ulysses : 6.05 — Gestern war das Wetter schön, ich suchte spazierend im Park nach einem Namen für mein Pseudonym No 5. Sobald ich glaubte, einen geeigneten Namen gefunden zu haben, sagte ich ihn laut vor mich hin, ich sagte zum Beispiel: Felix Mayer Kekkola. Als Nachmittag geworden war, gefiel mir dieser Name noch immer, ich hatte Lilli M. Murphy bereits verworfen, auch Kaspar Joe Weidemann und weitere Namen waren gründlich vergessen. Ich notierte den gewählten Namen Felix Mayer Kekkola in mein Notizbuch und ging nach Hause. Es ist seltsam, ich war mit meinem neuen Namen an der Seite stark unruhig bis in den Abend hinein. Ich konnte mir diese Unruhe zunächst nicht erklären, dann hatte ich die Idee, dass ich nachsehen sollte, ob der Name Felix Mayer Kekkola vielleicht im Internet schon längere Zeit existiert, ein Mensch also, der genau so heißt, oder ein Mensch, der diesen Namen verwendet, um sich zu verbergen und zu veröffentlichen in ein und demselben Moment. Mehrfach prüfte ich mit Suchmaschinen die Existenz einer Spur. Kein Ergebnis für „Felix Mayer Kekkola“ war zu finden. Ich könnte nun also erstens annehmen, dass ein Mensch, der diesen Namen trägt, nicht existiert, was sicher nur sehr vorsichtig formuliert werden darf. Zweitens könnte ich jenen feinen Namen nun für mich besetzen, okkupieren sozusagen nach bestem Wissen und Gewissen, was in dieser Sekunde genau so geschieht, indem ich meinen Text in die digitale Sphäre sende. — stop
Aus der Wörtersammlung: suchmaschine
segelfalterschatten
romeo : 8.15 — In einem Protokoll der Googlesuchmaschine finde ich den Hinweis, dass ich am 3. Mai 2007 nach einer Fotografie des Dichters Julio Cortazar gesucht haben soll, dann, erfolglos, nach einem Segelfalterschatten der Gattung Iphiclides podalirius 5, nach Spuren Patrick Modianos, nach Schimären und Matchboxautomobilen. Keine Erinnerung an den Ausgangspunkt meiner Suche. — stop
venenstern
echo : 20.55 — Ein Schatten von Wörtern existiert in der elektrischen Welt, Anfragen der Suchmaschine g o o g l e, die particles mittelbar oder unmittelbar berührten: > Fliege : Mondfisch : Schreibmaschine : Roman Opalka : Kolibri gezeichnet : DNA : Doppelhelix : Trompetenkäfer : Venenstern : Brummkreisel : Geräuschwörter : Pergamenthaut : Chirurg : Pyramidenbahn : > 2345 Begriffe im Monat August. stop. Feuerkäfer. stop. Ich könnte vielleicht sagen, dass Wörter dieser Art Lockstoffen ähnlich sind. Oder Landebahnen. Oder Fliegenfallen. — stop
copernic
echo : 8.27 — Ich stelle mir vor, an diesem wunderschönen Morgen unterm Regenlicht, einmal die Spuren eines Menschen zu erfinden, von dem nichts geblieben ist, als der Schatten seiner Fragen an die Meta-Suchmaschine COPERNIC auf einem Notebook, das ihn von Geburt an begleitete. Können Krokodile hören? Eine Spur feinster Bohrungen der Luft. – Während ich diese Zeilen notierte, ist mir aufgefallen, dass bis vor Kurzem noch Menschen existierten, die in der Elektrosphäre nie eine Spur zeichneten. Meine Lieblingstante zum Beispiel, ein wunderbares Geschöpf, das an Sonntagen immer oder an Montagen zu Besuch gekommen war. Wir nannten sie Wally. Sie hatte sehr weiche, rosige Haut und immerzu kühle Hände und war von einem Ballon Lavendelduft umhüllt. Da war Moos, ein moosgrünes Kleid, und da war ein spinnen seidiges Haarnetz (Warum?), und eine rußige Stirn zur Winterzeit, und das Rascheln der Papiertüten, das Lauchgemüse, das dort herausragte, und kleine Geschenke, die sie uns Kindern mitbrachte, – Matchboxautos, Füllfederhalter, Malbücher -, und ihre Schenkel, auf denen ich turnte, der nasse, bittere Kuss, der niemals abgewendet werden konnte. Eine Brille, nicht wahr, saß locker auf ihrer Nase, ein Gestell von Holz, darin runde Gläser, die ich gern mit meinen Fingern berührte. Irgendwann einmal erzählte mir jemand, die Wally sei 1919, als Räte ihre Heimatstadt verteidigten, im Kugelhagel über die Münchener Gollierstraße gerobbt. Deshalb die Pistole in ihrer Tasche, deshalb das Feuer in ihren Augen. So alt ist sie jetzt geworden, die Wally, dass sie aufgehört hat zu leben.
mimikri
tango : 5.58 — Wieder Pseudonyme gesucht, gefunden, gesammelt. Feine Namen, Namen, die in keinem Verzeichnis der Suchmaschinenwelt enthalten sind. Es ist so, als würden Menschen, die einen dieser Namen tragen, nicht existieren, weswegen ich die Namen jener nicht existierenden Menschen auf einem Zettel notierte. Dann ging ich spazieren. Ich spazierte am See um die Ecke unter Kastanienbäumen und las die Namen laut vor mich hin, und als ich nach wenigen Minuten das Geräusch der ersten fallenden Kastanie dieses Herbstes hörte, wusste ich, wie ich fortan heißen werde. Also ging ich wieder nach Hause und legte den Namen vor mich auf den Schreibtisch. Ein guter Name, dachte ich, ein hervorragender guter Name für eine ernste Geschichte, aber auch für heitere Dinge. — stop
eisenbahn
nordpol : 15.02 — Als ich gestern Nachmittag mit einer Suchmaschine in Sammelordnern des Jahres 2003 nach Notiztexten forschte, die ich in den Tagen des Irakkrieges notiert haben könnte, entdeckte ich eine Passage, die von einem Loch in meinem Perserteppich erzählt. Ich konnte das Loch damals von meiner Position aus als Beobachter auf dem Sofa vor dem Fernsehbildschirm gut erkennen. Ich erinnere mich, dass ich mich wunderte, dieses Loch nun plötzlich zu betrachten, obwohl ich viele Jahre die Verletzung des Teppichs, eine Scharte von der Breite einer Hand, nicht wahrgenommen hatte. Ich glaube, ich hatte die Geschichte, die davon erzählt, wie das Loch in den Teppich gekommen war, ganz einfach vergessen. Aber dann war sie plötzlich gegenwärtig, weil ein amerikanischer Panzer während einer Liveaufnahme in Bagdad ein Hotel beschossen hatte, in dem sich Journalisten befanden. Die Granate des Panzers traf einen Balkon und auf diesem Balkon einen Kameramann, dessen Körper, der noch heftig blutete, mit dem Aufzug ins Foyer gefahren wurde. Eine Stimme auf dem Bildschirm kommentierte das Geschehen mit dem Satz, der Journalist habe sich im falschen Moment am falschen Ort befunden. Und da war nun jene Geschichte von einer Sekunde zur anderen Sekunde wieder in mein Bewusstsein zurückgekehrt, die Geschichte, die vom Loch in meinem Perserteppich erzählte. Ich saß auf dem Sofa und notierte, dass ich mich wundere, und ich betrachtete den Teppich und das Loch, das von dem Splitter einer britischen Granate im Jahr 1942 in das Gewebe gerissen worden war, und für einen Augenblick sah ich meinen Vater, ein Kind, wie er auf diesem Teppich, der sein Teppich gewesen war, spielte, vielleicht mit einer Eisenbahn aus Buntmetall, die er gerade noch rechtzeitig aufgehoben haben könnte und mitgenommen in den Luftschutzkeller. — stop
15.53 — Seit Wochen der Versuch, mit der Suchmaschine Google zu sprechen. Spiele, verhandle oder kämpfe ich? Was ist ein Metatag? Eine Anweisung oder eine Bitte? — Die Vorstellung der Milliarden mikroskopisch kleiner Riesenräder, die sich langsam durch meine Blutgefäße drehen. — Gene Krupa : Drummer Man.
eugene ionesco
3.45 — Nehmen wir einmal an, alles Papier dieser Welt würde in ebendieser Minute zu Staub zerfallen. Wäre es denkbar, Eugène Ionescos Kosmos in der Elektrosphäre zu rekonstruieren? Wie viele Varianten Ionescos könnten wir dort finden? Würden wir Ionesco wiedererkennen? — stop