Aus der Wörtersammlung: arm

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marina abramovic

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alpha : 0.02 — Guten Mor­gen, heu­te ist Frei­tag. Ich habe mir für die­sen Tag vor­ge­nom­men, lang­sam zu gehen, lang­sam zu atmen, lang­sam zu schrei­ben. Ich wer­de lang­sam lesen und lang­sam spre­chen, und den­ken wer­de ich so lang­sam wie nie zuvor. Die Emp­fin­dung der Zeit zur Geschmei­dig­keit zu über­re­den, ja, das ist vor­stell­bar, wei­che, war­me Stun­den. — stop

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avenue of the americas

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india

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : AVENUE OF THE AMERICAS

Ich muss Euch nicht erzäh­len, wo ich mich gera­de befin­de, lie­be Vio­let, lie­be Dai­sy, ich höre Eue­re Stim­men, hör, wie Ihr scherzt, was macht er nun schon wie­der, war­um ist er ein­ge­schla­fen, das muss ein betäu­ben­des Buch gewe­sen sein. Jetzt also bin ich wach gewor­den. Ich notie­re die­se Sät­ze in dem Wis­sen, dass Ihr lesen wer­det, Zei­chen für Zei­chen, wie in die­sem Augen­blick erscheint, was ich schrei­be. Das Notie­ren ist so etwas wie das Sicht­bar­ma­chen des Den­kens, nicht wahr, so könn­ten wir das viel­leicht sagen. > …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

… > Spa­zier­te in Eue­rer Ange­le­gen­heit, wie ver­spro­chen, durch Man­hat­tan. Ich hat­te mei­nen klei­nen Foto­ap­pa­rat in der Hand, stand mit­ten auf der Ave­nue of the Ame­ri­cas, um das neue Hip­po­drom-Gebäu­de abzu­lich­ten. Auch das wisst Ihr natür­lich, wie wir dann Rich­tung Bryant Park spa­zier­ten, unser Gespräch über gehei­me Ten­ta­keln der Bäu­me, die den Lärm der Stadt aus der Luft zu fan­gen schei­nen. Und mein Begeh­ren, gewiss, ein Eich­hörn­chen zu fan­gen, das war­me Licht des hupen­den Abends, mei­ne Über­le­gung, wie ich Euch eines Tages ein­mal per­sön­lich begeg­nen könn­te, und mein Ver­spre­chen, ein wei­te­res Eue­rer Jugend­bil­der zu sen­den. Was Euch nicht bekannt sein wird, weil ich’s nur dach­te, ich hat­te in all den gemein­sa­men Stun­den eine ver­we­ge­ne Fra­ge in mei­nem neu­gie­ri­gen Kopf. Nun, es ist kurz nach Mit­ter­nacht, wer­de ich die­se Fra­ge für Euch buch­sta­bie­ren, unsi­cher ein wenig, was gesche­hen wird, ob ich Euch nicht zu Nahe kom­me, sodass Ihr aus mei­nen Augen ver­schwin­den wer­det. Gebt gut acht! Es ist näm­lich so, dass ich mich fra­ge, wie auch immer die Räu­me beschaf­fen sind, die für Euch aus­ge­dacht, ob Ihr dort Oben für die Ewig­keit noch immer leib­lich mit­ein­an­der ver­wach­sen seid? – Euer Lou­is, sehr herz­lich, wünscht eine gute Nacht!

gesen­det am
18.05.2010
0.05 MESZ
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lou­is to dai­sy and violet »

ping

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jonglieren

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romeo : 0.25 — Stand in einer Schlan­ge war­ten­der Men­schen, mach­te Rechen­übun­gen im Kopf. Nach fünf oder zehn Minu­ten kon­zen­trier­ter Arbeit war ich dann so weit gekom­men, ein­zu­se­hen, dass jene Zah­len­grö­ßen, die ich jon­glier­te, mein Denk­ver­mö­gen deut­lich über­for­der­ten. Rech­ne­te bald in mei­nem Notiz­buch notie­rend, mit Blei­stift­zah­len wei­ter vor­an: Ers­tens / Ein Papier­tier­chen, sobald es sei­ne Arme streckt, misst 0,087 mm von Ost nach West. Zwei­tens / 2413 Papier­tier­chen säu­men den Rand eines beschreib­ba­ren leben­den Papiers an sei­ner schma­len Sei­te, 3218 Papier­tier­chen des­sel­ben Papiers an sei­ner län­ge­ren Sei­te. Drit­tens / 7765034 Papier­tier­chen sind Tei­le einer Struk­tur, der ich einen Namen zu geben habe. — Wun­der­ba­re, frü­he Nacht. Ein gro­ßer Frie­den in ange­neh­mer Span­nung. Alle sind sie jetzt da, sit­zen an mei­nen Zim­mer­wän­den und rüh­ren sich nicht. — Guten Morgen!

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hydra

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sier­ra : 6.30 — Haben Sie schon ein­mal mit dem Gedan­ken gespielt, in einem Kolo­ni­al­wa­ren­la­den für zwei Stan­gen Zimt den fünf­fa­chen des gefor­der­ten Prei­ses in auf­rich­ti­ger Erwar­tung zu bezah­len, man möge das zuge­setz­te Geld an Plan­ta­gen­ar­bei­ter und ihre Fami­li­en nach Sri Lan­ka trans­fe­rie­ren? – Sie schmei­chel­ten dem char­man­tes­ten Kopf einer Hydra! — stop
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schneekamille

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nord­pol : 0.02 — Dei­ne schnee­wei­ße Hand, die an einem Som­mer­nach­mit­tag auf mei­nem Unter­arm liegt. Wir wan­dern durch einen Wald. Klein bist Du gewor­den und leicht, und ich gehe, Du führst mich, mit geschlos­se­nen Augen neben Dir her. Und plötz­lich bist Du nicht mehr da. Ich sehe Dich, unsi­cher Dei­ne Schrit­te über das Moos. Und wie Du kniest vor den lich­ten Blu­men unse­rer Wie­se. Dei­ne wei­nen­de Stim­me. Dein Kla­gen ohne Wor­te. Dein Schrei­en gegen den Him­mel. Dein Beben in mei­nen Armen. Und wie Du flüs­terst: Ich will nicht ster­ben. - Dann ist Nacht wie an vie­len Tagen Nacht gewor­den. Ich ste­he im hal­ben Dun­kel Dei­nes Zim­mers, so still, so still, und lau­sche nach Dei­nem Atem, sit­ze und lese und schau Dich an. Dei­ne lächeln­den Augen im Schlaf, der süße Him­beer­duft des Mor­phi­ums, das Schnur­ren der Sau­er­stoff­ma­schi­ne, Dein Seuf­zen, und wie Du wach gewor­den bist, Dein Blick für mich, wie Du mit Dei­nen tie­fen Augen vom Wun­der des Lebens erzählst. Nie wie­der, erin­nerst Du Dich, haben wir vom Tod gesprochen.

für marik­ki im himmel

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bermuda

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alpha : 0.03 — Ob es wohl mög­lich ist, ein Blatt Papier, das aus Mil­lio­nen sehr klei­ner Lebe­we­sen bestehen wird, mit einer Sche­re, sagen wir, in zwei Tei­le zu zer­le­gen? Was soll­te gesche­hen? Wür­den mei­ne papie­re­nen Tie­re Geräu­sche erzeu­gen, die Wider­spruch signa­li­sie­ren, Empö­rung, Furcht? Oder wür­den sie wei­chen, sich in alle Him­mels­rich­tun­gen zer­streu­en, eine blitz­schnell sich voll­zie­hen­de Bewe­gung der Entro­pie? – Sonn­tag. stop. War­me, geschmei­di­ge Stun­den. stop. Hell vom Schnee, die Luft.

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fiebermöwen

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india

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : FIEBERMÖWEN

Ver­gan­ge­ne Woche, lie­ber Jona­than, ist etwas Merk­wür­di­ges gesche­hen. Ich hat­te Fie­ber und geträumt, dass Sie mir einen Brief geschrie­ben haben. End­lich, end­lich, dach­te ich, um Him­mels wil­len, eine Fata Mor­ga­na, und wach­te auf und erin­ner­te mich an Ihre Wor­te in einer Wei­se, dass ich Traum von Wirk­lich­keit nicht unter­schei­den konn­te. Das mag an mei­nem hei­ßen Kopf gele­gen haben, und so ant­wor­te­te ich auf einen Brief, der nie­mals exis­tier­te. Sie wer­den sich, mein lie­ber Kek­ko­la, viel­leicht gewun­dert haben und noch immer amü­sie­ren. Nun, es geht auf Mit­ter­nacht zu, ist fol­gen­de Sache zu erwäh­nen. Im April wer­de ich eine Samm­lung von Papier­we­sen erhal­ten, einen Bogen 20 x 28 cm. Darf sie umsor­gen und pro­bie­ren, wie sie sich so machen, wenn einer wie ich sie mit wil­den Tex­ten beschreibt? Unse­ren Tief­see­ele­fan­ten geht’s vor­treff­lich. Nahe Ber­mu­da, so wird berich­tet, sol­len sie einen Schwarm ver­irr­ter Möwen aus der Luft gefan­gen haben. Ahoi! Bis bald am Strand. Ihr Louis

gesen­det am
1.03.2010
22.58 MEZ
1036 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

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blattlicht

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lima : 0.01 — Und schon ist wie­der März gewor­den. War­me Luft pfeift übers Dach, und Blät­ter, Blät­ter von Son­nen­licht, sie schau­keln vor dem Fens­ter. So fein sind sie gewirkt, dass nichts sie zu berüh­ren ver­mag als mei­ne Gedan­ken. Höchs­te Zeit von kleins­ten Wesen zu erzäh­len, wie man sie fin­det, da sie doch unsicht­bar sind, und wie man mit ihnen spre­chen oder rei­sen oder gemein­sam war­ten könn­te, sobald man ihnen begeg­net sein wird. — Papie­re­ne Her­zen. — stop
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auf dem viktualienmarkt

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oli­mam­bo : 2.10 — Ein Eich­hörn­chen am Nach­mit­tag, wie es durch den war­men Schnee springt. Immer wie­der hält das Tier­chen an, dreht sich nach mir um, betrach­tet mich, als ob es mei­ne Gedan­ken ahnen wür­de. Ein­mal sage ich lei­se zu ihm hin: Fürch­te Dich nicht! Ich jage nur mit dem Kopf. – Das war auf dem Mün­che­ner Vik­tua­li­en­markt gewe­sen vor weni­gen Stun­den. Die Tage nun län­ger, bald wird Früh­ling und Men­schen und das Bier und der Kaf­fee wer­den in Strö­men flie­ßen. Wie­der, wie so oft schon, wenn ich von Bude zu Bude lau­fe und mei­ne Nase in den Gewürz­wind ste­cke, schau ich nach dem Ach­tern­busch, Her­bert. Würd’ gern ein­mal ein paar Wor­te mit ihm wech­seln. Ges­tern war von ihm nichts zu sehen gewe­sen, wes­halb ich ganz ein­fach an ihn gedacht habe, an eine Film­se­quenz, deren Besich­ti­gung mich um ein Haar das Leben gekos­tet hät­te. Her­bert Ach­tern­busch in einem Tier­haus des zoo­lo­gi­schen Gar­tens Hel­la­brunn. Er steht unter einem Faul­tier, das unbe­weg­lich, und zwar sehr lan­ge Zeit, an einem Ast hängt. Der Dich­ter bewun­dert die Klau­en des Tie­res und auch die Natur, was sie so macht. Kurz zwin­kert das Faul­tier mit den Augen. Und Ach­tern­busch ruft: Ja, da schau her, du bist ja ein Schein­schlaf­tier! – Guten Mor­gen, gute Nacht! — stop



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