ulysses : 15.07 — Ich erinnere mich an einen Tag im Mai des Jahres 2010, als Josephine und ich durch den Central Park spazierten. Es war ein warmer Tag gewesen, ein Tag, an dem Waschbären ihre Verstecke im Unterholz flüchteten, um den Sommer zu begrüßen. Nie zuvor hatte ich persönlich Waschbären gesehen, und auch an diesem Tag hatte ich kaum Zeit, sie zu beobachten, weil die betagte Dame an meiner Seite südwärts drängte. Gut gelaunt schien sie ihr Alter nicht im mindesten zu spüren, und so folgten wir der 8th Avenue Richtung South Ferry, passierten die Port Authority Busstation, das zentrale Postamt und die Penn Station, um nahe des Joyce-Theaters in die 18th Straße einzubiegen. Beinahe zwei Stunden waren wir bis dorthin unterwegs gewesen, es dämmerte bereits. Vor dem Haus 264 West blieb Josephine stehen. Sie holte ihr Telefon aus der Handtasche und meldete mit lauter Stimme, dass sie bereits unten vor dem Haus stehen würde und abgeholt zu werden wünsche! Ein Herr, in etwa demselben Alter, in dem sich Josephine befand, öffnete uns kurz darauf die Tür. Er war mit einem Hausmantel bekleidet, der in einem tiefen Blau leuchtete, hatte keinerlei Haar auf dem Kopf und trug Turnschuhe. Ich erinnere mich, dass ich mich wunderte über seine sehr großen Füße, denn der Mann, den mir Josephine mit dem Namen Valentin vorstellte, war eher zierlich, wenn nicht klein geraten. Während wir eine enge Treppe in den sechsten Stock hinaufstiegen, dachte ich an diese Schuhe und auch daran, ob ich selbst in ihnen überhaupt laufen könnte. Bald traten wir durch eine schmale Tür, hinter der sich ein Raum von unerwarteter Größe befand, ein Saal vielmehr, mit einer hohen Decke und einem gut gepflegten Boden von Holz, der nach Orangen duftete. Linker Hand öffnete sich ein Fenster, das die gesamte Breite des Raumes füllte, mit einem großartigen Ausblick auf Chelsea, auf Dachgärten, Antennen und Satellitenwälder, ich glaubte, vor einer Stadt ohne Straßen zu stehen. Und da war nun dieser alte Mann in seinem blauen Hausmantel, der uns bat auf einem Sofa Platz zu nehmen, welches das einzige Möbelstück gewesen war, das ich in dem Raum entdecken konnte. Ein paar Wasserflaschen reihten sich an einer der Wände, die von Backstein waren, von hellem Rot, und an diesen Wänden waren nun Papiere, Fotokopien von Buchseiten genauer, akkurat aneinander gereiht, so dass sie die Wände des Saales bedeckten. Josephine schien sehr berührt zu sein von diesem Anblick. Sie saß mit durchgedrücktem Rücken auf dem Sofa und bewunderte das Werk ihres Freundes, der uns zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen zu haben schien. Er stand vor einer der Buchseiten und las. Es handelte sich um ein Papier des 1. Band der Entdeckungsreisen nach Tahiti und in die Südsee von Georg Forster in englischer Übersetzung. Und wie wir den alten Mann beobachteten, erzählte mir Josephine, dass er das mit jedem der Bücher machen würde, die er lesen wolle, er würde sie entfalten, ihre Zeichenlinie sichtbar machen, er lese immer im Stehen, er sei ein Wanderer. — stop
Aus der Wörtersammlung: unterholz
tonwellenschrauben
echo : 22.18 – Lungerte im Wald unter Louisianamoosen. Sturmgeräusche, auch Zikaden waren zu hören gewesen, ihre Flügelstimmen, hell, schrill, gläsern, Tonwellenschrauben. Auf Knien kroch ich bald jagend durchs Unterholz, wollte eines der lockenden Tiere fangen. Anstatt Insekten entdeckte ich Spieldosen, hunderte, ja tausende, kreisende Lärmmaschinen. Sie leuchteten, feuerrot und blau, je nach Höhe oder Tiefe ihres Gesangs. Sobald ich mich näherte, um eines der Wesen zu ergreifen, schossen sie senkrecht in die Luft, ganz so als würden sie über prall gefüllte Druckluftbäuche fürs flüchtende Reisen gebieten. Dann wurde ich wach. Es war Abend geworden. Samstag. Ein Orkan näherte sich von Westen, knisternde Fenster, Frösche schwebten summend vor den Fenstern. Zwei Stunden lang dachte ich über die Erfindung dienstbarer Käfer nach, Gattung, die Stille zu erzeugen vermag, wann immer gewünscht. Ich stellte mir vor, wie sie sich rückwärts über meine Wangen hin zu meinen Ohren bewegen, wie sie ihre kühlen Leiber in meine Gehörgänge versenken, wie sie sich dehnen und strecken, sanft, sanft, bis sie nahezu verschwunden sein werden. Zwei Fühler noch, ein Paar kleinster Augen links, ein Paar kleinster Augen rechts, Dochte, nein, Diodenlichter. Ich hörte nichts.