Aus der Wörtersammlung: minute

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Port-au-Prince

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marim­ba : 1.05 — Auf Hai­ti, einer Insel, essen Men­schen, sobald sie ein Gefühl des Hun­gers ver­spü­ren, Plätz­chen, das heißt, sie ver­zeh­ren von der Son­ne getrock­ne­te Schei­ben von Lehm, der mit Mar­ga­ri­ne und einer Hand­voll Salz in Metall­fäs­sern ver­rührt wor­den ist. Kurz dar­auf haben die Men­schen Schmer­zen, aber kei­nen Hun­ger für drei Stun­den. Wenn sie auf die Stra­ße gehen, um der Welt von ihrem Hun­ger, der bald wie­der­kom­men wird, und ihren Schmer­zen im Bauch zu erzäh­len, wer­den sie von Sol­da­ten der UN und Poli­zis­ten ihres Lan­des erschos­sen. stop.  Von mei­nem Fern­seh­bild­schirm abge­nom­men. stop. Zwan­zig Uhr und zwölf Minu­ten in Port-au-Prin­ce, Hai­ti. — stop

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zur welt kommen

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oli­mam­bo : 0.01 – Eine Foto­gra­fie, die zeigt, wie ich kurz nach mei­ner Geburt aus­ge­se­hen habe. Ich war schon geputzt, aber noch immer zer­furcht vom lan­gen War­ten unter Was­ser. Als ich mir vor weni­gen Minu­ten die­se ers­te Foto­gra­fie mei­nes Lebens in Erin­ne­rung rief, ist mir bewusst gewor­den, dass eines Tages ein­mal eine wei­te­re Foto­gra­fie exis­tie­ren wird, eine Foto­gra­fie, die die letz­te Auf­nah­me gewe­sen sein wird, mei­ner Per­son als einer leben­den Per­son. Auch ist mir bewusst gewor­den, dass das ZUR WELT KOMMEN mit Ent­fal­tung zu tun haben könn­te und von Natha­lie Sar­rau­te gleich­wohl eine ers­te Foto­gra­fie exis­tiert haben muss­te in schwar­zer und in wei­ßer Far­be, eine Foto­gra­fie, die viel­leicht noch immer exis­tiert. — M e i n ers­ter Schat­ten. — Ich wäre im Jahr mei­ner Geburt in Far­be bereits mög­lich gewe­sen. — stop
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lichtschlitten

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0.12 — Am spä­ten Abend, um 22 Uhr und 28 Minu­ten prä­zi­se, ver­zeich­net der Goog­le-Index 2.850.000 Ergeb­nis­se für die Suche nach Albert Camus in 0,15 Sekun­den und für das Wort Son­ne 31.500.000 Ein­trä­ge in 0.03 Sekun­den. Ist es Men­schen mög­lich, einen Zeit­raum von 0.15 Sekun­den vor­zu­stel­len? Könn­te ich, wenn ich übte, ein Gefühl bewir­ken, für die Zeit­dif­fe­renz zwi­schen 0.15 Sekun­den und 0.03 Sekun­den? Wie lan­ge Zeit müss­te ich mit lau­ter Stim­me spre­chend zäh­len, bis ich die Zahl 850.000 erreicht haben wür­de? Könn­te ich so weit zäh­len, ohne ein­mal schla­fen zu müs­sen? – Kurz nach Mit­ter­nacht. Ich scan­ne die Foto­gra­fie einer indi­schen Frau, die viel­leicht nie erfah­ren wird, dass die Auf­nah­me ihrer Per­son unter der Bezeich­nung darjiling.gif der Elek­tro­sphä­re zuge­fügt wor­den ist. — Das fei­ne Geräusch der Moto­ren, die den Licht­schlit­ten zie­hen. Sie­ben Uhr acht­und­zwan­zig in Lha­sa, Tibet. — stop

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coco chanel

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1.18 — Ein­mal, in den Mona­ten der Vogel­grip­pe, kam mir bei klei­ne­ren Tur­bu­len­zen im Gang eines Flug­zeu­ges eine uralte Lady ent­ge­gen, deren Gesichts­zü­ge mich sofort an Coco Cha­nel erin­ner­ten. Sie war von zier­li­cher Gestalt, trug einen dunk­len Man­tel, sport­li­che Schu­he und mach­te Schrit­te wie ein Matro­se auf hoher See. Vor allem ihr schloh­wei­ßes Haar und ihr äußerst wil­lens­star­ker Blick sind nah geblie­ben, auch ihr hell­rot geschmink­ter Mund, der min­des­tens acht­zig Jah­re alt gewe­sen sein muss­te und doch bei­na­he wirk­te wie der Mund einer jun­gen Frau. Eines Abends, wäh­rend ich einer Nach­rich­ten­sen­dung folg­te, erin­ner­te ich mich an die­se selt­sa­me Frau, und ich stell­te mir vor, wie sie aus der drit­ten Eta­ge eines Miets­hau­ses in den Kel­ler steigt, um ein Roll­wä­gel­chen zu suchen, das sie dort — für immer — abge­stellt hat­te, nach­dem sie beim Ein­kau­fen um ein Haar gestürzt war. Es ist also frü­her Mor­gen, es ist Win­ter und noch dun­kel, als die alte Dame das Haus ver­lässt. Ich sehe sie mit vor­sich­ti­gen Schrit­ten in ihrem dunk­len Man­tel und Win­ter­stie­feln über die Stra­ße gehen. An der ers­ten Ampel biegt sie nach links ab, über­quert einen Platz, folgt einer wei­te­ren schma­len Stra­ße, jetzt ist sie vor einem Super­markt ange­kom­men. Sie stellt ihr Roll­wä­gel­chen in der Nähe der Kas­se ab, geht in die Geträn­ke­ab­tei­lung und nimmt eine Fla­sche Was­ser aus dem Regal. Sie trägt die Fla­sche zu ihrem Wägel­chen, kehrt zurück, nimmt sich die nächs­te Was­ser­fla­sche aus dem Regal und so geht das fort, bis das Wägel­chen gut gefüllt ist und ein wenig pfeift, wie es auf dem Heim­weg über die Stra­ße gezo­gen wird. — Jetzt ist die alte Frau vor der Tür ihres Hau­ses ange­kom­men. — Jetzt stellt sie das Wägel­chen neben die Trep­pe, die zur Haus­tü­re führt. — Jetzt ist sie mit einer der Fla­schen im Haus ver­schwun­den. — Zehn Minu­ten ver­ge­hen. Dann erscheint sie wie­der auf der Stra­ße. Sie hat ihren Man­tel aus­ge­zo­gen, trägt eine graue Jacke und Sport­schu­he. Kurz, für zwei oder drei Sekun­den, hält sie sich am Gelän­der der Trep­pe fest. — stop

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eliza

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0.18 – Ich stell­te mir eine Minu­te vor. Dann stell­te ich mir eine Stun­de vor, dann einen Tag. Ich stand auf und ging von Zim­mer zu Zim­mer. Ich aß eine Bana­ne, sah aus dem Fens­ter, set­ze mich an den Schreib­tisch und stell­te mir eine Woche vor, dann einen Monat, dann ein Jahr. Ich stand auf, ging zur Com­pu­ter­ma­schi­ne und frag­te Eli­za nach der Uhr­zeit. Ich sah aus dem Fens­ter, ver­ließ das Haus, spa­zier­te, kam zurück und mach­te einen Plan. – Ist es mög­lich, einen Zeit­raum von 5022 Jah­ren zu den­ken, das heißt, ein Gefühl zu fin­den für eine bibli­sche Zeitdimension?
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Eli­za:> hal­lo, ich bin eli­za. erzäh­le mir von dei­nem problem…
Lou­is : wie viel uhr ist es, eliza?
Eli­za:> das müs­sen wir herausfinden.
Lou­is : wie machen wir das?
Eli­za:> das wird sich zeigen.
Lou­is : sofort?
Eli­za:> du weichst aus.
Lou­is : warum?
Eli­za:> Ich sehe, du bist ein schwie­ri­ger fall.
Lou­is : warum?
Eli­za:> scherz bei­sei­te, kom­men wir zur sache!
Lou­is : wie viel uhr ist es, eliza?
Eli­za:> im grun­de weisst du das selber.
Lou­is : woher weisst du das?
Eli­za:> meinst du wirk­lich mich?
Lou­is : Ja, eliza
Eli­za:> ich bin eli­za, und wer bist du?
Lou­is : ich bin louis
Eli­za:> hi!

vom spre­chen mit eilza »

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propellerfliege

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1.02 – Heu­te Nacht ist etwas Selt­sa­mes gesche­hen. Ich habe einer Flie­ge beim Flie­gen zuge­hört. Viel­leicht könn­te ich sagen, dass Flie­gen­tie­re Pro­pel­ler­flug­zeu­gen in ihrer akus­ti­schen Erschei­nung ähn­lich sind. Sie sind bereits zu hören, wenn sie noch zu weit ent­fernt sind, um sie mit den Augen wahr­neh­men zu kön­nen. Das Geräusch einer flie­gen­den Flie­ge lässt mich an feuch­tes Holz den­ken und an geöl­te Zahn­rä­der und an Schrau­ben, die aus Elfen­bein gemacht sind. Wie ist die­se leben­de Flie­ge in mei­nem Win­ter­zim­mer mög­lich gewe­sen? — stop
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cinema

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12.52 — Neh­men wir ein­mal an, jen­seits der uns bekann­ten Lebens­zeit­räu­me wür­de eine Zeit exis­tie­ren, ein Zeit­ort, an dem wir unbe­grenzt anwe­send sein könn­ten, eine Gegend wei­ter­hin, von der aus wir in ein ver­gan­ge­nes Leben zurück­schau­en und rei­sen könn­ten, indem wir Fil­me geleb­ter Tage betrach­te­ten. Neh­men wir also an, die­ses Kino wür­de exis­tier­ten, dann soll­te ich von die­ser Stun­de an, — nicht eine Minu­te soll­te ich ver­schwen­den -, Fil­me von star­kem Licht ver­zeich­nen, Gedan­ken wie Erleb­nis­se behan­deln, sodass sie spä­ter gleich­wohl als Fil­me zu besich­ti­gen wären. Ich set­ze mich also in eine U‑Bahn oder in einen Park oder vor mei­nen Schreib­tisch und mache je einen Film für spä­ter nur mit dem Kopf. — stop

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nadine gordimer

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10.15 — Lek­tü­re der Erzäh­lung Some­thing out The­re von Nadi­ne Gor­di­mer auf­ge­nom­men. Sofort der Wunsch, in der Elek­tro­sphä­re nach einer Foto­gra­fie des Kari­ba­see zu suchen, weil Mrs. Gor­di­mer vom künst­li­chen Gewäs­ser in der Savan­nen­land­schaft erzählt, von Ele­fan­ten gleich­wohl, die sich in sei­ne Flu­ten stürz­ten, um uralten Wan­der­rou­ten zu fol­gen. — Was haben die ertrin­ken­den Tie­re dort unter dem Was­ser­spie­gel gese­hen? — Wovon haben sie gehört in ihrer letz­ten Lebens­se­kun­de? — Ich lese von der Tie­fe des Sees, von Fischen, die in ihm leben sol­len, von der Luft­feuch­tig­keit und vom Gewicht der Ele­fan­ten­kör­per, von der Bio­dich­te ihrer Kör­per und von Kul­tu­ren in See­nä­he sie­deln­der Men­schen. Und wäh­rend ich so vor mich hin lese, von Sei­te zu Sei­te, von Link zu Link, ver­geht eine Stun­de Zeit. Plötz­lich erin­ne­re ich mich an Nadi­ne Gor­di­mer und ihr Buch und setz­te mei­ne Lek­tü­re fort. — stop

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