MELDUNG. Ameisengesellschaft LN — 788 [ lasius niger ] : Position 48°21’N 07°01’O : Folgende Objekte wurden von 18.00 — 18.55 Uhr MESZ über das südöstliche Wendelportal ins Warenhaus eingeführt : sechs trockene Fliegentorsi mittlerer Größe [ je ohne Kopf ], achtzehn Baumstämme [ à 5 Gramm ], elf Raupen in Grün, zweiundzwanzig Raupen in Orange, zwei Insektenflügel [ vermutlich die eines Zitronenfalters ], drei Streichholzköpfe [ à 2 Gramm ], vier Fliegen der Gattung Calliphoridae in vollem Saft, sonnengetrocknete Rosenblätter [ ca. 100 Gramm ], sechs Schneckenhäuser [ je ohne Schnecke ], drei gelähmte Schnecken [ je ohne Haus ], 1162 Ameisen anliegender Staaten [ betäubt oder tranchiert ], acht Rüsselkäfer [ blautürkise ], die Aaskugel eines Pillendrehers, wenig später der Pillendreher selbst, eine Wildbiene, ein Modellflugzeugreifen [ Spaceshuttle Discovery ] 12 Gramm. — stop
Aus der Wörtersammlung: gramm
subnautilus aquarius
himalaya : 0.05 — Nach vielstündiger, konzentrierter Arbeit ist die Erfindung einer weiteren Gattung schaukelnder Perlboote endlich denkbar geworden. Subnautilus aquarius, Geschöpf reinen Wunsches. Wesentliche Merkmale kurz notiert: Perlboote der Gattung Subnautilus aquarius leben ausschließlich in Süßwasserumgebung, vornehmlich in flachen Gewässern, das heißt, in Gewässern bis fünf Meter Tiefe. Temperaturen jenseits 30° Celsius (doch unter 40° Celsius) sind Voraussetzung, um höheres Alter erreichen zu können. Größe in Reife: 150 mm. Gassteuerung sowohl auf als auch abwärts. Äußere Hülle: Aragonit. Innere Hülle: Perlmutt. Fangarme: 120. Perlboote der Gattung Subnautilus aquarius gebieten weiterhin über die Fähigkeit, Licht zu erzeugen in vielfältigen Farben. Algen (5 bis 8 Gramm pro Tag), aber auch Schuppen menschlicher Haut, werden bevorzugt aus dem Wasser genommen. Man kann hören. — stop
manhattan
fliegende brillen
alpha : 17.03 – Heute Morgen, war noch dunkel im Haus, hörte ich ein sirrendes Geräusch. Das Geräusch näherte sich über die Treppe abwärts. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine der Brillen meiner Mutter, die seit dem Vorabend über zarte Rotoren verfügen, welche in der Lage sind, Brillenkonstruktionen bis hin zu einem Gewicht von 80 Gramm in die Luft zu heben, sie vorwärtszubewegen oder rückwärts durch Räume oder den Garten. Langsam durchquerte die Brille den Raum, kreiste einmal um meinen Kopf, und landete schließlich sanft auf dem Esstisch in der Nähe des Stuhles, auf dem meine Mutter sitzt, sobald sie ihr Frühstück zu sich nehmen möchte. Über drei Brillen verfügt meine Mutter, und jede dieser Brillen kann nun fliegen. Eine Brille wurde im Dachgeschoss stationiert, eine weitere Brille im Erdgeschoss, die dritte zu ebener Erde. Wenn nun Morgen wird, zu einer Zeit, da fast alle Menschen noch schlafen, erwachen vor den Vögeln bereits die Brillen meiner Mutter. Sie beginnen zu blinken, Dioden in gelber Farbe, Zeichen, dass sie sich mittels Funksignalen orientieren. Bald fliegen sie los, die Dachgeschossbrille ins Dachgeschoss, die Brille der ersten Etage in die erste Etage, die Brille des Erdgeschosses ins Erdgeschoss. Das Suchen hat nun ein Ende, alles wird gut! – stop
MLR X‑867
nordpol : 3.55 — Folgendem Molluskenwesen gilt nachtwärts meine Aufmerksamkeit: MLR X‑867, 10 cm in der Länge, 1 cm in der Höhe, 2 cm in der Breite, samtig schwarzer Körper, 30 Gramm schwer, hohl und höchst beweglich. Dieses Schneckenwesen lebt vornehmlich im Wasser, weswegen es über Kiemen gebietet, wandert dort langsam auf Lamellenbeinen über den Boden hin oder felsige Wände auf und abwärts. Aber auch in Gefangenschaft überlebt es gerne, solange man warme Fliegenlarven füttert, die großzügig über die Oberfläche des Molluskengewässers zu verteilen sind. Es ist vielleicht so, dass in stetiger Erwartung, das kleine Tier in genau jenem Moment, da es der bebenden Larvenkörper ansichtig geworden ist, Hochgeschwindigkeitszungen in Richtung seiner Beute schicken wird, Zungen, die einem schmalen Rücken entkommen, dort reiht sich ein Mund an den nächsten, es sind sieben insgesamt, die geschlossen vollständig unsichtbar bleiben. Nun wäre das noch nichts Besonderes, wenn es sich bei diesem Wesen, nicht um eine Persönlichkeit von hervorragender Musikalität handeln würde, man leuchtet nämlich in jeder erdenklichen Farbe, sobald man Geräusche, noch die leisesten hört. Das Schwarzsein bedeutet also Stille. Art und Position der Schneckenohren sind zu diesem Zeitpunkt, 3 Uhr 28 Minuten, noch nicht bekannt. — stop
in der dritten stunde schlafloser nacht
ginkgo : 2.55 — In dem Dokumentarfilm Unter Kontrolle, der von den inneren Räumen des Atomkraftzeitalters her erzählt, erklärt ein leitender Ingenieur den Wirkungszusammenhang zwischen computergesteuerten Routinen und menschlichen Wirkungsoptionen, die zu Sicherheit oder möglichst geringer Unsicherheit führen sollen. Es ist ein sympathischer älterer Herr, der dort spricht. Man sieht, er ist stolz auf die von menschlichem Geist geschaffene Maschine. Um seiner Überzeugungskraft nicht vollständig zu erliegen, muss ich mich bemühen, ich schwimme, mittels Gedankenbewegung, geradezu an gegen den Sog seiner Argumentation, ich denke: Three Mile Island, Tschernobyl, Fukushima, ein Telegramm, denke ich, das sich wiederholen lässt, ein kleiner Kopfrotor. Einmal äußert der sympathische alte Mann einen höchst bemerkenswerten Gedanken, er sagt, dass statistisch gesehen jeder Mensch 10 Fehler in einer Stunde unternehmen würde. Das ist eine sehr seltsame Sache. Mir geht das nicht mehr aus dem Kopf. Es ist jetzt bald drei Uhr in der Nacht, der Statistik zufolge habe ich bisher 28 Fehler unternommen, die jeder für sich nicht schwer gewesen sein dürften, weil ich noch immer existiere. Ich ruhte, zum Beispiel, in der vergangenen Stunde auf einem Sofa, ich habe weder telefoniert noch habe ich Musik gehört, auch habe ich in keinem Buch gelesen, ich habe an meinen Vater gedacht, an meine Mutter, an meine Schwester, an meine Brüder, und auch an jenen älteren Herrn und seine Begründung der Maschine. Bald, in wenigen Minuten, werde ich in die vierte Stunde dieses Tages treten. — stop
manhattan
meteoriten
physik
alpha : 22.58 — Ist mein kleines Gehirn in den vergangenen Wochen leichter oder ist es vielleicht schwerer geworden. Wie viel Gramm? — stop
central park : grammophon
foxtrott : 0.15 — Im Central Park zur Mittagszeit ein betender Mann, Moslem, Rikschafahrer, der Höhe 61. Straße unter einer mächtigen, weitverzweigten Ulme kniet, vielleicht unter einem jener Bäume, deren Setzlinge im Jahr 2008 nach Oregon geschickt wurden, um sie dort großzuziehen und wieder nach Manhattan zurückzuholen. Das klagende Singen der Kinderschaukel. Ein Eichhörnchen hetzt über eine Wiese. Bald kauert das Tier in der Nähe des betenden Mannes, scheint ihn zu beobachten. Ich könnte jetzt warten, bis der Mann mit seinem Gebet fertig geworden ist. Ich könnte mich zu ihm in seine Rikscha setzen. Wir könnten gemeinsam durch den Park fahren. Ich könnte ihm eine Geschichte erzählen. Ich könnte erzählen, dass ich soeben noch in einem Café hörte, wie eine junge, lustige Mutter von ihrer Absicht berichtete, ihren Sohn, der noch nicht geboren worden ist, mit dem Namen „Grammophon“ zu versehen. Das ist eine wirklich aufregende Geschichte, die ich tatsächlich sofort erzählen sollte. Ich sollte den jungen Mann weiterhin fragen, ob er mir vielleicht erklären wolle, weshalb es lebensgefährlich für mich sein könnte, wenn ich mich fragend über Mohammed, den Propheten, äußern würde. Vielleicht würde der junge Mann bremsen, vielleicht sich unverzüglich von seinem Fahrrad schwingen. Wir würden uns auf eine Bank setzen und Geschichten erzählen von Grammophonen, von Propheten und wie es ist, im Winter Rikscha zu fahren. Und vielleicht würde ich ihm dann noch vom Schnee erzählen, den ich als Kind aus der Luft gefangen habe. Ja, so könnten wir das machen, sofort, gleich, wenn der betende Mann sich erheben wird. — stop