Aus der Wörtersammlung: sonne

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blattlicht

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lima : 0.01 — Und schon ist wie­der März gewor­den. War­me Luft pfeift übers Dach, und Blät­ter, Blät­ter von Son­nen­licht, sie schau­keln vor dem Fens­ter. So fein sind sie gewirkt, dass nichts sie zu berüh­ren ver­mag als mei­ne Gedan­ken. Höchs­te Zeit von kleins­ten Wesen zu erzäh­len, wie man sie fin­det, da sie doch unsicht­bar sind, und wie man mit ihnen spre­chen oder rei­sen oder gemein­sam war­ten könn­te, sobald man ihnen begeg­net sein wird. — Papie­re­ne Her­zen. — stop
ping

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auf dem viktualienmarkt

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oli­mam­bo : 2.10 — Ein Eich­hörn­chen am Nach­mit­tag, wie es durch den war­men Schnee springt. Immer wie­der hält das Tier­chen an, dreht sich nach mir um, betrach­tet mich, als ob es mei­ne Gedan­ken ahnen wür­de. Ein­mal sage ich lei­se zu ihm hin: Fürch­te Dich nicht! Ich jage nur mit dem Kopf. – Das war auf dem Mün­che­ner Vik­tua­li­en­markt gewe­sen vor weni­gen Stun­den. Die Tage nun län­ger, bald wird Früh­ling und Men­schen und das Bier und der Kaf­fee wer­den in Strö­men flie­ßen. Wie­der, wie so oft schon, wenn ich von Bude zu Bude lau­fe und mei­ne Nase in den Gewürz­wind ste­cke, schau ich nach dem Ach­tern­busch, Her­bert. Würd’ gern ein­mal ein paar Wor­te mit ihm wech­seln. Ges­tern war von ihm nichts zu sehen gewe­sen, wes­halb ich ganz ein­fach an ihn gedacht habe, an eine Film­se­quenz, deren Besich­ti­gung mich um ein Haar das Leben gekos­tet hät­te. Her­bert Ach­tern­busch in einem Tier­haus des zoo­lo­gi­schen Gar­tens Hel­la­brunn. Er steht unter einem Faul­tier, das unbe­weg­lich, und zwar sehr lan­ge Zeit, an einem Ast hängt. Der Dich­ter bewun­dert die Klau­en des Tie­res und auch die Natur, was sie so macht. Kurz zwin­kert das Faul­tier mit den Augen. Und Ach­tern­busch ruft: Ja, da schau her, du bist ja ein Schein­schlaf­tier! – Guten Mor­gen, gute Nacht! — stop

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perugia

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bamako : 0.02 — Ges­tern Nach­mit­tag, bei gro­ßer Hit­ze auf einer Wie­se lie­gend, fünf Zitro­nen­fal­ter beob­ach­tet, die sich höchst merk­wür­dig benah­men. Sie wir­bel­ten nicht, wie üblich, spie­lend und wer­bend umein­an­der her­um, ein Fal­ter viel­mehr flog unter dem ande­ren Fal­ter dahin, als ob sie ein­an­der Schat­ten spen­den woll­ten, eine Flug­schu­le, sagen wir, kunst­voll in die­ser Art und Wei­se. Einen Moment dach­te ich, dass die Son­ne mög­li­cher­wei­se mein Gehirn so weit erwärmt haben könn­te, dass es die Wirk­lich­keit vor mei­nen Augen gestal­te­te, wie es ihm gera­de pass­te. Aber ich hat­te doch einen Hut auf dem Kopf und ich erin­ner­te mich rasch an eine Mel­dung, Segel­fal­ter der Gat­tung Iphicli­des poda­li­ri­us 5 hät­ten sich in einem zen­tra­len Park der Stadt Peru­gia in ähn­li­cher Wei­se ver­hal­ten, und zwar im Herbst, noch nicht lang her. — Wer­de an die­sem Sonn­tag früh mit küh­lem Kopf von der Nacht in den Gar­ten mei­ner Beob­ach­tung zurück­keh­ren und nach­se­hen, ob wir bei Ver­stand geblie­ben sind.
lizzard

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taube

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nord­pol : 0.08 — Kürz­lich im Traum im Park ein Gespräch mit einer Tau­be, geräusch­los war sie auf mei­ner lin­ken Schul­ter gelan­det. Ich erkun­dig­te mich, wes­halb sie und alle ihre Tau­ben­freun­de so tief, so dicht über den Boden flie­gen wür­den an die­sem schö­nen Som­mer­tag. Die Tau­be ant­wor­te­te: Über das Licht, das aus dem Boden kommt, wis­sen wir alles. Heu­te viel Son­ne von unten. Sie späh­te dann in das Buch, das ich mir zu lesen vor­ge­nom­men hat­te. Und weil sie sehr viel schnel­ler las als ich, zerr­te sie unge­dul­dig an mei­nem Ohr­läpp­chen, sobald sie war­ten wuss­te, bis ich end­lich wei­ter­blät­ter­te. – Ana­to­mi­sche Arbeits­wör­ter des Abends : Lobus Tem­po­ra­lis : Man­del­kern : Hip­po­cam­pus : Tha­la­mus. — stop

ping

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papierhimmel

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marim­ba : 6.05 — Denk­bar, dass die Erfin­dung der Trom­pe­ten­kä­fer einen Pro­zess dar­stellt, der aus zehn­tau­send Ein­zel­ge­dan­ken besteht, die sich nicht sel­ten zärt­lich wie­der­ho­len. Ich habe heu­te Nacht ver­sucht, mich an den ers­ten Gedan­ken zu erin­nern, der ein Trom­pe­ten­kä­fer­ge­dan­ke gewe­sen sein könn­te. Ver­geb­lich! – Kurz nach sechs Uhr. Son­ne an einem Him­mel von Papier. — stop

ping

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elephantisland

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echo

~ : rob salter
to : louis
sub­ject : ELEPHANTISLAND
date : june 2 09 8.58 p.m.

Kurz nach acht Uhr. Kal­te, tro­cke­ne Luft, ich notie­re mit klam­men Hän­den. Um 7 Uhr heu­te Mor­gen haben wir bei stür­mi­scher See Ele­phan­tis­land erreicht. Suche nach Mil­ler unver­züg­lich auf­ge­nom­men. Süd­west­li­che Bewe­gung die Küs­te ent­lang. Gegen 9 Uhr ers­te grö­ße­re See­ele­fan­ten­grup­pen gesich­tet. Hef­ti­ger Schnee­fall. Mit­tags dann auf mensch­li­che Spu­ren gesto­ßen. Eine Mul­de von zwei Fuß Tie­fe im gro­ben Unter­grund, hüft­ho­her Stein­wall nord­wärts. Im Wind­schat­ten: drei gebleich­te Wal­kno­chen, ein hal­bes Duzend fin­ger­di­cker Haut­stü­cke, ein Kamm, zwei ros­ti­ge Kugel­schrei­ber, eine Blech­t­as­se, zwölf Pin­gu­in­schnä­bel, fünf Bat­te­rien, drei Klum­pen ran­zi­gen Fet­tes, Bruch­stü­cke eines Son­nen­kol­lek­tors und einer Schreib­ma­schi­ne. Das Werk­zeug war in einer Wei­se sorg­fäl­tig demo­liert, als sei eine Dampf­wal­ze dar­über hin und her gefah­ren. Dann wei­te­re zehn Minu­ten die Küs­te ent­lang, dann auf Mil­ler gesto­ßen. Der Dich­ter stand mit dem Rücken zu einem Fel­sen hin und rich­te­te ein Mes­ser gegen einen See­ele­fan­ten. Das Tier, das sehr gewal­tig vor unse­rem Mann in den Him­mel rag­te, war nur noch zwei Armes­län­gen ent­fernt und scheu­er­te mit dem Rücken über den Fel­sen. Eigen­ar­ti­ge Geräu­sche. Geräu­sche wohl der Lust. Geräu­sche, als habe das Tier eine ver­beul­te Trom­pe­te ver­schluckt. Geräu­sche auch von Mil­ler. Hel­le Geräu­sche, krei­schen­de, irre Töne. Wir haben zu die­sem Zeit­punkt das Fol­gen­de über Mil­ler zu sagen: Unser Mann ist ent­kräf­tet und stark ver­schmutzt. Zwei Fin­ger der lin­ken Hand sind erfro­ren. Kopf­wärts wan­dern­de Spu­ren von Dehy­dra­ti­on. Mil­ler spricht nur einen Satz: All for not­hing. Wir haben den Rück­weg ange­tre­ten, indes­sen, bei genaue­rer Betrach­tung unse­rer Umge­bung, auf Fels­for­ma­tio­nen ent­lang der Küs­te Frag­men­te von Zei­chen­ket­ten ent­deckt. Ein­deu­tig Mil­lers Hand­schrift. Brin­gen Dich­ter Mil­ler jetzt nach Hause.

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22.57 UTC
1817 Zeichen

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geraldine verliert ihren sommerhut

pic

echo

~ : geraldine
to : louis
sub­ject : MEIN SOMMERHUT

Es ist win­dig heu­te, Mr. Lou­is, aber das Meer bewegt sich nicht. Kleins­te Wel­len nur, als wür­de das Was­ser frie­ren. Weil dazu die Son­ne scheint, hat­te Papa am Vor­mit­tag den Schiffs­fo­to­gra­fen und mei­nen Som­mer­hut mit­ge­bracht. Jetzt schwimmt mein Hut auf dem Atlan­tik, weil ich einen Moment nicht auf­ge­passt und ihn nicht fest­ge­hal­ten habe. Bald wer­de ich eine Foto­gra­fie besit­zen mit einem Hut, den es nicht mehr gibt. Eine lus­ti­ge Geschich­te, nicht wahr? Aber was erzäh­le ich Ihnen da für unwich­ti­ge Din­ge? Ich muss immer­zu an mei­nen klei­nen, lie­ben Ste­ward den­ken. Seit zwei Tagen liegt er in sei­ner Kajü­te, weil er krank gewor­den ist. Nichts Erns­tes, nur ein Schnup­fen und etwas Hus­ten. Und natür­lich darf ich nicht zu ihm, ich könn­te mich infi­zie­ren mit Him­mel­weiß­was und das wür­de mich umbrin­gen, sagt der Dok­tor, obwohl ich das nicht glau­be, weil ich doch sehr ver­liebt bin. In zwei Tagen darf ich viel­leicht zu ihm. Bis dahin schi­cke ich klei­ne Brie­fe, wes­halb ich eigent­lich über­haupt kei­ne Zeit habe, an Sie zu schrei­ben. — Ahoi, Mr. Lou­is, Ahoi! Ihre Geral­di­ne auf hoher See.

notiert im Jah­re 1962
an Bord der Queen Mary
auf­ge­fan­gen am 22.02.2009
22.18 MEZ

geral­di­ne to louis »

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GERALDINE TO LOUIS / ENDE



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