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stehschläfer

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sier­ra : 2.24 — Steh­schlä­fer, wie man viel­leicht mei­nen möch­te, sind kei­ne Vögel, Fla­min­gos, sagen wir, nein, Steh­schlä­fer sind Men­schen, Men­schen näm­lich, die sich genau so ver­hal­ten, wie das Wort, das sie bezeich­net, sie schla­fen im Ste­hen. Das ganz Beson­de­re, das Selt­sa­me ist, dass die­se Art der Steh­schlä­fer in mei­nem Leben bis­her nicht vor­ge­kom­men ist, noch vor einer hal­ben Stun­de hat­te ich nicht die lei­ses­te Ahnung ihrer Exis­tenz, aber dann war da plötz­lich die­ses Wort Steh­schlä­fer in mei­nem Kopf, in dem ich nach Mit­ter­nacht durch die Hal­len des Flug­ha­fens wan­der­te, müde vom Lesen, müde auch vom Den­ken. Die­ser Frie­den, der hier zu fin­den ist, die Ruhe der Lie­gen­den, der Sit­zen­den, bald wer­den sie davon­flie­gen nach Über­see viel­leicht, oder nach Mos­kau, wo man ster­ben kann in den Spu­ren eines merk­wür­dig ver­steck­ten Krie­ges, der von Zeit zu Zeit Men­schen­le­ben zer­stö­ren­de Fun­ken nord­wärts schleu­dert. Dort, in die­sem Frie­den einer Flug­ha­fen­hal­le bei Nacht, muss jemand im Ste­hen geschla­fen haben. Ich habe ihn viel­leicht aus den Augen­win­keln her­aus wahr­ge­nom­men, eine nicht bewuss­te Sekun­den­be­trach­tung, die genüg­te, das Wort Steh­schlä­fer her­vor­zu­ru­fen. Oder ich habe das Wort Steh­schlä­fer gedacht, und kurz dar­auf einen Mann gese­hen, der nie­mals exis­tier­te. — stop 

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auf einmal

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apha : 15.18 — Letz­te Bil­der, ich stell­te mir vor letz­te Bil­der eines Lebens­films, Bil­der ohne dies­seits noch sprech­ba­re Gedan­ken. Eine Flie­ge an einer Hos­pi­tal­de­cke viel­leicht, die Iris eines Gelieb­ten, schon von Trau­er durch­kam­mert. Zwie­licht. Oder doch nur ein Geräusch. Weder hell, noch dun­kel. Eine Tür, die sich öff­net. Ein Atem­zug­wind. Flüs­tern. Schnee. 

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tapetum cellulosum lucidum /// IED EXPLOSION IN BAGHDAD (ZONE X) 2004-01-14 18:40:00 ///

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sier­ra : 22.01 — Knis­tern­de Käl­te. Dom­pfaf­fen, Rot­kehl­chen, Grün­fin­ken hän­gen, zwit­schern­de Trau­ben, an Fut­ter­bäl­len im Gar­ten über Schnee. Ich hat­te, in dem ich sie beob­ach­te­te, die Idee, dass mir bald ein­mal reflek­tie­ren­de Zell­schich­ten in den Augen­höh­len wach­sen könn­ten, tape­tum cel­lu­lo­sum luci­dum, hin­ter den Glas­kör­pern hin­ter den Pupil­len, Kat­zen­au­gen­häu­te, nicht von der Beob­ach­tung der Natur da drau­ßen im Gar­ten, son­dern vom Lesen der Wiki­leaks – Irak — Pro­to­kol­le : IED EXPLOSION IN BAGHDAD (ZONE X) 2004-01-14 18:40:00 — IP X REPORTED THAT A GREY X EXPLODED IN A RESIDENTIAL AREA. IPS AND X ELEMENTS WENT TO THE SITE AND FOUND THE EXPLODED CAR. X BROTHERS AND THEIR X CLAIMED THAT SOMEONE ELSE MUST HAVE PUT THE EXPLOSIVES IN THEIR CAR. IZ EOD BELIEVES AN IED WENT OFF PREMATURELY. — UPDATE: DETAINED THE X BROTHERS AND HAVE COORDINATED TO HAVE THE BOMB DOGS GO TO THE HOUSE LATER TODAY. IED TRACKING NUMBER IS X. stop. stop. 390136 Doku­men­te. stop. Neh­men wir ein­mal an, ich ver­such­te Tag für Tag 100 die­ser Tex­te zu lesen und nach­zu­füh­len, was sie bedeu­ten könn­ten, Par­tic­les, die von Bom­ben­an­schlä­gen, Scharf­schüt­zen, Ent­haup­tun­gen, Feu­er­ge­fech­ten, Ent­füh­run­gen berich­ten, dann wür­de ich län­ge­re als zehn Jah­re Zeit in die­ser Arbeit ver­brin­gen. Inwie­fern wür­de sich bald die Gestalt mei­nes Gehir­n­es ver­än­dert haben, mei­ne Spra­che, wel­cher­art wären die Geschich­ten, die ich noch erzählte?
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sekundenromane : nachts

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alpha

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : SEKUNDENROMANE : NACHTS

Für Stun­den wie­der ver­sucht, zwei Buch­sta­ben zur sel­ben Zeit auf elek­tri­scher Schreib­ma­schi­ne zu notie­ren, immer ist ein Zei­chen um Bruch­tei­le von Sekun­den schnel­ler als das ande­re Zei­chen auf dem Bild­schirm sicht­bar gewor­den, nie­mals lie­gen sie über­ein­an­der. — Guten Abend Ihr Zwei! Wenn Euch die­se Nach­richt errei­chen wird, habe ich drei oder vier Tage bereits wei­ter­ge­lebt, das hof­fe ich jeden­falls, bin glück­lich mit sehr wesent­li­chen Fra­gen beschäf­tigt, die mei­ne Wahr­neh­mung der Zeit betref­fen oder die Wahr­neh­mung einer mensch­li­chen Stim­me im Schlaf, genau­er, die Stim­me eines schla­fen­den Men­schen, in dem sie hör­bar wird in den Ohren eines wachen­den Men­schen für Sekun­den, Wort­ge­räu­sche, wel­che sehr viel mehr als nur ein Wort in sich ber­gen, eine gan­ze Geschich­te viel­leicht in jedem die­ser Lau­te, wie sie zärt­lich aus nächs­ter Nähe zu mir durch den dunk­len Raum geflo­gen kom­men, unver­gess­lich und doch nicht wie­der­hol­bar, das Zir­pen schnells­ter Erzäh­lung, Roma­ne in Sekun­den­zeit, dann wie­der Atem­zü­ge, Mel­dun­gen des Lebens. >

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

> Ich hat­te eine selt­sa­me Idee, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, ich über­leg­te, in dem ich nacht­wärts mit mei­ner Stirn an einem sanft­war­men, an einem träu­men­den Rücken leh­nend lausch­te, ob ich nicht einen die­ser beson­de­ren Lau­te auf­zeich­nen und an Euch über­mit­teln könn­te, dort­hin wo man viel­leicht zu spie­len ver­mag mit der Geschwin­dig­keit der Zeit, wie sie sich bewegt, so dass Ihr mir bald ein­mal erzäh­len könn­tet, wovon gespro­chen wur­de in die­ser einen oder ande­ren Sekun­de, an die sich die Schla­fen­de, nach­dem sie erwach­te, nicht erin­nern konn­te. Und so habe ich eine klei­ne Samm­lung der Wort­ge­räusch­ro­ma­ne für Euch auf­ge­zeich­net. Ich bit­te Euch herz­lich, sie lang­sa­mer, sie les­bar zu machen für mich. Anbei, wie ver­spro­chen, eine Minu­te gefilm­ter Zeit vom Lau­fen über den East River von Brook­lyn aus nach Man­hat­tan. Euer Lou­is, cucur­ru­cu, wünscht eine gute Nacht!

gesen­det am
14.01.2011
22.08 MEZ
1785 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

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silence

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romeo : 22.58 — Da waren ein­mal mei­ne klei­nen Augen und mei­ne klei­nen Füße, eine klei­ne Nase, ein klei­ner Mund. Von Zeit zu Zeit, wenn ich aus­ru­he, wenn ich auf einem Stuhl sit­ze ohne einen Gedan­ken, der auf­ge­schrie­ben wer­den müss­te, betrach­te ich mei­ne Hän­de. Mei­ne lin­ke Hand ruht dann an der Innen­sei­te mei­ner rech­ten Hand. Sie schei­nen sich zu ken­nen. Ich ver­mag mei­ne Hän­de zu betrach­ten, als wären sie nicht mei­ne Hän­de, son­dern die Hän­de einer ande­ren Per­son. Wie wür­de ich heu­te gestal­tet sein, wenn ich eines Tages nicht auf­ge­hört haben wür­de zu wach­sen? — stop

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gehen und sitzen

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nord­pol : 22.15 — Habe schon viel nach­ge­dacht und viel ver­ges­sen wäh­rend ich ging. Sobald ich spa­zie­re, kom­men Gedan­ken schein­bar aus der Luft. Wenn ich dann sit­ze auf einem Stuhl vor mei­ner Schreib­ma­schi­ne, sprin­gen Gedan­ken aus den Hän­den, als ob jeder Fin­ger über ein klei­nes Gehirn für sich ver­füg­te. — stop
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