Aus der Wörtersammlung: augen

///

geräusche

2

gink­go : 17.15 UTC — Es ist Nach­mit­tag. Ich sit­ze vor dem Fens­ter nach Süden, ich sit­ze der­art vor dem Fens­ter auf dem war­men Boden, dass ich den Him­mel sehe, Wol­ken, nichts wei­ter, nicht, was dar­un­ter sich ver­sam­melt, Häu­ser, Tür­me, Kro­nen zahl­rei­cher Bäu­me, Eich­hörn­chen, Auto­mo­bi­le, Men­schen. Ich höre eine Stra­ßen­bahn kom­men, ich höre, wie sie anhält, ich höre Stim­men, ich höre, wie sich die Stra­ßen­bahn lang­sam in Bewe­gung setzt, wie sie beschleu­nigt, wie sie eine Wei­che nimmt. Die Stra­ßen­bahn schep­pert und ächzt. Unge­zähl­te Male schep­per­te und ächz­te eine Stra­ßen­bahn an die­sem Ort. Kin­der­ru­fen. Eine Hupe, ein Mar­tins­horn. Ich höre nicht sicht­ba­ren Ereig­nis­sen zu. Vögel sin­gen in die­sem Augen­blick, sin­gen in mei­ner Vor­stel­lung, das ist denk­bar. Ich hat­te vor, spa­zie­ren zu gehen. Es ist Nach­mit­tag. Ein Tele­fon klin­gelt. — stop
ping

///

von fliegentieren

9

india : 20.02 UTC — Flie­gen exis­tie­ren, die sich im Moment der Dun­kel­heit an eine Wand set­zen, auf ein Buch, auf den Boden, auf das vom Tag­licht erwärm­te Holz mei­nes Schreib­ti­sches. Dort ver­wei­len sie still, bis es wie­der hell wird, sie sind die Schlä­fer unter den Flie­gen, Nacht­schlä­fer. Indes­sen sind wei­te­re Flie­gen zu beob­ach­ten, die kaum sicht­bar sind, solan­ge Licht ist in mei­nen Zim­mern, sie schei­nen sich mit­tels Bewe­gungs­lo­sig­keit zu ver­ste­cken. Ich höre sie nicht, ich sehe sie nicht, ich ver­ges­se, dass sie anwe­send sind oder ihre Anwe­sen­heit mög­lich sein könn­te. Und dann ist also Dun­kel. Unver­züg­lich flie­gen sie los, Spu­ren der Duft­mo­le­kü­le fol­gend lan­den sie auf Wan­gen, Stirn oder einer Schul­ter, die frei­legt, die schläft, die in die­sem Augen­blick der Lan­dung erwacht. Man könn­te sagen, die Nacht­flie­ger unter den Flie­gen, bewir­ken Licht. Kaum ste­he ich schlaf­trun­ken neben dem Bett, haben sie sich bereits wie­der ver­steckt.  Sie wis­sen um den Zorn. Und sie wis­sen, dass bald wie­der Dun­kel wer­den wird. — stop

///

vögel

9

india : 18.55 UTC — Im Traum ste­he ich im Park vor einer Volie­re, die an einem Bind­fa­den hängt. Die­ser Bind­fa­den muss irgend­wo in gro­ßer Höhe am Him­mel befes­tigt sein. In der Volie­re schwe­ben Vögel. Sie sind nicht sehr viel grö­ßer als ein Dau­men, ihr Gefie­der von präch­ti­gen Far­ben, die sich lang­sam flie­ßend ver­än­dern. Ich sit­ze auf einem Stuhl, habe Brot­zeit mit­ge­bracht, Kür­bis­kern­bröt­chen, Schin­ken, 1 Schnitt­lauch­sträuß­chen, Cham­pi­gnon­pas­te­te, Him­beer­brau­se, eine Kan­ne Kaf­fee. Ich beob­ach­te das Vogel­haus, das über kei­ner­lei Tür ver­fügt. Tage­lang, es wur­de immer wie­der dun­kel, saß ich auf mei­nem Stuhl. Wenn es dun­kel gewor­den war, leuch­te­te ich mit einer Taschen­lam­pe zu den Vögeln hin. Sie moch­ten das Licht, ihre Augen glüh­ten wie Dioden in blau, oran­ge, grün und rot. Auch waren sie stumm. Sie schie­nen auf­merk­sam zu sein. Viel­leicht wun­der­ten sie sich über die­sen Mann, der gedul­dig war­te­te, ob sie bald ein­mal lan­den wür­den. — stop
ping

///

mundsegel

9

del­ta : 18.28 UTC — Abends kommt sie mir ent­ge­gen im Trep­pen­haus 2. Stock. Sie geht sehr lang­sam, rech­te Hand am Gelän­der, ihre wei­te­re Hand stützt auf ihrem lin­ken Ober­schen­kel, der­art drückt sie sich Stu­fe für Stu­fe zur Woh­nung hoch. Sie sieht, dass ich oben auf dem Trep­pen­ab­satz war­te, damit ich Platz machen kann, damit wir uns nicht zu nahe kom­men. Ver­mut­lich erkennt sie mich bereits an den Schu­hen. Von unten ruft ein jun­ger Mann, der ihr den Ein­kauf nach oben trägt, er gehe jetzt los. Und wie sie an mir vor­über kommt, sie lächelt hin­ter dem Mund­se­gel, ent­de­cke ich, dass das schwe­re dich­te Segel zu einem leich­te­ren Segel gewor­den ist, das knis­tert, indem sie ein- oder aus­at­met. Zwei Tage spä­ter höre ich, sie sei geimpft wor­den. Ihre dunk­len Augen, ich erin­ne­re mich, fun­kel­ten im Halb­licht. Sie trug Som­mer­schu­he. Und sie wuss­te in ihrem beschwer­li­chen Auf­stieg ver­mut­lich schon, dass sie am Abend, beglei­tet vom gedul­di­gen jun­gen Mann aus dem ers­ten Stock, mit ihrem Roll­wä­gel­chen in den nahen Park spa­zie­ren wür­de, um einer Bekann­ten Pfand­fla­schen wei­ter­zu­rei­chen. Es sind die­ses Mal nicht so vie­le, wird sie viel­leicht ent­schul­di­gend sagen. — stop

ping

///

halbstundenschnee

9

zou­lou : 15.18 UTC — Win­ter. Land­schaft tief ver­schneit. Ich erin­ne­re Vater, wie er auf den Bal­kon unse­res Hau­ses ein Kame­ra­sta­tiv stellt. Der Foto­ap­pa­rat, den er auf das Sta­tiv schraub­te, rich­te­te sei­ne Augen­lin­se zum Gar­ten hin, auf eine unbe­rühr­te Decke von Schnee über einem Teich, der sich kaum wahr­nehm­bar durch eine leich­te Ver­tie­fung abzeich­ne­te unter dem glit­zern­den, kal­ten Tuch. Von dem Foto­ap­pa­rat aus führ­te ein fei­nes Kabel in Vaters Arbeits­zim­mer. Das Kabel war mit sei­nem Com­pu­ter ver­bun­den, der dem Foto­ap­pa­rat jede hal­be Stun­de ein­mal Anwei­sung gab, eine Auf­nah­me des Gar­tens anzu­fer­ti­gen. Vie­le Jah­re spä­ter ent­deck­te ich eine Serie die­ser Auf­nah­men. Spu­ren sind dort zu erken­nen, einer Kat­ze, die selbst nicht zu sehen ist. Der Kopf einer Amsel wei­ter­hin, die nach ihrer Lan­dung im Schnee ver­sun­ken zu sein schien. Kurz dar­auf eine wei­te­re Kat­ze, die der Spur jener unsicht­ba­ren, frü­he­ren Kat­ze folgt. Auch Mut­ter hat ihren Auf­tritt. Ihr Kopf ist zu erken­nen, und ihre Hän­de, die in den Bild­aus­schnitt ragen. Sie wirft Nüs­se in den Schnee. Eine wei­te­re Auf­nah­me, es ist viel­leicht spä­ter Nach­mit­tag, zeigt Vater inmit­ten sei­nes Gar­tens. Er schaut hoch zur Kame­ra. — stop

///

tram

2

echo : 8.16 UTC — Seit einem Jahr nun sehe ich Stra­ßen­bah­nen zu, wie sie mich pas­sie­ren in der einen oder ande­ren Rich­tung, ohne sie je betre­ten zu haben. Stra­ßen­bah­nen sind anwe­send, aber nicht ver­füg­bar, weil ich das so ent­schie­den habe. Das hat es in mei­nem städ­ti­schen Leben noch nie zuvor gege­ben. Ein­mal war­te­te ich vor einer Ampel, als ein Wag­gon der Linie 16 neben mir hielt. Ich dach­te, sie war­tet wie ich. Im Wag­gon saß eine jun­ge Frau. Sie schau­te mich an und lächel­te. Die jun­ge Frau trug kei­ne Mas­ke, ihr Mund war knall­rot geschminkt. Sie schien begeis­tert zu sein. Ihre Augen strahl­ten. Sie hat­te etwas Ver­rück­tes an sich, etwas Tri­um­phie­ren­des. — stop
ping

///

von einer walzenspieldose

2

nord­pol : 22.58 UTC — Vor Jah­ren, zur Som­mer­zeit, an der Sei­te einer schwer­mü­ti­gen Frau durch trop­fen­den Wald nahe einem Kran­ken­haus spa­ziert. Es hat­te gereg­net, eine Sint­flut, das Kleid der Frau, von dem sie erzähl­te, dass es sich um ein bren­nen­des Kleid han­de­le, kleb­te an ihrem Kör­per fest. Schmal war sie gewor­den, zer­brech­lich, fast durch­sich­tig, die Haut ihrer Hän­de, ihrer Wan­gen, ihres Hal­ses. Ich erin­ne­re mich, dass ich ihr Libel­len zeig­te, sie jag­ten dicht über den damp­fen­den Boden hin, Wald­erd­bee­ren, einen Frosch. Ich frag­te nach ihren Gedan­ken, aber ich konn­te sie nicht errei­chen, auch mit mei­nen Bli­cken nicht, weil sie mich nicht anse­hen woll­te, son­dern vor sich hin starr­te, indem sie vor­sich­tig ihre Schrit­te setz­te, als wür­de der Boden unter ihren Füßen nicht wirk­lich exis­tie­ren. Ihr fei­nes Gesicht, ich erin­ne­re mich, ihre hel­len Augen, hell von Schmerz und Furcht. Wie sie nach einer lan­gen Zeit des Schwei­gens sag­te, nie­mand kön­ne ver­ste­hen, wie sie sich füh­le, kein Mensch, das sei schreck­lich, und das Atmen, die Angst, die Lee­re, der Ein­druck zu fal­len, und dass sie nicht wis­se, wann das alles wie­der­kom­men wür­de, wenn es doch ein­mal auf­ge­hört haben soll­te. In einer ihrer Hän­de barg sie eine Spiel­do­se. Manch­mal hielt sie die klei­ne Maschi­ne vor ihr Gesicht und dreh­te an einer Kur­bel. Sie neig­te dann den Kopf zur Sei­te, und für einen Moment schien der Schmerz nach­zu­las­sen, eine Ahnung im Som­mer­re­gen, eine Erfah­rung größ­ter Fer­ne und Hilf­lo­sig­keit inmit­ten zir­pen­den, pfei­fen­den, rau­schen­den Lebens. — Ich habe von die­ser Begeg­nung im Wald bereits ein­mal erzählt. Weil ich heu­te über was­ser­fes­te Wal­zen­spiel­do­sen notier­te, erin­ner­te ich mich. — stop

///

augenaffe

2

ulys­ses : 17.02 UTC — Lesen in der digi­ta­len Sphä­re wie Netz­wer­ken fol­gen, Flüs­sen, die kein Ende fin­den. Lesen also von Stun­de zu Stun­de, auf einer Spur sich wei­ter han­geln, ein Augen­af­fe, durch Blatt­werk, das unend­lich gewor­den zu sein scheint.  Ich soll­te eine Uhr stel­len, die mich weckt. Oder eine Uhr, der ich erlau­ben wer­de, das Licht über dem Schreib­tisch aus­zu­schal­ten oder mei­ne Schreib­ma­schi­ne selbst, die zum Schrei­ben näm­lich, nicht zum flüch­ti­gen Lesen bestimmt wor­den ist.  — stop
ping

///

im park

2

lima : 23.01 UTC — Ich war heu­te im Park, wo noch vor Mona­ten Kirsch­bäu­me blü­hend paar­wei­se über eine Wie­se spa­zier­ten. Von den Hun­den, sobald es dun­kel wird, siehst Du dort nichts als das Licht, das um ihren Hals gelegt, oder ihre glü­hen­den Augen im Schein der Fahr­rad­la­ter­nen. Heu­te waren auch zwei flie­gen­de Hun­de unter­wegs oder beleuch­te­te Vögel, weil da auch Licht her­um­flog, viel­leicht Droh­nen, zwei klei­ne, das war selt­sam, auch dass sie mich viel­leicht beob­ach­te­ten, wie ich nach ihnen sah. Ich dach­te an Fahr­rä­der, die unsicht­bar in Baum­kro­nen hän­gen. Und ich dach­te, dass selt­sam ist, dass ich manch­mal bemer­ke in Gedan­ken, wor­an ich gera­de noch dach­te. Ver­mut­lich war ich ganz grün gewe­sen vom Nacht­sicht­licht, wer weiß. — stop
ping

///

maskentier No 1

9

tan­go : 0.06 UTC — In einer gezeich­ne­ten Vor­stel­lung der Mas­ken­tie­re sind Augen zu bemer­ken. Das ist sehr selt­sam, weil Augen nicht eigent­lich sinn­voll oder unver­zicht­bar sind für den Zweck, dem Mas­ken­tie­re bald ein­mal die­nen wer­den. Es ist näm­lich so, dass Mas­ken­tie­re in der Lage sein soll­ten, sich auf mensch­li­che Mün­der und Nasen nie­der­zu­le­gen, um die­sel­ben zu beatmen, dem­zu­fol­ge Luft aus der Atmo­sphä­re zu ent­neh­men, um die­se even­tu­ell kon­ta­mi­nier­te Luft für Men­schen oder ande­re Tie­re sorg­fäl­tigst zu fil­tern, indem sie in Stun­den, da sie ihrer Bestim­mung fol­gen, auf viel­fäl­tig gestal­te­ten Wan­gen, Nasen­rü­cken, Hals­par­tien so dicht zu lie­gen kom­men, dass kein Gramm einer Viren­last je an ihren Rän­dern oder Enden ent­wei­chen könn­te. Es ist statt­des­sen ganz wun­der­bar sau­be­re Luft, die sie spen­den, und es ist ganz wun­der­bar sau­be­re Luft, die sie im Gegen­zug wie­der an die Welt zurück­ge­ben wer­den. Natür­lich ist denk­bar, dass kein Wort, kein Schrei durch ihre Leder­haut hin­durch nach drau­ßen drin­gen wird, es wird also stil­ler unter den Men­schen, die schwei­gen und sich sicher füh­len, sobald sie mit ihren wär­men­den Mas­ken über Stra­ßen und durch Waren­häu­ser spa­zie­ren. Dann ist Abend gewor­den, und man legt das getra­ge­ne Tier zurück in einen Behäl­ter, der mit Was­ser gefüllt ist. Dort schwim­men sie dann auf­ge­regt unter wei­te­ren Mas­ken­tie­ren her­um und erzäh­len sich Geschich­ten, was sie hör­ten und was sie gese­hen haben, wäh­rend des Tages, indes­sen sie sich säu­bern und paa­ren, um wei­te­re Mas­ken­tie­re zu erzeu­gen. — Auch Ohren, jawohl! — stop



ping

ping