Aus der Wörtersammlung: eiche

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eine alte schreibmaschine

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alpha : 22.02 — Dach­te an eine Schreib­ma­schine, an eine beson­de­re Schreib­ma­schi­ne, an mei­ne digi­ta­le Schreib­ma­schi­ne, die jedes Zei­chen, das ich notie­re, im Moment der Spei­che­rung in eine Hiero­glyphe verwan­delt, sodass ich schrei­be einer­seits, also einen Text spei­chere, ander­seits nicht sofort wieder­ho­lend lesen kann, was ich für mich oder ande­re aufge­hoben habe. Schrei­ben. Den­ken. Auf dem Was­ser lau­fen. Eine vernünf­tige, das heißt, eine gute Schreib­ma­schine, ist nach wie vor mit dem Inter­net nie­mals ver­bun­den. — stop
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im dunkel

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romeo : 12.05 UTC – Plötz­lich war Dun­kel gewor­den, der Him­mel bedeckt, Strom aus­ge­fal­len, stock­fins­ter. Vie­le Stun­den Zeit ver­gin­gen. Ich saß auf einem Stuhl, den ich ertas­tet hat­te, und war­te­te, dass das Licht zurück­keh­ren möge. Es muss bald Vor­mit­tag gewor­den sein, aber noch immer dun­kel, eine Dun­kel­heit, als wäre sie gemalt. Auch im Kühl­schrank kein Licht. Ich weiß, nicht, wie ich auf die Idee gekom­men war, im Kühl­schrank könn­te noch etwas Licht zu fin­den sein. Ich öff­ne­te das Eis­fach, Was­ser stürz­te her­aus und etwas Wei­ches, dar­an moch­te ich nicht den­ken, also mach­te ich den Kühl­schrank wie­der zu und kroch zurück zum Stuhl. Ich dach­te, dass ich unbe­dingt sofort etwas Licht fin­den müss­te, um sicher zu sein, dass ich nicht erblin­det war. Auf den Knien arbei­te­te ich mich in Rich­tung der Woh­nungs­tür, erreich­te das Trep­pen­haus, hör­te eine Stim­me. — stopping

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linie 8

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echo : 10.06 UTC – Nächs­te Hal­te­stel­le Max-Weber-Platz. Ich hab Weiß Ferdls Gesang noch im Ohr, wie er die Geschich­te erzählt von der Linie 8, die durch Mün­chen fährt zu einer Zeit, da ich noch nicht gebo­ren wor­den war. Wie oft habe ich die­se Auf­nah­me als Kind viel­leicht gehört? Die Stim­me des alten Münch­ner Kaba­ret­tis­ten ist mir heut Mor­gen ver­mut­lich des­halb ins Gehör gera­ten, weil ich Infor­ma­tio­nen einer moder­nen Stra­ßen­bahn zuhör­te, einer Stim­me prä­zi­se, die von einem Com­pu­ter erzeugt wird: Bit­te in Fahrt­rich­tung rechts aus­stei­gen. Die­se Stim­me, wie sie mir bewusst wur­de, scheint sich bereits in vie­le wei­te­re Städ­te fort­ge­setzt zu haben, es ist eine weib­li­che Stim­me, die auch kom­pli­zier­te Stra­ßen­na­men zu for­mu­lie­ren ver­mag. Manch­mal dehnt sie Wör­ter in einer selt­sam unbe­hol­fe­nen Art. Das hört sich an, als wür­de eine Schall­plat­te für einen Moment beschleu­nigt, dann wie­der abge­bremst. Auch Kin­der hören zu, oder Men­schen, die soeben die deut­sche Spra­che ler­nen. Viel­leicht, stel­le ich mir vor, wer­den sich in die­ser Wei­se bestän­di­ger Wie­der­ho­lung nach und nach jene unbe­hol­fen klin­gen­den Sen­ten­zen der Stra­ßen­bahn­an­sa­gen in unse­re all­täg­li­che Spra­che schlei­chen. Das ist denk­bar. Ich muss das beob­ach­ten. — stop

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ewig

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sier­ra : 22.12 — Im Haus der alten Men­schen beob­ach­te­te ich eine 94-jäh­ri­ge Frau, die an einem Tisch saß und notier­te. Ich hör­te, sie schrei­be seit Jah­ren Tag für Tag, Stun­de um Stun­de lan­ge Lis­ten in Notiz­hef­te. In die­sen Lis­ten, erzähl­te sie ein­mal, wür­de sie ver­mer­ken, was noch zu tun sei im Leben. Als ich mich lei­se näher­te, bemerk­te ich tie­fe Fur­chen in den Sei­ten des Hef­tes, kei­ne Schrift­zei­chen jedoch, weil sich in der schrei­ben­den Hand der Notie­ren­den, ein Kugel­stift befand, der längst leer geschrie­ben war. — stop
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vom stempelwald

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alpha : 22.10 — Andrej erzähl­te, er habe beob­ach­tet, wie er, sobald er in Gedan­ken ver­sun­ken arbei­te, die Welt der Zei­chen auf Papie­ren mit der Welt der digi­ta­len Zei­chen auf Bild­schir­men in unmit­tel­ba­re Ver­bin­dung set­ze. Sobald er lan­ge Zeit auf einem Bild­schirm mit den Werk­zeu­gen der Bild­schir­me an einem Text gear­bei­tet habe, wür­de er, wenn er sich Zei­chen auf Papie­ren zuwen­de, den Ver­such unter­neh­men, auch dort Wör­ter, zum Bei­spiel mit­tels deh­nen­der oder zie­hen­der Bewe­gung zwei­er Fin­ger zu ver­grö­ßern, oder aber Wör­ter durch Berüh­rung zu unter­strei­chen oder aber aus­zu­schnei­den, was zunächst unge­dul­di­ge, sogar hef­ti­ge Wie­der­ho­lung sei­ner Ges­ten zur Fol­ge habe, bis er end­lich begrei­fe, dass er sich an gestem­pel­ten Wör­tern ver­su­che. — stop
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ein taucher

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nord­pol : 10.12 — Ich hör­te, auf Grön­land soll in einer Sied­lung nörd­lich des Polar­krei­ses ein Mann exis­tie­ren, der trai­niert wur­de, in Wal­fisch­kör­pern zu tau­chen. Sobald sorg­fäl­tigs­te Unter­su­chung eines gestran­de­ten Tie­res not­wen­dig wer­den soll­te, wür­de jener Wal­fisch­tau­cher unver­züg­lich zur Arbeit geru­fen. Ich stel­le mir vor, wie der Mann in einen Neo­pren­an­zug gehüllt, mit einem fla­chen Sau­er­stoff­ge­rät aus­ge­rüs­tet, einer star­ken Lam­pe, zwei äußerst schar­fen Mes­sern, sowie einem ange­spitz­ten Helm aus­ge­rüs­tet, am Strand ruhen­de Leich­na­me besucht, die mög­li­cher­wei­se noch warm sind. Ein fast laut­lo­ser Vor­gang. Der Tau­cher ver­schwin­det voll­stän­dig, arbei­tet sich Zen­ti­me­ter um Zen­ti­me­ter schnei­dend durch den Kör­per vor­an. Viel­leicht wird sei­ne Stim­me zu hören sein, eine Funk­stim­me, die bis­wei­len mel­det, dass er sich gut füh­le, dass er das Herz des Wales bald errei­chen wer­de, das ist denk­bar. — stop

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jui patel

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echo : 10.12 — Ein­mal erleb­te ich einen älte­ren Herrn, den ich immer wie­der erin­ne­re, bei­na­he jedes Mal, sagen wir, wenn ich bewusst Flie­gen beob­ach­te. Die­ser Herr näm­lich nann­te jede der zahl­rei­chen Flie­gen, die auf ihm selbst oder in sei­ner Nähe durch die Luft turn­ten, beim Namen. Ich hör­te eine Wei­le zu, dann hol­te ich mei­nen Schreib­block aus der Tasche und begann die Namen der Flie­gen zu notie­ren. Das waren wun­der­ba­re Namen, eine sehr lan­ge Lis­te, Namen ver­mut­lich, die in genau dem Moment, da sie an eine Flie­ge gerich­tet wür­den, erfun­den wor­den waren. Ich zitie­re: Line Jacob­sen . Nameer Buri­ni . Jui Patel . Zoll­ai Janos . Isa­bell Weber . Yvetta Cemo­hors­ta . Alo­is Szeg . Bent Lau­rit­zen . Kat­ja Sal­ly Innes . Vili Luk­sha . Abra­ham Vele . Mag­la Sell­al . Sabi­ba Lu. — stop. Nichts wei­ter. — stop

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ein name fern und nah

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echo : 18.55 — Im Schnell­zug saß eine jun­ge Frau. Als der Zug län­ge­re Zeit hal­ten muss­te, kamen wir ins Gespräch. Die jun­ge Frau sag­te, dass sie bewun­de­re, wie schnell ich auf mei­ner Schreib­ma­schi­ne mit den Fin­gern tip­pen kön­ne. Sie erwähn­te, dass sie in Sri Lan­ka gebo­ren wor­den sei, aber schon lan­ge in Euro­pa lebe. Tat­säch­lich hör­te ich kaum einen Akzent in ihrer Stim­me. Ich frag­te sie nach ihrem Namen. Wel­chen ihrer Namen ich wis­sen wol­le, erkun­dig­te sie sich, ihren euro­päi­schen, den Namen ihres Man­nes, der sich mit einem Bruch­teil ihres Geburts­na­mens ver­bun­den habe, oder eben den Namen ihrer Kind­heit? Mit einer scheu­en Hand­be­we­gung rief sie mei­ne klei­ne fla­che Schreib­ma­schi­ne zu sich her­über, nahm sie in ihre lin­ke Hand und begann mit ihrer rech­ten Hand Zei­chen um Zei­chen zu tip­pen. Sie sag­te: Ich schrei­be ihnen, wie ich in Sri Lan­ka als unver­hei­ra­te­te Frau geru­fen wur­de. Vor­sich­tig berühr­te sie mit einer Fin­ger­spit­ze die Tas­ta­tur auf dem Bild­schirm, es dau­er­te lan­ge Zeit, ehe sie fer­tig gewor­den war. Immer wie­der schien sie ihren Namen zu prü­fen, ob auch alles stimm­te. Kurz dar­auf las sie mir ihren Namen vor, ein schö­nes Geräusch in mei­nen Ohren. Dann gab sie mir mei­ne Schreib­ma­schi­ne zurück und ich buch­sta­bier­te mei­ner­seits Fol­gen­des vor­sich­tig nach: Mal­va­la Sri Brah­ma­na Rin­nay­a­ka Tann­ko­an Mydiu­an­sela­ge Langt Mahe­hi­ka Tann­ko­an Sana­ton­ga. Es war an einem Don­ners­tag gewe­sen, gegen 18 Uhr. — stop
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echo

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whis­key : 22.58 UTC — Wie schwer es ist, Men­schen, die sich im Tief­schlaf befin­den, vor­zu­le­sen oder mit tief­schla­fen­den Men­schen zu spre­chen. Kein Zei­chen eines Erwa­chens. In dem Moment, da ich bemer­ke, dass ich nicht weiß, ob sie mich hören, wird mein Ver­such, Gehör zu fin­den, zu einem Selbst­ge­spräch, das schmerzt, ein­sa­me Stim­me. — stop

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