nordpol : 0.15 – Ist es möglich, unter Wasser mit dem Wasser zu sprechen? — stop
Aus der Wörtersammlung: nordpol
calle de hernán cortéz No 7
nordpol : 0.02 – Ich habe einen Brief geschrieben. Der Brief geht so: Liebe Mrs. Kekkola, lieber Mr. Kekkola, Ihrem Sohn geht es gut! Seine künstlichen Lungen arbeiten, als hätte er nie zuvor ohne sie gelebt. Jonathan wandert derzeit unter wilden Bären in nordamerikanischen Wäldern. Leider habe ich Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Wohnung [Calle de Hernán Cortéz No 7, 8. Etage], die Sie, wie wir unseren Unterlagen entnehmen, seit 75 Jahren nicht verlassen haben, undicht geworden ist. Ihr l.k. mit besten Grüßen – Kurz, nachdem ich den Brief zu Ende notiert hatte, der Eindruck, dass ich mir selbst ein wenig unheimlich werde, warum? — stop
tauchgang wiegend
nordpol : 0.02 — Tiefseeelefanten wirklich zu begegnen, heißt, gegen den Grund zu reisen, dorthin, wo Herz und Gehirn, Ohren und Augen auf kräftigen Beinen über den Meeresboden wandern. Vielleicht ist man gerade in einem Boot auf dem Weg, ein paar Fische zu fangen. Man vernimmt ein Schnauben zunächst, eine Begrüßung, eine Frage, aber schon mit dem folgenden Gedanken, wird man sich, von einem Rüssel zärtlich in die Wiege genommen, im Wasser wieder finden. Dann geht’s abwärts. Eine Fahrt in die Tiefe, wie keine andere je zuvor. Einhundert Meter Blau, jetzt schließen sich die Augen. Man träumt von Rüsselwäldern, von Schwärmen glimmender Fische, von der Kühle, vom Eis, von feurigen Augen, für die man keine Worte finden kann, so seltsam ihr Ausdruck, so geduldig, so weise, und so sonderbar die Geräusche der eigenen Knochen, ein Malmen, in dem man kleiner wird und kleiner. — Woher ich das alles weiß? Nun, ich bin in der vergangenen Nacht gegen Zwei, Benny Goodman im Ohr, ins Wasser gefallen. — Ein Knistern, noch heute. — stop
database
nordpol : 14.50 — Sobald ich mit einer kleinen Programmmaschine die Datenbank meiner Particlesdenkbewegung halb automatisch von Ballast befreie, die Empfindung, tatsächlich, ich selbst, körperlich leichter geworden zu sein. Congratulations, your database is completely optimized! — stop
südpol
nordpol : 22.50 — Gestern, abends kurz nach Acht, wurde mir das erste Eisbuch meines Lebens zugestellt. Folgendes, begleitend, war notiert: Das Walfischorchester. Eine Novelle von Louis Kekkola. 102 Seiten. 22.85 £. Haltbar bei minus 5° C bis Dezember 2012. Hochachtungsvoll ∼ Marks & Company, 84. Charing Cross Road. London. / Zwei Stunden lang, ein Tiger, vor dem Kühlschrank auf und ab. — stop
narehet
nordpol : 0.12 — Der Versuch, rückwärts zu denken. Wie das Wort salamanderlinks mit einem Finger ins Wasser zu schreiben. Oder das Wort teheran.
taube
nordpol : 0.08 — Kürzlich im Traum im Park ein Gespräch mit einer Taube, geräuschlos war sie auf meiner linken Schulter gelandet. Ich erkundigte mich, weshalb sie und alle ihre Taubenfreunde so tief, so dicht über den Boden fliegen würden an diesem schönen Sommertag. Die Taube antwortete: Über das Licht, das aus dem Boden kommt, wissen wir alles. Heute viel Sonne von unten. Sie spähte dann in das Buch, das ich mir zu lesen vorgenommen hatte. Und weil sie sehr viel schneller las als ich, zerrte sie ungeduldig an meinem Ohrläppchen, sobald sie warten wusste, bis ich endlich weiterblätterte. – Anatomische Arbeitswörter des Abends : Lobus Temporalis : Mandelkern : Hippocampus : Thalamus. — stop
afrika
nordpol : 0.03 — Beobachtete in einem Bus (Take five) eine Mutter und ihr Kind. Zwei Männer von dunkler Hautfarbe saßen gegenüber. Sie unterhielten sich. Das Kind hörte aufmerksam zu. Dann lachten die Männer und das Kind fragte die Mutter, was die Männer erzählten, worüber sie lachten. Sogleich lauschte die Mutter zu den Männern hin. Sie lauschte lange, sie lauschte auch mit den Augen. Es war nicht die englische und auch nicht die französische Sprache, die sie vernahm, es war eine seltsam klingende Sprache, Klick. Klick. Die Mutter sagte zum Kind: über Afrika. – Während ich diese Geschichte notierte, erinnerte ich mich an einen Gedanken, den G.C.Lichtenberg bereits um das Jahr 1778 herum formulierte. Er schrieb: Vorstellungen sind auch ein Leben und eine Welt. – So ist jetzt wieder Nacht geworden. Ein Himmel schön dunkel von schweren Wolken, gleich wird es Frösche regnen. — stop
mauritius
~ : louis
to : Mr. lichtenberg
subject : MAURITIUS
Mein lieber Lichtenberg, wie unermesslich meine Freude, seit ich weiß, dass Sie lesen, was ich notiere. Noch immer bin ich wie benommen, sitze herum und überlege, ob sich nun meine Schreibwelt möglicherweise wesentlich verändern wird. Nicht leicht, für einen kleinen Schriftsteller, wie ich einer bin, zu wissen, wer von oben her zusieht, ohne sofort alle Unbefangenheit zu verlieren. Nehme an, Sie haben einen vollständigen Blick auf mich, auf meine Person, nicht nur auf Zeichen und Bilder. Ganz sicher beobachteten Sie deshalb meinen Luftsprung gestern, kurz nachdem ich das Postfach geöffnet hatte. Ihr Brief, das wunderbar kräftige und raue Papier des Couverts, ein Stempel auf einer blauen Marke. Eine Mauritius, nicht wahr? Ich habe, nein, nein, ich habe sie nicht übersehen und wenn ich mich nicht irre, ausgesorgt, mit Ihrer Hilfe bis an mein Lebensende. Jetzt frage ich mich natürlich, schreiben Sie denn noch mit der Hand dort oben? Sitzen Sie auf Stühlen oder schweben sie herum und denken sich alles nur aus und sofort aufs Papier? Wird noch Nacht und Tag oder ist immerzu das richtige Licht, so wie Sie’s gerade brauchen? Ob sie mir wohl manchmal zuhören, verzeichnen, was ich spreche, wenn ich träume? — Ihr Louis, mit herzlicher Freude!
feuerbäume
nordpol : 2.15 — Im Süden, in den Bergen, liegt ein Tal in großer Höhe, eine Hochebene, die dicht von Ahornbäumen bewachsen ist. Jedes Jahr im Herbst möchte man meinen, ein großes Feuer sei im Tal unter den Bäumen ausgebrochen, eine Feuersbrunst, die nicht nur alle die verwitterten Bäume verschlingen wollte, sondern gleich noch ein paar Berggipfel und Dörfer dazu. Aber das ist natürlich Unsinn, die Luft ist für ein wirkliches Feuer viel zu kalt und die Wiesen unter den Bäumen sind saftig und feucht. Libellen, schon langsam geworden, fliegen auf und ab. Sie ahnen den Winter, wie die Sumpfdotterblumen, die morgens nur noch außergewöhnlich aufstehen wollen. Nichts Aufregendes also in dieser Landschaftsbeschreibung. Alles das kommt vor in den Bergen, auch Schulen blutjunger Kentauern, die in der Dämmerung vergeblich nach Hasen jagen. Wenn da nicht jene seltsamen Pilze wären, die noch ohne Namen sind, weil man sich bisher nicht einigen konnte, ob sie nun tatsächlich noch Pilze oder nicht doch schon ganz andere Wesen sind. Solange das Sonnenlicht ins Tal einfallen kann, verstecken sie sich zwischen den Gräsern der Bergwiese in Gestalt der Boviste, sobald es aber dunkel geworden ist, ich kann ihnen sagen, fliegen sie los. Sie entfalten Schirme von unglaublicher Größe und leuchten in zitronengelber Farbe und schweben stundenlang und lautlos dicht über die Kronen der Ahornbäume dahin. Was haben Pilze dort oben am Himmel verloren? Und wie finden sie wieder zurück auf die Erde? Warum überhaupt kommen sie zurück? Seltsame Substanzen. Ich muss das im Auge behalten. – Es ist jetzt kurz nach 2 Uhr. Eigentlich hatte ich vor, einen kleinen Brief an Kenzaburo Oe zu schreiben, um ihm mitzuteilen, dass Mrs. Callas gestern in den frühen Morgenstunden endgültig abreisen konnte, dass sie für mich wieder zu reinen Schriftzeichen geworden ist. Für diesen Brief ist es jetzt zu spät. Werde morgen eine Depesche notieren. — stop