alpha : 1.45 — Weitere fünfzehn Minuten Lektüre auf Position Facebook nahe Pegida. Folgende Begriffe entdeckt, die asylsuchende Menschen bezeichnen: Dreckspack Vergewaltiger Zigeunerklaugesindel Moslemgematsche Nigger Kakerlaken Ficker Viehzeug Rattenpack Negersklaven Seuche Gesocks. Diese so bezeichneten Menschen möchte man wahlweise: verbrennen, vergasen, abfackeln, erschiessen, kastrieren, in einem Eurotunnel unter Wasser setzen bis sie alle tot sind oder aber mittels einer schweren Verschublock überrollen, durchlöchern, schreddern, erhängen, wegbomben, vor Schneepflüge spannen, als Biomasse verheizen. Noch immer könnte ich zahlreiche bürgerliche Namen jener Personen, die diese Bezeichnungen wählten, sowie zu Mord und Totschlag aufrufen, an Ort und Stelle hier notieren, sie sind bekannt, man scheint sich nicht im mindesten verheimlichen zu wollen. — stop
Aus der Wörtersammlung: suchende
vom destillieren
ulysses : 0.12 — Fünf Minuten Lektüre auf Position Facebook nahe Pegida. Folgende Begriffe entdeckt, die asylsuchende Menschen bezeichnen: Pack Zecken Gottlose Kreaturen Schmarotzer Vergewaltiger Abzocker Terrorristen Bombenleger Kopfabschneider Ausländer Drogenkuriere Stück Eindringlinge Okkupanten Flutlinge Invasorenpack Bobos Taugenichtse Die da!- Ich könnte die bürgerlichen Namen jeder der Personen, die diese Bezeichnungen wählten, an Ort und Stelle hier notieren, sie sind mir bekannt, man scheint überzeugt zu sein, man scheint sich nicht im mindesten verbeimlichen zu wollen. Sehr seltsam. — stop
kakteenorchester : telegramm ohne zwischenstops
marimba : 15.02 — Im Palmengarten im Wüstenhaus das feine Geräusch der Kakteen sobald ich ihr Stachelhorn mit einem Pinsel, einem Mikadostäbchen, einem Finger berühre. Hell. Federnd. Propellernd. Klänge, für die in meinem suchenden Wortgehör noch keine eigene Zeichenfolge zu finden ist. Oder in der Mangrovenabteilung diese merkwürdige Stille beim Durchblättern eines feucht gewordenen Buches. — Diese Beobachtungen habe ich zu einem früheren Zeitpunkt bereits einmal notiert. Sie sind mir so nah, als würde ich sie gerade eben erfunden haben. — stop.
babuschka
echo : 4.12 — Vor einiger Zeit hatte ich einen Text geschrieben, den ich nur deshalb notierte, um ihn mittels eines Verschlüsselungsprogramms in einen Zustand der Unlesbarkeit zu versetzen. Genaugenommen hatte ich den Text mit einer besonderen Haut, mit einer Zeithaut umgeben. Um ihn nämlich lesen zu können, müsste man den Text zunächst dekodieren, das heisst, solange mittels einer Computermaschine seine Öffnung probieren, bis der richtige Schlüssel gefunden ist. Gestern, bei großer Hitze, stellte ich mir vor, was geschehen würde, wenn nun nach Tagen, Wochen oder Jahren des Rechnens das suchende Programm melden würde: Ich bin fündig geworden! Wie ein menschlicher Analyst sich in diesem Moment zufrieden seinem Bildschirm nähert, um festzustellen, dass sich hinter den Zeichen eines verschlüsselten Textes weitere verschlüsselte Zeichen befinden. stop — Auf den ersten Blick ist folgendem kodierten Text nicht anzusehen, hinter wie vielen Zeithäuten sein lesbarer Ursprung verborgen liegen könnte: ANFANG === B U C W 0 G c o a G j I B W W f k p h Z L v 0 h 4 Y J j 9 4 4 t m c e K C l x B M b L 4 q T d x Y I w B U v V 3 E b p b X y A z Y B e R 5 C a 9 n b s E B p U I 6 z q 3 Z C 6 a Q A R Q 1 a 8 P I N 1 j T L B b V 9 e O F 0 j 5 G s F f y 5 E M D 3 5 a r / C G 0 j V z 4 v n e u M z p T K W Y t 4 D m s J t e / F E C Y C a j 3 Z L Z / h l x G M W I 4 7 v 8 / B I g H c E / Q 2 F 9 G s W Z i z Q K 0 7 k t O W 7 8 k S k A t q u J Z 5 2 F A u n a J 6 C G B u A 7 R o C u P p D n C m 8 F 7 9 F E e m H / T T 3 K x z S 7 r 3 i 0 y 4 g M Z u m G m x i A q 4 l z d A x i o P m 0 O I b x M i T I x P w X j 5 A I i 1 z c e + T W i i x A + 6 A h k p q h o n a D e M / y s A l y W r i p 4 s Z m m / q X y n 2 o P H R q z g U i + T s H B c z + J v K 3 A a d v j Z F L 9 i R M s C f m W y U d 6S 4 4 O f z l 8 x P z H B W z 1 H 2 6 z Z o z F s C U U D Y v k +Y N F 0 f U t A y k a Y 7 E L j / u N X s s q 1 K 1 V z A C i z K Z Y 7 F N J C q y t x s Q c b W r C 3 k 4 i f V 1 l K u g f b N i P t y O 8 1 7 e l u y x d r o i d 5 d X 3 E D g O V s X i T e e 5 Q q i 0 U 6 E o 3 G 5 y r 2 9 a f a w X M a U U r Q V d b i U A V 8 F e y 4 m k e W b 9 e u b 1 i S W F g m K y 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 V q b N W c v i 3 6 j L h / u O I j K 8 L s t Y B s 9 F 4 l l c Q A h B J s Q h U 6 i b R U 5 B 4 f g 3 f j r 2 C I i k c M q R U C 4 4 F E u o Y i R w A r D x H W u 2 2 P w 9 d 8 f A 1 f A r 3 5 D l V 3 B G p / J m h b h 8 w F n 7 p v x g x z 9 i b / S h F t K M v 6 l 6 W L A 5 r 7 U F R S O k l C f 0 L H B a J h n V y w Q 0 e Y k 9 w 9 y / Z M 4 Y m F W O T m x 4 s s A W 5 w X 2 N z L g 3 + 9 + d x L 7 T 8 U + A Y C U L b T M J y l M + H Q y S F 7 S T D I / 8 O 6 4 K F 0 4 d 7 g v I === ENDE / codewort : babuschka — stop
vom vergessen
delta : 6.58 — Ich übe mich seit einigen Stunden darin, mir vorzustellen, was geschehen würde, wenn in meinem Gehirn ein Prozess langsamer Entleerung einsetzen würde. Jedes Wort, das ich demzufolge laut formulierte, würde zum weiteren Denken, aber nicht länger für mein Sprechen zur Verfügung stehen. Nach einer Minute bereits würde ich mich für eine unbestimmte Zeit, ohne Artikel zu verständigen haben. Und weil ich vielleicht sagen würde, — ich fürchte mich, es ist seltsam, helfen sie mir bitte! -, wären sofort zehn weitere Begriffe verloren, die für die Kommunikation eines Hilfesuchenden in der Not kostbar oder unverzichtbar sind. Ich sehe mich, wie ich versuche das Wort BITTE auf ein Stück Papier aufzutragen. Aber auch das ist unmöglich geworden, jedes der in die Luft entwichenen Wörter lässt sich nicht nur nicht sprechen, sondern auch nicht schreiben. Ich würde also, um nicht ganz verloren zu gehen, verstummen, ich würde versuchen, so wenig wie möglich zu sprechen, um jedes der Wörter, die noch möglich sind, aufzubewahren bis sie ein letztes Mal in je einem besonderen Moment vorgetragen werden könnten. Das Wort KOLIBRI, das Wort KONTRABASS, das Wort SCHREIBMASCHINE. Vielleicht würde ich überhaupt nie wieder sprechen, sondern nur noch schreiben. Ich wäre ein Mensch, der einerseits sprechen könnte, andererseits aber doch verstummen müsste. Seltsame Sache. — stop
herzschrittmacher
zoulou : 2.52 — Tatsächlich existieren noch immer Menschen, deren Herzen mittels Schrittmachern beschleunigt werden, die von Plutonium 238 angetrieben sind. Andere ruhen bereits in Gräbern. Ihre Herzen, stell ich mir vor, sind längst verschwunden, aber aus edelmetallenen Dosen funken weiterhin elektrische Pulse, lautlose wie vergeblich Suchende. – stop
radiusköpfchen
echo : 10.18 — Nehmen wir einmal an, ich wäre nachts über eine dämmernde Katze gestolpert, wäre eine Treppe hinuntergestürzt, unsanft gelandet, ich hätte mir vielleicht den Arm gebrochen und zwar den rechten in seiner Beuge, das Ellenbogengelenk, Radiusköpfchen zertrümmert, Bänder gerissen, Muskeln, im geschwollenen Gewebe suchende Strukturen. Bald Überlandfahrt ins Hospital, Minutenschlaf unter Grellichtern einer chirurgischen Ambulanz, vier Stunden Zeit in Abwesenheit, das Untersuchen, Beugen, Drehen, Zerren, Sägen, Bohren, Feilen, Diskutieren, Nähen, ich hörte, ich spürte nichts. Wie ich, es ist Mittag geworden, mit meinem Namen von Ferne her gerufen werde, Geisterstimmen, Geisterhände. Das strenge Korsett von dunkelblauer Farbe, in dem der kranke Arm zugleich geborgen liegt in einer grüssenden Haltung. Sandaugenmüdigkeit der Morphine. Die Bewegung der Finger, die mich glücklich macht, einer nach dem anderen Finger spürbar, aber meine Nase, mein Mund unerreichbar plötzlich wie die Oberfläche des Mondes. — stop
trockenzungen
delta : 6.22 — Ich träumte einmal von einem Schlafsaal, in dem einhundert arme Dichter wohnten. Sie liefen sehr langsam, sagen wir, vorsichtig herum, weil sie nicht wach waren, sondern schliefen. Eines Abends wurden sie in dem Auftrag geweckt, feine Formulierungen für einen besonderen Regen zu finden, einen Regen, der eine große Stadt unter Wasser setzen sollte. Ihre Freude, ihre Begeisterung, vielleicht endlich wieder gehört zu werden. Wie sie durcheinander spazierten. Und das Rascheln der Papiere, das Knirschen der Stifte, das Geräusch ihrer suchenden Trockenzungen. — stop
existenz
himalaya : 3.38 — Von allen intensiven Lebensmomenten war einer der Schönsten jener gewesen, als mich ein Mensch, der mir sehr nahe ist, wiedererkannte. Ein Blitz war ihm nachts in den Kopf gefahren, hatte Bedeutungen der Gegenstände und Orte und Menschen derart umgeschrieben, dass er nicht mehr sagen konnte, wo er sich gerade befand, dass er einen Baum für eine Birne halten wollte, einen Fernsehapparat für den Mond, und mich persönlich für einen wildfremden Menschen, eine Person, deren Namen und deren Gesicht er nie zuvor gesehen haben wollte. Ein Blick, sehr fremd, sehr kalt. Ein Blick, der nach langen Wochen des Wartens nachdenklich wurde, der wieder wärmen konnte, weil er sich der Vertrautheit seines Gegenübers zu erinnern schien. Wie ich in der Zeit der Verlorenheit mit meiner Stimme lockte, mit Geschichten, die wir gemeinsam erlebten, kleinen Alltagsverbrechen, Fotografien, Musik. Ich bin kein Anderer! Und wie der suchenden Nachdenklichkeit Erinnerung folgte, ein Licht, Irisbrennen, das meinen Namen noch vor Mund und Stimme formulierte. Und wie ich nach langer Abwesenheit von einer Minute zur anderen im gemeinsamen Augenraum wieder zu existieren begann, davon wird einmal zu erzählen sein. stop. Heute ist Montag. stop. Leichter Regen. stop. Drei Uhr zweiundfünfzig in Bengasi, Libyen. — stop
time
foxtrott : 0.28 — Merkwürdig, die Wahrnehmung der Zeit. Wenn ich keine Zeit habe, kann ich die vergehende Zeit nicht bemerken, weil ich mich so schnell bewegen muss von einem Ort zum anderen, von Gespräch zu Gespräch, von Aufgabe zu Aufgabe, dass ich etwas später vielleicht meinen möchte, ich hätte nicht existiert. Auch dann, wenn ich trauere, habe ich keine Zeit, sagen wir, keine wirkliche Zeit, weil ich aus meinem üblichen Leben heraus gefallen bin. Ich stehe zum Beispiel in einer U‑Bahn und unterhalte mich, ich lache, ich stelle Fragen, und doch bin ich an einem ganz anderen Ort, spreche mit der Vergangenheit, vielleicht mit einem Menschen, von dem ich weiß, dass ich ihn nie wieder berühren werde, von dem ich hoffe, dass er noch irgendetwas zu hören vermag, indem ich mich zu ihm sprechend an ihn erinnere. Ich verweile also in dieser seltsamen Zeit der Vergangenheit, einer suchenden Zeit, die deshalb zeitlos ist, weil sie sich wiederholen will, weil sie keinen Fortgang kennt. Manchmal sitze ich irgendwo in einem Cafe, einer Bibliothek, im Zug, im Kino oder einem Theater herum, ich schau auf die Uhr. Ich sage: Beweg Dich!