alpha : 0.05 — Seit Jahren, mit Vergnügen, beobachte ich einen Gedanken in meinem Kopf, der sich nicht bewegt, kein Zeichen der Buchstabenversammlung des Gedankens rührt sich von der Stelle. Manchmal denke ich, der Gedanke bewegt sich, ein Gecko, so langsam wie heimlich, während ich andere Gedanken denke. — stop
dos passos
Abschnitt Montauk meldet folgende gegen Küste geworfene Artefakte : | stop | Wrackteile [ Seefahrt — 8678, Luftfahrt — 1887, Automobile — 22851 ], Grußbotschaften in Glasbehältern [ 18. Jahrhundert — 12, 19. Jahrhundert – 26, 20. Jahrhundert – 577 , 21. Jahrhundert — 332 ], physical memories [ bespielt — 257, gelöscht : 56 ], Manuskriptseiten [ John Don Passos – Manhatten Transfer 3 ], Öle [ 1.3 Tonnen ], Prothesen [ Herz – Rhythmus – Beschleuniger – 78, Kniegelenke – 3, Hüftkugeln – 46, Brillen – 654 ], Schuhe [ Größen 28 – 37 : 2112 , Größen 38 — 45 : 5932 ], Kühlschränke [ 295 ], Tiefseetauchanzüge [ ohne Taucher – 10, mit Taucher – 53 ], Engelszungen [ 18 ] | stop |
signallichter
sierra : 0.01 — Bemerkt, dass ich Dimensionen der Lichtreisezeit von Stern zu Stern nicht verstehen kann. Ich habe einerseits eine trockene, eine logische Erklärung zur Verfügung, kann anderseits aber das vertraute Gefühl, das mir anzeigt, dass ich etwas verstanden habe oder begreifen konnte, nicht finden. stop. Im Zwischenraum. stop. Das Staunen. stop. Wenn ich in einem anatomischen Präpariersaal an einem Tisch unter jungen Persönlichkeiten stehe und sage, dass der Körper jenes Menschen, der vor uns auf dem Tisch liegt, nach und nach verschwinden wird, indem sie ihn zerlegen, zugleich aber, in diesem Prozess des Verschwindens, sich in Information, in Wissen verwandelt, freuen sich die jungen Menschen. stop. Blitzende Augen. stop. Ein lachender Mund. stop. Und noch ein lachender Mund. stop. Anatomische Signale. — stop
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to mr. melville : callas box
~ : louis
to : Mr. melville
subject : CALLAS BOX
Lieber Mr. Melville, Hotel Echo Lima Lima Oscar! Wie geht es Ihnen? Ich hatte, während ich in den vergangenen Wochen an einer Walgeschichte arbeitete, immer wieder einmal an Sie gedacht, an Ihren weißen Wal Moby Dick in Worten und an seinen Schatten in der Wirklichkeit, an Mocha Dick. Wie sehr ich mir doch wünsche, Sie würden bald einmal zu meinen Walen Kontakt aufnehmen und mir dann rasch eine Nachricht übermitteln, ob meine speziellen Freunde wohl auch Ihnen Furcht einflössen könnten. Vielleicht werden Sie, wo auch immer Sie sich aufhalten mögen, etwas Zeit finden und lesen. Ist Ihnen bekannt, dass die Gesänge der Buckelwale über Strukturen verfügen sollen, die einfachen menschlichen Sprachen ähnlich ist? Stunden habe ich demzufolge damit zugebracht, nach Botschaften zu suchen, nach Geräuschen, die mir etwas sagen, die meinem Gehirn Entdeckung, ja Nachricht sein könnten. Ich bin bisher nicht sehr weit gekommen, das ist richtig, aber ich werde nicht nachlassen, ich werde so lange den Gesängen der Wale lauschen, bis mir verständlich sein wird, was sie da singen oder sprechen. Meinen Namen loooouuuiiiiii meine ich jedenfalls schon aufgespürt zu haben. Das ist ein Anfang und ich bin zuversichtlich in den kommenden Wochen gut voranzukommen. Was, mein lieber Mr. Melville, ist unter einer einfachen menschlichen Sprache zu verstehen? – Ahoi! Ihr Louis.
echo
echo : 2.15 – Hibiscilli? — Dschibon! Dschibon!
elefanten
zoulou : 8.30 — In der vergangenen Nacht träumte ich eine lustige Geschichte, das heißt, ich träumte mich in ein Bild, das mir bekannt zu sein schien, weshalb ich ein Selbstgespräch führte, in etwa so, als würde ich einen Film kommentieren. Als ich wach geworden war, erinnerte ich mich, vor einiger Zeit eine Traumgeschichte aufgezeichnet zu haben, die von seltsamen Menschenohren erzählte. Und tatsächlich habe ich diese Geschichte und mit ihr den Traum der vergangenen Nacht soeben wiedergefunden, sodass heute Morgen nichts zu tun ist, als die Wiederholung des Traumes von den seltsamen Ohren und seinen Zeichenschatten auch an dieser Stelle zu dokumentieren. Ich saß also vor längerer Zeit und noch vor wenigen Stunden > in einem Café nahe einem Meer unter Männern, die Go oder etwas anderes spielten mit kleinen, runden, bernsteinfarbenen Steinen. Die Luft an diesem Ort war heiß und trocken, deshalb wunderte ich mich nicht, dass die Männer, die von hohem Alter gewesen waren, sich mit gewaltigen Ohren Luft zufächelten in der Art und Weise der Elefanten. Seltsame Geräusche waren zu hören, schwere, knarzende Töne, als würde an hölzernen Schrauben gedreht. Und doch war die Haut der Ohren so fein, dass man durch sie hindurch sehen konnte. Sobald sie hinter den verwitterten Köpfen zusammenschlugen, wurden die Augen der Herren zu Schlitzen, bewegten sich die luftigen Häute zurück, öffneten sie sich. Hinter dem Tresen dämmerte ein weiterer Mann, der hatte sich mit seinem Pergament das Gesicht zugedeckt. Ich betrachtete ihn eine Weile, und schon war ich, noch im Stehen, dem heutigen Tag zu eingeschlafen. – Guten Morgen! Heute ist Sonntag.
symphonie
romeo : 0.01 — Da sind im Konzertsaal 8 Kontrabassisten und sie flüstern miteinander, während sie leise etwas Jazzmusik spielen, vielleicht weil das schon immer die beste Methode gewesen ist, ein Instrument aus dem Schlaf zu holen. Auch der Chor ist schon eingetroffen und raschelt mit seinen Papieren. Eine entspannte Atmosphäre, eine Stimmung, wie in den Wäldern kurz vor Anbrechen der Dämmerung, erste Geräusche, schon bewusste, aber auch noch Traumgeräusche, alles nur zur Probe. Und ich lausche und denke, dass ich in wenigen Minuten Zubin Mehta sehen werde, wie er Mahlers Symphonie No 3 dirigieren wird. Und wie ich so sitze, erinnere ich mich an Fingerbewegungen einer jungen Frau, die im Präpariersaal der Münchener Anatomie mit Sehnen und Muskeln eines Armes spielt, eine Geste, als würde sie versuchen, jenem namenlosen Arm ein Geräusch zu entlocken. Schnee fällt. Kniehoch wird er noch fallen. Jack London lesen, notiere ich. Und jetzt ist der Abend eines späteren Winters und ich sehe meine Schriftzeichen, ungelenk, weil schon im Halbdunkel des Konzertsaales ins Notizbuch geschrieben. Alles das, in meinem Kopf durcheinander. Ich fange am besten noch einmal von vorn an. Da sind also im Konzertsaal 8 Kontrabassisten, sie flüstern miteinander. Schnee fällt. Kniehoch wird er noch fallen. — stop
Geraldines Sommerhut
~ : geraldine
to : louis
subject : MEIN SOMMERHUT
Ahoi, Mr. Louis! Heute ist ein ganz besonderer Tag. Ich fühle mich wie neugeboren. Ja, wie neugeboren. Als ich gestern erwachte, saß der Doktor an meinem Bett. Ich hörte seine Stimme. Er sagte, ich glaube Geraldine wird wach. Und als ich die Augen geöffnet habe, lachte der Doktor und Mama lachte auch. Sie erzählten mir, dass ich zwei Tage geschlafen habe und ich weiß nicht, warum ich so lange Zeit geschlafen habe. Wenn Sie mich jetzt doch nur sehen könnten, Mr. Louis, wie ich in meinem Korbstuhl am Bug des Schiffes sitze und das helle Haar schäumenden Wassers betrachte, das wir hinter uns her ziehen. Ich trage meinen Sommerhut, den ich so liebe und ich hoffe, dass er mir nicht davonfliegen wird. Es ist heute sehr windig, müssen Sie wissen. Wie ich diesen Wind doch mag, seinen Duft. Aber das Schönste ist, dass ich ganz bunt bin im Gesicht. Mama hat mich geschminkt und jetzt sitze ich da und versuche meinen Mund nicht zu bewegen, damit mir die feine rote Farbe nicht verrutscht. Vielleicht wollen Sie wissen, warum ich mich geschmückt habe? Das will ich Ihnen gerne erzählen. Ich habe vor, meinen kleinen Steward heute noch nach seinem Namen zu fragen. Immerhin weiß er meinen Namen und deshalb habe ich wohl das Recht, auch seinen Namen zu wissen. Ich kann ihn sehen, während ich diesen Brief an Sie schreibe. Er arbeitet auf dem Unterdeck und ich sitze hier oben und schaue mit pochendem Herzen zu ihm hin und bewundere seine feinen, kleinen Schritte, wie er auf den Wellen tanzt. Manchmal denke ich, dass ich viel zu alt für ihn bin, aber das stimmt natürlich nicht, weil er 25 Jahre alt sein muss und ich bin nur 20, wie sie wissen. Und doch fühle ich, dass ich etwas schwerer bin an Zeit als er, den ich doch so liebe. Ich glaube, er hat mich schon bemerkt, er wird bald kommen, er tut nur so, als würde er mich nicht sehen. Ich muss jetzt aufhören, Mr. Louis, ich bin so schrecklich aufgeregt! Ist das nicht wunderbar, Mr. Louis? — Ich grüße Sie herzlich. Ihre Geraldine auf hoher See.
notiert im Jahre 1962
an Bord der Queen Mary
aufgefangen am 22.01.2009
20.12 MEZ
kukkuruku
kukkuruku : 18.10 — Ich mag die Gegenwart nicht in gegenwärtigen Wörtern erzählen. stop. Wenn ich die Gegenwart erzähle, verwende ich Wörter einer alten Zeit. stop. Warum? stop. Glühlampe. stop. Vor den Fenstern ists dunkel geworden. stop. Nach 6 Stunden vor der Schreibmaschine werden anstatt Wörtern, noch Satzstempel aufs Papier gesetzt. — stop