Flü­gel. Klei­ne, har­te Käfer­kör­per stür­men durch wei­chen, flie­gen­den Fal­ter­wald, ping, pong, ping. — Die­ser Text wur­de zum ers­ten Mal vor vier Jah­ren notiert. Als ich heu­te früh­mor­gens eine Zebra­spring­spin­ne ent­deck­te, war mein Text wie­der mög­lich gewor­den. — stop

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