Aus der Wörtersammlung: op

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lichtschlitten

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0.12 — Am spä­ten Abend, um 22 Uhr und 28 Minu­ten prä­zi­se, ver­zeich­net der Goog­le-Index 2.850.000 Ergeb­nis­se für die Suche nach Albert Camus in 0,15 Sekun­den und für das Wort Son­ne 31.500.000 Ein­trä­ge in 0.03 Sekun­den. Ist es Men­schen mög­lich, einen Zeit­raum von 0.15 Sekun­den vor­zu­stel­len? Könn­te ich, wenn ich übte, ein Gefühl bewir­ken, für die Zeit­dif­fe­renz zwi­schen 0.15 Sekun­den und 0.03 Sekun­den? Wie lan­ge Zeit müss­te ich mit lau­ter Stim­me spre­chend zäh­len, bis ich die Zahl 850.000 erreicht haben wür­de? Könn­te ich so weit zäh­len, ohne ein­mal schla­fen zu müs­sen? – Kurz nach Mit­ter­nacht. Ich scan­ne die Foto­gra­fie einer indi­schen Frau, die viel­leicht nie erfah­ren wird, dass die Auf­nah­me ihrer Per­son unter der Bezeich­nung darjiling.gif der Elek­tro­sphä­re zuge­fügt wor­den ist. — Das fei­ne Geräusch der Moto­ren, die den Licht­schlit­ten zie­hen. Sie­ben Uhr acht­und­zwan­zig in Lha­sa, Tibet. — stop

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larynx

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22.05 – Da war ein Tisch vor weni­gen Stun­den. Auf die­sem Tisch lag ein geöff­ne­ter mensch­li­cher Kör­per. In nächs­ter Nähe lehn­te eine hoch­ge­wach­se­ne jun­ge Frau mit dem Rücken an einer Wand, Augen geschlos­sen, als wäre sie ein­ge­schla­fen. Ihre Hän­de betas­te­ten einen Kehl­kopf, das heißt, genau­er betrach­tet hüpf­ten ihre Fin­ger über den klei­nen hell­brau­nen Kör­per hin, als wären sie Lebe­we­sen für sich. Wenig spä­ter war die Frau wach gewor­den. Sie leg­te die fili­gra­ne Struk­tur auf den Tisch zurück, zog ihre Hand­schu­he aus und sag­te: Aber natür­lich darfst Du das wis­sen. Ich habe nach­ge­dacht und geträumt zur glei­chen Zeit. Rasch mach­te sie mit einer Hand eine Scha­le, hob den Kehl­kopf mit der ande­ren Hand vom Tisch und leg­te ihn dort­hin ab: Larynx! Gran­di­os, nicht wahr! Was ich mit mei­nen Fin­gern ange­schaut habe, geht nie wie­der fort! – Tau­ben­grau­er Him­mel. Leich­ter Regen. Sturm von Süd­west. — stop

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louis armstrong

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5.15 — Ges­tern, in den frü­hen Abend­stun­den, eine zau­ber­haf­te Text­pas­sa­ge erin­nert, die ich vor lan­ger Zeit ein­mal gele­sen habe. Sie erzähl­te etwas von der Lie­be zu Honig­bro­ten und von der Ruhe eines Mor­gens vor einem lee­ren Schreib­tisch und von Lou­is Arm­strongs knur­ren­der und schnar­ren­der Stim­me, und weil ich gera­de in einem Super­markt unter­wegs gewe­sen war, habe ich mir ein Glas Honig gekauft. Ich woll­te der Kas­sie­re­rin erzäh­len, wes­halb ich mir Honig kau­fe und dass die­ses Glas das ers­te Glas Honig sei, das ich seit Jah­ren mit mir nach Hau­se neh­men wür­de, und dass man, wenn es reg­net, zu Hau­se her­um­sit­zen kön­ne und Geor­ge Gershwins Sum­mer­ti­me hören in 20 Varia­tio­nen. Dann wahr­ge­nom­men, wie müde, wie erschöpft die Frau gewe­sen ist. Anstatt zu spre­chen, etwas Scho­ko­la­de ange­bo­ten. Ihr selt­sa­mer Blick ins rote Licht des Scan­ners. — Wenn man jah­re­lang Bom­ben unter Men­schen wirft, genügt die Behaup­tung einer Bom­be, um eine Men­schen­men­ge in eine töd­lich wir­ken­de Panik zu ver­set­zen. — stop

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eisballon

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0.18 – Ers­te Vor­stel­lung eines Polar­kä­fers notiert. Die­ser Käfer ist so hell, dass nur sehr fei­nes Schat­ten­licht auf sei­nem Pan­zer Struk­tu­ren eines Kör­pers sicht­bar wer­den lässt. Ich könn­te viel­leicht sagen, das heißt, ich könn­te behaup­ten, dass der Käfer hel­ler ist als der Schnee und käl­ter als das Eis. Er ver­trägt kei­ne Dun­kel­heit, auch Däm­me­rung ist Dun­kel­heit, und ernährt sich vom Fleisch win­zi­ger Kreb­se, die in Eis­bal­lo­nen vom Wind durch die Luft getra­gen wer­den. Stun­de um Stun­de, je eine Bewe­gung, schlägt sein Herz. — stop

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blaue schuhe

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0.56 — Ich hat­te mir vor­ge­nom­men, eine klei­ne Notiz über eine Amei­se zu schrei­ben, die ich ges­tern Nach­mit­tag in einem U‑Bahn-Wag­gon ange­trof­fen hat­te. Aber dann habe ich mei­ne Hän­de gese­hen, wie sie dicht über der Tas­ta­tur der Schreib­ma­schi­ne auf Anwei­sung war­te­ten. Ich dach­te, dass mei­ne Hän­de jene ana­to­mi­schen Struk­tu­ren mei­nes Kör­pers sind, die ich am bes­ten ken­ne, weil ich sie viel­fach betrach­tet habe. — Alle Hän­de, die ich erin­nern kann, sind die Hän­de eines Men­schen, der nicht mehr Kind ist. Aber ich erin­ne­re mich an Bewe­gun­gen, die Kis­sen in einem Kin­der­wa­gen sor­tie­ren. Ich erin­ne­re mich an mei­nen Wunsch, in mei­nem Kin­der­wa­gen Ord­nung zu hal­ten. An höl­zer­nes Spiel­zeug erin­ne­re ich mich, das vor mei­ner Nase bau­mel­te. Da sind jetzt klei­ne, blaue Schu­he in mei­nem Kopf. Sie bewe­gen sich, wenn ich wün­sche, dass sie sich bewe­gen. — stop

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zeitort

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[ 0.08 ] — Ich schrei­be die­sen Text an einem Zeit­ort, der eigent­lich nicht exis­tiert. Habe mich um 0.05 Uhr an die Schreib­ma­schi­ne gesetzt, aber noch ehe ich mei­ne Hän­de auf die Tas­ta­tur gelegt hat­te, war schon 1 Uhr gewor­den und ich hat­te noch kei­nen ein­zi­gen druck­ba­ren Satz notiert. Habe ich mir also eine zusätz­li­che Stun­de Zeit fabri­ziert. Wie­der war 0 Null Uhr gewor­den und ich dach­te notie­rend über das Was­ser­spre­chen nach. — Ist es mög­lich, unter einer Mee­res­ober­flä­che Wör­ter auf­zu­sa­gen? Ist es über­haupt Men­schen mög­lich, unter Was­ser so deut­lich zu spre­chen, dass zu ver­ste­hen ist, was aus­ge­spro­chen, das heißt, aus­ge­at­met wur­de? Wie hört sich eine mensch­li­che Stim­me an, die unter Was­ser spricht? Wie vie­le Sät­ze kann ich mit einer gesun­den, mit einer prall mit Luft gefüll­ten Lun­ge so deut­lich spre­chen, dass von einer Unter­hal­tung die Rede sein könn­te, wenn ich eine Ant­wort von einem wei­te­ren Tau­cher erwar­ten wür­de? — stop

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mercè rodoreda

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0.02 — Eine wun­der­ba­re Geschich­te habe ich ent­deckt, eine Geschich­te der kata­la­ni­schen Schrift­stel­le­rin Mer­cè Rodo­re­da. Ich darf sie rasch notie­ren: Sie ist weiß und sie ist blau. Das heißt, sie ist weiß wie die wei­ße Rose, und ganz plötz­lich wird sie blau. Ein Insekt färbt sie, so scheint es, aber nie­mand weiß, wie es das macht. Ein Augen­blick der Zer­streut­heit und schon ist sie blau. Die­ses Insekt trägt in einem Knie, mit fadi­gem Spei­chel fest­ge­näht, ein Päck­chen, und in die­sem Päck­chen, umge­ben von Eiern und von Blau – reins­tes Indu­lin – ist der Ehe­mann. Die­ser Ehe­mann schläft den gan­zen Tag und bebrü­tet die Eier, die durch ein Loch in das Päck­chen fal­len, das in dem Knie ist, wor­an es fest­ge­näht ist. Wenn die Stun­de kommt, kriecht das Insekt der Blu­me ins Herz, lädt das Päck­chen ab, und die Blu­me, die weiß war, wird blau von oben bis unten. Sie sagen: — Oh, es ist näm­lich so, daß der Ehe­mann, sobald er sich blu­men­um­hüllt sieht, das Päck­chen auf­bricht und alles von blau­em Saft über­schwemmt wird und die Eier plat­zen und die Klei­nen sofort los­flie­gen, jedes mit sei­nem Päck­chen im Knie … ein­ver­stan­den. Aber das sind blo­ße Ver­mu­tun­gen. Die Wahr­heit ist, daß die Blu­me in einem Nu blau wird. Wie? Dahin­ter kommt man nie, und jeder­mann ist ein biß­chen durch­ein­an­der und ver­wirrt. — stop
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strichzeichnung

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8.27 — Strich­zeich­nung eines Man­nes, der Schritt für Schritt die Küs­ten die­ser Welt spa­ziert. Er schläft vor den Mee­ren und ernährt sich aus den Mee­ren. Er sam­melt Din­ge, die Mee­re an Land gewor­fen haben. Wenn er etwas sieht, das aus einem Meer gekom­men ist, dreht und wen­det er es mit der einen Hand in der ande­ren Hand. Dann beschreibt er sei­nen Fund, notiert Uhr­zeit und Posi­ti­on, isst ihn auf oder legt ihn zurück auf den Boden. Der Mann, an den ich den­ke, schläft in einem Zelt, wenn es kalt ist oder wenn es reg­net. Er trägt gute, fes­te Schu­he, ist aus­ge­rüs­tet, wie Men­schen aus­ge­rüs­tet sind, die in den Ber­gen schwie­ri­ge Wän­de durch­klet­tern. Sobald er sich bewegt, kann man ein Klim­pern hören. Manch­mal pas­siert der Mann eine gro­ße Stadt. Dann beschleu­nigt er sei­ne Schrit­te. Der Mann weiß aus Erfah­rung, dass er immer wie­der zurück­kom­men wird an den Aus­gangs­ort sei­ner Küstenrei­se. Heu­te, in den frü­hen Mor­gen­stun­den, habe ich die­sem Mann einen Namen gege­ben und ein Alter und eine Sta­tur, eine prä­zi­se Anga­be, in wel­cher Höhe über dem Boden sich sei­ne Augen befin­den, wenn der Mann auf­recht steht. — stop

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flaubert

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20.25 — Geor­ges Perec zitiert Gust­ave Flau­bert: Paris wird ein Win­ter­gar­ten wer­den / Spa­lie­re mit Früch­ten auf den Bou­le­vards; die Sei­ne fil­triert und warm / Über­fluss an künst­li­chen Edel­stei­nen – über­rei­che Ver­gol­dung. Beleuch­tung der Häu­ser – das Licht wird gespei­chert wer­den, denn es gibt Kör­per, die die­se Eigen­schaft besit­zen, wie etwa der Zucker oder das Fleisch gewis­ser Mol­lus­ken und der Phos­phor aus Bolo­gna. Die Häu­ser­fas­sa­den wer­den mit die­ser phos­pho­res­zie­ren­den Sub­stanz über­tüncht wer­den müs­sen und ihre Aus­strah­lung wird die Stra­ßen hell erleuch­ten. | stop | Plé­ia­de, II | stop | End­plan. | stop | Regen.

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