echo : 5.22 — Einmal wartete ich im Regen stehend auf eine Straßenbahn. Das war ein sehr angenehmer, warmer, nach Steinen duftender Regen, eine Art Regen, bei der ich an das Wort Monsun denke, wenn ich seine Geräusche höre. Ich stand also im Regen und dachte an das Wort Monsun, als genau um 22 Uhr und 18 Minuten die Straßenbahn, die ich erwartete, vor mir hielt. Die Türen öffneten sich und ein Herr stieg aus der Straßenbahn, der eine Zigarre rauchte. Er trug einen grauen Anzug, ein weißes Hemd, eine hellgrüne Krawatte, keine Schuhe, aber Strümpfe. Für einen kurzen Moment, ich hatte einen Fuß bereits in den Waggon der Straßenbahn gestellt, stand der Mann direkt neben mir. Ich sagte: Sie haben keine Schuhe an, mein Herr. So, erwiderte der Mann, blickte dann erstaunt an sich herab, sah mir in die Augen und fragte mit einer sehr hellen Stimme: Warum? — stop
Aus der Wörtersammlung: steine
brooklyn
karpfenzungen
18.15 — Ich hörte, eine U‑Bahn-Linie soll einmal vor langer Zeit Europa mit dem nordamerikanischen Kontinent verbunden haben. Sie folgte dem 55. Breitengrad unter atlantischen Gesteinen, nahe Bryant Park, Manhattan, stieg man zu. Dann fuhr man los. Man fuhr zwei Tage und drei Nächte, Zeit, viel Zeit, Geschichten zu erzählen. Wenn Nacht geworden war unter dem Meeresboden, schlief man auf Hängematten gebettet tief und fest, war wieder Tag geworden, saß man plaudernd vor den Fenstern zu den Steinen. Am letzten Abend der Reise endlich wurde getanzt bis spät in die Nacht. Schon mitteleuropäischer Zeit, servierte man über offenen Feuern gebratene Täubchen. Die waren prall gefüllt mit Karpfenzungen. Dann war’s fünf und Morgen über Budapest. Metro Vörösmarty tér stieg man aus und jeder ging seiner Wege. – Zwei Uhr fünfundzwanzig in Lhasa, Tibet. — stop
lowrysteine
3.15 — Bei feiner Coltranemusik Notizparticles für Lowrystory übertragen. Sagen wir : Atlantik : Dampfer : Koffer : Blackout : Ellis Island : Trompete : Mexiko : Höllenstein : Gin : Satellit : Vulkan : Bellevue : Walfischvogel : Melville : Battery Park : : lunar caustic. — Um nicht einzuschlafen, verbringe ich diese Nacht auf einem sehr harten, hölzernen Gartenstuhl. 70 Meter tief unter der Wasseroberfläche, 2000 m hoch über dem Meeresboden. | stop | Lichtblitze einer Meduse. | stop | Schlafende Wale. | stop | Senkrecht schwebende Türme. | stop | Ein Granatbarsch, der sich um mein linkes Ohr bemüht. | stop | Salz im Mund. | stop | Suche nach neuen Pseudonymen. — Elf Uhr fünfundzwanzig in Lhasa, Tibet. — stop
flaubert
20.25 — Georges Perec zitiert Gustave Flaubert: Paris wird ein Wintergarten werden / Spaliere mit Früchten auf den Boulevards; die Seine filtriert und warm / Überfluss an künstlichen Edelsteinen – überreiche Vergoldung. Beleuchtung der Häuser – das Licht wird gespeichert werden, denn es gibt Körper, die diese Eigenschaft besitzen, wie etwa der Zucker oder das Fleisch gewisser Mollusken und der Phosphor aus Bologna. Die Häuserfassaden werden mit dieser phosphoreszierenden Substanz übertüncht werden müssen und ihre Ausstrahlung wird die Straßen hell erleuchten. | stop | Pléiade, II | stop | Endplan. | stop | Regen.
Saint-Exupery
20.17 — Träumte, hinter dem Dichter Saint-Exupéry in einem Doppeldeckerflugzeug zu sitzen, offen im Wind über einer Wüste fliegend. Vor mir, in nächster Nähe, der Kopf des Dichters im Ledermantel, hin und her geworfen von Turbulenzen in der kühlen Höhenluft. Tief unter uns, in flirrender Hitze, rasch wandernde Dünen. Wir rasen entlang eines dunklen Bandes, das sich wie eine Schlange durch Täler windet. Dominosteine. Da und dort Beduinen, die ihre Zelte aufgeschlagen haben auf den Partikeln des Spiels. Kamele trinken aus Augenfeldern, die ohne Grund sind, dunkel, als seien Räume hinter ihnen angeschlossen. Von Zeit zu Zeit explodieren schwarze Wölkchen neben den Tragflächen des Flugzeugs, Qualm, der nach Schwefel duftet, nach Feuer und knallt. Plötzlich dreht sich der lederne Kopf herum. Fliegerbrille. Augen von altem Glas. Saint-Exupéry spricht, aber anstatt Wörtern, schießt ihm Wasser aus dem Mund. — stop
steinuhren
20.08 — Existieren steinerne Uhrwerke, die aufziehbar sind? — stop
felix fénéon
2.15 — Immer wieder fällt etwas zu mir herein und ich kann nicht sagen, warum gerade dieses und warum gerade jetzt. Vorhin habe ich an Felix Fénéon gedacht. Ich geh zum Regal und suche in seinem Buch der 1001 wahren Geschichten. Da ist eine Geschichte, die Geschichte No 81 aus dem Jahr 1906 zum Beispiel: Mit einem Rattenschwanz versehen und zur Täuschung mit feinem Grus gefüllt, wurde ein Zylinder aus Weißblech in der Rue de l’Quest gefunden. Einhundert Jahre später, eine friedliche Nacht angenehm kühler Luft. Ich stelle mir Hunderte schlafender Köpfe vor, die in meiner Nähe in ihren steinernen Waben liegen. Wie still sie sind in dieser Lage. — stop
fjorde
3.15 — Hölzerne Schrittgeräusche, als würde ich über eine Marimba gehen. Hoch über Wolkenfjorden, eine Ebene. Kräftige, von der Arbeit stetiger Winde gegen den Boden gezwungene, feuerrote Ahornbäume. Eine uralte steinerne Straßenbahn, die steinernen Rauch ausstößt, fährt auf steinernen Schienen unter steinernen Bäumen hin und her. Leuchtbirnen von glühender Lava. — Bin vor dem Schreibtisch eingeschlafen. Kurz nach 3 Uhr von Regengeräuschen geweckt. Stehe auf. Laufe ein wenig von Zimmer zu Zimmer. Höre etwas Monk. Schneide Ingwer für den Tee. Sortiere Tonbänder. Notiere Wortbojen. — Sinusknoten. — Venenstern. — Pyramidenbahn. — Wie verdammt gut die Luft heut riecht. – Zehn Uhr fünfzehn in Naypyidaw, Burma. — stop
pergament
17.32 — Saß traumwärts in einem Café nahe eines Meeres unter Männern, die Go oder etwas anderes spielten mit kleinen, runden, bernsteinfarbenen Steinen. Die Luft an diesem Ort war heiß und trocken. Ich wunderte mich nicht, dass die Männer, die von hohem Alter gewesen waren, sich mit gewaltigen Ohren Luft zufächelten in der Art und Weise der Elefanten. Seltsame Geräusche waren zu hören, schwere, knarzende Töne, als würde an hölzernen Schrauben gedreht. Und doch war die Haut der Ohren so fein, dass man durch sie hindurch sehen konnte. Sobald sie hinter den verwitterten Köpfen zusammenschlugen, wurden die Augen des Herrn zu Schlitzen, bewegten sich die luftigen Häute zurück, öffneten sie sich. Hinter dem Tresen dämmerte ein weiterer Mann, der hatte sich mit seinem Pergament das Gesicht zugedeckt. Ich betrachtete ihn eine Weile, und schon war ich, noch im Stehen, dem heutigen Tage zu, eingeschlafen. — stop