Aus der Wörtersammlung: gin

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italo calvino

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romeo : Viel­leicht kann ich, wenn ich an das Meer in den Stra­ßen Vene­digs den­ke, von Wel­len­be­we­gun­gen spre­chen, die einem sehr lang­sa­men Rhyth­mus fol­gen, von Halb­jah­res­wel­len, von Wel­len, die sich, sobald ich sie jen­seits ihrer eigent­li­chen Zeit betrach­te, wie Palom­ar’s Sekun­den­wel­len beneh­men. — Wann beginnt und wann genau endet eine Wel­le? Wie vie­le Wel­len kann ein Mensch ertra­gen, wie vie­le Wel­len von einer Wel­len­art, die Kno­chen und Häu­ser zer­trüm­mert? – Däm­me­rung. Stil­le. Nur das Geräusch der trop­fen­den Bäu­me. Eine Nacht voll Gewit­ter, glim­men­de Vögel irren am Him­mel, Nacht­vö­gel ohne Füße, Vogel­we­sen, die nie­mals lan­den. — stop

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tabucchi

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tan­go : 1.15 – Ret­te­te am See zur Zeit der Abend­däm­me­rung eine Rau­pe, die sich dem Netz einer Klam­mer­spin­ne näher­te. Leg­te das küh­le, wei­che Tier in mei­ne lin­ke Hand und zähl­te mit dem Zei­ge­fin­ger der ande­ren Hand sech­zehn sehr kur­ze Bei­ne. Las dann wei­ter in Tabuc­chis Buch klei­ner Miss­ver­ständ­nis­se. Sehr schö­ne ers­te Sät­ze gefun­den. Wie die Din­ge so lau­fen. Und was sie lenkt. Ein Nichts. Manch­mal beginnt es mit einem Nichts, mit einer Phra­se, die sich in die­ser, die sich in die­ser rie­si­gen Welt vol­ler Phra­sen, Din­ge und Gesich­ter ver­liert, in einer gro­ßen Stadt wie die­ser, mit ihren Plät­zen, der U‑Bahn, den Men­schen, die aus dem Büro has­ten, den Stra­ßen­bah­nen. — stop
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revolver

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india : 3.26 — Das Selt­sa­me an den Nacht­bü­chern ist, dass man sie nur nachts und nur unter frei­em Him­mel lesen kann. Ich war des­halb bis kurz nach Zwei im Pal­men­gar­ten am See und hör­te den Spin­nen zu beim Sei­len, und lausch­te Pan­thern bei lei­ser Fres­se­rei und ande­ren ange­neh­men Din­gen, die man so macht, wenn man bemerkt, dass man ein Pan­ther gewor­den ist in einer Vor­som­mer­nacht. Dann ging ich nach Hau­se und leg­te das Nacht­buch, das von einer Chi­ne­sin erzählt, die sich wun­dert, dass sie eine Chi­ne­sin ist, ins Regal zu ande­ren Nacht­bü­chern zurück. Sit­ze jetzt auf dem Sofa und die Fens­ter sind geöff­net und ein Fal­ter flat­tert in einem Lam­pion­ her­um und notie­re eine klei­ne wil­de Geschich­te. Die­se Geschich­te geht so: Irgend­wann, sagen wir im Som­mer, sagen wir mor­gens. Ein Spie­ler steht am Fens­ter. Er schaut in Rich­tung des gegen­über­lie­gen­den Hau­ses. Die Sicht ist gut. Kein Nebel. Kein Dunst. Ein oder zwei Vögel, Later­nen­hö­he, auf und ab. Jetzt rich­tet der Spie­ler den Revol­ver gegen die Schlä­fe. Alle Kam­mern der Waf­fe sind muni­tio­niert. Der Spie­ler war­tet ab. Glü­hen­der Kopf. Film zurück, mal bunt, mal nicht. Bril­lan­ter Strei­fen. Ver­lässt ein Mann das Haus, schießt sich der Spie­ler eine Kugel in den Kopf. Game over. Ende. Fin. Ver­lässt eine Frau das Haus, hat der Spie­ler einen Tag gewon­nen. Es ist dann ein Tag leich­ten Genie­ßens, ein Tag aber auch von Unru­he, sobald Abend gewor­den ist. Jetzt schläft der Spie­ler. Dann wacht der Spie­ler auf. Wie­der steht er am Fens­ter, wie­der ist frü­her Mor­gen und wie­der ist Som­mer. Die Maschi­ne lässt sich nicht anhal­ten, auch die Zeit nicht, — Revol­ver gegen Stirn. Ent­weicht dem Haus eine Kat­ze, wird eine Kugel ent­nom­men. Jede wei­te­re Kat­ze ent­nimmt der Revol­ver­trom­mel eine wei­te­re Kugel. Sechs Kat­zen bedeu­ten eine Frau. Frau­en und Kat­zen brin­gen Glück. Natür­lich lässt sich das unend­lich ver­fei­nern. Eine rote Kat­ze erzwingt eine zwei­te Auf­füh­rung noch an dem­sel­ben Mor­gen. Kommt ein Nas­horn aus dem Haus, hört der Spie­ler für immer auf zu spie­len. Ein Nas­horn mit drei Hör­nern und der Spie­ler wird Pries­ter. Wir sehen, die Bedin­gun­gen des Spie­lers ein Pries­ter zu wer­den, sind ein­deu­tig defi­niert. Kein Ent­kom­men. Kein Aus­weg. Ein Lieb­ha­ber kon­zen­trier­ten Lichts. Cine­ma Paradiso. 

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doppelhelix

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echo : 0.01 — Eine Foto­gra­fie, die James Wat­son und Fran­cis Crick vor ihrem Modell einer DNA-Dop­pel­he­lix zeigt. Der Ein­druck, Wat­son wür­de einen an der Zim­mer­de­cke lun­gern­den Trom­pe­ten­kä­fer betrach­ten, des­sen Gat­tung zum Zeit­punkt der Auf­nah­me sich bereits abzu­zeich­nen beginnt.

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Viel­leicht soll­te ich sagen, dass Trom­pe­ten­kä­fer rein pneu­ma­ti­sche Arbei­ter sind, wäh­rend Posau­nen­kä­fer sowohl pneu­ma­ti­sche als auch mecha­ni­sche Ver­fah­ren der Ton­erzeu­gung in sich ver­ei­ni­gen. Drum­mer knal­len elek­trisch. Bas­sis­ten ver­fü­gen über einen Kör­per von unge­wöhn­li­cher Län­ge, über ein Gehäu­se, wel­ches von feins­ten Lamel­len­kno­chen aus­ge­bil­det sein wird. Gera­de die­se wohl­klin­gen­den Wesen wer­den eines Tages mit Zigar­ren leicht zu ver­wech­seln sein. Das Erstaun­li­che an musi­zie­ren­den Käfer­we­sen ist, dass sie den Musi­ker sowohl als auch ein Instru­ment, das von Men­schen erfun­den wur­de, mit sich füh­ren, dass sie also sym­bio­ti­sche Wesen sind. — stop
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amplitude

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tan­go : 18.15 — Ver­gan­ge­ne Nacht sechs Stun­den Schlaf auf­ge­zeich­net. Selt­sa­me Span­nung, wäh­rend ich die Datei in das Ton­be­ar­bei­tungs­pro­gramm lade, um nach Aus­schlä­gen zu suchen. Zunächst das Hupen eines Auto­mo­bils, eine hef­ti­ge Ampli­tu­de. Nach einer wei­te­ren Stun­de der Abdruck einer Feu­er­wehr­si­re­ne. Kurz dar­auf das Rascheln der Bett­de­cke. Gegen 3 Uhr das Geräusch einer Tür. Kann mich nicht erin­nern, spa­ziert zu sein. — stop
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sandor marai

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sier­ra : 10.14 — Lan­ge Zeit der Ein­druck, dass in mei­nem Leben nur weit ent­fern­te Wesen ster­ben, Wesen bei­spiels­wei­se, die Madras bewoh­nen, Wesen ohne Nie­ren. Dann, von einem Tag zum ande­ren, endet mei­ne Kind­heit. Erin­ner­te mich an eine Notiz des 84-jäh­ri­gen unga­ri­schen Dich­ters San­dor Marai. “In der Nacht urplötz­lich die Gewiss­heit, dass ich sterb­lich bin — nicht die Mög­lich­keit, son­dern die Tat­sa­che. Es war nicht beängs­ti­gend. — Und eini­ge Tage spä­ter, am 31. Okto­ber des­sel­ben Jah­res: Das Ster­ben beginnt damit, dass man es nicht mehr für unmög­lich hält zu ster­ben. 84 Jah­re lang habe ich es nie­mals für mög­lich gehal­ten, und ich hat­te recht.” – Elf Uhr fünf­und­zwan­zig in Suni, West­dar­fur. — stop
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zoulou

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sier­ra : 2.05 — Eine ange­neh­me Nacht mit Ben­ny Good­man und sei­nem Orches­ter 1938 in der Car­ne­gie Hall. | stop | I play light­ly, soft­ly sin­ging. | stop | Regen. | stop | Nas­se Flie­gen, nas­se Fal­ter. | stop | Habe in mei­ner Küche vor dem Ofen Platz genom­men und eine Ente und die Hit­ze betrach­tet und über die Zeit nach­ge­dacht, über die hohe Geschwin­dig­keit, in der ich arbei­te. Eine neue Geschich­te begin­nen, eine sehr lang­sam erzähl­te Geschich­te, jeden Tag ein Zei­chen. Ich begin­ne mit dem Zei­chen : z – zou­lou

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karpfenzungen

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18.15 — Ich hör­te, eine U‑Bahn-Linie soll ein­mal vor lan­ger Zeit Euro­pa mit dem nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent ver­bun­den haben. Sie folg­te dem 55. Brei­ten­grad unter atlan­ti­schen Gestei­nen, nahe Bryant Park, Man­hat­tan, stieg man zu. Dann fuhr man los. Man fuhr zwei Tage und drei Näch­te, Zeit, viel Zeit, Geschich­ten zu erzäh­len. Wenn Nacht gewor­den war unter dem Mee­res­bo­den, schlief man auf Hän­ge­mat­ten gebet­tet tief und fest, war wie­der Tag gewor­den, saß man plau­dernd vor den Fens­tern zu den Stei­nen. Am letz­ten Abend der Rei­se end­lich wur­de getanzt bis spät in die Nacht. Schon mit­tel­eu­ro­päi­scher Zeit, ser­vier­te man über offe­nen Feu­ern gebra­te­ne Täub­chen. Die waren prall gefüllt mit Karp­fen­zun­gen. Dann war’s fünf und Mor­gen über Buda­pest. Metro Vörös­mar­ty tér stieg man aus und jeder ging sei­ner Wege. – Zwei Uhr fünf­und­zwan­zig in Lha­sa, Tibet. — stop

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lowrysteine

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3.15 — Bei fei­ner Col­tra­ne­mu­sik Notiz­par­tic­les für Lowrysto­ry über­tra­gen. Sagen wir : Atlan­tik : Damp­fer : Kof­fer : Black­out : Ellis Island : Trom­pe­te : Mexi­ko : Höl­len­stein : Gin : Satel­lit : Vul­kan : Bel­le­vue : Wal­fisch­vo­gel : Mel­ville : Bat­tery Park : : lunar cau­st­ic. — Um nicht ein­zu­schla­fen, ver­brin­ge ich die­se Nacht auf einem sehr har­ten, höl­zer­nen Gar­ten­stuhl. 70 Meter tief unter der Was­ser­ober­flä­che, 2000 m hoch über dem Mee­res­bo­den. | stop | Licht­blit­ze einer Medu­se. | stop | Schla­fen­de Wale. | stop | Senk­recht schwe­ben­de Tür­me. | stop | Ein Gra­nat­barsch, der sich um mein lin­kes Ohr bemüht. | stop | Salz im Mund. | stop | Suche nach neu­en Pseud­ony­men. — Elf Uhr fünf­und­zwan­zig in Lha­sa, Tibet. — stop

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trompetenkäfer

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~ : louis
to : Mr. eliot
sub­ject : TROMPETENKÄFER

Lie­ber Eli­ot, bei uns ist jetzt schon Diens­tag. Ges­tern, also am Mon­tag noch, war ich spa­zie­ren im schöns­ten Gar­ten der Stadt. Stür­mi­sche Luft, alles ging ver­kehrt her­um, es reg­ne­te aus dem Boden, die Son­ne war auch irgend­wo da unten und ich konn­te nicht notie­ren, weil mir mein Notiz­buch davon geflo­gen war. Ich habe Dir des­halb nicht viel zu berich­ten, weil ich ohne mein Notiz­buch nicht anfan­ge zu den­ken. An den letz­ten Gedan­ken, den ich in mein Notiz­buch notier­te, ehe es an den Wind ver­lo­ren ging, kann ich mich gera­de noch erin­nern. Das also sollst Du wis­sen, ich habe ent­deckt, dass ich, sobald ich einen Trom­pe­ten­kä­fer zu ent­wer­fen wün­sche, über die Lun­ge die­ses Wesens, genau­er über sei­ne Luft­pum­pe und ihre Posi­ti­on in den Zusam­men­hän­gen eines Käfer­kör­pers nach­zu­den­ken habe, ande­rer­seits, aus vor­wie­gend phy­si­ka­li­schen Grün­den, über die Füße des Käfers, die der­art zu kon­zi­pie­ren sind, dass der Käfer, sobald er einen Trom­pe­ten­ton zu erzeu­gen wünscht, in der Lage sein wird, sich zunächst fest auf dem Boden, einem Blü­ten­blatt oder einem mensch­li­chen Fin­ger zu ver­an­kern, um dem Rück­stoß, den wir sehr sicher erwar­ten dür­fen, Wider­stand ent­ge­gen­set­zen zu kön­nen. Zu wei­te­ren Gedan­ken, lie­ber Eli­ot, war ich ges­tern nicht in der Lage. Bald wird der Sturm auch zu Euch her­über­ge­kom­men sein. Die­se E‑Mail ist schnel­ler als der Wind. Dein Louis

gesen­det am
11.03.2008
22.56 MEZ
1068 Zeichen

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