Aus der Wörtersammlung: kamm

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fotografieren

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echo : 0.52 — Die­ses klei­ne Stück hier, zur Voll­mond­nacht, han­delt von einer Frau, die mir vor weni­gen Stun­den nach lan­ger Zeit der Abwe­sen­heit wie­der begeg­net ist, weil ich den sil­ber­grau­en Mond am wol­ken­lo­sen Abend­him­mel bemerkt hat­te, und aus die­sem hei­te­ren Luft­raum her­aus, war sie dann plötz­lich zu mir her­ein­ge­fal­len, selbst ihre Stim­me, eine außer­or­dent­lich lei­se Stim­me, ist nun so gegen­wär­tig als wäre kaum Zeit ver­gan­gen seit unse­rer Unter­hal­tung im Prä­pa­rier­saal der Mün­che­ner Ana­to­mie. Ich hät­te sie damals bei­na­he über­se­hen, eine klei­ne Gestalt, die prä­pa­rie­rend auf einem Sche­mel knie­te und merk­wür­di­ge Bewe­gun­gen mit den Augen mach­te. Sie betrach­te­te den Kör­per vor sich auf dem Tisch mit einem ruhi­gen, mit einem fes­ten Blick für je eini­ge Sekun­den, dann schloss sie die Augen für etwa die­sel­be Zeit, die sie geöff­net gewe­sen waren, und so wie­der­hol­te sich das Stun­de um Stun­de. Ein­mal setz­te ich mich neben sie an den Tisch und erzähl­te, dass ich ihre Augen, ihren Blick beob­ach­tet haben wür­de und den Ein­druck gewon­nen, sie mache Bewe­gun­gen mit ihren Augen, die der Lin­sen­be­we­gung eines Foto­ap­pa­ra­tes ähn­lich sei­en. Rich­tig, ant­wor­te­te die Frau, ich schlie­ße mei­ne Augen und schaue mir im Dun­keln an, was ich gespei­chert habe. — Eine selt­sa­me Stim­me. Sehr hell. Und scheu. Ein Zit­tern. Wie durch einen Kamm gebla­sen. — stop
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bingbing

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echo : 2.28 — Ich hör­te, mei­ne Augen, sobald ich sie öff­ne, sei­en rund. Und ich dach­te mir, so lan­ge Zeit schon hast Du aus run­den Augen in die Welt hin­aus­ge­schaut, ohne das Run­de Dei­ner Augen zu bemer­ken. Ich lag auf einer Wie­se im Park und weil ich so schön glück­lich war, schlief ich ein. Da drü­ben war die Luft voll klei­ner Flie­gen, die gol­den leuch­te­ten und selt­sa­me Geräu­sche mach­ten, bing bing. Das hör­te sich an, als wür­den sie mit Zun­gen schnal­zen, aber dann wur­den sie zu sin­gen­den Fischen und ich hol­te mei­ne Augen aus dem Kopf und die Fische spiel­ten mit ihnen her­um, und ich sah, mei­ne Augen waren tat­säch­lich run­de Geschöp­fe. — Noch zu tun: Herz­kam­mern stu­die­ren. — stop

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elephantisland

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echo

~ : rob salter
to : louis
sub­ject : ELEPHANTISLAND
date : june 2 09 8.58 p.m.

Kurz nach acht Uhr. Kal­te, tro­cke­ne Luft, ich notie­re mit klam­men Hän­den. Um 7 Uhr heu­te Mor­gen haben wir bei stür­mi­scher See Ele­phan­tis­land erreicht. Suche nach Mil­ler unver­züg­lich auf­ge­nom­men. Süd­west­li­che Bewe­gung die Küs­te ent­lang. Gegen 9 Uhr ers­te grö­ße­re See­ele­fan­ten­grup­pen gesich­tet. Hef­ti­ger Schnee­fall. Mit­tags dann auf mensch­li­che Spu­ren gesto­ßen. Eine Mul­de von zwei Fuß Tie­fe im gro­ben Unter­grund, hüft­ho­her Stein­wall nord­wärts. Im Wind­schat­ten: drei gebleich­te Wal­kno­chen, ein hal­bes Duzend fin­ger­di­cker Haut­stü­cke, ein Kamm, zwei ros­ti­ge Kugel­schrei­ber, eine Blech­t­as­se, zwölf Pin­gu­in­schnä­bel, fünf Bat­te­rien, drei Klum­pen ran­zi­gen Fet­tes, Bruch­stü­cke eines Son­nen­kol­lek­tors und einer Schreib­ma­schi­ne. Das Werk­zeug war in einer Wei­se sorg­fäl­tig demo­liert, als sei eine Dampf­wal­ze dar­über hin und her gefah­ren. Dann wei­te­re zehn Minu­ten die Küs­te ent­lang, dann auf Mil­ler gesto­ßen. Der Dich­ter stand mit dem Rücken zu einem Fel­sen hin und rich­te­te ein Mes­ser gegen einen See­ele­fan­ten. Das Tier, das sehr gewal­tig vor unse­rem Mann in den Him­mel rag­te, war nur noch zwei Armes­län­gen ent­fernt und scheu­er­te mit dem Rücken über den Fel­sen. Eigen­ar­ti­ge Geräu­sche. Geräu­sche wohl der Lust. Geräu­sche, als habe das Tier eine ver­beul­te Trom­pe­te ver­schluckt. Geräu­sche auch von Mil­ler. Hel­le Geräu­sche, krei­schen­de, irre Töne. Wir haben zu die­sem Zeit­punkt das Fol­gen­de über Mil­ler zu sagen: Unser Mann ist ent­kräf­tet und stark ver­schmutzt. Zwei Fin­ger der lin­ken Hand sind erfro­ren. Kopf­wärts wan­dern­de Spu­ren von Dehy­dra­ti­on. Mil­ler spricht nur einen Satz: All for not­hing. Wir haben den Rück­weg ange­tre­ten, indes­sen, bei genaue­rer Betrach­tung unse­rer Umge­bung, auf Fels­for­ma­tio­nen ent­lang der Küs­te Frag­men­te von Zei­chen­ket­ten ent­deckt. Ein­deu­tig Mil­lers Hand­schrift. Brin­gen Dich­ter Mil­ler jetzt nach Hause.

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22.57 UTC
1817 Zeichen

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pupille

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oli­mam­bo : 8.00 — Ana­to­mi­sche Wör­ter des Abends: Regen­bo­gen­haut Aequa­tor Kam­mer­was­ser. Dann Mor­gen­spa­zier­gang. Eine Grup­pe Eich­hörn­chen jagt um 6 Uhr Stra­ßen­bahn­ge­lei­se auf und ab. Dicht kom­men sie her­an, sind ohne jede Scheu, als ob ich eine ver­trau­te Erschei­nung wäre oder unsicht­bar. — stop

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flugglas

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nord­pol : 22.05 — Lag nach­mit­tags unter Son­ne vor Amei­sen­stadt. Beob­ach­te­te, wie Bewoh­ner, nein, Kon­struk­teu­re der knis­tern­den Metro­po­le, Käfer, Spin­nen, Flie­gen, Rau­pen, Rosen­blät­ter, auch mensch­li­che Papie­re ins Wohn­ge­häu­se trans­por­tier­ten. Was, frag­te ich mich, wird mit einer getö­te­ten oder einer gelähm­ten Flie­ge, mit schla­fen­den Käfern und schla­fen­den Spin­nen gesche­hen hin­ter der Fich­ten­na­del­haut? Viel­leicht ein­mal mit einer sehr klei­nen Kame­ra ein­tau­chen und schau­en. Ich wür­de wohl auf eine Hal­le tref­fen, auf einen Ort der Zer­le­gung, des Tran­chie­rens am lau­fen­den Band. Hier also wer­den Pracht­flie­gen zer­teilt und dort noch leben­de Spin­nen fein sor­tiert. In tie­fer gele­ge­nen Arse­na­len dann die Kam­mer der Flug­ge­rä­te, die Kam­mer der Fliegen‑, der Libel­len­flü­gel, bit­ter duf­ten­de Luft, leich­tes Flug­glas bis unter die Decke geschich­tet. In einer wei­te­ren Höh­lung sind je nach Län­ge und Stär­ke Spin­nen­bei­ne sor­tiert und auf­ein­an­der­ge­legt, Baum­stäm­me, haa­rig, noch immer in zit­tern­der Bewe­gung. Stun­den wer­de ich in Maga­zi­nen schil­lern­der Augen ver­wei­len, ein begeis­ter­ter Zeu­ge in Fabri­ken gefan­ge­ner Spin­nen. Man hat ihnen die Bei­ne abge­nom­men, aber sie leben und sin­gen feins­te Sei­de. Wer­den sie müde, wer­den sie an Sol­da­ten ver­füt­tert. — Kurz nach elf Uhr. Abend. Gera­de eben hör­te ich vom Tod des rus­si­schen Schrift­stel­lers Alex­an­der Sol­sche­ni­zyn. — stop

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revolver

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india : 3.26 — Das Selt­sa­me an den Nacht­bü­chern ist, dass man sie nur nachts und nur unter frei­em Him­mel lesen kann. Ich war des­halb bis kurz nach Zwei im Pal­men­gar­ten am See und hör­te den Spin­nen zu beim Sei­len, und lausch­te Pan­thern bei lei­ser Fres­se­rei und ande­ren ange­neh­men Din­gen, die man so macht, wenn man bemerkt, dass man ein Pan­ther gewor­den ist in einer Vor­som­mer­nacht. Dann ging ich nach Hau­se und leg­te das Nacht­buch, das von einer Chi­ne­sin erzählt, die sich wun­dert, dass sie eine Chi­ne­sin ist, ins Regal zu ande­ren Nacht­bü­chern zurück. Sit­ze jetzt auf dem Sofa und die Fens­ter sind geöff­net und ein Fal­ter flat­tert in einem Lam­pion­ her­um und notie­re eine klei­ne wil­de Geschich­te. Die­se Geschich­te geht so: Irgend­wann, sagen wir im Som­mer, sagen wir mor­gens. Ein Spie­ler steht am Fens­ter. Er schaut in Rich­tung des gegen­über­lie­gen­den Hau­ses. Die Sicht ist gut. Kein Nebel. Kein Dunst. Ein oder zwei Vögel, Later­nen­hö­he, auf und ab. Jetzt rich­tet der Spie­ler den Revol­ver gegen die Schlä­fe. Alle Kam­mern der Waf­fe sind muni­tio­niert. Der Spie­ler war­tet ab. Glü­hen­der Kopf. Film zurück, mal bunt, mal nicht. Bril­lan­ter Strei­fen. Ver­lässt ein Mann das Haus, schießt sich der Spie­ler eine Kugel in den Kopf. Game over. Ende. Fin. Ver­lässt eine Frau das Haus, hat der Spie­ler einen Tag gewon­nen. Es ist dann ein Tag leich­ten Genie­ßens, ein Tag aber auch von Unru­he, sobald Abend gewor­den ist. Jetzt schläft der Spie­ler. Dann wacht der Spie­ler auf. Wie­der steht er am Fens­ter, wie­der ist frü­her Mor­gen und wie­der ist Som­mer. Die Maschi­ne lässt sich nicht anhal­ten, auch die Zeit nicht, — Revol­ver gegen Stirn. Ent­weicht dem Haus eine Kat­ze, wird eine Kugel ent­nom­men. Jede wei­te­re Kat­ze ent­nimmt der Revol­ver­trom­mel eine wei­te­re Kugel. Sechs Kat­zen bedeu­ten eine Frau. Frau­en und Kat­zen brin­gen Glück. Natür­lich lässt sich das unend­lich ver­fei­nern. Eine rote Kat­ze erzwingt eine zwei­te Auf­füh­rung noch an dem­sel­ben Mor­gen. Kommt ein Nas­horn aus dem Haus, hört der Spie­ler für immer auf zu spie­len. Ein Nas­horn mit drei Hör­nern und der Spie­ler wird Pries­ter. Wir sehen, die Bedin­gun­gen des Spie­lers ein Pries­ter zu wer­den, sind ein­deu­tig defi­niert. Kein Ent­kom­men. Kein Aus­weg. Ein Lieb­ha­ber kon­zen­trier­ten Lichts. Cine­ma Paradiso. 



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