Aus der Wörtersammlung: luft

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bermuda

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alpha : 0.03 — Ob es wohl mög­lich ist, ein Blatt Papier, das aus Mil­lio­nen sehr klei­ner Lebe­we­sen bestehen wird, mit einer Sche­re, sagen wir, in zwei Tei­le zu zer­le­gen? Was soll­te gesche­hen? Wür­den mei­ne papie­re­nen Tie­re Geräu­sche erzeu­gen, die Wider­spruch signa­li­sie­ren, Empö­rung, Furcht? Oder wür­den sie wei­chen, sich in alle Him­mels­rich­tun­gen zer­streu­en, eine blitz­schnell sich voll­zie­hen­de Bewe­gung der Entro­pie? – Sonn­tag. stop. War­me, geschmei­di­ge Stun­den. stop. Hell vom Schnee, die Luft.

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februarbrief

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romeo : 0.15 — Noch war Febru­ar gewe­sen, da ver­fass­te ich einen Brief an ein Mäd­chen, das ich bereits kann­te, als sie noch nicht lau­fen konn­te. Sie heißt Rosa­rio, was eigent­lich nicht ganz rich­tig ist, weil das natür­lich an die­ser Stel­le nicht ihr wirk­li­cher Name sein darf. Aber dass ich ihr Paten­on­kel bin, ist eine Tat­sa­che, dafür lege ich mei­ne Hand ins Feu­er. Rosa­rio, ein zau­ber­haf­tes Wesen, wohnt jetzt in Brook­lyn, New York, und zwar in der Hicks­street nahe einem Haus, in dem Arthur Mil­ler sein Dra­ma Tod eines Hand­lungs­rei­sen­den notier­te. Genau dort­hin nun schick­te ich mei­nen Brief, einen papie­re­nen Brief in einem Luft­post­um­schlag, den ich in ein Päck­chen zu einer Bücher­sen­dung steck­te. Ich schrieb, – ich darf das zitie­ren, weil ich die Erlaub­nis dazu erhal­ten habe -, fol­gen­de Zei­len: „Lie­be Rosa­rio, hier­mit sen­de ich Dir ein spek­ta­ku­lä­res Buch, einen Kata­log Lean­ne Shapton’s, der mich Tage lang begeis­ter­te. Von einer Lie­be wird berich­tet, Du soll­test sie unbe­dingt lesen, eine wun­der­vol­le, in selt­sa­mer Wei­se erzähl­te Geschich­te. Was das Buch wohl bei sich den­ken mag, jetzt, da es nach einer Schiffs­rei­se über den Atlan­tik her, im Flug­zeug wie­der zurück nach Ame­ri­ka hin getra­gen wer­den wird? Gut, wir wer­den das viel­leicht nie­mals her­aus­fin­den, oder, sag, hast Du gelernt, mit den Büchern selbst zu spre­chen? Erin­nerst Du Dich noch an Aben­de, da ich Dir vor­ge­le­sen habe? Du lagst auf mei­nem Bauch, eine klei­ne Kat­ze, und ein­mal leg­test Du Dein Ohr an mei­ne Stirn, und woll­test mei­ne Gedan­ken hören. Und als Du nichts ver­neh­men konn­test, sag­test Du zu mir mit gro­ßen Augen: Du musst lau­ter den­ken, Lou­is, ich kann Dich nicht hören! Viel Ver­gnü­gen beim Lesen und Schau­en wünscht Dir Dein Louis.“

ping

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meerestee

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char­lie : 0.03 — Jedes Wort als win­zi­ges Tier betrach­ten, mit einer je sehr lan­gen Lebens­ge­schich­te. Das Wort Him­mel, zum Bei­spiel, ein fei­nes Wesen, sei­ne viel­fäl­ti­ge Gestalt in den Spra­chen die­ser Welt, Zei­chen­män­tel, irr­lich­tern­des Plank­ton in einer Tas­se Mee­res­tee. Und so flie­gen die Wör­ter in Her­den durch Luft und Raum um den hal­ben Erd­ball her­um von einem Men­schen zu einem ande­ren Men­schen in Sekun­den­schnel­le. Hier wer­den sie gele­sen, ein Tier nach dem ande­ren Tier, behut­sam, scheu. — Gute Nacht und guten Morgen!
ping

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fiebermöwen

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india

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : FIEBERMÖWEN

Ver­gan­ge­ne Woche, lie­ber Jona­than, ist etwas Merk­wür­di­ges gesche­hen. Ich hat­te Fie­ber und geträumt, dass Sie mir einen Brief geschrie­ben haben. End­lich, end­lich, dach­te ich, um Him­mels wil­len, eine Fata Mor­ga­na, und wach­te auf und erin­ner­te mich an Ihre Wor­te in einer Wei­se, dass ich Traum von Wirk­lich­keit nicht unter­schei­den konn­te. Das mag an mei­nem hei­ßen Kopf gele­gen haben, und so ant­wor­te­te ich auf einen Brief, der nie­mals exis­tier­te. Sie wer­den sich, mein lie­ber Kek­ko­la, viel­leicht gewun­dert haben und noch immer amü­sie­ren. Nun, es geht auf Mit­ter­nacht zu, ist fol­gen­de Sache zu erwäh­nen. Im April wer­de ich eine Samm­lung von Papier­we­sen erhal­ten, einen Bogen 20 x 28 cm. Darf sie umsor­gen und pro­bie­ren, wie sie sich so machen, wenn einer wie ich sie mit wil­den Tex­ten beschreibt? Unse­ren Tief­see­ele­fan­ten geht’s vor­treff­lich. Nahe Ber­mu­da, so wird berich­tet, sol­len sie einen Schwarm ver­irr­ter Möwen aus der Luft gefan­gen haben. Ahoi! Bis bald am Strand. Ihr Louis

gesen­det am
1.03.2010
22.58 MEZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

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blattlicht

2

lima : 0.01 — Und schon ist wie­der März gewor­den. War­me Luft pfeift übers Dach, und Blät­ter, Blät­ter von Son­nen­licht, sie schau­keln vor dem Fens­ter. So fein sind sie gewirkt, dass nichts sie zu berüh­ren ver­mag als mei­ne Gedan­ken. Höchs­te Zeit von kleins­ten Wesen zu erzäh­len, wie man sie fin­det, da sie doch unsicht­bar sind, und wie man mit ihnen spre­chen oder rei­sen oder gemein­sam war­ten könn­te, sobald man ihnen begeg­net sein wird. — Papie­re­ne Her­zen. — stop
ping

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amerikafahrt

2

marim­ba : 0.02 — Sekun­den­brief­mar­ke aus dem Jahr 1959, zu einer Zeit notiert, da ich selbst, auch als Idee, noch nicht gebo­ren war: Das Taxi war groß wie eine Loko­mo­ti­ve. Und es war grell­gelb ange­stri­chen wie ein deut­scher Brief­kas­ten. Auf sei­nem Dach funk­te es blau­ro­te Licht­si­gna­le, sie ähnel­ten dem blit­zen­den wach­sa­men Auge der Poli­zei, und für eine Wei­le hat­te ich das Gefühl, ein Ehren­gast zu sein, der eskor­tiert und ohne Berüh­rung mit Land und Leu­ten an ein Ziel gebracht wer­den soll. Die Pols­ter des Wagens waren hart, und der nack­te Stahl­bo­den war schmut­zig; man bot dem Fahr­gast den Trans­port, man bot ihm nicht mehr. Andau­ernd erreich­ten den Wagen­len­ker durch die Luft gesand­te Bot­schaf­ten; Unsicht­ba­re spra­chen zu ihm, beschwo­ren ihn, quäl­ten ihn, hetz­ten ihn. Zuwei­len ant­wor­te der Mann den Stim­men der befeh­len­den Luft­geis­ter. Wolf­gang Koep­pen A m e r i k a f a h r t
ping

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copy & paste

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romeo : 2.56 — Vor weni­gen Stun­den noch wollt ich vom Abend einer Amei­se unter som­mer­li­chem Fei­gen­baum erzäh­len. Kaum ange­fan­gen, beob­ach­te­te ich, dass in dem Text, den ich wünsch­te auf­zu­schrei­ben, Wör­ter ent­hal­ten sein wer­den, die bereits vor mei­ner Text­zeit von ande­ren Men­schen in wei­te­ren Tex­ten ver­wen­det wor­den sind. Das wohl­klin­gen­de Wort Him­mel, ich hab’s nicht erfun­den, auch nicht das Wort Herz­beu­tel­chen oder das Wort Sinus­kno­ten. Alle die­se Wör­ter, gelie­he­ne Wör­ter. Ich leg sie mir in den Mund, unter mei­ne schrei­ben­den Fin­ger, Tag für Tag und Nacht um Nacht, als ob sie mir, Geschich­ten gleich, die aus der Luft zu stür­men schei­nen, allein gehör­ten. Aber dann das elek­tri­sche Knis­tern mei­nes Gehirns, in dem es die Ent­de­ckung im Schlaf zu fei­nen Wirk­lich­keits­net­zen ver­webt. – Weit nach Mit­ter­nacht. Eis­luft vor den Fens­tern, im Zim­mer war­ten Fei­gen und Bäu­me. Hab jetzt einen klei­nen Kno­ten im Kopf. — stop
ping

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animals

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hibis­kus

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : ANIMALS

Ges­tern, stel­len Sie sich vor, habe ich die ers­te Foto­gra­fie eines Papier­tier­chens ent­ge­gen­ge­nom­men. Sie zeigt das klei­ne Wesen, wie es sich durch die Luft eines abge­dun­kel­ten Labors bewegt. Bin vol­ler Freu­de, habe den hal­ben Tag her­um­ge­tanzt, soll­te lang­sam zur Ruhe kom­men. Eine Kopie der Auf­nah­me ist für Sie bei­gefügt. Sieht das nicht kraft­voll aus, eine Per­sön­lich­keit, ein Wun­der! Ich kom­me mei­nen Träu­men nun end­lich näher, mei­nen Wün­schen, mei­nen Geschich­ten in der Wirk­lich­keit. Neh­men wir ein­mal an, lie­ber rei­sen­der Freund, ein Bogen leben­den Papiers in der Grö­ße 15 x 30 Zen­ti­me­ter wür­de aus 750000 Tie­ren bestehen, ja, und neh­men wir ein­mal an, die­ses Papier wür­de schon jetzt in unse­rer Welt exis­tie­ren, dann wür­den vor uns auf einem Schreib­tisch 750000 klei­ne Her­zen schla­gen. Da muss doch irgend­ein Geräusch wahr­zu­neh­men sein, so vie­le Her­zen in nächs­ter Nähe auf engs­tem Raum. Auch einen Hauch von Luft wird man wohl spü­ren, eine Strö­mung, weil sie alle durch­ein­an­der atmen. — Ahoi! Ihr Louis

gesen­det am
06.02.2010
23.55 MEZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

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fotografieren

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echo : 0.52 — Die­ses klei­ne Stück hier, zur Voll­mond­nacht, han­delt von einer Frau, die mir vor weni­gen Stun­den nach lan­ger Zeit der Abwe­sen­heit wie­der begeg­net ist, weil ich den sil­ber­grau­en Mond am wol­ken­lo­sen Abend­him­mel bemerkt hat­te, und aus die­sem hei­te­ren Luft­raum her­aus, war sie dann plötz­lich zu mir her­ein­ge­fal­len, selbst ihre Stim­me, eine außer­or­dent­lich lei­se Stim­me, ist nun so gegen­wär­tig als wäre kaum Zeit ver­gan­gen seit unse­rer Unter­hal­tung im Prä­pa­rier­saal der Mün­che­ner Ana­to­mie. Ich hät­te sie damals bei­na­he über­se­hen, eine klei­ne Gestalt, die prä­pa­rie­rend auf einem Sche­mel knie­te und merk­wür­di­ge Bewe­gun­gen mit den Augen mach­te. Sie betrach­te­te den Kör­per vor sich auf dem Tisch mit einem ruhi­gen, mit einem fes­ten Blick für je eini­ge Sekun­den, dann schloss sie die Augen für etwa die­sel­be Zeit, die sie geöff­net gewe­sen waren, und so wie­der­hol­te sich das Stun­de um Stun­de. Ein­mal setz­te ich mich neben sie an den Tisch und erzähl­te, dass ich ihre Augen, ihren Blick beob­ach­tet haben wür­de und den Ein­druck gewon­nen, sie mache Bewe­gun­gen mit ihren Augen, die der Lin­sen­be­we­gung eines Foto­ap­pa­ra­tes ähn­lich sei­en. Rich­tig, ant­wor­te­te die Frau, ich schlie­ße mei­ne Augen und schaue mir im Dun­keln an, was ich gespei­chert habe. — Eine selt­sa­me Stim­me. Sehr hell. Und scheu. Ein Zit­tern. Wie durch einen Kamm gebla­sen. — stop
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lustgärten

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echo : 0.22 — Robert Wal­ser in einer Nacht­mi­nu­te eben: Der Mensch ist ein fein­füh­li­ges Wesen. Er hat nur zwei Bei­ne, aber ein Herz, wor­in sich ein Heer von Gedan­ken und Emp­fin­dun­gen wohl gefällt. Man könn­te den Men­schen mit einem wohl ange­leg­ten Lust­gar­ten ver­glei­chen. Wenn wir alle wären, wie wir sein soll­ten, näm­lich wie es Gott uns gebie­tet zu sein, so wären wir unend­lich glück­lich. — Wie­der­um ver­sucht und noch zu fin­den: Eine Gebär­de, die das Wort Hibi­scil­li voll­stän­dig ent­hält, eine Ges­te der Freu­de, eine zärt­li­che Berüh­rung der Luft. — stop
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