Aus der Wörtersammlung: lima

///

tian’anmen

9

oli­mam­bo : 23.32 — Das Gespräch am spä­ten Abend mit Din. Ihre lei­se, sin­gen­de Stim­me. Sie sei, als die Pan­zer kamen, in eine Sei­ten­stra­ße geflüch­tet. Wie sie ihre Augen schließt, wie sie sagt, sie habe kei­ne Men­schen mehr gese­hen nach kur­zer Zeit, eini­ge Freun­de nur, die sich an die Wän­de der Häu­ser drück­ten. Die Hand ihrer gro­ßen Schwes­ter. Die Luft, die auf ihrem klei­nen Kör­per beb­te. Aber Men­schen­stil­le. Wie sie nach Wör­tern sucht, nach Wör­tern in deut­scher Spra­che, die geeig­net wären, zu beschrei­ben, was sie in dem Moment, da ich auf die Fort­set­zung ihrer Erzäh­lung war­te, hört in ihrem Kopf. Das fei­ne, das selt­sa­me Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am Aus­druck mei­ner Augen bemerkt, dass ich wahr­ge­nom­men haben könn­te, dass die Bil­der, die ich wuss­te, tat­säch­lich gesche­hen waren, das Mas­sa­ker auf dem gro­ßen Platz, stol­pern­de Men­schen, Men­schen auf Bah­ren, zer­malm­te Fahr­rä­der, der Mann mit Ein­kaufs­tü­ten in sei­nen Hän­den auf der Para­de­stra­ße vor einem Pan­zer ste­hend. Dann die Flucht ins häus­li­che Leben zurück wie in ein Ver­steck, das stum­me Ver­schwin­den jun­ger Leben für immer. Staub. Du soll­test mit Stäb­chen essen, sagt Din, das machst Du so, schau! — stop

ping

///

auftauchen abtauchen

pic

kili­man­dscha­ro : 10.27 — Tex­te, die wie aus dem Nichts auf dem Papier erschei­nen. Tex­te ohne Anfang, Tex­te, die inmit­ten eines Wor­tes begin­nen. Wal­fisch­li­ni­en, deren damp­fen­de Muschel­rü­cken sich Zei­le für Zei­le aus dem Papier erhe­ben. Ob es viel­leicht mög­lich ist, die Zeit lang­sa­mer ver­ge­hen zu las­sen, indem ich mich zu ihr ver­hal­te, wie ein Domp­teur zu einem Löwen? — stop

ping

///

papiersegel

pic

romeo : 0.05 — Das Ver­gnü­gen, ein Manu­skript auf Papier zu dru­cken. Die nadeln­den, sum­men­den, pfei­fen­den Geräu­sche der Maschi­ne, Satz für Satz Sekun­den­sei­ten. Wie ich Arbeit von Tagen, von Wochen, vor mir zu einem Segel auf den Boden brei­te. Wie ich zufrie­den und still vor dem Wind­ge­fäß im Zim­mer ste­he. Wie ich, bald wie­der stür­misch gewor­den, in die Knie gehe, um wei­te­ren Flug­sand mit der Hand aufs Papier zu set­zen. — Notier­te: Ein mensch­li­ches Gehirn ruh­te in mei­nen Hän­den. Und ich dach­te, kühl ist es und weich und schwer. Ich hör­te deut­lich eine den­ken­de Stim­me, als wäre da noch ein ande­rer Beob­ach­ter gewe­sen, als ich selbst. Dann bemerk­te ich, dass ich mit blo­ßem Auge nicht erken­nen konn­te, in wel­cher Spra­che jenes Gehirn, das ich in mei­nen beben­den Hän­den hielt, ein Leben lang träum­te, auch nicht, ob es glück­lich oder doch eher unglück­lich gewe­sen ist. Eine schwei­gen­de, eine ver­las­se­ne, eine Welt ohne Licht. Ja, lili­mam­bo, das Leuch­ten leben­der Men­schen! — stop

ping

///

am viktoriasee

pic

lima : 5.18 — Am Vic­to­ria­see Men­schen, jun­ge Men­schen und alte Men­schen, wie sie sich durch modern­de Abfäl­le einer Fisch­fa­brik wüh­len. Gel­be Augen. Salz­wun­de Hän­de. Ver­ei­ter­te Füße. Bauch­bal­lo­ne. stop. Beob­ach­te­te zum fünf­ten Male den Doku­men­tar­film Dar­wins Alb­traum war­um? Kurz dar­auf notier­te ich: Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. Und ich dach­te noch, das geht heu­te nicht, solch ein Satz doch nicht nach jenem Film in die­ser Nacht. Lan­ge Zeit schon ist von afri­ka­ni­schen Eis­fi­schen zu erzäh­len, von Luft­rei­sen­den in rus­si­schen Waren­trans­port­flug­zeu­gen gegen den Nor­den zu, von all dem Elend erzäh­len, das sie bewir­ken, vom Hun­ger, von dem ich mit eige­nen Ohren hör­te, von Nil­barsch­fi­lets, vom rasen-höl­zer­nen Fleisch auf kost­ba­ren Tel­lern euro­päi­scher Sand­ma­nu­fak­tu­ren. stop. Wie erzäh­len? stop. Wem erzäh­len? stop. Bald wie­der Däm­me­rung. stop. Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. — stop

ping

///

regenzeit

pic

oli­mam­bo : 0.02 — Ange­neh­me Müdig­keit, warm und leicht, eine Ver­su­chung, sagen wir, sofort die Augen zu schlie­ßen und nach­zu­se­hen, was das Nacht­leuch­ten im Kopf mit mir viel­leicht bald unter­neh­men wird. — Selt­sam, wie es ist. — Vor weni­gen Stun­den noch über das Geräusch des Regens nach­ge­dacht. Nicht ein­fach nur so über das gewöhn­li­che Geräusch vom Him­mel kom­men­den Was­sers, son­dern über ein Regen­ge­räusch, das bis in die Träu­me eines Schla­fen­den reicht, sodass er wach wird vom Regen, den er träum­te und doch nicht träum­te. ping ping ping. Wie er sich auf­setzt, wie er durch ein dunk­les Zim­mer tas­tet, wie er auf einem Bal­kon steht und wie ihm der Regen aufs Gesicht fällt. stop. Ein Uhr zwei­und­zwan­zig auf hoher See vor Lam­pe­du­sa. — stop

ping

///

to mr. melville : callas box

pic

pro­pel­ler

~ : louis
to : Mr. melville
sub­ject : CALLAS BOX

Lie­ber Mr. Mel­ville, Hotel Echo Lima Lima Oscar! Wie geht es Ihnen? Ich hat­te, wäh­rend ich in den ver­gan­ge­nen Wochen an einer Wal­ge­schich­te arbei­te­te, immer wie­der ein­mal an Sie gedacht, an Ihren wei­ßen Wal Moby Dick in Wor­ten und an sei­nen Schat­ten in der Wirk­lich­keit, an Mocha Dick. Wie sehr ich mir doch wün­sche, Sie wür­den bald ein­mal zu mei­nen Walen Kon­takt auf­neh­men und mir dann rasch eine Nach­richt über­mit­teln, ob mei­ne spe­zi­el­len Freun­de wohl auch Ihnen Furcht ein­flös­sen könn­ten. Viel­leicht wer­den Sie, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, etwas Zeit fin­den und lesen. Ist Ihnen bekannt, dass die Gesän­ge der Buckel­wa­le über Struk­tu­ren ver­fü­gen sol­len, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist? Stun­den habe ich dem­zu­fol­ge damit zuge­bracht, nach Bot­schaf­ten zu suchen, nach Geräu­schen, die mir etwas sagen, die mei­nem Gehirn Ent­de­ckung, ja Nach­richt sein könn­ten. Ich bin bis­her nicht sehr weit gekom­men, das ist rich­tig, aber ich wer­de nicht nach­las­sen, ich wer­de so lan­ge den Gesän­gen der Wale lau­schen, bis mir ver­ständ­lich sein wird, was sie da sin­gen oder spre­chen. Mei­nen Namen loooouuuiiiiii mei­ne ich jeden­falls schon auf­ge­spürt zu haben. Das ist ein Anfang und ich bin zuver­sicht­lich in den kom­men­den Wochen gut vor­an­zu­kom­men. Was, mein lie­ber Mr. Mel­ville, ist unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che zu ver­ste­hen? – Ahoi! Ihr Louis.

ping

///

pupille

pic

oli­mam­bo : 8.00 — Ana­to­mi­sche Wör­ter des Abends: Regen­bo­gen­haut Aequa­tor Kam­mer­was­ser. Dann Mor­gen­spa­zier­gang. Eine Grup­pe Eich­hörn­chen jagt um 6 Uhr Stra­ßen­bahn­ge­lei­se auf und ab. Dicht kom­men sie her­an, sind ohne jede Scheu, als ob ich eine ver­trau­te Erschei­nung wäre oder unsicht­bar. — stop

ping

///

atolle

pic

oli­mam­bo : 8.10 — Ein Gedan­ke zunächst, dann ein Wort, ein ers­tes Wort, ein Satz, ein ers­ter Satz. Dort her­um wach­sen wei­te­re Gedan­ken, lang­sa­me Tage des Sam­melns, lang­sa­me Näch­te des War­tens, Land ent­steht, Land, auf dem sich’s leben und erzäh­len lässt. Zei­chen für Zei­chen, das Wach­sen eines Koral­len­mun­des. — stop

ping

///

schneegeräusch

pic

oli­mam­bo : 8.08 — Wie­der weit ins Welt­all leuch­ten. – stop – Schnee­licht. – stop — Nach­mit­tags. – stop — Der Schnee knurrt, knus­tert, gurpt, lurpt, gurrt, gnurzt, murrt, drumbt unter den Schu­hen. – stop — Nachts. – stop — Der Schnee girrt, lirpt, knirrt, knirzt, knit­tert, knat­tert, knis­tert unter den Schu­hen. stop. dschi­bon — stop

ping



ping

ping