lima : 18.30 UTC — Eine seltsame Vorstellung vielleicht: In dem Bild dieser Vorstellung würde jede digitale Verbindung unserer handlichen Telefone je zu einem Faden werden oder einem Seil, sodass wir uns in unseren Städten kaum noch von einem Ort zu einem anderen Ort bewegen könnten. — stop
Aus der Wörtersammlung: dschungel
von brillen
tango : 0.25 UTC — In einer agentenbasierten Simulation des Infektionsverlaufes einer SARS-CoV‑2 Pandemie scheint zwischen einem Agenten ohne und einem Agenten mit Brille, ein grundsätzlicher Unterschied zu bestehen. Brillen auf Nasen schützen Augen vor Händen, die infektiös sein können. Fortan im Dschungel der Stadt eine Brille tragen. — stop
chicago
india : 16.28 UTC — Einmal, ich habe vor zwei Jahren bereits davon erzählt, arbeitete ich im Palmengarten abends bei leichtem Regen auf einer Bank. Neben mir saß ein Mann, der mich nicht sehen, aber hören konnte. Ich bemerkte nicht sofort, dass er blind war, weil ich unter einem Regenschirm saß, auch der Mann hatte einen Regenschirm über sich aufgespannt. Kaum hatte ich Platz genommen, notierte ich zunächst eine Liste von Büchern in mein Notebook, die sich mit der Arbeitswelt der Menschen beschäftigen. Sie schreiben schnell, sagte der Mann plötzlich, sie sind wohl geübt. Sie haben vielleicht etwas im Kopf, das sie loswerden wollen. Als ich mich dem Mann zuwendete, bemerkte ich, dass er den Regenschirm in eine langsame Drehung versetzt hatte, sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Wenn das meine Schreibmaschine wäre, könnte ich Ihnen genau sagen, was sie gerade geschrieben haben. Ich kann hören, was meine Schreibmaschine schreibt. Der Mann machte eine kurze Pause. Was haben sie denn aufgeschrieben, wollte er dann wissen. Ich antworte: Einige Namen, Namen, die sie vielleicht schon einmal gelesen haben. Melville. Bukowski. Upton Sinclair. Max von der Grün. – Gelesen nicht, antwortete der Mann, aber gehört habe ich zwei der Namen. Upton Sinclair’s Dschungelbuch existiert in englischer Sprache als Hörbuch für Blinde oder für Menschen, die nicht lesen wollen. Ich würde gerne lesen, aber das geht ja nicht so leicht, wenn man nichts sieht. Der Mann lachte. Ich höre dem Regen gerne zu, aus meiner Sicht der Dinge ist das so, als würde der Regen schreiben, hören Sie, wie es regnet, wie es schreibt. Ist das nicht wunderbar! – Ich fragte den Mann, ob er denn lesen oder hören könne, was der Regen genau notiere in diesem Augenblick. – Aber natürlich, antwortete der Mann, es ist mit jedem Regen etwas anderes, nicht wahr, der Regen, der auf das Meer fällt, erzählt etwas anderes, als dieser Regen hier, der über einem kleinen See niedergeht. Für einen Moment stand der Regenschirm neben mir ganz still. Ich hörte ein Flüstern: Dieser Regen hier erzählt von Chicago. — stop
vom suchen und finden
zoulou : 15.01 UTC — Das Suchen nach Gegenständen in Gärten, oder das Suchen nach Menschen in Wäldern oder Parklandschaften, wo sie sich freiwillig versteckten, Vergnügen, Freude, Glück, wie das Suchen nach Büchern oder Zitaten in Antiquariaten, die zum Zeitpunkt der Suche noch nicht digitalisiert worden waren. Einmal hörte ich eine Freundin an ihrem 85. Geburtstag, wie sie sich nach ihrer Brille erkundigte. Ich wusste genau, wo sich die Brille in dem Moment ihrer Frage aufgehalten hatte, aber meine alte Freundin schimpfte, während sie nach ihrer Brille suchte, so freundlich vor sich hin, und erzählte Geschichten, die sie entdeckte, obwohl sie doch nach ihrer Brille suchte, dass ich mir ein wenig Zeit ließ, um ihr zu sagen, wo sie ihre Brille sofort finden könnte. Ich erinnere mich, wie ich als Kind einen Wald durchsuchte, in dem ein weiterer, etwas kleinerer Wald enthalten war, ein Efeudschungel nämlich, es war ein feuchtwarmer Tag und die Luft duftete nach Löwenmäulchen. Anstatt der erwarteten Schneckengehäuse, fand ich eine Herde goldbrauner Frösche vor, die sich vermutlich über mein Erscheinen wunderten. Vor drei Tagen bemühte ich mich längere Zeit um die Erfindung einer Telefonnummer, die in der Stadt Chicago vorkommen könnte, aber garantiert nicht existiert. Und noch heute, vor drei Stunden, suchte ich nach einer größeren oder kleineren Stadt, in der folgende Adresse existiert: im Schnee 10. Obwohl ich zahlreiche, auch spezielle Suchmaschinen verwendete, war ich nicht erfolgreich gewesen. Ich sollte vielleicht sagen, dass manchmal wunderbar ist, nicht zu finden, was man sucht, es könnte dann reine Erfindung sein. — stop
chicago
tango : 6.05 — Im Palmengarten abends bei leichtem Regen auf einer Bank. Neben mir saß ein Mann, der mich nicht sehen, aber hören konnte. Ich bemerkte nicht sofort, dass er blind war, weil ich unter einem Regenschirm saß, auch der Mann hatte einen Regenschirm über sich aufgespannt. Kaum hatte ich Platz genommen, notierte ich zunächst eine Liste von Büchern in mein Notebook, die sich mit der Arbeitswelt der Menschen beschäftigen. Sie schreiben schnell, sagte der Mann plötzlich, sie sind wohl geübt. Sie haben vielleicht etwas im Kopf, das sie loswerden wollen. Als ich mich dem Mann zuwendete, bemerkte ich, dass er den Regenschirm in eine langsame Drehung versetzt hatte, sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Wenn das meine Schreibmaschine wäre, könnte ich Ihnen genau sagen, was sie gerade geschrieben haben. Ich kann hören, was meine Schreibmaschine schreibt. Der Mann machte eine kurze Pause. Was haben sie denn aufgeschrieben, wollte er dann wissen. Ich antworte: Einige Namen, Namen, die sie vielleicht schon einmal gelesen haben. Melville. Bukowski. Upton Sinclair. Max von der Grün. – Gelesen nicht, antwortete der Mann, aber gehört habe ich zwei der Namen. Upton Sinclairs Dschungelbuch existiert in englischer Sprache als Hörbuch für Blinde oder für Menschen, die nicht lesen wollen. Ich würde gerne lesen, aber das geht ja nicht so leicht, wenn man nichts sieht. Der Mann lachte. Ich höre dem Regen gerne zu, aus meiner Sicht der Dinge ist das so, als würde der Regen schreiben, hören Sie, wie es regnet, wie es schreibt. Ist das nicht wunderbar! – Ich fragte den Mann, ob er denn lesen oder hören könne, was der Regen genau notiert in diesem Augenblick. – Aber natürlich, antwortete der Mann, es ist mit jedem Regen etwas anderes, nicht wahr, der Regen, der auf das Meer fällt, erzählt etwas anderes, als dieser Regen hier, der über einem kleinen See niedergeht. Für einen Moment stand der Regenschirm neben mir ganz still. Ich hörte ein Flüstern: Dieser Regen hier erzählt von Chicago. — stop
san lorenzo de esmeraldas
kilimandscharo : 6.55 — Am Samstag der vergangenen Woche erreichte mich eine Warensendung, die in einem Dorf namens San Lorenzo de Esmeraldas bereits im Juli aufgegeben worden war. Die kleine Ortschaft liegt nahe der Grenze zu Kolumbien im Dschungel unweit der Pazifikküste, lange Nächte, feuchte Luft, kreischende Tamarine. Das Päckchen, ich hatte lange darauf gewartet, enthielt ein Kästchen von Holz in der Größe einer Zigarrenschachtel, das mittels eines blauen Gummiriemens verschlossen wurde. Ich stellte das Kästchen auf meinen Schreibtisch ab, um es vorsichtig zu öffnen. Feiner, heller Sand wurde sichtbar, Sand, so fein wie gemahlener Kampot-Pfeffer. Bald arbeitete ich mich mit einem Pinsel vorsichtig in die Tiefe voran, bis ich auf zwei Körper stieß. Es handelte sich um Käferwesen, die deshalb etwas Besonderes darstellten, weil sie je über zwei Köpfe verfügten und über sechs Fühler, die im Moment meiner Besichtigung nicht im Geringsten auf meine Gegenwart reagierten. Nach einer halben Stunde, ich hatte die Käfer bis dahin liebevoll betrachtet, waren endlich Lebenszeichen zu erkennen, die Fühler der Käfer bewegten sich, und ich hob sie aus ihrem Sandbett und sie schlugen mit den Flügeln, als wollten sie mich begrüßen. Ihre Körper waren weich, sie bebten, und sie verströmten einen feinen Duft, der mich an Mandeln erinnerte. Zur ersten Probe setzte ich einen der Käfer an mein linkes Ohr, und der Käfer drang unverzüglich in mich ein, sehr behutsam, bis ich bemerkte, dass seine Fühler mein Trommelfell betasteten. Kurz darauf weitete sich sein Körper, ich hörte ihn knistern, bis er meinen Gehörgang vollständig füllte. Ein Pochen war zu vernehmen, das mich müde werden ließ. Kaum hatte ich den zweiten Käfer in das andere meiner Ohren gesetzt, schlief ich ein. Zwölf Stunden lang schlief ich tief und fest, meine Stirn ruhte auf dem Schreibtisch. Als ich erwachte, hatten sich beide Käfer wieder in ihr Sandbett zurückgezogen. Es ist jetzt früher Morgen. — stop
aquarium
whiskey : 0.01 — Ein seltsames Geräusch, das mich weckte, als würden singende Grillen in meinem Zimmer sitzen. Ich stand dann auf und träumte in der Küche, während ich das Frühstück machte, noch etwas weiter, aber bald hörte ich es wieder, das Geräusch durch den Flur um die Ecke. Nein, Grillen waren das nicht, auch keine heiseren Vögel. Was ich hörte, war das glückliche Trompeten einer Herde Tiefseeelefanten, die im Aquarium zwischen Johnson und Melville im Kreis herumspazierte. Nicht größer als Murmeln und von tiefblauer Farbe, tasteten sie mit haarfeinen Rüsseln im Sand und an den Scheiben. Die ein oder andere Dschungelpflanze hatten sie, während ich schlief, aus dem Boden gerissen, überhaupt war die Landschaft, die ich seit Jahren kenne, in Aufruhr geraten, Muschelhäuser segelten durchs warme Wasser, auch Panzerwelse und ein paar Sumatrabarben, ohne Fassung, wie irr, mit dem Bauch nach oben. Ein faszinierender Anblick, ein Tollhaus. Wie ich mich liebevoll über das Aquarium beugte, hoben sie ihre Rüssel aus dem Wasser und ich spürte den Luftzug ihrer Instrumente auf der Stirn. Und jetzt ist Mitternacht geworden, das Ende eines wunderschönen Tages der Beobachtung, den ich auf meinem Gartenstuhl verbrachte. Ich habe weder gelesen noch sonst gearbeitet, nur geschaut habe ich und gestaunt. — stop
yanuk : stille
~ : yanuk le
to : louis
subject : STILLE
date : sept 7 08 10.15 p.m.
Lieber Mr. Louis, in der vergangenen Nacht sind seltsame Dinge geschehen. Ich hatte auf Höhe 258 mein Zelt aufgeschlagen, weil es geregnet, nein, weil es sehr stark geregnet hatte gestern Nachmittag. Die Bäume tropften und ich ahnte, dass nachts noch einmal Regen fallen würde, so feucht war die Luft geworden. Ich legte mich also in mein Zelt, hörte dem Singen der Nachtaffen zu und irgendwann schlief ich ein. Als ich erwachte, war es noch immer dunkel. Ich konnte nichts hören, keinen Laut, es war so still, als hätte ich meine Ohren verloren. Ja, für einen Moment dachte ich, dass das Hörvermögen der Lebewesen vielleicht nur eine Idee gewesen war, eine poetische Eigenschaft ohne die Möglichkeit einer Verwirklichung, und doch hörte ich Stille, ich hörte, dass ich nichts hörte, nichts von Außen her, also Stille von Außen, aber ein rhythmisches Geräusch von Innen, vermutlich die Bewegung meines Blutes. Ich verließ das Zelt und hörte noch immer nichts als mein Herz, das etwas schneller schlug. Eine Wolke kleinster Fliegen tanzte um meine Kletterlaterne, zwei Geckos saßen an einem Stamm in ihrer Nähe und angelten sich die schönsten Exemplare heraus. Ich hatte ihnen gestern bereits bei ihrer bequemen Arbeit zugesehen, und ich erinnerte mich, dass der Dschungel um mich herum geknistert hatte und die Affen ein unentwegtes Gespräch führten über große Distanz. Jetzt, wie zur Prüfung, berührte ich meine Ohren, sie waren noch da, beide Muscheln. Indem ich an der linken Muschel zog, drehte sich etwas herum in meinem Ohr, es krachte und ich hatte den festen Eindruck, besucht worden zu sein. Und auch rechts drehte man sich in meinem Ohr, sobald ich daran zog, zur Seite, aber dann wieder Stille beiderseits. Ich legte mich ins Zelt zurück und überlegte, ob ich vielleicht in Gefahr sein könnte, ob man vielleicht mein Gehirn betreten wollte, und weil es so schön still war, bin ich eingeschlafen. Ich schlief sehr lange, war schon hell, als ich erwachte, und der Dschungel knisterte und wisperte um mich her, und ich hörte die Affen des Tages und das Rufen der Nashornvögel und lag eine Weile so da, froh wieder hören zu können. Wie jeden Morgen saßen prachtvolle Käfer und Falter und Fliegen an den Wänden meines Zeltes. Und alle taten sie so, als hätten sie mit meinen Ohren nicht das Mindeste zu tun. stop. Yanuk
eingefangen
0.52 UTC
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