kilimandscharo : 22.15 — Zur neuerlichen Kenntnisnahme: An diesem Samstag, 20. Juli 2013, wurden mittels meiner Schreibmaschine folgende Begriffe in fragender Absicht an eine Suchmaschine gesendet > 96.07 Copernicus . Stromchiffree . Blaukrabbe . Anwar as-Sadat . Pelikanfisch . Enigma . Nawal El Saadawi . Mansura Essedin . Jim Jarmusch Only Lovers Left Alive. Menschenstreichler. Tide . Eisvogel . Marceo Parker . Lungenmensch — stop
ein seltsames buch
echo : 1.18 — Seit zwei Stunden beobachte ich ein Buch, das kein gewöhnliches Buch ist, sondern ein seltsames Buch. Dass es sich um ein seltsames Buch handelt, ist dem Buch zunächst nicht anzusehen, weil es seiner äußeren Gestalt nach, ein übliches Buch zu sein scheint. Dieses hier auf meinem Tisch ist von einer blauen Farbe. Sobald man das blaue Buch in die Hände nimmt, wird man aber spüren, dass das Buch atmet, weil an seiner Rückseite durch feine Lamellen warme Luft auszutreten scheint. Das ist deshalb so, weil sich in dem Buch eine Recheneinheit befindet, ein winziger Computer, der sich mit dem Text oder mit der Geschichte, die sich in dem Buch befindet, beschäftigt. Es handelt sich bei dem Buchkörper bei genauer Betrachtung nämlich um eine Versammlung hauchdünner Bildschirme, auf welchen sich Zeichen befinden, Bildschirme, die man umblättern kann. Was zunächst zu sehen ist, gleich auf welcher Seite das Buch aufgeschlagen wird, sind eben erwähnte Buchstaben oder Ziffern, die sich rasend schnell bewegen, sodass man nicht lesen, vielmehr nur ahnen wird, was sich dort befinden könnte. Es ist dies der Moment, da der Computer des Buches jenen Text, den man mit eigenen Augen gerne sofort lesen würde, zu entschlüsseln beginnt. Ein möglicherweise aufwendiges, zeitraubendes Verfahren. Als ich das Buch kaufte, konnte mir der Händler der verschlüsselten Bücher nicht sagen, wie lange Zeit ich warten müsse, bis der Text des Buches für mich sichtbar werden würde. Es bereitete ihm Freude, ich bin mir sicher, auszusprechen, was ich längst dachte, dass die Entschlüsselung des Textes eine Stunde, einen Tag oder zweihundert Jahre dauern könnte, das sei immerhin das Prinzip, weshalb man ein Buch dieser Art erwerben wollte, dass man ein Buch besitzt, von dem man nicht sagen könne, ob es jemals lesbar werden wird. — Kurz nach Mitternacht. — stop
mauritius
ludmilla
echo : 6.12 — Ich habe eine E‑Mail bekommen. Lesen Sie selbst: Verehrter Louis, wie geht es Ihnen? Ich hoffe, Sie sind wohlbehalten zurückgekehrt von Ihrer Reise. Leider konnten wir uns nicht treffen, so wie noch im Januar geplant. Es ist schwieriger geworden, das Haus zu verlassen. Ich fühle mich nicht länger sicher auf der Straße. Aber auch unter meinem eigenen Dach habe ich immer wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich nehme an, es existieren längst Ideen über mich, vielleicht wird man sagen: Er könnte nun doch verrückt geworden sein. Aber natürlich weiß ich, was ich tue und wovor ich mich fürchte. Im April war ich noch lange Stunden am Strand unterwegs gewesen, besuchte meine Freundin Ludmilla, die abends vor dem Boardwalk mit ihren Freuden im kalten Seewind sitzt. Ihr gehört jetzt ein Rollstuhl, den sie von eigener Hand bewegen kann, weil sie zäh und leicht ist, Sie würden staunen. Irgendwann muss ich das Haus wieder verlassen, das ist mir Herzenswunsch, ich kann Ludmilla doch nicht verlieren, ohne sie noch einmal gesehen zu haben. Im Dezember wird sie 92 Jahre alt, da kann man an das Ende schon einmal denken, nicht wahr! Nun, ich will nicht klagen, bin sehr vorsichtig geworden. Wenn ich zum Einkaufen gehe einmal in der Woche, dann niemals allein, sondern immer in der Begleitung eines alten Freundes. Sie werden verstehen, dass ich seinen Namen nicht erwähne. Er ist zuverlässig, hilft mir beim Tragen der Flaschen. Was ich sonst noch benötige, lasse ich mir kommen. Ich erinnere mich, jetzt, da ich hier sitze und schreibe, dass ich als Kind einmal überlegte, eine Sprache zu erfinden, die nur ich verstehen kann. Ich hatte mir vorgenommen, alle Wörter, die ich kannte, in meine neue Sprache zu übersetzen. Ich wollte lernen, mittels dieser Wörter zu denken. Seit wenigen Tagen arbeite ich nun daran, mir genau diesen uralten Wunsch zu erfüllen. Ist das nicht wunderbar! Vielleicht werde ich mich bald wieder sicher fühlen. Seemöwen sitzen auf dem Balkon, ihre Augen wirken beizeiten so, als wären sie Objektive, die man füttern kann. Genug! Es ist Sonntag. Morgen werde ich Ihnen einen Brief von Papier übermitteln, in welchem ich eine Liste von Wörtern vermerkte, die Sie in Zukunft bitte nicht weiter verwenden, wenn Sie mir eine E‑Mail schreiben. Sie wissen, wo der Brief zu finden ist. Bis bald, mein lieber Louis. Ihr Michael – stop
≡
tango : 3.02 — Die Zeit, da ich die Sekunde der Nachricht von einem Unglück, von einem Verbrechen, einer Ungerechtigkeit, für ein Momentum gehalten habe, das Menschen, auch mich, sofort in eine innere oder tatsächliche Bewegung setzt. — stop
tcp
tango : 16.01 — Während ich schlief, heute, wurden von einem Programm, welches das Herz meines Computers wie eine schützende Haut umgibt, 672 Versuche zurückgewiesen, Verbindung aufzunehmen: No 53177 Richtung: eingehend Aktion: verweigert Typ: verdächtige Aktivität Protokoll: TCP — stop
3 uhr
echo : 3.57 — Während der Nacht lange sitzen. Nichts tun. Nur atmen. Gegen drei Uhr Abstieg zur Straße. Die Treppe knarrt bei jedem Schritt vor Türen, hinter welchen Menschen schlafen. Auf der Straße ein leichter Wind. Es ist kühl geworden. In den Bäumen Geräusche, leise, leise, als würden die Vögel murmeln im Schlaf. Es ist aber deshalb, weil es nie wirklich dunkel wird in der Stadt. Stundenlang kann man sich über das Nahen des Morgens streiten. Wie ich zurückkomme, Licht weit oben, vier Fenster, beleuchtet, alle weiteren Fenster sind dunkel. Der Blick auf ein Haus, in dem ein Nachtmensch wohnt. Plötzlich bin ich wieder bei mir, trete in Zimmer, die vor Kurzem noch ohne mich gewesen sind. Mein Heft auf dem Tisch. Ich notiere: Es ist sinnvoll, Süsswasserkiemenmenschen von Salzwasserkiemenmenschen zu unterscheiden. Ich muss den Satz nicht begründen. Noch Dunkel. — stop
kekkola
ulysses : 22.00 — Schnell erzählen, was ich entdeckte, als ich Kekkola besuchte, dem ich seit einigen Jahren verbunden bin, weil er gern sehr seltsame Dinge tut. Eigentlich ist er nicht sonderlich verrückt, vielmehr sind die Menschen verrückt, von deren Leben Kekkola erzählt. Ich habe keine Ahnung, ob sie tatsächlich jemals existierten, jedenfalls nimmt es Kekkola sehr genau damit, sie zu verstehen, sich in sie einzufühlen. Einmal soll er drei Tage lang mit einem Luftgewehr reglos auf seinem Balkon gekauert haben. Er zielte gegen einen weiteren Balkon, oder auf ein Fenster, das sich hinter diesem Balkon befand. Er wartete. Es war im Winter gewesen und es war kalt im 38. Stock, ein Schneesturm passierte, ohne Kekkola vom Balkon vertreiben zu können. Als ich gestern mit ihm telefonierte, hörte ich im Hintergrund Wassergeräusche. Ich fragte, ob er zu Hause sei und ob ich vorbeikommen solle. Ich hatte den Eindruck, dass er vielleicht Fieber haben könnte, weil er nicht sehr deutlich formulierte, schläfrig und etwas irr. Also eilte ich zu ihm. Er bemerkte noch, dass er mir nicht öffnen würde, weil er sich in einem Versuch befände, der Schlüssel zur Wohnung sei in der Lobby abzuholen. Kekkola saß im Bad auf einem Stuhl vor seiner Wanne. Um ihn herum auf dem Boden lagen Wasserflaschen, auch Whiskey, Brotstangen, Bücher und eine Decke, die ihm von den Schenkeln gerutscht sein musste. Seine Füße standen in der Badewanne in Salzwasser, das von einer grünlichen Farbe war. Es roch moorig in der Zelle gleich neben der Küche. Glücklicherweise war Kekkola noch am Leben. Er hatte tatsächlich hohes Fieber. Ich bat einen Nachbarn um Hilfe. Wir hoben seine Beine vorsichtig aus dem Wasser, sie waren schwer entzündet, an seinen Zehen begann sich die Haut vom Körper zu lösen, eine Blaukrabbe hatte sich in seine linke Wade verbissen. Kekkola’s Füße stanken fürchterlich, er fluchte, wie wir ihn ins Schlafzimmer schleppten. Vier Tage hatte er in beschriebener Haltung ausgeharrt, fünf Tage wollte er schaffen. Als ich die Badewanne, der Ausfluss war verstopft, von Hand auszuschöpfen begann, entdecke ich einen jungen Hornhecht, drei Atlantikaale, Sandwürmer, Glasscherben, Schlickgarnelen, Muschelschalen und fünf weitere Blaukrabben, die sich heftig wehrten. — stop
ai : USA
MENSCH IN GEFAHR : “Warren Hill soll am 15. Juli im US-Bundesstaat Georgia hingerichtet werden. Die sieben ExpertInnen, die ihn untersucht haben, sagen inzwischen alle, dass er “geistig behindert” ist. In diesem Fall würde eine Hinrichtung gegen die US-amerikanische Verfassung verstoßen. Seine Rechtsbeistände haben sich an den Obersten Gerichtshof der USA gewandt, damit er eingreift. / Im Jahr 2002 befand ein Richter des Bundesstaates Georgia, dass Warren Hill tatsächlich “deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähig¬keiten” aufweise, aber dass nicht zweifelsfrei “Defizite im adaptiven Verhalten” nachzuweisen seien. Warren Hill war 1991 wegen des 1990 begangenen Mordes an seinem Mithäftling Joseph Handspike zum Tode verurteilt worden. Im Jahr 1988 hat das Parlament des Bundesstaates Georgia ein Gesetz verabschiedet, das die Verhängung der Todesstrafe gegen jede Person untersagt, bei der “ohne berechtigten Zweifel” eine “geistigen Behinderung” festgestellt wurde. Das Gesetz definiert diese Behinderung als “deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten”, die zu “Defiziten im adaptiven Verhalten” führen, die sich “in der Entwicklungsphase manifestierten”. / Der Oberste Gerichtshof der USA (US Supreme Court) befand in der Grundsatzentscheidung “Atkins gegen Virginia”, dass die Hinrichtung von geistig behinderten Menschen gegen die US-Verfassung verstoße. Die Rechts¬beistände von Warren Hill baten auf Grundlage dieser Entscheidung um erneute Prüfung ihrer vorherigen Rechtsmit¬tel. Diesmal entschied das zuständige Gericht, dass “das Überwiegen der Beweise” ausreiche um festzustellen, dass Warren Hill an einer geistigen Behinderung leidet. Das strengere Kriterium “ohne berechtigte Zweifel” müsse nicht erfüllt sein. Auf der Grundlage dieser Beurteilung kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Beeinträchtigung von Warren Hill einer geistigen Behinderung gleichkäme. Die Behörden von Georgia legten dagegen jedoch Rechtsmittel beim Obersten Gericht des Bundesstaates ein, das 2003 mit vier zu drei Stimmen entschied, in diesem Kontext sei das Kriterium “ohne berechtigten Zweifel” anzulegen. Der Fall wurde dann an die Bundesgerichte verwiesen, und 2011 entschied ein Bundesberufungsgericht (Court of Appeals for the 11th Circuit) mit sieben zu vier Stimmen, dass selbst wenn der Bundesstaat in seiner Gesetzgebung nicht für einen angemessenen Ausgleich gesorgt hat, das US-Bundesgericht aufgrund von US-Recht nicht befugt sei einzu¬schreiten, auch wenn es die Entscheidung des bundesstaatlichen Gerichts “für nicht korrekt oder unüberlegt” erachte. / Im Februar 2013 stoppte das Bundesberufungsgericht des 11. Bezirks die Hinrichtung von Warren Hill. Zu diesem Zeitpunkt waren alle an dem Fall beteiligten ExpertInnen zu dem Schluss gekommen, dass Warren Hill an einer “geistigen Behinderung” leidet. Am 22. April jedoch wies das dreiköpfige Richtergremium das neue Rechtsmittel von Warren Hill mit der Begründung zurück, das Gericht sei den strengen Beschränkungen unterworfen, die das “Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und zur effektiven Durchsetzung der Todesstrafe” (Anti-Terrorism and Effective Death Penalty Act — AEDPA) aus dem Jahr 1996 bei aufeinanderfolgenden Rechtsmitteln anwende. Eine Richterin des Gremiums widersprach dieser Auffassung jedoch und erklärte, “ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz kann nicht angewendet werden, um das in der Verfassung festgeschriebene Recht von Warren Hill, nicht hingerichtet zu werden, außer Kraft zu setzen”. Die Richterin schrieb: “… der Bundesstaat Georgia wird einen geistig behinderten Mann hinrichten. Denn alle sieben ExpertInnen, die Warren Hill jemals untersucht haben, sowohl die vom Bundesstaat bestellten als auch die von Warren Hill beauftragen ExpertInnen, sind inzwischen zu der übereinstimmenden Auffassung gelangt, dass er geistig behindert ist.” / Die Rechtsbeistände von Warren Hill bitten den Obersten Gerichtshof der USA, die Hinrichtung zu stoppen. Der Gerichtshof hatte die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes AEDPA 1996 bestätigt und erklärt, das Gesetz habe nicht die Befugnis des Gerichtshofs aufgehoben, sich direkt mit Originalanträgen (original habeas petitions) zu befassen, d.h. unter außergewöhnlichen Umständen kann sich der Gerichtshof mit einem ihm direkt vorgetragenen Fall befassen, ohne dass der Fall nach einem Berufungsverfahren vor einem anderen Gericht an den Gerichtshof weiterverwiesen wurde. Mehrere JuraprofesssorInnen in den USA haben sich in einem Schreiben an den Gerichtshof gewandt und sich dafür ausgesprochen, dass der Gerichtshof sich zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschließen sollte.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 15. Juli 2013 hinaus, unter »> ai : urgent action
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himalaya : 0.12 — o h r m u s c h e l l ä p p c h e n