Aus der Wörtersammlung: nachts

///

von lampen

9

tan­go : 22.15 — Ein Mann schob einen klei­nen Wagen einen Flur ent­lang. Der Wagen war bepackt mit grö­ße­ren oder klei­ne­ren elek­tri­schen Lam­pen, die der Mann ent­zün­det hat­te, so als woll­te er, dass ich sie alle sehen könn­te, viel­leicht um sie an mich zu ver­kau­fen. Nein, eigent­lich war das ganz anders gewe­sen, ich wuss­te, der Mann ver­kauf­te kei­ne Lam­pen, son­dern er tausch­te Lam­pen aus, Decken­lam­pen, Schreib­tisch­lam­pen, Not­leuch­ten, Licht­ta­pe­ten, glim­men­de Stäb­chen, auch flie­gen­de Lich­ter, Droh­nen­leuch­ten. Die Dro­hen, sehr klei­ne Wesen, saus­ten um sei­nen Kopf her­um, als wären sie Insek­ten, Flie­gen, die Stirn­lam­pen tru­gen, mit wel­chen sie mehr oder min­der frei­wil­lig aus­ge­rüs­tet, ihren Flug doku­men­tier­ten. Wah­re Wol­ken von Licht waren zu bemer­ken, auch saßen Flie­gen auf dem Rücken des Man­nes, der in einer Wei­se leuch­te­te, als wäre Schnee gefal­len. Da war noch eine Schne­cke, die sich über sei­nen Hals beweg­te, auch die Schne­cke leuch­te­te: Das sehr schön aus, das vie­le Licht und der Mann, der sei­nen schau­keln­den Wagen über den Flur schob, gera­de eben auf mich zu. Plötz­lich blieb der Mann ste­hen. Er frag­te, ob ich die Schne­cke haben wol­le, sie sei zahm, sie ernäh­re sich von Staub, den sie zu sehr fei­nen Würm­chen pres­sen wür­de, wel­che ich dann bequem auf­sam­meln könn­te. Außer­dem sei sie sehr schön anzu­se­hen nachts auf ihrer Wan­de­rung durch die Dun­kel­heit. Ohne eine Ant­wort abzu­war­ten, fass­te sich der Mann an sei­nen Hals und zog am Gehäu­se der Schne­cke, die sich wehr­te, sie leuch­te­te zunächst rot und dann blau, und wur­de schliess­lich in dem Moment, da sie sich vom Hals des Man­nes lös­te, grün. So, in die­ser grü­nen Far­be leuch­tend, reis­te sie an der Hand des Man­nes durch die Luft. Kurz dar­auf hock­te sie an mei­nem Hals dicht unter dem Kinn. Ich ver­moch­te ihr Licht an mei­ner Schul­ter erken­nen, die Schne­cke schien sich wohl zu füh­len, leuch­te­te in einem schwa­chen Oran­ge, das pul­sier­te, lang­sam, beru­hi­gend. Ich sol­le ihr einen Namen geben, sag­te der Mann. Dann war Mor­gen, es reg­ne­te, selt­sa­mer­wei­se aus einer Wol­ke, die sich unmit­tel­bar über mei­nem Bett unter Zim­mer­de­cke türm­te. — stop

 

///

ein nilpferd auf dem dach

pic

sier­ra : 12.42 UTC — Auf das Tele­fon, das im Wohn­zim­mer des Hau­ses der alten Men­schen zu beob­ach­ten ist, tropft Was­ser. Die alte Dame, die seit eini­gen Jah­ren vor die­sem Tele­fon sitzt und tele­fo­niert, obwohl das Tele­fon nie­mals mit der Welt da Drau­ßen in Ver­bin­dung gesetzt wur­de, scheint sich nicht zu wun­dern. Sie wählt eine um die ande­re Num­mer. Das Tele­fon ver­fügt über eine Wähl­schei­be wie von län­ge­rer Zeit üblich bei Tele­fo­nen. Die alte Hand, die die Wähl­schei­be bedient, ist ganz feucht vom Was­ser, das von der Decke tropft, weil das Haus der alten Men­schen zur Zeit über kein Dach ver­fügt, weil man das Dach abge­ris­sen hat, weil man neue Zim­mer an der Stel­le des Daches errich­ten möch­te. Nie­mand scheint dar­an gedacht zu haben, dass Regen fal­len könn­te, des­halb lie­gen in den Flu­ren nun auch Stof­fe her­um, die das Was­ser anzie­hen und in sich auf­neh­men sol­len, Stoff­wa­ra­ne, über die man stür­zen könn­te. Aber dar­an denkt die alte Dame nicht, sie tele­fo­niert und erzählt, dass es selt­sa­mer­wei­se reg­net in dem Zim­mer in dem sie sitzt von früh bis spät. Könn­te gut sein, dass ihr nie­mand glau­ben wird, dass man so etwas tut, das Dach über einem Wohn­zim­mer ent­fer­nen, wo die alten Men­schen woh­nen, und auch das Dach über den Zim­mern, wo die alten Men­schen schla­fen, so dass es auch nachts in den Bet­ten reg­net, weil nie­mand dar­an dach­te, dass es bei Nacht reg­nen könn­te. Und die­ser Lärm der Bohr­ma­schi­nen und der Press­luft­häm­mer, davon ganz zu schwei­gen, da möch­te man für immer die Augen schlie­ßen lang vor der eigent­li­chen Zeit. — stop

///

aleppo

pic

gink­go : 22.15 UTC — Ich erin­ne­re mich, wie ich als Kind an Geräu­schen der Luft zu unter­schei­den ver­moch­te, ob ich einer sin­gen­den Amsel lausch­te oder einer Mei­se, einer Ler­che, einem Rot­kehl­chen. Ich hör­te, Kin­der, die in Alep­po leben oder leb­ten, sol­len in der Lage sein, sehr genau zu unter­schei­den, um wel­che Art Muni­ti­on es sich han­delt, die nachts ihre Bet­ten, ihre Lager, erschüt­ter­te, wel­che Flug­zeug­gat­tun­gen sich am Him­mel befin­den, das Kali­ber deto­nie­ren­der Gra­na­ten zu erra­ten. Sofern sie über­leb­ten, haben sie die Vögel noch zu ler­nen oder wie­der­zu­fin­den, viel­leicht in Buchen­wäl­dern. — stop

///

von stühlen

2

nord­pol : 7.58 UTC — Im Haus der alten Men­schen sit­zen Damen an einem Tisch von früh bis spät. Ein Fern­seh­ap­pa­rat, der an der Wand hängt flach wie ein Schol­len­fisch, spult sich durch den Tag. Die alten Damen neh­men kaum Notiz von dem Licht, das auf sie fällt. Der Ton ist aus­ge­schal­tet, der Fisch ist stumm. So sit­zen sie völ­lig zeit­los, wie mir scheint, sie erin­nern sich ver­mut­lich nicht, ob ich an die­sem Tag schon an ihnen vor­über gekom­men bin, aber sie ken­nen mich, den treu­en Besu­cher, ich habe doch irgend­ei­nen Ein­druck hin­ter­las­sen. Wenn ich mich über einen lan­gen Flur spa­zie­rend dem Raum der alten Damen nähe­re, weiss ich prä­zi­se vor­her­zu­sa­gen, wel­che der Damen auf wel­chem der Stüh­le sit­zen wird vor dem Tisch, der drei­mal am Tag sich füllt mit Spei­sen, auch mit Kaf­fee oder gekühl­tem Him­beer­saft. Nur wenn das Wet­ter sich Hals über Kopf ver­än­dern wird, davon erzäh­len lee­re Stüh­le, die doch von den Abwe­sen­den besetzt sind, sie war­ten oder schla­fen nachts im Halb­dun­kel, schla­fen­de Stüh­le. — stop

ping

///

nachts

9

romeo : 5.22 — Es war Nacht und ich hock­te in mei­ner Küche und schäl­te sehr lang­sam einen Apfel. Kurz dar­auf hör­te ich ein rascheln­des Geräusch, des­sen Ursa­che sich in mei­nem Kühl­schrank auf­zu­hal­ten schien. Ich war­te­te eini­ge Minu­ten. Zunächst wie­der Stil­le, dann erneut ein rascheln­des Geräusch. Unver­züg­lich öff­ne­te ich die Tür zum küh­len Raum, der sehr schön hell beleuch­tet war. Wie ich so auf einem Stuhl im Licht mei­nes Kühl­schran­kes saß und war­te­te, dass sich dort irgend­et­was ereig­nen möge, das Geräu­sche ver­ur­sacht, begann ich damit, das sicht­ba­re Gut im Schrank zu befra­gen, die Mar­me­la­de zum Bei­spiel, ein Gläs­chen voll Apri­ko­sen­ge­lee, ob es denn mög­lich wäre? Oder der Senf, die Fei­gen in ihrer Fei­gen­box, But­ter­wa­ren. Aber auch das ita­lie­ni­sche Brot rühr­te sich nicht. Ich erin­ner­te mich in die­sem Augen­blick der Kühl­schrank­be­ob­ach­tung an ein Kind, das immer wie­der ein­mal die Tür eines längst ver­schwun­de­nen Eis­schranks auf­riss, um nach der Dun­kel­heit zu sehen, die angeb­lich ver­läss­lich ein­tre­ten soll­te, sobald die Tür des Kühl­schranks geschlos­sen wur­de. Ich leg­te mich dann wie­der ins Bett. — stop

///

dreiundzwanzigste etage winter

pic

gink­go : 8.28 — Ich träum­te, nachts auf dem Bal­kon eines Hotels über der Eighth Ave­nue zu spa­zie­ren. Es war Win­ter, weit unter 0°C in New York. Hef­ti­ger Wind weh­te har­te Schnee­kris­tal­le über den Boden des Bal­kons. Ich war leicht beklei­det, war ohne Schu­he, war aus einem Fens­ter gestie­gen, woll­te kurz Aus­sicht neh­men auf den Hud­son River. Da fiel das Fens­ter hin­ter mir geräusch­voll ins Schloß. Ich gab kei­nen Laut von mir, wuss­te, dass mich nie­mand hören wür­de, ich befand mich auf dem 23. Stock­werk, die Zim­mer neben mei­nem Zim­mer stan­den leer. Aber da war noch ein Stuhl aus Plas­tik. Ich dach­te, dass ich 1 Ver­such haben wür­de, oder mit etwas Glück 2 Ver­su­che, das Fens­ter zum gewärm­ten Zim­mer mit­tels die­ses leich­ten Stuhl­werks ein­zu­schla­gen. Gera­de als ich den Stuhl anhob, um ihn gegen das Fens­ter zu schleu­dern, bemerk­te ich eine Droh­ne, die sich lang­sam näher­te. Sie blink­te. So dicht kam sie her­an, dass ich mein­te, sie mit mei­nen Hän­den berüh­ren zu kön­nen. Ich erin­ne­re mich, dass ich mehr­fach das Wort H E L P mit Lip­pen und Augen for­mu­lier­te, aus­ser­dem fal­te­te ich mei­ne Hän­de. — stop
ping

///

schlafende

pic

sier­ra : 15.02 — Ich hör­te, sobald Men­schen zu schla­fen begin­nen, sobald sie sich in Lang­zeit­schlä­fer ver­wan­deln, ver­schwin­den nach und nach jene Men­schen aus ihrem Leben jen­seits der Träu­me, die nur sel­ten schla­fen, nur für Stun­den nachts. Oder aber die Schlaf­lo­sen keh­ren an die Bet­ten der Schla­fen­den zurück, weil sie hier in den Schlä­fer­zim­mern sit­zend zur Ruhe kom­men. Manch­mal schla­fen selbst die Ruhe­lo­ses­ten unter ihnen an den Bet­ten der alten Men­schen ein. Wie wun­der­bar die Herbst­baum­lam­pen leuch­ten. — stop

ping

///

apfel

pic

echo : 0.10 UTC — Ich hat­te an einem Abend der ver­gan­ge­nen Woche mein Fern­seh­ge­rät aus­ge­schal­tet, war in die Küche getre­ten, um Schne­cke Esme­ral­da zu beob­ach­ten, wie sie einen Apfel zunächst umrun­de­te, sich dann auf­rich­te­te samt ihres Gehäu­ses und auf den Apfel klet­ter­te. Eine Bewe­gung, die gera­de­zu wag­hal­sig anmu­te­te. Es reg­ne­te. Ich wur­de schläf­rig. Um kurz vor Mit­ter­nacht klin­gel­te das Tele­fon. Jemand war in der Lei­tung, sprach aber nicht, atme­te nur. Ich hör­te eine Wei­le zu, und ich dach­te, dass Atem eine schö­ne Spra­che ist, aber auch etwas unheim­lich. Also kehr­te ich zu Esme­ral­da zurück, die nun auf dem Apfel hock­te als wäre der Apfel ein Stuhl oder ein Sofa. Wie so häu­fig nachts, las ich Esme­ral­da einen ver­schlüs­sel­ten Nach­rich­ten­text vor. Ich habe näm­lich bemerkt, dass Esme­ral­da sehr auf­merk­sam wird, sobald ich ihr kryp­ti­sche Tex­te vor­tra­ge, erstaun­lich, da Schne­cken doch gehör­los sein sol­len. In die­sem Fall, es war nicht leicht gewe­sen, las ich T.C.Boyle: Nfjof muvoh jtu tfis fout­di­j­fe­fo- bcfs xbt oýu{u ft@ Jdi cjo gýs Gsbvfosfdiuf/ Jdi cjo gýs Vnxfmutdivu{/ Jdi cjo gýs Nvmujlvmuvsbmjtnvt/ Jdi cjo gýs Cjmevoh/ Ejf wjfmfo Nfot­di­fo bvt efs Bsc­f­jufslmbttf- ejf jdi lfoof- tjoe qpmjujt­di sbe­jlbm boefsfs Botj­diu bmt jdi/ Ejf VTB tjoe fjo hft­qb­muf­oft Mboe/ Jdi lpnnf tfmc­tu bvt efs Bsc­f­jufslmbttf- voe jdi mfcf fjo­fo hspà­fo Ufjm nfjofs [fju jo efo lbm­jgpsojt­di­fo Cfsh­fo- xp wjfmf tph­fo­boouf Sfeofdlt mfcfo/ Jdi mjf­cf ejftf Nfot­di­fo- wjfmf wpo jio­fo tjoe joufmm­jh­fou voe fjogýimtbn/ Bcfs jo qpmjujt­di­fo Gsbh­fo ibc­fo tjf tjdi usbvs­jhfsx­fjtf hbo{ voe hbs nbo­j­qvm­jfs­fo mbttfo/ Ebc­fj xfse­fo hfs­bef tjf ejf Pqgfs wpo Usvn­qt Qpmju­jl tfjo voe bn nfjtu­fo voufs jis {v mfje­fo ibcfo/ Xfoo qsj­wjmfh­jf­suf Bnf­sjlb­ofs xjf jdi ovs hfnåà jis­fo xjsut­dibgumj­di­fo Joufsftt­fo hfxåi­mu iåu­ufo- eboo iåu­ufo xjs Usvnq hfxåi­mu- xfjm fs ejf Tufvf­so tfol­fo xjmm voe ebgýs tps­hu- ebtt xjs votfs Hfme cfibmufo/ Bcfs jdi xåimf efo Lboe­je­bu­fo- eftt­fo Ibmu­voh jdi gýs sjdi­ujh ibmuf- voe ojdiu efo- efs njs Qspgju csjohu/ Jdi cjo Qbusjpu/ — stop

nach­rich­ten von esmeralda »
ping

ABOUT ESMERLADA / ENDE

///

korken

9

del­ta : 0.15 UTC — Das waren Zei­ten, als wir noch Kin­der waren, die unter frei­em Him­mel mit Flug­dra­chen spiel­ten. Wie wir durch die Wäl­der kro­chen, um Kno­chen zu sam­meln. Ein Bild zeigt mich in kur­zen Hosen, wie ich einen Erd­ap­fel über offe­nes Feu­er hal­te, ich sam­mel­te Brief­mar­ken, Schmet­ter­lin­ge, Stei­ne und Kron­kor­ken, liess Seil­bah­nen über Bind­fä­den fah­ren von Haus zu Haus. Heu­te sam­me­le ich ger­ne Geschich­ten von Kie­men­men­schen, höl­zer­ne Ele­fan­ten oder Mari­en­kä­fer, die nachts schla­fend an war­men Lam­pen­schir­men sit­zen. — stop

ping