marimba : 14.14 UTC — Mit den Menschen verschwinden ihre Schriften. Manchmal verschwinden Schriften vor den Menschen. Es ist dann, wenn man sich nicht länger vorstellen kann, die Hände der Menschen würden sich je noch einmal derart bewegen, dass Buchstaben auf einem Blatt Papier sichtbar werden. Aber die Wörter, die nicht mehr geschrieben werden, könnten noch einmal formuliert worden sein, leuchtende Wörter wie das Wort Apfelstrudel. — stop
Aus der Wörtersammlung: wort
neufundland 08.10.12 uhr : zimt
olimambo : 8.10 UTC — Noe meldet sich am späten Morgen. Vermutliche Tiefe: 852 Fuß. Position: 77 Seemeilen südöstlich der Küste Neufundlands seit nunmehr 2526 Tagen im Tiefseetauchanzug unter Wasser. ANFANG 08.10.12 | | | > meine lautlos arbeitenden hände. s m a l l r e d f i s h f r o m d o w n s i d e. s t o p ob ich wohl weiterhin ein menschliches wesen bin? s t o p hier in dieser tiefe eine haltung der demut. s t o p fragen. s t o p auch fragen ohne antworten. s t o p ich frage. s t o p ich warte. s t o p und warte. s t o p habe den verdacht ein kind geworden sein. s t o p ich trage keine schuhe. r u s t y c a b l e s f r o m a b o v e. s t o p ich kann mich an mein gesicht nicht erinnern. s t o p warum? s t o p wie lange zeit bin ich bereits hier? s t o p schluss jetzt. s t o p fangen wir noch einmal von vorne an. s m a l l b l u e f i s h t o p l e f t. s t o p ich heiße noe. s t o p ich befinde mich 851 fuß tief unter dem meeresspiegel kurz vor neufundland. s t o p ich zähle fische. s t o p das radio in meinem helm macht seltsame geräusche. s t o p es geht mir gut. s t o p ich notiere : die luft die ich atme duftet nach zimt. s t o p | | | ENDE 08.12.15
15 Uhr 2
india : 15.02 UTC — Wieder Sekunden, dann Minuten der Achtsamkeit (kurioses Wort) : Was höre ich? Was rieche ich? Was sehe ich? Was fühle ich? Was kann ich denken? — stop
eine schreibmaschine : tasten
delta : 8.26 UTC – Vor langer Zeit beobachtete ich meinen Vater, wie er seine mechanische Schreibmaschine zerlegte, um sie zu säubern und zu ölen. Gestern habe ich diese Scheibmaschine in einem Regal wiederentdeckt. Das war ein intensiver Moment des Vormittages gewesen, nachmittags hörte ich in einem Zug eine fremde Sprache, ich verstand kein einziges Wort, und doch schien mir die fremde Sprache vertraut zu sein, als hätte ich sie einmal gekonnt. Sind mechanische Schreibmaschinen für jede existierende oder gewesene Sprache dieser Welt vorstellbar? — stop
funkendes buch
zoulou : 20.02 UTC – Letzte Nacht träumte ich von Françoise Sagan. Sie stürmte im Traum wie eine Furie in mein Arbeitszimmer, stellte sich auf einen wackeligen Holzstuhl und begann in höher gelegenen Reihen meines Regals nach einem bestimmten Buch zu suchen. Indessen zeterte sie unfreundlich, dieser elende Roman Ulim Triers funke aus meinem Arbeitszimmer seltsame Sätze, die nun überall in ihren Romanen sichtbar oder lesbar geworden seien, als wären sie von ihr, der Sagan, persönlich geschrieben. Ich versuchte die alte Dame zu beruhigen, überhaupt sah sehr gefährlich aus, was sich vor meinen Augen ereignete. Sie trug ein schneeweißes Hemdchen, das ihr bis zu den Knien reichte, spindeldürr war sie und zitterte, auch der Stuhl unter ihren Füßen zitterte. Ich flüsterte: Ich kenne keinen Schriftsteller namens Ulim Trier. Ach, Papperlapapp, antwortete Françoise Sagan, Sie haben doch überhaupt keine Ahnung von diesen Büchern, die sich überall einmischen. Schlafen Sie weiter. Also schlief ich sofort ein und bin seither nicht wieder wach geworden. — stop
18 Uhr 21
elefanten in der schnellbahn
foxtrott : 10.28 — In einem Schnellbahnzug beobachtete ich einen Mann, wie er von Abteil zu Abteil wanderte, um auf Streckenpläne des Verkehrsverbundes die Silhouette je eines Elefanten aufzubringen. Er führte deshalb Bögen selbstklebender Folien mit sich, in welche Formen hunderter kleiner Elefantenkörper eingestanzt worden waren. Ich fragte den Mann, wer ihn beauftragt habe. Er antwortete, dass er selbst sich den Auftrag erteilt habe, dass er schon sehr lange Zeit den Wunsch verspürte, Wohnorte der Elefanten in der Stadt zu vermerken. Er habe gespart, jetzt schreite er zur Tat. Einige Strafanzeigen habe er bereits entgegengenommen wegen Sachbeschädigung, das war deshalb gewesen, weil Elefanten zwar im Zoologischen Garten, aber nicht im Nymphenburger Schloßpark wohnhaft sein sollen. Genau dort habe er indessen nicht selten Elefanten beobachtet, wie sie fürstliche Wälder durchstreiften. Nun, sagte der Mann, ich bin doch nicht verrückt. — stop
dreiundzwanzigste etage winter
ginkgo : 8.28 — Ich träumte, nachts auf dem Balkon eines Hotels über der Eighth Avenue zu spazieren. Es war Winter, weit unter 0 °C in New York. Heftiger Wind wehte harte Schneekristalle über den Boden des Balkons. Ich war leicht bekleidet, war ohne Schuhe, war aus einem Fenster gestiegen, wollte kurz Aussicht nehmen auf den Hudson River. Da fiel das Fenster hinter mir geräuschvoll ins Schloss. Ich gab keinen Laut von mir, wusste, dass mich niemand hören würde, ich befand mich auf dem 23. Stockwerk, die Zimmer neben meinem Zimmer standen leer. Aber da war noch ein Stuhl aus Plastik. Ich dachte, dass ich 1 Versuch haben würde, oder mit etwas Glück 2 Versuche, das Fenster zum gewärmten Zimmer mittels dieses leichten Stuhlwerks einzuschlagen. Gerade als ich den Stuhl anhob, um ihn gegen das Fenster zu schleudern, bemerkte ich eine Drohne, die sich langsam näherte. Sie blinkte. So dicht kam sie heran, dass ich meinte, sie mit meinen Händen berühren zu können. Ich erinnere mich, dass ich mehrfach das Wort H E L P mit Lippen und Augen formulierte, außerdem faltete ich meine Hände. — stop
nachtwärts
charlie : 11.08 — Im Schnellzug hörte ich vor Wochen, wie eine Frau von der geistigen Umnachtung ihrer Freundin erzählte. Sie sprach von Zeitlosigkeit, es sei dort in ihrer Wahrnehmung, in der Wahrnehmung der Freundin, immer dieselbe Zeit, gleich ob Tag ist oder Nacht. Sie sagte noch, ihre Freundin spreche kein Wort. Wollte ich fragen, wie sie ob der Stummheit ihrer Freundin derart genau Bescheid wissen konnte, aber da war sie schon ausgestiegen am Sportfeld. Seither kehrt das Wort Umnachtung immer wieder zu mir zurück. stop. So nimmt man für den ausdruck der trauer, der inneren verwüstung, der umnachtung des geistes die farbe der nacht. Hegel w. (1832) — stop
dilip
ulysses : 15.08 UTC — Ein Brief erreichte mich, der in Kalkutta abgeschickt worden war vor zwei oder drei Wochen. Folgende Zeilen: Sehr geehrter Herr Louis, es hat gedauert, dass ich antworte, weil ich noch sehr klein bin, ich bin erst 12 Jahre alt, ich wohne an der Jessore Road. Dort habe ich einen Brief gefunden, unter einem Feigenbaum bei der Busstation. Der Brief war nicht an mich geschrieben, sondern an Lilifer Mindi. Ich kenne Lilifer Mindi nicht, ich habe die schönen Briefmarken auf dem Brief entdeckt und habe mir gedacht, es ist nicht so weit zu der Adresse wo Lilifer Mindi wohnt, und ich bin mit meinem Fahrrad dorthin gefahren, aber das Haus gibt es nicht, wo Lilifer Mindi wohnt oder nicht wohnt, sie müssen sich geirrt haben. Auch in dem Haus neben dem Haus, das nicht existiert, wohnt Lilifer Mindi nicht, das ist sicher, weil ich gefragt habe. Ich sende Ihnen den Brief zurück, ich habe ihn nicht geöffnet, ich heiße Dilip, vielleicht schreiben Sie einmal einen Brief an mich, weil ich in einem Haus wohne, das es wirklich gibt. Vor meinem Haus wachsen zwei Feigenbäume, hinter dem Haus kann ich Ball spielen, hinten ist das Haus grün, und vorn ist das Haus rot. Wir haben einen Balkon, meine Schwester ist sehr krank, sie sitzt oft auf dem Balkon, weil sie nicht zur Schule geht. Bestimmt können Sie Englisch lesen. Dein Dilip — stop