charlie : 4.12 — Einmal, im Jahr 2013, hatte ich einen Text geschrieben, den ich nur deshalb notierte, um ihn mittels eines Verschlüsselungsprogramms in einen Zustand der Unlesbarkeit zu versetzen. Genaugenommen hatte ich den Text mit einer besonderen Haut, mit einer Zeithaut umgeben. Um ihn nämlich lesen zu können, müsste man den Text zunächst decodieren, das heißt, solange mittels einer Computermaschine seine Öffnung probieren, bis der richtige Schlüssel gefunden ist. Gestern, bei großer Hitze, stellte ich mir vor, was geschehen würde, wenn nun nach Tagen, Wochen oder Jahren des Rechnens das suchende Programm melden würde: Ich bin fündig geworden! Wie ein menschlicher Analyst sich in diesem Moment zufrieden seinem Bildschirm nähert, um festzustellen, dass sich hinter den Zeichen eines verschlüsselten Textes weitere verschlüsselte Zeichen befinden. stop — Auf den ersten Blick ist folgendem kodierten Text nicht anzusehen, hinter wie vielen Zeithäuten sein lesbarer Ursprung verborgen liegen könnte: ANFANG === B U C W 0 G c o a G j I B W W f k p h Z L v 0 h 4 Y J j 9 4 4 t m c e K C l x B M b L 4 q T d x Y I w B U v V 3 E b p b X y A z Y B e R 5 C a 9 n b s E B p U I 6 z q 3 Z C 6 a Q A R Q 1 a 8 P I N 1 j T L B b V 9 e O F 0 j 5 G s F f y 5 E M D 3 5 a r / C G 0 j V z 4 v n e u M z p T K W Y t 4 D m s J t e / F E C Y C a j 3 Z L Z / h l x G M W I 4 7 v 8 / B I g H c E / Q 2 F 9 G s W Z i z Q K 0 7 k t O W 7 8 k S k A t q u J Z 5 2 F A u n a J 6 C G B u A 7 R o C u P p D n C m 8 F 7 9 F E e m H / T T 3 K x z S 7 r 3 i 0 y 4 g M Z u m G m x i A q 4 l z d A x i o P m 0 O I b x M i T I x P w X j 5 A I i 1 z c e + T W i i x A + 6 A h k p q h o n a D e M / y s A l y W r i p 4 s Z m m / q X y n 2 o P H R q z g U i + T s H B c z + J v K 3 A a d v j Z F L 9 i R M s C f m W y U d 6S 4 4 O f z l 8 x P z H B W z 1 H 2 6 z Z o z F s C U U D Y v k +Y N F 0 f U t A y k a Y 7 E L j / u N X s s q 1 K 1 V z A C i z K Z Y 7 F N J C q y t x s Q c b W r C 3 k 4 i f V 1 l K u g f b N i P t y O 8 1 7 e l u y x d r o i d 5 d X 3 E D g O V s X i T e e 5 Q q i 0 U 6 E o 3 G 5 y r 2 9 a f a w X M a U U r Q V d b i U A V 8 F e y 4 m k e W b 9 e u b 1 i S W F g m K y 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 V q b N W c v i 3 6 j L h / u O I j K 8 L s t Y B s 9 F 4 l l c Q A h B J s Q h U 6 i b R U 5 B 4 f g 3 f j r 2 C I i k c M q R U C 4 4 F E u o Y i R w A r D x H W u 2 2 P w 9 d 8 f A 1 f A r 3 5 D l V 3 B G p / J m h b h 8 w F n 7 p v x g x z 9 i b / S h F t K M v 6 l 6 W L A 5 r 7 U F R S O k l C f 0 L H B a J h n V y w Q 0 e Y k 9 w 9 y / Z M 4 Y m F W O T m x 4 s s A W 5 w X 2 N z L g 3 + 9 + d x L 7 T 8 U + A Y C U L b T M J y l M + H Q y S F 7 S T D I / 8 O 6 4 K F 0 4 d 7 g v I === ENDE / codewort : babuschka — stop. Sechs Jahre sind seither vergangen. Heute nun erhielt ich Meldung eines Algorithmus, der den Namen “Leporello N=8” trägt, ein Algorithmus evolutionärer Klasse. Er hatte meinen Text untersucht. Es ist berührend zu sehen, wie Leporello N=8 aus vorliegenden Zeichenketten einer Verschlüsselung, versuchte Wörter zu bilden. Eine gewisse Verzweiflung ist zu bemerken oder unbedingter Wille zu einem Ergebnis zu kommen. Lesen Sie selbst: ANFANG === BUCW 0 GcoaGjIBWWfkphZLv 0 h 4 YJj 9 4 4 tmceKClxBMbL 4 qTdxYIwBUvV 3 EbpbXyAzYBeR 5 Ca 9 nbsEBpUI 6 zq 3 ZC 6 aQARQ 1 a 8 PIN 1 jTLBbV 9 eOF 0 j 5 GsFfy 5 EMD 3 5 ar / CG 0 jVz 4 vneuMzpTKWYt 4 DmsJte / FECYCaj 3 ZLZ / hlxGMWI 4 7 v 8 / BIgHcE / Q 2 F 9 GsWZizQK 0 7 ktOW 7 8 kSkAtquJZ 5 2 FAunaJ 6 CGBuA 7 RoCuPpDnCm 8 F 7 9 FEemH / TT 3 KxzS 7 r 3 i 0 y 4 gMZumGmxiAq 4 lzdAxioPm 0 OIbxMiTIxPwXj 5 AIi 1 zce + TWiixA + 6 AhkpqhonaDeM / ysAlyWrip 4 sZmm / qXyn 2 oPHRqzgUi + TsHBcz + JvK 3 AadvjZFL 9 iRMsCfmWyUd 6S 4 4 Ofzl 8 xPzHBWz 1 H 2 6 zZozFsCUUDYvk +YNF 0 fUtAykaY 7 ELj / uNXssq 1 K 1 VzACizKZY 7 FNJCqytxsQcbWrC 3 k 4 ifV 1 lKugfbNiPtyO 8 1 7 eluyxdroid 5 dX 3 EDgOVsXiTee 5 Qqi 0 U 6 Eo 3 G 5 yr 2 9 afawXMaUUrQVdbiUAV 8 Fey 4 mkeWb 9 eub 1 iSWFgmKy 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 VqbNWcvi 3 6 jLh / uOIjK 8 LstYBs 9 F 4 llcQAhBJsQhU 6 ibRU 5 B 4 fg 3 fjr 2 CIikcMqRUC 4 4 FEuoYiRwArDxHWu 2 2 Pw 9 d 8 fA 1 fAr 3 5 DlV 3 BGp / Jmhbh 8 wFn 7 pvxgxz 9 ib / ShFtKMv 6 l 6 WLA 5 r 7 UFRSOklCf 0 LHBaJhnVywQ 0 eYk 9 w 9 y / ZM 4 YmFWOTmx 4 ssAW 5 wX 2 NzLg 3 + 9 + dxL 7 T 8 U + AYCULbTMJylM + HQySF 7 STDI / 8 O 6 4 KF 0 4 d 7 gvI === ENDE / codewort : babuschka — stop
Aus der Wörtersammlung: viele
im park
nordpol : 0.18 UTC — Es war ein warmer Regentag, den ich unter dem Schirm spazierend im Palmengarten verbrachte. Ich ging Stunde um Stunde im Kreis, mit einem wunderbaren Gefühl dahin, etwas Neues zu erleben. Der Schirm nämlich war ein besonderer Regenschirm, ich trug ihn zur Probe, es war ein Schirm, der über eine weitere feine Haut verfügte, die das eigentliche schützende Gewebe wie eine zweite Haut bespannte. Diese Haut war nun in der Lage, die Zahl der Tropfen, die auf die Oberfläche des Schirmes trafen, zu zählen, indessen winzige Kameraaugen die Bewegungen meines Körpers beobachteten, der sich exakt wie der Körper eines Spaziergängers verhielt. Sie saßen in der Krone des Regenschirms fest, und ich denke, es entging ihnen nichts, sodass ein quantenmechanischer Algorithmus in Bruchteilen von Sekunden zu entscheiden vermochte, wie viele Regentropfen meinen spazierenden Körper getroffen hätten, wenn ich nicht beschirmt unterwegs gewesen wäre. Gegen acht Uhr abends hörte es auf zu regnen und ich ging nach Hause, um in der digitalen Sphäre nach Algorithmen des Sortierens zu suchen. Folgende Bezeichnungen wurden sofort gefunden: binary tree sort, bogosort, bubblesort, bucketsort, combsort, countingsort, gnomesort, heapsort, hybridsort, insertionsort, introsort, merge insertion, mergesort, quicksort, radixsort, selectionsort, shakersort, shellsort, slowsort, smoothsort, stoogesort, swap-sort, timsort. Nichts weiter. — stop
time
india : 3.18 UTC – Und wieder könnte ich das Wort Regen schreiben. stop. Wie viel Zeit vergeht, ehe ich das Wort Regen zu Ende geschrieben haben werde? stop. Einhundert Regenzeiten. stop. Wie viele Regenzeiten machen einen Tag? — stop
ai : USA
MENSCH IN GEFAHR: „Die Festnahme von Scott Warren erfolgte nur Stunden nach der Veröffentlichung eines Berichts, der die vorsätzliche Vernichtung humanitärer Hilfsgüter im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko durch die Grenzbehörden dokumentiert. / Scott Warren leistet als Freiwilliger für die humanitäre Organisation No More Deaths lebenswichtige humanitäre Hilfe, um das Recht auf Leben von Migrant_innen zu schützen und weitere Todesfälle von Migrant_innen und Asylsuchenden in der Sonora-Wüste zu verhindern. Menschenrechtsaktivist_innen aus Städten entlang der Grenze, die in Hilfsorganisationen, Glaubensgemeinschaften oder Aktivistengruppen organisiert sind, unterstützen Migrant_innen bereits seit vielen Jahren. / Straf‑, Zivil- und Verwaltungsgesetze sollten nicht dazu missbraucht werden, Menschenrechtsverteidiger_innen zu schikanieren, die sich für die Rechte von Migrant_innen, Asylsuchenden und Flüchtlingen oder anderen einsetzen, deren Leben gefährdet ist und denen Menschenrechtsverletzungen drohen. Regierungen sollten sicherstellen, dass Menschenrechts-verteidiger_innen und ihre Organisationen ihre Arbeit in einem sicheren und unterstützenden Umfeld ohne Angst vor Repressalien nachgehen können. / Die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe und von einfachsten Gesten der Unterstützung, bei denen nicht nach der Staatsangehörigkeit gefragt wird, ist ein Angriff auf die Menschenrechte.“ - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 30. Juni 2019 unter > ai : urgent action
ein millionstel gramm wort
echo : 16.25 UTC — Ich verfüge über eine weitere, über eine 5. Schreibmaschine. Das ist so, weil ich sie mir gekauft habe. Leicht ist sie und flach. Wenn meine neue Schreibmaschine in der Hitze der Tag- oder Abendluft atmet, um sich zu kühlen, ist von ihren Atemgeräuschen selbst dann, wenn ich ein Ohr an ihr Gehäuse lege, nichts zu hören. Ich könnte sie unter meinem Hemd verbergen, weil sie so flach ist, niemand würde sie bemerken. Einmal notierte ich: Wenn das so weiter geht mit dem Leichterwerden der Schreibmaschinen, werde ich bald Schreibwerke zur Verfügung haben, die von geringerer Schwere sind als die Papiere, die ich mit ihren Zeichen fülle. — Wie viel genau wiegt eigentlich dieses elektrische Wort, das gerade vor mir auf dem Bildschirm erscheint? S i e r r a. Wie viele Male wird das Wort S i e r r a heute oder morgen auf weiteren Bildschirmen aufgerufen werden, wie lange Zeit jeweils sichtbar sein? Es ist denkbar, dass das Wort S i e r r a , das in Europa vor wenigen Minuten verzeichnet wurde, schwerer wiegt, sobald es in Australien auf einem Bildschirm erscheint, als dasselbe Wort, wenn wir es in Europa lesen, 1 Millionstel Gramm schwerer, sagen wir, um 1 Millionstel Gramm Kohle schwerer und um den Bruchteil einer Sekunde. Samstag. — stop. 12° Celsius bei wolkenlosem Himmel. stop. Wer könnte nun beweisen, dass dieser Text nicht bereits von einer Maschine geschrieben wurde, die über künstliche Intelligenz verfügt? — stop / tags: machine learning . tensorflow . text mining . natural language processing . codepath . turing test.
3 Uhr 8
bamako : 3.10 — Wie viele Wörter meiner Muttersprache sind mir zu dieser Nachtstunde nicht bekannt? — stop
auf dem friedhof
bamako : 20.16 UTC – Es war im Traum ein Sommerabend, schon Dämmerung. Ich spazierte über einen vertrauten Friedhof. Vertraut der Friedhof darum, weil ich schon als Kind dort gewesen war. Auf dem Friedhof lagen viele Menschen in den Gräbern, die ich, das Kind, noch kannte, da waren sie sehr lebendig und mächtig, weil eben erwachsen gewesen. Nun waren sie tot und dringend auf Hilfe angewiesen. Im Traum waren plötzlich Lichter in der Luft, sie kamen vom Westen her angeflogen, verteilten sich über den Kronen der alten Bäume, um kurz darauf langsam abzusteigen. Ich saß im Traum am Grab meiner Eltern, beobachtete aus nächster Nähe, wie sich eine Drohne näherte. Über einem Plateau von Handtellergröße hielt sie inne. Die Drohne summte sehr schön. Bald öffnete sich ihr transparenter Leib, die Drohne setze behutsam mittels einer Greifhand von blitzendem Metall ein Teelicht ab. Kurz darauf schloss sich ihr Bauch und sie flog schnell davon, auch Hunderte weiterer Drohnen summten da und dort. Licht nun über und unter den Bäumen. — stop
4 uhr 15
nordpol : 4.15 — Noch immer: Jede der Schreibmaschinen, die ich besitze, jene in der Küche, jene im Arbeitszimmer, jene in meinem Rucksack, jene in meiner Hosentasche, könnte ein sensibles Hör- oder Sehrohr sein. Wie viele Hör- und Sehrohre existieren in dieser Stadt? Was präzise ist zu erkennen, was zu vernehmen? — stop
schlafende mutter
delta : 22.02 UTC — Wie viele Tage schon sitze ich an Deinem Bett, liebe schlafende Mutter, Stunde um Stunde. Immer wieder denke ich, wie schwer es doch ist, zu einem Menschen zu sprechen, der schläft. Ob Du mich hören kannst? Hör zu, ich werde Dir eine Geschichte vorlesen, die ich Dir schon einmal las vor über einem Jahr. Einen Winter und einen Frühling und einen Sommer lang warst Du aufgewacht, um nun wieder zu schlafen. Ich ahne, dass Du meine Stimme hören kannst, ich habe gelernt. Erinnerst Du Dich an meine Geschichte, die von Deinen Brillen erzählt: Es war noch dunkel im Haus. Ich hörte ein sirrendes Geräusch. Das Geräusch näherte sich, es kam über die Treppe abwärts heran. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine Deiner drei Brillen, liebe Mutter, die über zarte Rotoren verfügen, welche in der Lage sind, Brillenkonstruktionen durch die Luft zu bewegen, durch Räume oder den Garten. Deine Brille kam näher, durchquerte das Wohnzimmer, kreiste einmal um meinen Kopf, landete schließlich sanft auf dem Esstisch in der Nähe des Stuhles, auf dem Du, wie ich vergeblich hoffte, einmal wieder Platz nehmen würdest. Über drei Brillen verfügtest Du, liebe Mutter, und jede dieser Brillen konnte fliegen. Eine Brille stationierte im Dachgeschoss, eine weitere Brille im Erdgeschoss, die dritte Deiner Brillen, liebe Mutter, zu ebener Erde. Wie sie blinkten, Dioden in gelber Farbe, Zeichen, dass sie sich mittels unhörbarer Funksignale orientierten. Jetzt liegen sie auf dem Tischchen reglos neben Deinem Bett, als würden sie schlafen wie Du, liebe Mutter. – stop
am telefon
nordpol : 15.15 UTC — Merkwürdig: Im Notieren kommen Gedanken und Fragen wie Vogelschwärme heran, zunächst kommt ein Gedanke allein und setzt sich und wartet und schaut mich an. Dann kommt der nächste Gedanke, der schon zu zweit ist. — In der vergangenen Nacht träumte ich von mir selbst. Ich saß in einem Rollstuhl mit vielen weiteren alten Menschen in einem Saal groß wie der Wartesaal eines Metropolenbahnhofes. Immerzu wollte ich telefonieren, ein klingelndes Telefon war zwar sichtbar, aber nicht erreichbar. Ich hörte meine Stimme. Sie rief: Nun rufen Sie doch endlich Monsieur Proust an, haben Sie denn seine Nummer nicht! Eine junge, betörend schöne Frau beugte sich zu mir hinunter. Sie sagte: Louis, bitte, es ist jetzt wirklich genug, wir haben den Vormittag über versucht Herrn Proust zu erreichen, er nimmt den Hörer nicht ab. Aber der Balzac ruft andauernd an, wollen sie nicht endlich dran gehen! — Heut Regen, nasse Vögel überall. — stop