Aus der Wörtersammlung: gin

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déjà vu

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gink­go : 1.28 – Wie sich die Din­ge wie­der­ho­len. Okto­ber. Ich hat­te vor einer Stun­de noch mei­ne Fens­ter weit geöff­net. Kurz dar­auf segel­te ein Nacht­fal­ter durchs Arbeits­zim­mer. Das Tier war so müde und so schwach, dass es nach­gab und sich der Luft anver­trau­te. Bald hock­te der Fal­ter auf dem Boden. Ich hob ihn auf und setz­te ihn behut­sam an eine Wand. Er scheint in die­ser Minu­te zufrie­den, wenn nicht glück­lich zu sein. Ein paar Dioden­lich­ter glü­hen zu mir her­über. Ob ich den Fal­ter nicht viel­leicht füt­tern soll­te, über den Win­ter brin­gen? Er könn­te 250 Jah­re alt, er könn­te ein Lich­ten­berg­fal­ter sein. stop. Ein Déjà-vu. stop. Noch zu tun: stop. Nach ana­to­mi­schen Geräu­schwör­tern lau­schen. stop. Tsching. Tsching. — stop

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sprechgeräusche

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gink­go : 2.15 – Etwas Selt­sa­mes ist gesche­hen. Bin ges­tern Abend im Gar­ten ein­ge­schla­fen, obwohl ich in einem äußerst span­nen­den Buch geblät­tert hat­te. Viel­leicht war’s die schwe­re, war­me Luft oder eine schlaf­lo­se Nacht der ver­gan­ge­nen Jah­re, die rasch noch nach­ge­holt wer­den muss­te. So oder so schlief ich eine Stun­de tief und fest im Gras und wäre ver­mut­lich bis zum frü­hen Mor­gen hin in die­ser Wei­se anwe­send und abwe­send zur glei­chen Zeit auf dem Boden gele­gen, wenn ich nicht sanft von einer nacht­wan­deln­den Amei­se geweckt wor­den wäre. Kaum hat­te ich die Augen geöff­net, war ich schon mit einer Fra­ge beschäf­tigt, die ich erst weni­ge Stun­den zuvor ent­deckt hat­te, mit der Fra­ge näm­lich, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Eine dif­fi­zi­le Fra­ge, eine Fra­ge, auf die ich bis­her viel­leicht des­halb kei­ne Ant­wort gefun­den habe, weil ich eine Ant­wort nur im Schlaf fin­den kann, wenn mein Gehirn machen darf, was es will. – Fan­gen wir an. – stop – Drei Uhr und zwölf Minu­ten in Isfa­han, Iran. – stop
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sandaugen blau

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sier­ra : 10.15 — Ein Spa­zier­gang durch den Prä­pa­rier­saal bei som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren. Woll­te Augen betrach­ten, fixier­te Augen, und so ging ich von Tisch zu Tisch und such­te nach san­di­gen, bläu­lich schim­mern­den Bäl­len. Mein scheu­er, mein ruhi­ger, mein fast küh­ler Blick. In der ver­gan­ge­nen Nacht aber, weiß der Him­mel, war­um, ein star­ker Ein­druck von Unheim­lich­keit, indem ich Ansich­ten weck­te und buch­sta­bier­te gegen 2. Ich stand vor dem Schreib­tisch auf, öff­ne­te die Fens­ter, ließ war­ten­de Flie­gen und Fal­ter her­ein, hör­te Char­lie Par­ker bis in die Mor­gen­däm­me­rung und dach­te wei­ter nach über das Rüs­sel­prin­zip der Tief­see­ele­fan­ten. Die Fra­ge stellt sich seit Tagen drin­gend, wie sie Luft von der Mee­res­ober­flä­che zu sich in die Tie­fe holen. — Kön­nen Tief­see­ele­fan­ten sehen? — stop

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abendsegler

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romeo : 2.15 — Eines Tages im Zwie­licht in gro­ßer Höhe über einer blü­hen­den Gar­ten­stadt auf einem Fens­ter­brett sit­zen und mit einer Angel Fle­der­mäu­se fischen. — Sind Abend­seg­ler genieß­bar? — Die kräf­ti­gen Mus­keln ihrer Brust viel­leicht? — Oder ihre Flü­gel? — Wäh­rend ich vor­hin so saß und über­leg­te, wel­che Hal­tung ich ein­neh­men soll­te, um noch stil­ler zu wer­den, um noch tie­fer in die Din­ge hin­ein hören zu kön­nen, die Ein­sicht, dass ich nie­mals einen ande­ren Men­schen tat­säch­lich erfin­den wer­de, als mich selbst. — Womit könn­te ich begin­nen? — Viel­leicht mit mei­nen Hän­den? — Die Ster­ne sind rund. — Zar­te Fin­ger von Licht. — stop. – Kurz nach 2 Uhr. — stop. – Ich beob­ach­te­te mei­ne Hän­de, wie sie eine Melo­ne schäl­ten. Indem ich eine Melo­ne mit dem Vor­satz öff­ne­te, mei­ne Hän­de zu beob­ach­ten, wur­den mei­ne Hän­de unsi­cher. Der Ein­druck, als wäre die­se Melo­ne die ers­te Melo­ne, die ich je geöff­net habe. — Erstaun­lich. — stop
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auftauchen abtauchen

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kili­man­dscha­ro : 10.27 — Tex­te, die wie aus dem Nichts auf dem Papier erschei­nen. Tex­te ohne Anfang, Tex­te, die inmit­ten eines Wor­tes begin­nen. Wal­fisch­li­ni­en, deren damp­fen­de Muschel­rü­cken sich Zei­le für Zei­le aus dem Papier erhe­ben. Ob es viel­leicht mög­lich ist, die Zeit lang­sa­mer ver­ge­hen zu las­sen, indem ich mich zu ihr ver­hal­te, wie ein Domp­teur zu einem Löwen? — stop

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kofferzimmer

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echo : 2.18 — Ich stell­te mir eine Minu­te vor, dann eine Stun­de, dann einen Tag. Ich stand auf und ging von Zim­mer zu Zim­mer, aß eine Bana­ne, sah aus dem Fens­ter, set­ze mich an den Schreib­tisch, stell­te mir eine Woche vor, dann einen Monat, dann ein Jahr. Ich erhob mich, sah nach der Uhr­zeit, dann aus dem Fens­ter, ver­ließ das Haus, spa­zier­te und kam zurück, setz­te mich aufs Sofa. Eine harm­lo­se Geschich­te. Sogleich wei­ter gedacht. Selt­sa­me Ker­ne lei­se in mei­nem Kopf hin und her bewegt, jene von den Schlaf­wa­ben zum Bei­spiel, von Kof­f­er­zim­mern, in wel­chen erwerbs­lo­se Men­schen däm­mernd lagern. Wie ihnen schmerz­los die Zeit ver­geht, wie sie, von bes­se­ren Zei­ten träu­mend, Blut­kon­ser­ven aus ihren Kno­chen destil­lie­ren. Kaum hat­te ich auf­ge­schrie­ben und mich gewun­dert über das, was ich dach­te, stand ich wie­der in der Küche, aß eine wei­te­re Bana­ne und einen Pfir­sich zum Nach­tisch. Dann, end­lich, bemerk­te ich Geral­di­nes Som­mer­hut, sein Schau­keln auf atlan­ti­schen Wel­len. Unge­heu­re Stil­le. Abso­lu­te Stil­le. In die­ser namen­lo­sen Stil­le, ein Hut allein auf dem Meer. Kein Schiff. Kein Land. Aber ein­hun­dert See­mei­len­k­rei­se von Stil­le in einem Bild, das ich nie­mals mit Augen sehen, son­dern immer wie­der nur den­ken wer­de. stop. Guten Morgen!

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