Aus der Wörtersammlung: zoulou

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brummkreisel

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zou­lou : 18.34 — Ein­mal den Ver­such wagen, all das, was ich an dem einen Tag dach­te und wünsch­te und schrieb und sprach, an dem dar­auf­fol­gen­den Tag in prä­zi­se ent­ge­gen­ge­setz­ter Wei­se zu den­ken, zu wün­schen, zu schrei­ben. War­um? — stop
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raymond carver goes to hasbrouck heights / 3

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sier­ra : 5.12 UTC — Es ist Sams­tag und ich habe gera­de eine Mel­dung gele­sen, die mir ein Pro­gramm mei­nes Par­tic­les-Ser­vers sen­de­te, es habe näm­lich irgend­ein Mensch, der nahe oder in Washing­ton D.C. leben soll, einen Text besucht, der von Ray­mond Car­ver erzählt. Ich las mei­nen Text nach län­ge­rer Zeit wie­der ein­mal mit älter gewor­de­nen Augen. Und ich dach­te mir, dass ich im Grun­de nicht sicher sein kön­ne, ob ein mensch­li­ches Wesen mei­nen Text in der Wei­te des World Wide Web ent­deck­te, oder ob eine Maschi­ne mein Par­tic­les besuch­te, die einer Spur von Schlüs­sel­wör­tern folg­te. Der Text, der am 12. Dezem­ber 2014 notiert wur­de, geht so: Ich kann nicht mit Sicher­heit sagen, war­um ich mich ges­tern, wäh­rend ich einen Bericht über Unter­su­chun­gen der CIA-Fol­ter­prak­ti­ken durch Ermitt­ler des US-Senats stu­dier­te, an eine klei­ne Stadt erin­ner­te, die ich vor weni­gen Jah­ren ein­mal von Man­hat­tan aus besuch­te. Ich las von Schlaf­ent­zug, von Water­boar­ding, von sehr klei­nen, dunk­len Kis­ten, in wel­che man Men­schen tage­lang sperr­te, von Lärm, von rus­si­schem Rou­lette und plötz­lich also erin­ner­te ich mich an Ole­an­der­bäu­me, die ich gese­hen hat­te in Has­b­rouck Heights an einem son­ni­gen Tag im Mai, an ihren Duft, an einen glück­li­chen Abend am Strand von Coney Island, an ein Jazz­kon­zert nahe der Strand­pro­me­na­de. Ich notier­te damals: Es ist die Welt des Ray­mond Car­ver, die ich betre­te, als ich mit dem Bus die Stadt ver­las­se, west­wärts, durch den Lin­coln­tun­nel nach New Jer­sey. Der Blick auf den von Stei­nen bewach­se­nen Mus­kel Man­hat­tans, zum Grei­fen nah an die­sem Mor­gen küh­ler Luft. Dunst flim­mert in den Stra­ßen, deren Fluch­ten sich für Sekun­den­bruch­tei­le öff­nen, bald sind wir ins Gebiet nied­ri­ger Häu­ser vor­ge­drun­gen, Eis­zap­fen von Plas­tik fun­keln im Licht der Son­ne unter Regen­rin­nen. Der Bus­fah­rer, ein älte­rer Herr, begrüßt jeden zustei­gen­den Gast per­sön­lich, man kennt sich hier, man ist schwarz oder weiß oder gelb oder braun, man ist auf dem Weg nach Has­b­rouck Heights, eine hal­be Stun­de Zeit, des­halb liest man in der Zei­tung, schläft oder schaut auf die Land­schaft, auf ros­ti­ge Brü­cken­rie­sen, die flach über die sump­fi­ge Gegend füh­ren. Und schon sind wir ange­kom­men, ein lie­be­voll gepfleg­ter Ort, der sich an eine stei­le Höhe lehnt, ein­stö­cki­ge Häu­ser in allen mög­li­chen Far­ben, groß­zü­gi­ge Gär­ten, Hecken, Büsche, Bäu­me sind auf den Zen­ti­me­ter genau nach Wün­schen ihrer Besit­zer zuge­schnit­ten. Nur sel­ten ist ein Mensch zu sehen, in dem ich hier schlen­de­re von Stra­ße zu Stra­ße, wer­de dann freund­lichst gegrüßt, how are you doing, ich spü­re die Bli­cke, die mir fol­gen, Bäu­me, Blu­men, Grä­ser schau­en mich an, das Feu­er der Aza­leen, Eich­hörn­chen stür­men über sanft geneig­te Dächer: Habt ihr ihn schon gese­hen, die­sen frem­den Mann mit sei­ner Pola­roid­ka­me­ra, die­sen Mann ohne Arme! Gleich wird er ein Bild von uns neh­men, wird klin­geln, wird sagen: Guten Tag! Ich habe Sie gera­de foto­gra­fiert. Wol­len Sie sich betrach­ten? — stop

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gregorina

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del­ta : 8.02 UTC — Ich hör­te im Radio heu­te Mor­gen, in Finn­land soll ein­fach nur anwe­send zu sein bereits als Kom­mu­ni­ka­ti­on wahr­ge­nom­men wer­den. — Vor den Fens­tern im Süden fällt Schnee. Im Haus der alten Men­schen läuft ein Mäd­chen her­um, das Gre­go­ri­na heißt. Sie ist tat­säch­lich anwe­send im Kopf einer alten Dame, sie läuft über die Flu­re von Zim­mer zu Zim­mer. Plötz­lich ist Som­mer gewor­den, in den Zim­mern blü­hen Apfel­bäu­me, und das klei­ne Mäd­chen, das 70 Jah­re alt gewor­den sein muss, hüpft her­um und singt, wes­halb die alte Dame, die Gre­go­ri­na wahr­neh­men kann, und auch die Apfel­bäu­me, vol­ler Glück ist, weil Gre­go­ri­na zu Besuch gekom­men. Sie sagt: Schau, ist das nicht wun­der­bar, sie ist noch immer so wie damals, Gre­go­ri­na. Gut, dass wir die Apfel­bäu­me her­ein­ge­holt haben. Es ist kalt drau­ßen, glau­be ich. Komm, ich will auf­ste­hen. — stop
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funkendes buch

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zou­lou : 20.02 UTC – Letz­te Nacht träum­te ich von Fran­coise Sagan. Sie stürm­te im Traum wie eine Furie in mein Arbeits­zim­mer, stell­te sich auf einen wacke­li­gen Holz­stuhl und begann in höher gele­ge­nen Rei­hen mei­nes Regals nach einem bestimm­ten Buch zu suchen. Indes­sen zeter­te sie unfreund­lich, die­ser elen­de Roman Ulim Triers fun­ke aus mei­nem Arbeits­zim­mer selt­sa­me Sät­ze, die nun über­all in ihren Roma­nen sicht­bar oder les­bar gewor­den sei­en, als wären sie von ihr, der Sagan, per­sön­lich geschrie­ben. Ich ver­such­te die alte Dame zu beru­hi­gen, über­haupt sah sehr gefähr­lich aus, was sich vor mei­nen Augen ereig­ne­te. Sie trug ein schnee­wei­ßes Hemd­chen, das ihr bis zu den Knien reich­te, spin­del­dürrr war sie und zit­ter­te, auch der Stuhl unter ihren Füßen zit­ter­te. Ich füs­ter­te: Ich ken­ne kei­nen Schrift­stel­ler namens Ulim Trier. Ach, Pap­per­la­papp, ant­wor­te­te Fran­coise Sagan, Sie haben doch über­haupt kei­ne Ahnung von die­sen Büchern, die sich über­all ein­mi­schen. Schla­fen Sie wei­ter. Also schlief ich sofort ein und bin seit­her nicht wie­der wach gewor­den. — stop

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in der schnellbahn

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zou­lou : 10.12 UTC — Ges­tern in der Schnell­bahn las ich in mei­nem elek­tri­schen Notiz­buch fol­gen­den Hin­weis: Geschich­te vom Papier­seg­ler. Ich habe die­sen Ver­merk einer Geschich­te, die sich irgend­wo in mei­nem Kopf befin­den muss, im August des ver­gan­ge­nen Jah­res fest­ge­hal­ten, ver­mut­lich in einer Schnell­bahn fah­rend. Auch in die­sem Moment, wie­der sit­ze ich in einer Schnell­bahn, kom­me ich an mei­ne Geschich­te nicht her­an. Sie ken­nen das viel­leicht. Wie man nach einem Wort sucht oder einer Tele­fon­num­mer, in die­ser Art und Wei­se such­te ich vor weni­gen Minu­ten nach mei­ner Geschich­te. Ich schloss also mei­ne Augen oder öff­ne­te sie, um vor­über­zie­hen­de Wald­land­schaft zu betrach­ten, der eigent­li­che suchen­de Blick aber war nach Innen gerich­tet. Auch mei­ne Gedächt­nis­oh­ren waren indes­sen äußerst auf­mer­kam gewe­sen. Vie­ler­lei Geräu­sche, aber nicht ein ein­zi­ges Geräusch, das mich zu mei­ner Geschich­te führ­te. Ich ahne, dass ich Geschich­ten oder Wör­ter, sobald ich sie gefun­den habe, zunächst höre mit mei­nem Kopf, erst dann ver­mag ich sie zu lesen. Ich will das wei­ter beob­ach­ten. Jetzt muss ich aus­stei­gen. — stop

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vom suchen und finden

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zou­lou : 15.01 UTC — Das Suchen nach Gegen­stän­den in Gär­ten, oder das Suchen nach Men­schen in Wäl­dern oder Park­land­schaf­ten, wo sie sich frei­wil­lig ver­steck­ten, Ver­gnü­gen, Freu­de, Glück, wie das Suchen nach Büchern oder Zita­ten in Anti­qua­ria­ten, die zum Zeit­punkt der Suche noch nicht digi­ta­li­siert wor­den waren. Ein­mal hör­te ich eine Freun­din an ihrem 85. Geburts­tag wie sie sich nach ihrer Bril­le erkun­dig­te. Ich wuss­te genau, wo sich die Bril­le in dem Moment ihrer Fra­ge auf­ge­hal­ten hat­te, aber mei­ne alte Freun­din schimpf­te, wäh­rend sie nach ihrer Bril­le such­te, so freund­lich vor sich hin, und erzähl­te Geschich­ten, die sie ent­deck­te, obwohl sie doch nach ihrer Bril­le such­te, dass ich mir ein wenig Zeit liess, um ihr zu sagen, wo sie ihre Bril­le sofort fin­den könn­te. Ich erin­ne­re mich, wie ich als Kind einen Wald durch­such­te, in dem ein wei­te­rer, etwas klei­ne­rer Wald ent­hal­ten war, ein Efeu­dschun­gel näm­lich, es war ein feucht­war­mer Tag und die Luft duf­te­te nach Löwen­mäul­chen. Anstatt der erwar­te­ten Schne­cken­ge­häu­se, fand ich eine Her­de gold­brau­ner Frö­sche vor, die sich ver­mut­lich über mein Erschei­nen wun­der­ten. Vor drei Tagen bemüh­te ich mich län­ge­re Zeit um die Erfin­dung einer Tele­fon­num­mer, die in der Stadt Chi­ca­go vor­kom­men könn­te, aber garan­tiert nicht exis­tiert. Und noch heu­te, vor drei Stun­den, such­te ich nach einer grö­ße­ren oder klei­ne­ren Stadt, in der fol­gen­de Adres­se exis­tiert: Im Schnee 10. Obwohl ich zahl­rei­che, auch spe­zi­el­le Such­ma­schi­nen ver­wen­de­te, war ich nicht erfolg­reich gewe­sen. Ich soll­te viel­leicht sagen, dass manch­mal wun­der­bar ist, nicht zu fin­den was man sucht, es könn­te dann rei­ne Erfin­dung sein. — stop

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am radio

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zou­lou : 0.08 — Als ich das Radio ein­schal­te­te, hör­te ich, bei Ryan Air, einer Flug­ge­sell­schaft, sol­len die Stück­kos­ten, dem­zu­fol­ge die Kos­ten je trans­por­tier­ten Pas­sa­giers, erneut dra­ma­tisch gesun­ken sein. Wei­ter­hin wür­den in einem Land des fer­nen Ostens bald Züge über das Land rasen, die stets sehr pünkt­lich sein wer­den, da sie auch von selbst­mor­den­den Men­schen nie­mals auf­zu­hal­ten sind, sie fah­ren immer wei­ter und wei­ter zu. Auf der ers­ten Sei­te einer spa­ni­schen Pro­vinz­zei­tung sei ein leicht­ge­wich­ti­ger Hund zu sehen, der im Moment sei­ner Auf­nah­me von einer Elek­tro­droh­ne über ein Haus­dach beför­dert wur­de. Die Zahl der hun­gern­den Men­schen auf die­ser Welt wür­de im kom­men­den Jahr erfreu­li­cher­wei­se um 10 Mil­lio­nen auf unter 800 Mil­lio­nen Men­schen sin­ken. Das war ges­tern. — stop
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morgens kurz nach fünf

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zou­lou : 6.10 — Eine Stech­mü­cke setz­te sich in der Däm­me­rung nach einer lan­gen Arbeits­nacht auf mei­nen Arm. Ich beob­ach­te­te, wie sie ihren Rüs­sel an mich leg­te, aber sie stach nicht zu, als ob sie sich mei­ner Rei­fe nicht sicher gewor­den sei. Kurz dar­auf war­te­te ich vor einer Kas­se in einer Men­schen­schlan­ge. Irgend­wo in der Fer­ne lach­te eine Kas­sie­re­rin. Plötz­lich bemerk­te ich, dass ich in mei­nem Leben noch nie eine Ohr­fei­ge bekom­men habe, oder alle Ohr­fei­gen, die ich bekom­men habe, ver­ges­sen konn­te. So ende­te mei­ne Nacht mit zwei span­nen­den Geschich­ten, ich war zufrie­den. — stop
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