Aus der Wörtersammlung: licht

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liebeslaute

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1.55 — Seit ich ges­tern, gegen den Mor­gen zu, erfah­ren habe, dass Buckel­wa­le zur Paa­rungs­zeit über eine Spra­che ver­fü­gen, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist, immer wie­der die Fra­ge, was ich unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che ver­ste­hen soll­te, die atem­lo­se Spra­che der Lust viel­leicht oder die Spra­che der Chat­räu­me? Ob eine die­ser mensch­li­chen Spra­chen viel­leicht geeig­net wäre, sich mit­tels einer Pro­ze­dur der Über­set­zung von Wal zu Mensch zu ver­stän­di­gen? Wir könn­ten uns vom Land und von der Tief­see erzäh­len. Eine gran­dio­se Vor­stel­lung, auf hoher See Luft per­lend vor einem Wal zu schwe­ben und zu war­ten und zu wis­sen, dass er gleich, nach ein wenig Denk­zeit, zu mir spre­chen wird. Etwas also sagen oder sin­gen, das nur für mich bestimmt ist. Viel­leicht eine Fra­ge: Wie heißt Du, mein Freund? Oder : Ich hör­te von Bäu­men! - Es ist 2 Uhr 10 und ich bin sehr gut gelaunt, weil ich etwas Lich­ten­berg gele­sen habe. Er schreibt um das Jahr 1774 her­um: Eine Fle­der­maus könn­te als eine nach Ovids Art ver­wan­del­te Maus ange­se­hen wer­den, die, von einer unzüch­ti­gen Maus ver­folgt, die Göt­ter um Flü­gel bit­tet, die ihr auch gewährt wer­den. – Wie aber soll­te ich einem Wal­freund Abu-Ghraib, Gros­ny, Dar­fur, Sim­bab­we, Tibet und Bur­ma erklä­ren, das Fol­tern, das Okku­pie­ren, das offe­ne und das heim­li­che Töten von Men­schen­hand? Und wie den Hun­ger? Und wie das Schwei­gen? — stop

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segelspinne

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3.08 — Eine Stun­de genau ist ver­gan­gen, seit ein sehr klei­ner Gegen­stand den Luft­raum über der Tas­ta­tur mei­ner Schreib­ma­schi­ne durch­quer­te. Er kam von links, also von Wes­ten, und flog nach rechts, also gegen Osten, und weil nicht das gerings­te Geräusch zu hören war, das Geräusch eines Auf­pralls in etwa, war ich zunächst über­zeugt, mich geirrt zu haben. Aber dann konn­te ich im Licht der Tisch­lam­pe einen sehr fei­nen Faden erken­nen, der sich über die Tas­ten gelegt hat­te. Ich erin­ner­te mich sofort an eine Spin­ne, die ich im Früh­jahr zuletzt auf mei­nem Schreib­tisch gese­hen habe, ein hüb­sches, geräusch­lo­ses Wesen. — Es ist jetzt kurz nach halb fünf Uhr und ich bin zufrie­den. Ich habe eine Stun­de lang nichts getan, als mit einem fei­nen Pin­sel bewaff­net auf der Schreib­tisch­plat­te unter dem Licht des Elek­tro­mon­des einen Kampf gegen eine Spring­spin­ne zu fech­ten, die kaum grö­ßer ist als ein Steck­na­del­kopf, schwarz und weiß geti­gert, und so ver­spielt wie eine jun­ge Kat­ze. — Habe ich die­sem Text nicht bereits vor lan­ger Zeit ein­mal nach­ge­dacht? — stop

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wartezeit

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0.15 — Ich schrei­be die­sen Text heut Nacht nur aus einem Grund: Ich wün­sche, wach zu blei­ben. Vor den Fens­tern: Dun­kel. Das Licht einer Stra­ßen­la­ter­ne ist aus­ge­fal­len und der Him­mel bedeckt. Jetzt ste­he ich auf. Lau­fe hin und her und pfei­fe. Sobald ich am Schreib­tisch vor­über­kom­me, setz­te ich mich und schrei­be ein paar Wör­ter und dann ste­he ich wie­der auf und gehe pfei­fend wei­ter. Nichts weist dar­auf hin, dass die­ser Text tat­säch­lich von einem lau­fen­den Men­schen gedacht und geschrie­ben wur­de, von einer Per­son, die je nur ein oder zwei Wor­te notier­te, um sogleich wei­ter­zu­ge­hen. Alles könn­te nur behaup­tet sein. — Wes­halb höre ich auf zu pfei­fen, sobald ich schrei­be?  Ist die Zeit, die ich damit ver­brin­ge, auf ein Wort zu war­ten, als Arbeits­zeit anzu­se­hen? Ist der Zustand kon­zen­trier­ter Auf­merk­sam­keit für sich schon eine Leis­tung? — stop

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libelle

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17.57 — Eine Libel­le, die dicht über der Was­ser­ober­flä­che nach Flie­gen jagt. Höre das Brum­men ihrer Flü­gel. Ein kraft­vol­les Geräusch. Eines die­ser Geräu­sche, die man mit dem Bauch zu hören meint, als wären dort gehei­me Ohren für Libel­len­ge­räu­sche ange­bracht. In die­sem Moment nun, die Libel­le schwebt fast bewe­gungs­los vor mir in der Luft, der Gedan­ke, man soll­te win­zi­ge Gene­ra­to­ren auf den Rücken der Libel­len ver­schal­ten, genau dort, wo die Mecha­nik des Flu­ges aus ihrer Brust ent­steht. — Das schö­ne Licht der Dioden über den Som­mer­seen. — Exis­tie­ren viel­leicht heim­li­che Struk­tu­ren in mei­nem Kör­per, die nicht bereits mit einem grie­chi­schen oder latei­ni­schen Namen bezeich­net sind? — stop

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medusenzimmer

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4.37 — Man stel­le sich ein­mal ein Zim­mer vor, ein freund­li­ches, hel­les Zim­mer von aller­feins­ter Qual­len­haut, ein Zim­mer von Was­ser, ein Zim­mer von Salz, ein Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer und alles, was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. – Null Uhr acht : Haben wir noch alle Tas­sen im Schrank? — stop

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china

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0.20 — Im Win­ter nach Ber­lin, immer im Win­ter, immer nachts, im Wes­ten ein lang­sam fah­ren­der Zug hin­ter Bebra. Dann Gren­ze. Ein Pos­ten. Tür­me. Metall. Und Licht. Gel­bes Licht, demo­lier­tes Licht. Und Hun­de, jawohl, Hun­de. Dann Osten. Von Stadt zu Stadt durchs unbe­kann­te Land. Auf Bahn­stei­gen : Volks­po­li­zei, Rücken zum Zug, Wachen oder so etwas, in den Abtei­len mit Stem­pel, mal freund­lich, mal fins­ter, mal kühl. Dann wie­der Gren­ze. War­ten. Ran­gie­ren. Demo­lier­tes Licht. Irgend­je­mand schlägt von unten her mit Metall gegen den Boden des Zuges. Hun­de. Dann Wes­ten. Herrn in Zivil, Staats­schutz, von Abteil zu Abteil. Dann Zoo. Wenn man so, immer nachts, reist, kaum Kennt­nis vom Land, durch das man kommt, sagt man, das riecht hier anders, das riecht hier nach Koh­le. Man steht an einem Fens­ter in die­sem Zug, der war­tet in Hal­le. Es ist gegen fünf in der Früh und man weiß, man darf nicht aus­stei­gen, man weiß, die Ande­ren auf den Bahn­stei­gen jen­seits der Pos­ten, jen­seits der Gelei­se, dür­fen nicht ein­stei­gen, man weiß, Schüs­se könn­ten fal­len. Die da drau­ßen her­um­ste­hen, die aus dem Mund damp­fen, die von der Mor­gen­schicht in Hal­le, wis­sen das bes­ser als die, die im Zug ste­hen und mit West­au­gen einen Kon­takt suchen für Sekun­den. Schüs­se könn­ten fal­len, jawohl, Schüs­se. Und deut­sche Spra­che, — Halt! Ste­hen bleiben!

Ich erin­ne­re mich an eine Text­pas­sa­ge. Mal­colm Lowry an Bord des Schlacht­kreu­zers, H.M.S.Proteus. Man liegt vor chi­ne­si­scher Küs­te, man spielt Cri­cket an Deck. Nicht weit, jen­seits des Was­sers an Land, war ein schreck­li­cher Krieg im Gan­ge. „Dum! Dum! Dum!, aber die gan­ze Sache feg­te über unse­re Köp­fe hin­weg, ohne uns zu berüh­ren.“ — „Sie kön­nen sagen, dass ich dem Mann glei­che, von dem sie viel­leicht gele­sen haben, der sein Leben auf einem Schiff ver­brach­te, das regel­mä­ßig zwi­schen Liver­pool und Lis­sa­bon hin — und her­fuhr, und bei sei­ner Ent­las­sung über Lis­sa­bon nur sagen konn­te : die Stra­ßen­bah­nen fah­ren dort schnel­ler als in Liver­pool.“ Ich erin­ne­re mich an eine Notiz des rus­si­schen Dich­ters Wene­dikt Jero­fe­jew : „Alle sagen, — der Kreml, der Kreml. Alle haben mir von ihm erzählt, aber selbst habe ich ihn kein ein­zi­ges Mal gese­hen. Wie vie­le Male schon habe ich im Rausch oder danach mit brum­men­dem Schä­del Mos­kau durch­quert, von Nor­den nach Süden, von Wes­ten nach Osten, aufs Gera­te­wohl, von einem Ende zum ande­ren, aber den Kreml habe ich kein ein­zi­ges Mal gesehen.“

Ein­mal, wie­der Win­ter in Ber­lin, Ber­­lin-West, 1987, ein Fest. Geräu­mi­ge Woh­nung. Auf den Tischen Schnaps­fla­schen und Erd­beer­glä­ser. Man sagt, das sei so üblich, — Gäs­te aus dem Osten, Schnaps auf dem Tisch. Da ist ein klei­ner Mann, schüt­te­res Haar. Sitzt die Nacht über an einem der Tische, trinkt und schlägt irre Rhyth­men mit­tels Mes­sern und Gabeln auf Tel­ler, an Glä­ser. Man sagt, der Mann sei gera­de rüber gekauft, man sagt, er habe in Baut­zen II geses­sen, man sagt, ein­mal, fros­ti­ge Luft, habe man den Mann aus­ge­zo­gen, man habe ihn aus­ge­zo­gen und in eine Schleu­se gestellt, man habe ihn dort ver­ges­sen unter frei­em Him­mel, dann habe man sich sei­ner erin­nert, dann habe man ihn warm geprü­gelt. — Irre Rhyth­men. — Hab ich also Land betre­ten. — stop

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papiere

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23.30 — Ob es viel­leicht mög­lich ist, Papie­re zu erfin­den, die ess­bar sind, nahr­haft und gut ver­dau­lich? Man könn­te sich in einen Park set­zen, bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lowry oder Cal­vi­no, Bücher, die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schmeck­ten, nach Bir­nen, Gin, Petro­le­um oder sehr fei­nen Höl­zern. Einen spe­zi­el­len Duft schon in der Nase, wird die ers­te Sei­te eines Buches gele­sen, und dann blät­tert man die Sei­te um und liest wei­ter bis zur letz­ten Zei­le, und dann isst man die Sei­te auf, ohne zu zögern. Oder man könn­te zunächst das ers­te Kapi­tel eines Buches durch­kreu­zen, und wäh­rend man kurz noch die Geschich­te die­ser Abtei­lung reka­pi­tu­liert, wür­de man Stür­me, Per­so­nen, Orte und alle Anzei­chen eines Ver­bre­chens ver­spei­sen, dann bereits das nächs­te Kapi­tel eröff­nen, wäh­rend man noch auf dem Ers­ten kaut. Man könn­te also, eine Biblio­thek auf dem Rücken, für ein paar Wochen eisi­ge Wüs­ten durch­strei­fen oder ein paar sehr hohe Ber­ge bestei­gen und abends unter dem Gas­licht in den Zel­ten lie­gen und lesen und kau­en und wür­de von Nacht zu Nacht leich­ter und leich­ter wer­den. – Sechs Uhr drei­ßig in Nay­py­idaw, Bur­ma. Mor­gen­däm­me­rung. — stop

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