Aus der Wörtersammlung: dach

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geräusch

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echo : 18.07 UTC — Von Zeit zu Zeit den­ke ich mir ein Geräusch aus und dann den­ke ich das Geräusch so lan­ge, bis ich mich an das Geräusch erin­nern kann. Ges­tern war das gedach­te Geräusch, das Trom­pe­ten eines Trom­pe­ten­kä­fers. Ein ganz wun­der­vol­ler Ton. — stop

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von pfirsichen

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echo : 10.26 UTC — Wie die Brie­fe lang­sam ster­ben, ihre Umschlä­ge, Papie­re, Post­wert­zei­chen, wel­che Flug­zeu­ge und Schmet­ter­lin­ge zei­gen, die gleich­falls sel­te­ner wer­den. Wenn die Brie­fe lang­sam ster­ben, dann auch jene, die Brie­fe schrei­ben für ande­re Men­schen, die nicht lesen kön­nen. Ich stell­te mir einen älte­ren Herrn vor, der in einem Büro von Holz in Lon­don sitzt, letz­ter sei­ner Zunft, dut­zen­de Kol­le­gen haben schon vor Jah­ren ihre Arbeit ein­ge­stellt, haben ihre höl­zer­nen Schreib­ab­tei­le und ihre Schreib­ma­schi­nen ver­las­sen, da wer­den jetzt Lam­pen ver­kauft oder Schmuck oder Tele­fo­ne oder Kar­tons mit Reis und gebra­te­nen Hüh­nern. Wie ist solch eine Vor­stel­lung mög­lich, wer­den Sie viel­leicht fra­gen. Nun, es ist so, dass ich mir dach­te, dass die­ser letz­te Brief­schrei­ber der Stadt Lon­don den Auf­trag erhal­ten hat­te, einen unend­li­chen Brief zu schrei­ben, wes­we­gen sie zu zweit sind, ein fein geklei­de­ter älte­rer Herr, der den Brief dik­tiert, der Auf­trag­ge­ber, und eben jener älte­re Herr, der die Zei­chen des Brie­fes mit­tels einer Tas­ta­tur auf Papier­bö­gen trägt. Sie sind zu einer klei­nen Attrak­ti­on gewor­den. Manch­mal schla­fen sie oder neh­men etwas vom nach­bar­schaft­li­chen Reis zu sich, auch Pfir­si­che oder Melo­nen bei gro­ßer Hit­ze. — stop

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eine stunde

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lima : 10.28 UTC — In der Stun­de, da mein Vater starb, saß ich an sei­nem Bett und reich­te ihm mit­tels eines Schwämm­chens etwas zu trin­ken. Sein Blick war schon unend­lich müde gewor­den. Wenn ich sag­te: Vater, noch etwas Apri­ko­sen­tee, öff­ne­te mein Vater sei­nen Mund, er hat­te kaum noch Kraft, er spitz­te die Lip­pen und dann saug­te er an dem Schwämm­chen, und ich dach­te immer wie­der: Wie ein Vögel­chen, obwohl ich genau wuss­te, dass mein Vater gera­de oder bald ster­ben wür­de. Vor dem Fens­ter weit unten lag der Starn­ber­ger See. Es war ein son­ni­ger Tag. Ich glau­be, mein Vater konn­te so weit hin­aus nicht mehr sehen, viel­leicht aber das schril­le Pfei­fen der Schwal­ben hören und eben mei­ne Stim­me: Vater. — stop

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chronik der gefühle

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echo : 4.55 UTC — Spin­nen hier oben in mei­ner Woh­nung unter dem Dach sind scheu gewor­den. Fast möch­te ich manch­mal mei­nen, dass sie gar nicht län­ger exis­tie­ren in mei­nen Zim­mern, wenn ich nicht da und dort Spu­ren beob­ach­ten könn­te, die auf ihre Exis­tenz ver­wei­sen, Netz­wer­ke oder ein Häuf­chen win­zi­ger Flie­gen, wel­ches noch vor weni­gen Tagen auf dem Fens­ter­brett ganz sicher nicht gewe­sen ist. An einem Abend, ich hat­te die Fens­ter geöff­net, spa­zier­te plötz­lich ein recht umfang­rei­ches Spin­nen­ex­em­plar über die Wand mei­nes Arbeits­zim­mers, groß wie die Scha­le eines Tee­löf­fels. Die Spin­ne beweg­te sich laut­los über meh­re­re Wän­de hin, bis sie, ohne eine län­ge­re Pau­se ein­ge­legt zu haben, in der Küche durch ein geöff­ne­tes Fens­ter mei­ne Woh­nung wie­der ver­ließ. Kaum eine hal­be Stun­de war die Spin­ne in mei­ner Woh­nung gewe­sen. Und ich dach­te, viel­leicht hat sie eine Spur, Duft­spur oder Faden ver­legt, es wer­den wei­te­re Spin­nen kom­men, hof­fent­lich eher klei­ne­re Spin­nen, die ich gern zu Gast haben wür­de, wäh­rend ich die gro­ßen Spin­nen doch sehr gründ­lich fürch­te. Ich war­te nun seit eini­gen Tagen bereits. In die­ser Zeit des War­tens habe ich unheim­li­che und prä­zi­se erzähl­te Geschich­ten Alex­an­der Klu­ges gele­sen und auch gehört, sie sind wun­der­voll anzu­hö­ren. — stop

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api

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india : 0.20 UTC — Wir kom­men Daten­spei­chern näher, in wel­chen alle je von Men­schen­hand geschrie­be­nen und über­lie­fer­ten Zei­chen­sät­ze ver­sam­melt sein wer­den. Mei­ne Schreib­ma­schi­ne könn­te tat­säch­lich ein­mal mit die­sen frei schwe­ben­den Gedächt­nis­sen ver­bun­den sein, und wäh­rend ich notie­re, wür­de unver­züg­lich ange­zeigt, ob der gera­de ein­ge­ge­be­ne Satz bereits ein­mal auf­ge­schrie­ben wur­de oder nicht. — Ein war­mer Abend. Auf dem Dach des Hau­ses jen­seits der Stra­ße sitzt seit zwei Tagen eine Tau­be, Dolo­res, allein. Viel­leicht die Hit­ze. — stop

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sammlung

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echo : 0.22 UTC — Ent­deck­te an die­sem Tag eine Samm­lung der Roma­ne, Erzäh­lun­gen und Jour­na­le Paul Nizons in einem Band. Das elek­tri­sche Waren­haus, wel­ches die­ses Buch ver­brei­tet, – nur noch sie­ben Exem­pla­re sol­len vor­rä­tig sein -, wirbt für den Kauf mit einer Preis­er­spar­nis von 82 Pro­zent, ein schwe­res Pro­dukt, in dem sich Buch­we­sen auf­lö­sen und die Zeit, in der sie zur Welt gekom­men sind. — Ein­mal, vor zehn Jah­ren, war ich Paul Nizon wie­der ­be­geg­net. Ich beob­ach­te­te, wie er in Paris eine sei­ner Arbeits­woh­nun­gen spa­zier­te. Natür­lich waren zwi­schen ihm und mir eine Kame­ra­lin­se, ein Bild­schirm und dort etwas ver­gan­ge­ne Zeit auf­ge­spannt. Trotz­dem konn­te ich ihn gut erken­nen. Er trugt einen klei­nen run­den Bauch vor sich her und sein Haar war grau gewor­den, und doch war er ganz der alte, ver­ehr­te Schrift­stel­ler geblie­ben. Vor allem sei­ne schö­ne Stim­me, das sorg­fäl­ti­ge Spre­chen, die war­me Melo­die der Spra­che, das Schwei­ze­ri­sche, hier waren sie wie­der, und auch das Ton­band­ge­rät, das auf einem Tisch ruhend die Luft­wel­len der notier­ten Sät­ze eines Tages erwar­te­te. Kurz dar­auf erin­ne­rte ich, dass ich Paul Nizon ein­mal per­sön­lich begeg­nete in der Stra­ße, in der ich noch immer woh­ne, und dar­an, dass ich damals dach­te: Er ist klei­ner, als ich erwar­tet habe. Er trug einen grau­en Man­tel, weiß der Teu­fel, wes­halb ich die Far­be sei­nes Man­tels gespei­chert habe, und einen Hut, neh­me ich an. Da war noch etwas Wei­te­res gewe­sen, mein Herz näm­lich schlug in einer Wei­se, dass ich’s in mei­nem Kopf hören konn­te. — Ein Früh­lings­abend. Und ich sag­te zu mir: Lou­is, reg dich nicht auf! Du bist an einem fla­nie­ren­den Geist vor­über­ ge­kom­men. — stop

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papiere körper

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echo : 0.14 UTC — Unlängst ent­deck­te ich in der digi­ta­len Sphä­re ein Buch des ame­ri­ka­ni­schen Autors David Fos­ter Wal­lace. Ich dach­te, die­ses Buch ist sehr umfang­reich, schwer, ver­mut­lich und ver­letz­lich. Ich dach­te außer­dem, dass Som­mer gewor­den ist, dass ich das Buch mög­li­cher­wei­se ger­ne in einem Park lesen wür­de, auf einer Bank sit­zend oder im Gras lie­gend. Plötz­lich kauf­te ich eine elek­tro­ni­sche Aus­ga­be des Romans Unend­li­cher Spaß, des­sen Instanz weni­ge Sekun­den spä­ter voll­stän­dig auf mei­ner klei­nen, fla­chen Schreib­ma­schi­ne ange­kom­men war. Sehr erstaun­lich, wie schnell das geht, geräusch­los, so die Anlie­fe­rung der voll­stän­di­gen Werk­aus­ga­ben Anton Tschechows, Franz Kaf­kas, Flaubert’s weni­ge Wochen zuvor. Nun ist das so, dass ich spür­te, dass etwas fehlt, obwohl ich einen kom­ple­xen Text über­mit­telt bekom­men, also zuge­nom­men habe, mei­ne Biblio­thek, die Aus­wahl mei­ner Bücher, Wör­ter, Gedan­ken, die ich in mei­nem Zim­mer auf und ab gehend sofort in die Hand neh­men und mir vor Augen hal­ten könn­te. Ich glau­be, ich wer­de mir ein Stück Holz suchen, oder einen klei­nen Kar­ton, den ich beschrif­ten könn­te, um ihn stell­ver­tre­tend in mein Regal zu stel­len zu wei­te­ren Büchern, die noch tat­säch­lich papie­re­ne Per­sön­lich­kei­ten sind. — stop
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ahorn no 2

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echo : 22.18 UTC — Im geöff­ne­ten Fens­ter, das ich für eine Stun­de lesend außer Acht gelas­sen hat­te, beweg­te sich vor Tagen ein Spinn­fa­den in einem Wind, der nicht spür­bar gewe­sen, aber in der Bewe­gung des Fadens sicht­bar gewor­den war. Irgend­je­mand, dach­te ich, wird ver­mut­lich ange­kom­men sein, wäh­rend ich las, ist ent­we­der schon auf dem Weg abwärts wie­der zur Stra­ße zu den Bäu­men hin oder aber sitzt im Kak­teen­wald auf dem Fens­ter­brett und war­tet, dass es dun­kel wer­den wird. Und ich dach­te, solan­ge ich mein Fern­seh­ge­rät nicht anschal­ten wür­de, sei hier oben in den Räu­men unter dem Dach alles sehr fried­lich an jenem Abend. Tat­säch­lich hat­te ich ver­ges­sen, was das Radio vor zwei Stun­den noch erzähl­te. Ich muss­te mich mühen, um an das Gehör­te zu kom­men. Ich notier­te einen Text. Und ich dach­te sehr lan­ge Zeit nach, indes­sen die Besu­che­rin, die zunächst ver­schwun­den gewe­sen war, zur Nacht­stun­de ein Netz über Sta­chel­horn­wäl­der einer Mam­mil­la­ria frai­le­a­na zu weben begann. Gegen Mit­ter­nacht erin­ner­te ich mich, was oder wovon das Radio erzähl­te. — stop

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radiotauben

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echo : 22.05 UTC — Ges­tern, am spä­ten Abend, folg­te ich einem Hyper­link, der von mei­ner Par­tic­les­ma­schi­ne auto­ma­tisch erzeugt wor­den war nach Regeln, die ich nicht prä­zi­se beschrei­ben könn­te. In die­ser Wei­se arbei­tend, begeg­ne­te ich einem Text, der von einem Radio erzähl­te. Es ist selt­sam, ich konn­te mich zunächst nicht erin­nern, die­sen Text selbst geschrie­ben zu haben. Ich las ihn und dach­te: Die­sen Text musst Du erfun­de­nen haben, rein erfun­de­ne Tex­te las­sen sich nicht so leicht erin­nern, wie Tex­te, die von einer erleb­ten Geschich­te berich­ten. Nun also, in dem ich mei­nen Text, den ich im April des ver­gan­ge­nen Jah­res notier­te, lese, schrei­be ich ihn zum zwei­ten Male, er wird mir ver­mut­lich ein wei­te­res Jahr spä­ter, noch in Erin­ne­rung sein, wie der Abend, an dem ich ihn wie­der­hol­te, also erleb­te, weil ich ihn in mein Leben ver­setz­te: Ich stel­lte mir vor, wie ich in der Küche vor einem Tisch sit­ze. Auf dem Tisch steht ein Radio. Das Radio ist 10 cm lang und eben­so breit und eben­so hoch, ein Wür­fel dem­zu­fol­ge. Der Wür­fel ver­fügt über zwei Knöp­fe, die ich ver­tie­fen einer­seits und an wel­chen ich dre­hen kann ande­rer­seits. Dort, wo ich Schrau­ben erken­ne, die in das höl­zer­ne Gehäu­se ein­ge­las­sen sind, scheint sich die hin­te­re Sei­te des klei­nen Radi­os zu befin­den. Ich kann das Radio öff­nen. Als ich es öff­ne, ent­de­cke ich wei­te­re win­zi­ge Schrau­ben, eine Pla­ti­ne, Dioden, Wider­stän­de, Beschrif­tun­gen in einer Spra­che, die ich nicht zu lesen ver­mag, außer­dem einen Zylin­der. Ich ent­de­cke also vie­le Din­ge, aber nichts, was mir behilf­lich sein konn­te, das Radio zum Schwei­gen zu brin­gen, das Radio spielt näm­lich in einem Abstand von einer Stun­de eine Pas­sa­ge aus der 2. Sym­pho­nie Rach­ma­ni­nows, die weder lei­ser noch lau­ter ein­zu­stel­len ist, sie ist eben, wie sie ist, laut genug, um das Radio vor das Fens­ter stel­len zu müs­sen. Ein­mal sit­zen zwei Tau­ben links und rechts des Radi­os. Als das Radio sei­ne Musik spielt, erschre­cken sie und flie­gen davon. Ein ande­res Mal kom­men sie wie­der und bau­en auf dem Radio ein Nest. — stop

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ahorn

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nord­pol : 22.01 UTC — Im geöff­ne­ten Fens­ter, das ich für eine Stun­de lesend außer Acht gelas­sen hat­te, beweg­te sich ein Spinn­fa­den in einem Wind, der nicht spür­bar gewe­sen, aber in der Bewe­gung des Fadens sicht­bar gewor­den war. Irgend­je­mand, dach­te ich, wird ver­mut­lich ange­kom­men sein, wäh­rend ich las, ist ent­we­der schon auf dem Weg abwärts wie­der zur Stra­ße zu den Bäu­men hin oder aber sitzt im Kak­teen­wald auf dem Fens­ter­brett und war­tet, dass es dun­kel wer­den wird. Solan­ge ich mein Fern­seh­ge­rät nicht anschal­ten wer­de, ist hier oben in Räu­men unter dem Dach alles sehr fried­lich an die­sem Abend. Tat­säch­lich habe ich ver­ges­sen, was das Radio vor zwei Stun­den noch erzähl­te. Ich muss mich mühen, um an das Gehör­te zu kom­men. Mei­ne suchen­de Bewe­gung in der Erin­ne­rung scheint weni­ger die Bewe­gung eines Boh­rers, viel­mehr die Bewe­gung eines Pro­pel­lers zu sein. — stop

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