Aus der Wörtersammlung: lebewesen

///

trommeln

2

papa : 22.58 — In dem Moment, da Sie die­se Zei­len lesen, sehen Sie mich ver­wun­dert, stau­nend, ja, sagen wir’s ruhig, glück­lich. Das ist so dar­um, ich habe gera­de bemerkt, wie kleins­te Din­ge, Lebe­we­sen, die eigent­lich nicht sicht­bar sind, sicht­bar wer­den, sobald ich sie mit Gedan­ken berüh­re. Auch Geräu­sche, die so lei­se und zart, dem­zu­fol­ge klein sind, dass ein mensch­li­ches Ohr sie nie­mals ver­neh­men könn­te, wer­den hör­bar durch ein ein­zel­nes Wort, das sie behaup­tet. Systo­li­sche Fre­quen­zen, hel­les Trom­meln, 250 Pul­se, kein Wort exis­tiert für jene Musik heim­li­cher Her­zen, als die Sum­me der Pfa­de, die sich um Annä­he­rung bemü­hen. Und ihre Augen, ihre Augen, jawohl, sie haben Augen, wo wer­den ihre Augen sein? — stop
ping

///

bermuda

2

alpha : 0.03 — Ob es wohl mög­lich ist, ein Blatt Papier, das aus Mil­lio­nen sehr klei­ner Lebe­we­sen bestehen wird, mit einer Sche­re, sagen wir, in zwei Tei­le zu zer­le­gen? Was soll­te gesche­hen? Wür­den mei­ne papie­re­nen Tie­re Geräu­sche erzeu­gen, die Wider­spruch signa­li­sie­ren, Empö­rung, Furcht? Oder wür­den sie wei­chen, sich in alle Him­mels­rich­tun­gen zer­streu­en, eine blitz­schnell sich voll­zie­hen­de Bewe­gung der Entro­pie? – Sonn­tag. stop. War­me, geschmei­di­ge Stun­den. stop. Hell vom Schnee, die Luft.

///

salto

9

tan­go : 20.01 — Kein Lebe­we­sen, das nicht über eine Spra­che ver­füg­te. Aber doch Lebe­we­sen, deren Spra­che ich zunächst ent­de­cken oder erfin­den muss. — Eine Spring­spin­ne, die mei­nen Schreib­tisch bewohnt. Wie sie zwi­schen Blei­stif­ten tollt, wie sie inne­hält und mich minu­ten­lang zu beob­ach­ten scheint. Viel­leicht schläft sie oder sonnt sich in der Wär­me mei­ner Lam­pe. Wie sie sich duckt, wenn ich mich nähe­re, aber nicht flüch­tet. Vor weni­gen Minu­ten, wäh­rend ich las, hüpf­te sie von Ost nach West über das Buch hin­weg. Eine Vor­stel­lung viel­leicht, um mei­ne Auf­merk­sam­keit zu gewin­nen. — stop

ping

///

papiertierchen

pic

nord­pol : 9.15 — Man stel­le sich ein­mal vor, Papier­tier­chen exis­tier­ten in unse­rer Welt. Nicht etwa Tier­chen, die aus Papier gemacht sind oder ver­gleich­ba­rer Ware, son­dern tat­säch­li­che Lebe­we­sen, die so aus­ge­dacht sind, dass sie sich zu For­men ver­sam­meln, die einer Papier­sei­te ähn­lich sind. Weil die­se Lebe­we­sen, wie ich sie mir gera­de male, sehr klein sein soll­ten, sagen wir in der Flä­che so groß wie die Spit­ze einer Nadel, wür­de ein Maschi­nen­bo­gen von nicht weni­ger als zwei Mil­lio­nen Indi­vi­du­en nach­ge­bil­det sein. Jedes Papier­tier­chen, sicht­bar ganz für sich nur im Licht eines sehr guten Mikro­skops, ist nun von dem Wunsch beseelt, sich mit jeweils vier wei­te­ren Tier­chen, die es schon immer kennt, mit­tels feins­ter Ten­ta­keln zu ver­bin­den oder zu befreun­den, und zwar nur mit die­sen, sodass man von ein­deu­ti­ger Ord­nung spre­chen könn­te, nicht von einer belie­bi­gen Anord­nung. Ja, jedes der klei­nen Wesen für sich spricht von einem urei­ge­nen Ort, den es nie­mals ver­gisst. Sobald alles schön zu einer Sei­te geord­net ist, wer­den mit Licht, mit einem Licht­stift genau­er, Zei­chen gesetzt auf das leben­de Papier, indem man leich­ter Hand wie mit einem Fül­ler schreibt. Wird ein schnee­wei­ßes Tier­chen berührt vom notie­ren­den Licht, nimmt es sogleich die schwar­ze Far­be an und ver­bleibt von die­sem Schwarz, bis es von wei­te­rem Licht berührt wer­den könn­te, einem Licht natür­lich, das sehr stark sein muss, weil doch der Tag oder jede Lam­pe das Zei­chen der Nacht sofort über die Land­schaft der fili­gra­nen Kör­per schrei­ben wür­de. Ich hat­te, wäh­rend ich die­sem Gedan­ken noch auf einer gewöhn­li­chen Com­pu­ter­schreib­ma­schi­ne folg­te, die Idee, dass sie viel­leicht alle sehr schreck­haft sind, also zunächst unvoll­kom­men oder wild, dass sie, zum Bei­spiel, wenn ein Feu­er­wehr­au­to in ihrer Nähe vor­über kom­men soll­te, sofort aus­ein­an­der flie­gen in Panik, sich ver­ste­cken, um jedes für sich oder in grö­ße­ren Grup­pen an den Wän­den mei­ner Zim­mer zu sit­zen. Viel­leicht lun­gern sie auch auf Kaf­fee­tas­sen her­um oder in den Haar­blät­tern eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, ja, das ist sehr gut denk­bar. Ich wer­de dann war­ten, ruhig und gelas­sen war­ten, bis sie sich wie­der beru­higt haben wer­den und zurück­kom­men, sagen wir nach einer Stun­de oder zwei. Dann wei­ter schrei­ben oder lesen oder den­ken. Und jetzt hab ich einen Kno­ten im Kopf. — stop

ping

///

yanuk : stille

pic

marim­ba

~ : yanuk le
to : louis
sub­ject : STILLE
date : sept 7 08 10.15 p.m.

Lie­ber Mr. Lou­is, in der ver­gan­ge­nen Nacht sind selt­sa­me Din­ge gesche­hen. Ich hat­te auf Höhe 258 mein Zelt auf­ge­schla­gen, weil es gereg­net, nein, weil es sehr stark gereg­net hat­te ges­tern Nach­mit­tag. Die Bäu­me tropf­ten und ich ahn­te, dass nachts noch ein­mal Regen fal­len wür­de, so feucht war die Luft gewor­den. Ich leg­te mich also in mein Zelt, hör­te dem Sin­gen der Nacht­af­fen zu und irgend­wann schlief ich ein. Als ich erwach­te, war es noch immer dun­kel. Ich konn­te nichts hören, kei­nen Laut, es war so still, als hät­te ich mei­ne Ohren ver­lo­ren. Ja, für einen Moment dach­te ich, dass das Hör­ver­mö­gen der Lebe­we­sen viel­leicht nur eine Idee gewe­sen war, eine poe­ti­sche Eigen­schaft ohne die Mög­lich­keit einer Ver­wirk­li­chung, und doch hör­te ich Stil­le, ich hör­te, dass ich nichts hör­te, nichts von Außen her, also Stil­le von Außen, aber ein rhyth­mi­sches Geräusch von Innen, ver­mut­lich die Bewe­gung mei­nes Blu­tes. Ich ver­ließ das Zelt und hör­te noch immer nichts als mein Herz, das etwas schnel­ler schlug. Eine Wol­ke kleins­ter Flie­gen tanz­te um mei­ne Klet­ter­la­ter­ne, zwei Geckos saßen an einem Stamm in ihrer Nähe und angel­ten sich die schöns­ten Exem­pla­re her­aus. Ich hat­te ihnen ges­tern bereits bei ihrer beque­men Arbeit zuge­se­hen, und ich erin­ner­te mich, dass der Dschun­gel um mich her­um geknis­tert hat­te und die Affen ein unent­weg­tes Gespräch führ­ten über gro­ße Distanz. Jetzt, wie zur Prü­fung, berühr­te ich mei­ne Ohren, sie waren noch da, bei­de Muscheln. Indem ich an der lin­ken Muschel zog, dreh­te sich etwas her­um in mei­nem Ohr, es krach­te und ich hat­te den fes­ten Ein­druck, besucht wor­den zu sein. Und auch rechts dreh­te man sich in mei­nem Ohr, sobald ich dar­an zog, zur Sei­te, aber dann wie­der Stil­le bei­der­seits. Ich leg­te mich ins Zelt zurück und über­leg­te, ob ich viel­leicht in Gefahr sein könn­te, ob man viel­leicht mein Gehirn betre­ten woll­te, und weil es so schön still war, bin ich ein­ge­schla­fen. Ich schlief sehr lan­ge, war schon hell, als ich erwach­te, und der Dschun­gel knis­ter­te und wis­per­te um mich her, und ich hör­te die Affen des Tages und das Rufen der Nas­horn­vö­gel und lag eine Wei­le so da, froh wie­der hören zu kön­nen. Wie jeden Mor­gen saßen pracht­vol­le Käfer und Fal­ter und Flie­gen an den Wän­den mei­nes Zel­tes. Und alle taten sie so, als hät­ten sie mit mei­nen Ohren nicht das Min­des­te zu tun. stop. Yanuk

ein­ge­fan­gen
0.52 UTC
2334 Zeichen

yanuk to louis »

ping

///

chatraupe

pic

oli­mam­bo : 0.10 – Auf dem Fens­ter­brett. Schau auf die Stra­ße hin­un­ter und höre selt­sa­men Schwal­ben zu, wie sie pfei­fend und fres­send durch die Nacht­luft flit­zen. Ange­neh­me Stun­de, obwohl mir gera­de nichts ein­fällt, weil befan­gen von Fern­seh­bil­dern, die ich vor einer Stun­de noch beob­ach­tet habe. Froh, dass ich das Fern­seh­ge­rät end­lich aus­schal­ten konn­te. Und wenn ich nun vom Fens­ter aus ins Zim­mer schaue, sehe ich einen wei­te­ren Text, als mei­nen schwei­gen­den Text, zei­len­wei­se auf dem Bild­schirm mei­ner gro­ßen Schreib­ma­schi­ne ent­ste­hen, ohne dass ich zur Ent­ste­hung die­ses Tex­tes etwas bei­tra­gen müss­te. Der Text schreibt sich lang­sam, schwin­gend wie eine Rau­pe vor­wärts. Natür­lich ist die­ser Text auf dem Bild­schirm kein Lebe­we­sen, wie eine Rau­pe ein Lebe­we­sen ist, das ster­ben, also auf­hö­ren könn­te. Die­ser Text ist das Ergeb­nis einer Schreib­ar­beit, die fünf­und­zwan­zig oder sechs­und­zwan­zig Men­schen in die­sem Moment in ihren Chat­pro­gramm­mas­ken ver­rich­ten. Der Ver­dacht, der Text schreibt sich auch dann, wenn ich nicht anwe­send bin. — Acht Uhr zwölf in Ran­gen, Bur­ma. — stop

ping

///

sonnenphoton

pic

ulys­ses : 0.18 — Oft schon über das Licht nach­ge­dacht. Woher das Licht kommt und was geschieht, wenn das Licht auf einen Gegen­stand oder auf die Ober­flä­che eines Lebe­we­sens trifft. Was wäre, wenn ich ganz ohne das Licht aus­kom­men müss­te, wenn ich nur noch hörend oder mit mei­nem Tast­sinn die Welt erfah­ren könn­te? — Ein­mal habe ich ver­sucht, den Moment wahr­zu­neh­men, da die Mor­gen­däm­me­rung ein­setz­te, aber ich konn­te nicht bestim­men, wann genau das ers­te Pho­ton mein Auge berühr­te. — stop

ping

///

larynx

pic

22.05 – Da war ein Tisch vor weni­gen Stun­den. Auf die­sem Tisch lag ein geöff­ne­ter mensch­li­cher Kör­per. In nächs­ter Nähe lehn­te eine hoch­ge­wach­se­ne jun­ge Frau mit dem Rücken an einer Wand, Augen geschlos­sen, als wäre sie ein­ge­schla­fen. Ihre Hän­de betas­te­ten einen Kehl­kopf, das heißt, genau­er betrach­tet hüpf­ten ihre Fin­ger über den klei­nen hell­brau­nen Kör­per hin, als wären sie Lebe­we­sen für sich. Wenig spä­ter war die Frau wach gewor­den. Sie leg­te die fili­gra­ne Struk­tur auf den Tisch zurück, zog ihre Hand­schu­he aus und sag­te: Aber natür­lich darfst Du das wis­sen. Ich habe nach­ge­dacht und geträumt zur glei­chen Zeit. Rasch mach­te sie mit einer Hand eine Scha­le, hob den Kehl­kopf mit der ande­ren Hand vom Tisch und leg­te ihn dort­hin ab: Larynx! Gran­di­os, nicht wahr! Was ich mit mei­nen Fin­gern ange­schaut habe, geht nie wie­der fort! – Tau­ben­grau­er Him­mel. Leich­ter Regen. Sturm von Süd­west. — stop

ping



ping

ping