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marit

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nord­pol : 0.02 — Ver­gan­ge­ne Nacht war ich wach gewor­den um fünf. Ich hat­te einen merk­wür­di­gen Traum, in dem Mr. Eli­ot erklär­te, dass er Brie­fe, die ich an ihn schrei­be, nicht lesen kön­ne, weil er schon vor lan­ger Zeit blind gewor­den sei. Ich war dann also wach um fünf und fühl­te mich leicht, und ich wun­der­te mich, woher die­se Leich­tig­keit gekom­men sein moch­te. Da erin­ner­te ich mich, dass ich noch immer nach­drück­lich auf eine Ant­wort James Sal­ters war­te, ich hat­te ihm vor zwei Jah­ren zuletzt geschrie­ben. Auch Mr. Sal­ter könn­te blind gewor­den sein, kein Wun­der, dass er nicht schreibt. Unver­züg­lich such­te ich in den Archi­ven nach dem Brief, den ich notiert hat­te. Er war rasch gefun­den, eine fei­ne Geschich­te, die ich berüh­re, die ich hier wie­der­ho­le, indem ich sie mit Stim­me lese, in der Hoff­nung, dass Mr. Sal­ter mich hören kann: Lie­ber James Sal­ter, als ich heu­te Nacht am Schreib­tisch saß und in Ihren wun­der­ba­ren Erzäh­lun­gen las, habe ich eine klei­ne Spin­ne bemerkt, die mich beob­ach­te­te, jawohl, sie saß auf dem Feins­ten der Blatt­haa­re eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, der neben mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne steht, und beob­ach­te­te mich aus meh­re­ren win­zi­gen schwar­zen Augen. Ich habe über­legt, was die­ses Wesen wohl in mir sieht. Für einen wei­te­ren kur­zen Moment habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob Spin­nen viel­leicht hören, – ich lese oft laut vor mich hin, das soll­ten sie wis­sen -, und so wun­der­te ich mich, dass ich vie­le Jah­re gelebt habe, ohne der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob Spin­nen über Ohren­paa­re oder doch wenigs­tens über einen zen­tra­len Gehör­gang, wo auch immer, ver­fü­gen. Ich saß also am Schreib­tisch, ich las und die klei­ne geti­ger­te Spin­ne, von der ich Ihnen erzäh­le, seil­te sich zur Tas­ta­tur mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne ab. Ich hat­te den Ein­druck, dass ihr die­se Luft­num­mer Freu­de mach­te, weil sie ihre Lan­dung immer wie­der hin­aus­zö­ger­te, indem sie den Faden, der aus ihr selbst her­aus­ge­kom­men war, ver­speis­te, dem­zu­fol­ge ver­kürz­te. Viel­leicht hat­te sie bemerkt, dass ich sie betrach­te­te, das ist denk­bar, weil ich auf­ge­hört hat­te, laut zu lesen, für einen Moment, um nach­zu­den­ken, viel­leicht woll­te sie, um sich mir dar­zu­stel­len, auf mei­ner Augen­hö­he blei­ben. Das war genau in dem Moment, als Marit nach ihrer letz­ten Nacht auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­ge­kom­men war, Marit, die doch eigent­lich seit Stun­den schon tot gewe­sen sein muss­te. Marit setz­te sich auf eine Trep­pe und begann zu wei­nen. Sicher wer­den Sie sich erin­nern an Marit, wie sie auf der Trep­pe sitzt und weint, weil sie wuss­te, dass sie eine wei­te­re letz­te Nacht vor sich haben wür­de. Als ich las, dass Marit lebt und weint, habe ich eine Pau­se gemacht, weil ich erschüt­tert war, weil das Gift nicht gewirkt hat­te. Ich saß vor mei­nem Schreib­tisch und über­leg­te, ob auch sie, James Sal­ter, erschüt­tert waren, als Marit lang­sam, auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­kam. Und wäh­rend ich an Sie und Ihre Schreib­ma­schi­ne dach­te, beob­ach­te­te ich die Spin­ne, die mit­tels ihrer win­zi­gen Bei­ne, den Faden, an dem sie hing, betas­te­te. Ist das nicht ein Wun­der, eine Spin­ne wie die­se Spin­ne? Haben Sie schon ein­mal bemerkt, dass es nicht mög­lich ist, mit einer elek­tri­schen Schreib­ma­schi­ne zwei Buch­sta­ben zur glei­chen Zeit, also über­ein­an­der, auf das Papier oder den Bild­schirm zu schrei­ben? Immer ist einer vor, nie­mals unter dem ande­ren. Mit herz­li­chen Grü­ßen Louis.

ping

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luftzeitpumpen

pic

~ : louis
to : Mr. eliot
sub­ject : LUFTZEITPUMPEN

Mein lie­ber Eli­ot! Ich habe mir heu­te gedacht, man müss­te Bei­zei­ten ein­mal mit einer höhe­ren Instanz dar­über ver­han­deln, ob nicht Lebens­zeit durch Lese­zeit ver­län­gert wer­den könn­te. — Woll­te Dir schon lan­ge schrei­ben. Ich neh­me an, Du wirst vor Mona­ten zunächst Dein War­ten, dann mei­nen Namen ver­ges­sen haben. Oder war es etwa umge­kehrt gewe­sen? Nun, hier bin ich wie­der, Dein Lou­is, jener Lou­is, der in sei­ner Vor­stel­lung Luft­zeit­pum­pen ver­such­te. Um Him­mels­wil­len, ich wer­de doch nicht ganz und gar ver­lo­ren sein, ein selt­sa­mer Gedan­ke, dass ich mei­ner Arbeit nach­ge­gan­gen sein könn­te, ohne bemerkt zu haben, dass mei­ne Exis­tenz in Dei­nem Leben ende­te, ein fer­ner Tod, mein eige­ner. Sam­melst Du wei­ter­hin Her­zen Dei­ner Rechen­ma­schi­nen? Wie geht’s Dei­ner Gelieb­ten? Was macht das Chro­mo­som No 1, hast Du’s bald aus­ge­druckt? — Zwerg­see­ro­sen segeln durch die Luft. Ant­wor­te rasch! Dein Louis

gesen­det am
04.10.2010
23.12 MESZ
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quentin crisp

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romeo : 18.12 — Sams­tag. Regen. Knis­tern­de Fens­ter. Beob­ach­te­te die Film­bio­gra­fie des homo­se­xu­el­len Schrift­stel­lers Quen­tin Crisp vor und zurück. Gegen Ende sei­nes Lebens fol­gen­de Sät­ze: Beharr­lich­keit ist Ihre stärks­te Waf­fe. Es liegt in der Natur von Bar­rie­ren, dass sie fal­len. Ver­su­chen Sie nicht so zu wer­den wie Ihre Wider­sa­cher. Sie tra­gen die Bür­de und haben die gro­ße Freu­de, Außen­sei­ter zu sein. Jeder Tag, den Sie leben, ist eine Art Tri­umph, dar­an soll­ten Sie immer fest­hal­ten. Sie soll­ten sich nicht bemü­hen und ver­su­chen, sich der Gesell­schaft anzu­schlie­ßen. Nein, blei­ben Sie stets da, wo Sie sind. Geben Sie Ihren Namen und Ihre Seri­en­num­mer und war­ten Sie dar­auf, dass die Gesell­schaft sich um Sie her­um bil­det. Denn das wird sie höchst­wahr­schein­lich tun. Schau­en Sie nie­mals nach vorn, wo es die Zwei­fel, und nie­mals zurück, wo es das Bedau­ern gibt. Nein, schau­en Sie immer nach Innen, und fra­gen Sie sich nicht, ob es in der Außen­welt etwas gibt, was Sie wol­len, son­dern ob es Innen irgend­et­was gibt, das Sie noch nicht aus­ge­packt haben. / zitiert nach der Ton­spur des Films “An Eng­lish­man in New York”

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edison

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oli­mam­bo : 3.15 — Vari­an­ten, Bewe­gun­gen einer Hand zu beschrei­ben, die sich spie­le­risch über einer Kla­ri­net­te bewegt. — Müde. — Viel­leicht die­se Art Sand­au­gen­mü­dig­keit, die Nacht­ar­beit bewir­ken kann. Wann ist Mit­tag in der Nacht? Wann beginnt der Abend? Ich ste­he auf, ver­tre­te mir die Bei­ne, lau­fe vor dem Bücher­re­gal hin und her, ent­de­cke ein Buch, das von Edi­son erzählt, ein Buch aus der Kin­der­zeit, sit­ze auf dem Sofa, lese und schaue. — Wie man Glüh­bir­nen macht? Zunächst macht man einen glä­ser­nen Behäl­ter für das Licht und die­ses Glas nun glüht in einem sehr war­men oran­ge­far­be­nen Ton und ist flüs­sig und irgend­wie sehr heiß, denn die Män­ner, die an ihm arbei­ten, tra­gen kräf­ti­ge Hand­schu­he, ihre Gesich­ter sind zum Schutz mit feuch­ten Tüchern ver­bun­den. Jetzt bin ich ein­ge­schla­fen. — stop
ping

ping

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mangrove

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india : 22.58 — Im Pal­men­gar­ten befin­den sich acht waben­för­mi­ge Glas­häu­ser, die durch Schleu­sen­räu­me mit­ein­an­der ver­bun­den sind, sodass man in weni­gen Minu­ten zunächst durch eine Wüs­te spa­zie­ren kann, dann durch einen Regen- und kurz dar­auf durch einen Nebel­wald. Ich sitz gern dort, jen­seits der Man­gro­ven­ab­tei­lung im Bro­me­li­en­haus, und lese in was­ser­fes­ten Büchern her­um. Es ist ange­nehm still. Kaum jemand ver­irrt sich hier­her, so ver­steckt liegt die Wabe im Zen­trum der Glas­haus­ver­samm­lung. Und viel­leicht genau aus die­sem Grund, weil es von Men­schen still ist, kom­men dut­zen­de, lei­se jau­len­der Wach­teln unter Bäu­men zusam­men, auf wel­chen Blu­men lun­gern wie schla­fen­de Vögel. Hat­te vor Stun­den noch unter Luft­wur­zeln etwas Wil­helm Gen­a­zi­no beob­ach­tet. Plötz­lich bemerk­te ich, dass kein Geräusch um mich her­um zu hören war. Völ­li­ge Stil­le. Eine merk­wür­di­ge, eine tro­cke­ne Stil­le. Für einen kur­zen Moment der Ein­druck, wäh­rend des Lesens viel­leicht taub gewor­den zu sein. Schau­te mich um, sah eine Hand auf einer Buch­sei­te lie­gen und dach­te, dass ich jetzt mit die­ser Hand sofort zur Beru­hi­gung ein Papier­ge­räusch erzeu­gen müs­se. Ich blät­ter­te also um, und ich hör­te ein Rascheln und das lei­se Sau­sen der Luft, hör­te Vögel wie­der pfei­fen, das Trop­fen des Was­sers. Ich hör­te mei­ne Stim­me das Wort selt­sam sagen. — stop
ping

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voyager

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ulys­ses : 22.00 — Wie ich lern­te, mei­ne Schu­he zu bin­den. Eine Sekun­de­n­erin­ne­rung an den Tag, als ich zum ers­ten Mal mit einer Dampf­lo­ko­mo­ti­ve aus der Stadt Mün­chen her­aus über Land gefah­ren bin. Abends sit­ze ich unter einem Apfel­baum nahe Land­au. Ich bin müde, aber ich habe den Wunsch, im Leben wei­ter­zu­kom­men. Irre Bewe­gun­gen mei­ner Kin­der­hän­de über klei­nen blau­en Schu­hen. Der Ein­druck for­schen­der Unsi­cher­heit, der in die­sem Moment, Fin­ger für Fin­ger, wie­der zu spü­ren ist, als wür­de jede Hand für sich über ein eige­nes Gedächt­nis ver­fü­gen. — Viel­leicht ist es sinn­voll zu sagen, dass die Raum­son­den Voy­a­ger 1 und Voy­a­ger 2 in der Sekun­de ihres Starts gebo­ren wur­den. — stop

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die alte margareta spricht vom sterben

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nord­pol : 18.15 — Nach­mit­tag. Wol­ken tief. Regen heut aus nächs­ter Nähe auf den Schirm. Auch von der Sei­te her Trop­fen, die so leicht sind, dass sie mit mei­nem Atem zurück gegen den Him­mel flie­gen. Mit Schreib­ma­schi­ne sitz ich und beob­ach­te hand­li­ches Kino. Dort das Gesicht einer uralten Frau. Sie heißt Mar­ga­re­ta, die Mar­ga­re­ta aus Wien. Mar­ga­re­ta ist 91 Jahr alt. Von einem bösen Krebs schwer gezeich­net, spricht sie im Ster­be­hos­piz in einer hei­te­ren Wei­se Gedan­ken in die Kame­ra, die mich berühr­ten, als ich sie zum ers­ten Mal hör­te, so dass ich mir vor­ge­nom­men hat­te, jeden ihrer Sät­ze in einer eige­nen Text­spur fest­zu­hal­ten. Heu­te nun ist Mar­ga­re­tas Tag. Immer wie­der hal­te ich den Film an und notie­re Wort für Wort was Mar­ga­re­ta zum Ster­ben sagt: Ich glaub nicht gar so. Ich glaub nicht, dass man in den Him­mel kommt. Weil, mit was soll man denn? Ja, mit der See­le, nicht! Die See­le kommt in den Him­mel. Ja, aber wer ist denn die See­le? Das weiß man dann auch nicht. Ich sag das nur, weil Sie mich gefragt haben. Weiß ich nicht, wie das dann geht! Ich hab eine Cou­si­ne gehabt, die war sehr christ­lich. Wenn die nur ein­mal nicht in die Kir­che gegan­gen war, aber sie hat mir gesagt damals, sie war ein 18er-Jahr­gang, ich bin ein 14er, mein Bru­der war ein 17er, und sie hat gesagt: Das glaub ich nicht, dass es nach dem Tod noch was gibt. Sie meint halt, dass wenn man stirbt, dass es dann aus ist. Ich weiß es auch nicht. Aber ich schla­fe jetzt auf die Nacht ein, und in der Früh werd ich mun­ter, das hab ich jetzt drei­mal schon gemacht, da den­ke und da träu­me ich gar nichts, so rich­tig nichts. Dann denk ich mir, siehst du, so wär das Ster­ben. Aber es ist halt so. Nein, so rich­tig weiß ich es nicht. Aber ich bin ja schon knapp davor. Mit 91 sind Sie knapp vor dem Ster­ben. Müs­sen Sie ja sein. — Mar­ga­re­ta hebt einen klei­nen Löf­fel vom Tisch. - Mein Gott, gar nichts essen möch­te ich am liebs­ten. - stop
ping