Aus der Wörtersammlung: geräusche

///

luftgeräuschworte

pic

2.15 — Ges­tern Abend gegen zehn Uhr wuss­te ich in einem Text nicht wei­ter, weil ich mich nicht erin­nern konn­te, wel­che Geräu­sche die Flü­gel einer Ein­tags­flie­ge in der Luft erzeu­gen. Ich hat­te ein hel­les Pro­pel­ler­ge­räusch im Ohr, aber immer dann, wenn ich die­ses Geräusch zu einem Geräusch hun­dert­tau­sen­der Flie­gen­tie­re sum­mie­ren woll­te, der Ver­dacht, mit mei­ner Erin­ne­rung könn­te etwas nicht ganz in Ord­nung sein. Ein Schwarm der Ord­nung Eph­emer­op­te­ra ist in der Luft kaum zu ver­neh­men. Habe fünf oder sechs Schwar­m­er­schei­nun­gen beob­ach­tet, sie sind laut­los, wir­beln­der Schnee. Und doch war da ein Ton, sobald eine Flie­ge dicht an mei­nem Ohr vor­über gekom­men oder in nächs­ter Nähe auf mir gelan­det ist. — Ein zar­tes Klap­pern viel­leicht? — Luft­ge­räu­sch­wor­te erfin­den. — stop

ping

///

rote handtasche tot

pic

20.50 — Die alte Frau mit der roten Hand­ta­sche ist tot. Wäh­rend des Tages irgend­wann muss sie im Hos­pi­tal gestor­ben sein. Jetzt, es ist ohne sie wie­der Abend gewor­den, ver­lässt ihr Fern­seh­ge­rät das Haus. Ein Hin und Her auf der Stra­ße, noch nie gese­he­ne, tief­flie­gen­de Vögel. Im Haus, vom Flur her, Kampf­ge­räu­sche, Geze­ter, Ver­wün­schun­gen, Emp­feh­lun­gen, hei­se­re Stim­men. Der Sohn ist da und der Sohn des Soh­nes, betrun­ken steht der blut­jun­ge Gei­er auf der Stra­ße her­um und regelt den Ver­kehr. Woh­nungs­auf­lö­sung. Nun, zu vor­ge­rück­ter Stun­de, hat sich mir das Wort erschlos­sen. Ein Pro­zess der Entro­pie, der Ver­wer­tung, des Ver­schwin­dens. Ich sehe die Ver­schwun­de­ne wie im Traum, eine 89-jäh­ri­ge Frau in bun­ter Klei­dung, Steh­lam­pe in der Hand, das Haus ver­las­sen. Unlängst noch war sie unter­wegs gewe­sen. Sie hat­te bereits den Gang der Hoch­see­ma­tro­sen. Manch­mal ras­te­te sie im Schat­ten der Bäu­me. Sie ging spa­zie­ren, als mel­de sie sich, Tag für Tag, bin noch am Leben. Nie­mand weiß genau, wie lan­ge sie in der Gegend, die­sem Haus, die­ser Woh­nung leb­te, sie war schon hier, als Bom­ben fie­len, und noch immer, bis ges­tern, stolz und ein­sam und zu lang­sam für die rasen­de Stadt. Jawohl, sie war stolz gewe­sen, ließ sich nicht hel­fen, nie­mand durf­te ihr Milch oder den Sand für ihre Tie­re durch das Trep­pen­haus in die Woh­nung tra­gen. Manch­mal heul­te das Fern­seh­ge­rät durch die Wand. Jetzt ist es vor­bei, jetzt wer­den Mon­teu­re und Maler kom­men. Es ist vor­bei, auch für die Kat­zen. — stop

ping

///

papiere

pic

22.02 – Ich habe Papie­re, auf die ich ges­tern Abend noch einen klei­nen Text notier­te, im Selbst­ge­spräch umkreist, ohne mich zu nähern, weil ich fürch­te­te, mei­ne Notiz könn­te mir nach fünf Stun­den Schlaf miss­fal­len. Zehn Stun­den Zeit sind seit­her ver­gan­gen und ich habe die Furcht vor den Papie­ren, die ich den gan­zen Tag über mit mir her­um­ge­tra­gen habe, ohne sie noch ein­mal zu lesen, ver­lo­ren. Ich kann nicht sagen, war­um das so ist. — stop

ping

///

julio cortazar

2

20.15 — Kur­ze Anlei­tung zum Glück­lich­sein, sagen wir so: Man ver­las­se das Haus. Auf­merk­sam jede Bewe­gung des Ver­kehrs beach­tend, gehe man so lan­ge durch die Stadt, bis man auf eine Buch­hand­lung trifft. Dort kau­fe man: Cor­ta­zar, Julio — Geschich­ten der Cro­nopi­en und Famen. Dann gehe man wei­ter spa­zie­ren, tra­ge den schma­len Band durch die Stra­ßen, bis man einen Park erreicht, wenn Som­mer, oder ein Café, wenn Win­ter ist. Dort neh­me man Platz und lese. Über den Umgang mit Amei­sen bei­spiels­wei­se, oder wie wun­der­bar ange­nehm es ist, ein Spin­nen­bein pos­ta­lisch an einen Außen­mi­nis­ter auf­zu­ge­ben. Oder man las­se sich im Uhren­auf­zie­hen oder im Trep­pen­stei­gen unter­wei­sen. Jetzt bereits wird man eine leich­te Wär­me spü­ren, die aus der Gegend des Bau­ches nach oben und unten in Arme und Bei­ne aus­wan­dert. Also lese man wei­ter, lau­sche jenen ange­neh­men Geräu­schen im Kopf, die­sem sagen wir: Jeder­mann wird schon ein­mal beob­ach­tet haben, dass sich der Boden häu­fig fal­tet, der­ge­stalt, dass ein Teil im rech­ten Win­kel zur Boden­ebe­ne ansteigt und der dar­auf­fol­gen­de Teil sich par­al­lel zu die­ser Ebe­ne befin­det, um einer neu­en Senk­rech­te Platz zu machen. Oder jenem: Trep­pen steigt man von vorn, da sie sich von hin­ten oder von der Sei­te her als außer­or­dent­lich unbe­quem erwei­sen. It works! — stop
ping

///

nebelhorn

pic

1.28 — Ges­tern Abend in der Däm­me­rung bin ich durch den Regen gestapft, weil ich gele­sen hat­te, auf dem Post­amt wür­de ein Paket auf mich war­ten. Ich ging also los mit mei­nem Regen­schirm, der sehr schö­ne Geräu­sche macht, wenn Was­ser aus gro­ßer Höhe auf ihn her­ab­fällt. Und weil es sehr win­dig war, muss­te ich den Schirm etwas schräg vor mich stel­len, wie einen Schild viel­leicht, des­halb habe ich von den Men­schen, die mir begeg­ne­ten, nur Schu­he gese­hen oder Bei­ne in Strümp­fen oder Hosen oder flat­tern­de Män­tel. Sehr selt­sam, die­ser exqui­si­te Blick auf die Werk­zeu­ge des Gehens, sehr selt­sam, wie schnell mensch­li­che Wesen sich doch bewe­gen. Bald war ich wie­der auf dem Weg zurück, ein Paket unter dem Arm, den Schirm nun, ein Segel, im Nacken, Blick auf feuch­te Schil­de, die sich mir ent­ge­gen­stemm­ten, dar­un­ter Art­ge­nos­sen, geräusch­los. — Aber jetzt zu dem, was ich eigent­lich erzäh­len will. Auf mei­nem Schreib­tisch ruht seit sechs Stun­den ein fein gestal­te­tes Buch von rau­em, kräf­ti­gem Papier, ein Buch, das mit dem Schiff zu mir über den Atlan­tik reis­te, wes­we­gen es fünf Wochen unter­wegs gewe­sen war, in einem Con­tai­ner ver­mut­lich bei Wind und Wet­ter, also roll­te und übers Was­ser schlin­ger­te, auf und ab getra­gen von sehr hohen und klei­ne­ren Wel­len. Ich habe lan­ge Zeit auf die­ses Buch gewar­tet, eine sehr lan­ge Zeit. Als ich zu war­ten begann, war noch Som­mer gewe­sen und jetzt ist schon Win­ter gewor­den. Nun end­lich liegt das klei­ne Buch, das von den Zwil­lin­gen Dai­sy und Vio­let Hil­ton erzählt, auf mei­nem Schreib­tisch oder in mei­ner Küche oder auf mei­nem Sofa oder auf mei­ner Brust, wenn ich trotz der Begeis­te­rung kurz ein­mal ein­ge­nickt sein soll­te. Da ist eine Bewe­gung im Halb­schlaf, ein kaum wahr­nehm­ba­res Schau­keln. Und da sind zwit­schern­de Mäd­chen­stim­men, und das Nebel­horn eines Damp­fers vor Brigh­ton. — stop

ping

///

geräuschstempel

2

15.01 — Wel­ches Geräusch erzeu­gen zwei Mil­lio­nen Amei­sen­bei­ne, sobald sie in rasen­der Bewe­gung einen Baum erklim­men? Exis­tiert viel­leicht ein india­ni­sches Wort für die­ses spe­zi­el­le Geräusch? Auf wel­chem Wege könn­te ich von die­sem Wort erfah­ren? Viel­leicht ein­mal eine Ges­te für das Wort erfin­den, sobald ich von ihm gehört haben wer­de. — stop

ping

///

nachtsammlung

pic

2.24 — Habe 628 Optio­nen gezählt, das Wort Nacht fort­zu­set­zen. Zum Bei­spiel: Nach­ti­gal­len­af­fe Nacht­ge­wöl­be Nacht­duft Nacht­durch­schwär­mer Nacht­eu­len­ton Nacht­ge­fie­der Nacht­wolf. Oder aber Nacht­pa­pa­gei : das ist der merk­wür­digs­te aller papa­gei­en, der kaka­po von neu­see­land [ stri­go­ps habrop­ti­lus ], den man mit dem­sel­ben rech­te, mit wel­chen man die eulen im gegen­satz mit den fal­ken einer beson­de­ren fami­lie unter­bringt, als einen ver­tre­ter einer eige­nen fami­lie betrach­ten muss. [ nach Grimm­sches Wör­ter­buch N – Q ] — Drei Uhr zwölf. In mei­nen Zim­mern ame­ri­ka­ni­sche Stim­men. Funk­ge­räu­sche. Geräu­sche mei­ner Kind­heit. Welt­raum­ge­räu­sche. Geräu­sche, wie sie auch in Guan­ta­na­mo zu hören sind. Den Schlaf rau­ben­de Geräu­sche. — stop

ping

///

libelle

pic

17.57 — Eine Libel­le, die dicht über der Was­ser­ober­flä­che nach Flie­gen jagt. Höre das Brum­men ihrer Flü­gel. Ein kraft­vol­les Geräusch. Eines die­ser Geräu­sche, die man mit dem Bauch zu hören meint, als wären dort gehei­me Ohren für Libel­len­ge­räu­sche ange­bracht. In die­sem Moment nun, die Libel­le schwebt fast bewe­gungs­los vor mir in der Luft, der Gedan­ke, man soll­te win­zi­ge Gene­ra­to­ren auf den Rücken der Libel­len ver­schal­ten, genau dort, wo die Mecha­nik des Flu­ges aus ihrer Brust ent­steht. — Das schö­ne Licht der Dioden über den Som­mer­seen. — Exis­tie­ren viel­leicht heim­li­che Struk­tu­ren in mei­nem Kör­per, die nicht bereits mit einem grie­chi­schen oder latei­ni­schen Namen bezeich­net sind? — stop

ping



ping

ping