echo : 2.28 — Jemand erzählte mir unlängst, irgendwo in Brooklyn existiere ein Laden, in dem man ausgestopfte Eichhörnchen kaufen könne, äußerlich vollständige Wesen, die aus einer gewissen Entfernung betrachtet, von noch lebenden Artgenossen nicht zu unterscheiden seien. In ihrem Inneren sollen sich elektrische Motoren bewegen, sodass jedes dieser Eichhörnchen, entweder geduckt, oder ein anderes Mal aufrecht sitzend erscheint oder gar in der Haltung eines kurz vor dem Sprung stehenden Tieres. Javier Menlo, der in Meeresnähe auf Staten Island lebt, habe ein gutes Dutzend dieser Eichhörnchengespenster am Strand platziert, wo sie in einer Gruppe sitzen und seltsamerweise von Möwen nicht behelligt werden. Unsichtbare, weil im Erdreich verlegte Drähte versorgen Javiers Eichhörnchen mit dem Strom einer Autobatterie. Kein Hinweis weit und breit, der die Existenz dieser Eichhörnchengruppe erklären würde, weswegen sie möglicherweise unheimlich erscheinen, bedeutungsvoll, wie ein Gebet, eine Anrufung, eine Drohung oder Erinnerung. — stop
Aus der Wörtersammlung: artgenossen
bauchwellen
echo : 0.05 — Würde man die Gestalt eines Basskäfers auf einem Blatt Papier zur Aufführung bringen, wäre zunächst ein enormer Knochenraum zu zeichnen, eine Kammer, in der sich Luft befindet, Luft in Erwartung einer Kraft, die sie in geräuschvolle Schwingung versetzen wird. Irgendwo dort, an einem der schmaleren Enden dieses Raumes, sitzt ein kleiner Kopf, Fühler, Ohrensegel, falten sich tastend durch seine unmittelbare Umgebung, feinste Apparaturen. Dafür Augen keine, aber Beine, die sich flink bewegen. Er spielt, wie alle seine Artgenossen, im Liegen auf dem Rücken, greift dann nach feinsten Saiten von Kupferchitin, die über seinen Bauchregionen aufgespannt. Wundervolle, sonore Töne sind zu hören, indem der Käfer sich selbstvergessen langsam um die eigene Achse zu drehen beginnt, dumdum, dumdum, immerzu links, immerzu links, immerzu linksherum. — Nacht. stop. Kühl. stop. Habe meine Winterbeleuchtung angeschaltet. Vier Lampen in der Küche, zwei im Flur, sieben in den Spazierarbeitszimmern, hell ist’s, als sei Tag. Guten Morgen. — stop
yanuk : cucurrucu!
~ : yanuk le
to : louis
subject : RAIN
date : oct 23 08 6.52 p.m.
Lieber Mr. Louis, froh bin ich, lesen zu dürfen, dass Du wieder Schlaf finden kannst. 38 Tage mit je nur ein oder zwei Stunden der Ruhe, das ist eine lange Zeit. Du musst wohl bald Gespenster gesehen haben, ja, das nehme ich an, Geister oder solche Wesen, die eigentlich nicht für Dich anwesend sind. Ich kann nachfühlen, wie schwer diese Tage für Dich gewesen sein müssen. Auch ich schlafe nicht gut zurzeit. Seit acht Tagen Regen ohne Unterbrechung. Verlasse kaum das Zelt, ständig Geräusche des Wassers. Kühl ist es geworden auf Höhe 286. Ich habe alles so weit vorbereitet, dass ich unverzüglich weiter klettern kann, sobald der Regen nachgelassen haben wird. Vor zwei Tagen hatte ich einen Versuch gewagt und mich auf den Weg gemacht. Aber der Stamm meines Baumes und alle Gewächse, die ich üblicherweise nütze, um mich festzuhalten, sind so feucht, als seien sie Unterwasserpflanzen. Wundere mich, dass ich Deine Nachricht überhaupt empfangen konnte. Vielleicht könntest Du mir etwas Literatur übermitteln. Wäre das möglich? Solange ich nichts zu lesen habe, vertreibe ich mir die Zeit mit der Rettung von Ameisen. Schwimmt eine an meinem Zelt vorbei, biete ich ein Stöckchen an oder ein Blatt und fische sie aus den Sturzbächen heraus. Sie sind alle sehr ähnlich in der Art und Weise, wie sie sich trocknen. Zunächst streifen sie sich das Wasser von den Augen, dann bebt ihr Hinterleib, eine unglaublich schnelle Bewegung. Kaum zufrieden, laufen sie im Zelt herum und kämpfen gegen weitere zufriedene Artgenossen. Ja, jeder kämpft hier gegen jeden, als hätten sie alle unter der Erfahrung des Wassers ihr Gedächtnis verloren. – Cucurrucu! Yanuk
eingefangen
20.58 UTC
1680 Zeichen
nebelhorn
1.28 — Gestern Abend in der Dämmerung bin ich durch den Regen gestapft, weil ich gelesen hatte, auf dem Postamt würde ein Paket auf mich warten. Ich ging also los mit meinem Regenschirm, der sehr schöne Geräusche macht, wenn Wasser aus großer Höhe auf ihn herabfällt. Und weil es sehr windig war, musste ich den Schirm etwas schräg vor mich stellen, wie einen Schild vielleicht, deshalb habe ich von den Menschen, die mir begegneten, nur Schuhe gesehen oder Beine in Strümpfen oder Hosen oder flatternde Mäntel. Sehr seltsam, dieser exquisite Blick auf die Werkzeuge des Gehens, sehr seltsam, wie schnell menschliche Wesen sich doch bewegen. Bald war ich wieder auf dem Weg zurück, ein Paket unter dem Arm, den Schirm nun, ein Segel, im Nacken, Blick auf feuchte Schilde, die sich mir entgegenstemmten, darunter Artgenossen, geräuschlos. — Aber jetzt zu dem, was ich eigentlich erzählen will. Auf meinem Schreibtisch ruht seit sechs Stunden ein fein gestaltetes Buch von rauem, kräftigem Papier, ein Buch, das mit dem Schiff zu mir über den Atlantik reiste, weswegen es fünf Wochen unterwegs gewesen war, in einem Container vermutlich bei Wind und Wetter, also rollte und übers Wasser schlingerte, auf und ab getragen von sehr hohen und kleineren Wellen. Ich habe lange Zeit auf dieses Buch gewartet, eine sehr lange Zeit. Als ich zu warten begann, war noch Sommer gewesen und jetzt ist schon Winter geworden. Nun endlich liegt das kleine Buch, das von den Zwillingen Daisy und Violet Hilton erzählt, auf meinem Schreibtisch oder in meiner Küche oder auf meinem Sofa oder auf meiner Brust, wenn ich trotz der Begeisterung kurz einmal eingenickt sein sollte. Da ist eine Bewegung im Halbschlaf, ein kaum wahrnehmbares Schaukeln. Und da sind zwitschernde Mädchenstimmen, und das Nebelhorn eines Dampfers vor Brighton. — stop
sekundengeschöpfe
20.14 — Im Haus sind alle Fernsehgeräte ausgeschaltet. Eine beinahe geräuschlose Welt. Aber da ist die Stimme einer indischen Frau in meinem Kopf, wie sie vor dem Meer stehend nach ihren Kindern ruft. Eine lange Zeit ist das her, das Meer und diese Frau. Ich scanne uralte Fotografien der Stadt Paris : Steine : Metalle : Wolken : Mäntel : schwarz und weiß und grau. Das summende Geräusch der Maschine, sobald Fotografien aus der Welt des Zelluloids in die Welt der digitalen Speicherung wandern. Ein Mann, der in der geöffneten Tür eines Metrowaggons unter Artgenossen steht. Eine junge Frau. Der Indische Ozean. Sie kniet jetzt. Sekundengeschöpfe. — stop