echo : 5.58 UTC — Der Mathematiker John von Neumann soll in der Lage gewesen sein, 100-mal schneller zu denken als „gewöhnliche“ Menschen denken. In dem Moment, da ich diese Information wahrgenommen hatte, versuchte ich mir vorzustellen, wie sich meine innere Stimme, die Stimme bewussten Denkens, verhalten würde, sobald ich in meinem Kopf plötzlich in 100-facher Geschwindigkeit zu mir oder mit mir selbst sprechen würde. Könnte ich dieses Geräusch überhaupt noch als Sprache identifizieren? Wäre von einem Hochgeschwindigkeitsort aus die Denkstimme eines „gewöhnlichen“ Menschen im virtuellen Schallohr überhaupt noch wahrzunehmen? Diffizile Fragen an diesem frühen Morgen. Wie könnte ich meine Gedanken noch notieren, da sich meine Hände sehr plötzlich 100-mal schneller bewegen müssten als zuvor, um meine Gedanken auf Papier oder das Licht des Bildschirms zu übertragen. Vielleicht würde ich nur noch Ergebnisse meines Denkens notieren oder in mathematischen Formen fantasieren. In jedem Falle wäre das Notieren mit Händen auf einer Tastatur, ein Vorgang der Entschleunigung. Edward Teller, der die Wasserstoffbombe erfunden haben soll, kannte John von Neumann persönlich, weil sie gemeinsam arbeiteten. John von Neumann berechnete die Höhe über dem Erdboden, da eine Atombombe in dem Augenblick der Explosion ihre größte Zerstörungskraft entfalten würde. Mein Vater wiederum kannte Edward Teller persönlich. Er war ein junger Mann, als er Edward Teller begegnete. Edward Teller sei ihm sehr unheimlich gewesen, erzählte mein Vater. — stop
Aus der Wörtersammlung: op
html 5
nordpol : 18.28 UTC — Gestern war ein glücklicher Tag. L., der in Lissabon lebt, notierte, er werde mich in der Rettung Birdy’s aus unsicherer Flashumgebung unterstützen. Vor den himmelblauen digitalen Bildschirmreisekoffern meiner Erzählmaschine sitzend, plötzlich die Erinnerung an eine Fotografie Robert Doisneau’s, die Jacques Tati zeigt, wie er als Postbote in einem Zustand leiser Verwunderung hinter Teilen seines Dienstfahrrades steht, welches er vermutlich mit eigenen Händen zerlegte. Ich stelle fest: Die Differenzierung eines Gegenstandes in notwendige oder typische Portionen könnte bereits für sich genommen, als äußerst anspruchsvolle Aufgabe zu betrachten sein. — stop
pizzo tambo
basskäfer : es ist samstag
alpha : 17.15 UTC — Ein Basskäfer (Coleoptera chamberus) ist tatsächlich in etwa geformt wie ein Kontrabass. Einen Finger lang oder hoch, vermag der Käfer zu fliegen, aber nicht zu gehen. Nähert man sich einem Basskäfer vorsichtig, wird man sonore Töne vernehmen, die einem Gehäuse entkommen, das vorn wie hinten, oben wie unten, ähnlich beschaffen ist, eine Art Zeppelinluftschiff mit einem Kopf, das auf dem Bauch landete. Das Gehäuse glänzt, als wäre es von poliertem Holz. Der Käfer scheint nun auf den zweiten Blick hin, tatsächlich ein Käferwesen zu sein, insbesondere sein Kopf zeigt alle Merkmale eines Käferkopfes, Fühler, Augen, Mundwerkzeuge, darüber hinaus verfügt sein zentraler Körper über Deckflügel, welche sachte beben, darunter ruhen durchsichtige Schwingen, die den Käfer durch die Luft transportieren, jedoch nicht sehr dauerhaft oder weit, weil es nicht vornehme Aufgabe der Basskäfer ist, herumzufliegen, vielmehr ist vornehme Aufgabe der Basskäfer, Geräusche zu erzeugen, die von der Art der Kontrabassinstrumente sind, so wie wir Menschen sie kennen, weil wir sie erfunden haben. Deshalb sind an der äußeren Gestalt der Basskäfer keinerlei Beine oder Füße zu erkennen, weil sie sich im Inneren des Käfers befinden. Dort zupfen sie an Saiten von Chitin, stunden-gar tagelang. Basskäfer scheinen in dieser Weise miteinander zu kommunizieren. Sobald ein Basskäfer auf einen Trompetenkäfer trifft, sind beide Käfer glücklich. — stop
zur menschenfaltung
marimba : 15.01 UTC — Sie haben, sagte ein Beamter von hohem Rang, vor einiger Zeit von einem faltbaren Medusenzimmer erzählt. Ich würde nun gerne wissen, sind sie in der Verwirklichung ihrer Vorstellung einen oder gar mehrfache Schritte vorangekommen? Ich frage deshalb vorsichtig an, fuhr der Beamte fort, weil ich mit dem Gedanken spiele, prüfen zu lassen, ob es nicht vielleicht möglich sein könnte, faltbare Menschen zu entwickeln, Menschen, die nach einer Prozedur rasend schneller Trocknung, gepresst und gefaltet, auf dem Postwege verschickt werden und an ihrem Zielort mittels Feuchtigkeit wieder entfaltet werden könnten. Auch eine Menschenlagerung über längere Zeiträume wäre in dieser Art und Weise denkbar. Kurz bevor ich antworten konnte, wachte ich auf . Seit einigen Stunden denke ich nun darüber nach, ob ich träumend tatsächlich wünschte, etwas zur Anfrage zu äußern. Möglicherweise erwachte ich, um eine Antwort zu verhindern. — stop
helena
MELDUNG. Um 7 Uhr und 5 Minuten in der Früh, es ist Donnerstag, wurde Käferdame Helena [ 14 Gramm ] von Käfer Julian [ 18 Gramm ] erstmals mittels rhythmischer Lumineszenzen von roter Farbe begrüßt. Sie selbst morst in gelber oder blauer Beleuchtung. ~ MPI für Biotechnologie, Ungererstr 12, 6. Stock : Labor IIc‑8 : Level 4. — stop
8.7 milligramm
echo : 22.58 UTC — An diesem späten Abend würde ich gern eine Geschichte erzählen. Sie handelt von einer Frau, die in der Lage ist, das Gewicht einer Ameise mittels der Zeigefingerbeere ihrer rechten Hand präzise zu bestimmen. Sie sagt: Diese Ameise wiegt 8.7 Milligramm. Ein zierliches Wesen, dachte ich, das sich im Moment des Wiegens auf der Fingerbeere der feinfühligen Frau niedersetzte und sich nicht im Mindesten rührte. Eigentlich eine seltsame Geschichte, die ich gern genauso erzählt haben würde, als wäre sie Wirklichkeit. Etwas muss sich verändert haben während der vergangenen Monate. — stop
deep
tango : 0.28 UTC — Ich habe gestern auf der Suche im Internet nach Walfischstimmen ein Mikrofon entdeckt, das sich im Atlantik nahe der grönländischen Küste unter der Meeresoberfläche befinden soll. Folgende Position war zu ermitteln: Statoil Greenland (Ölplattform) 79.056 N / ‑12.538 O. Es handelt sich möglicherweise tatsächlich um Live – Aufnahmen, die von dort gesendet werden, nicht um einen Loop, der vorgibt, Geräusche in Echtzeit zu übertragen. Das atlantische Meer, soviel kann ich nach längerer Beobachtungszeit sagen, knattert und rauscht und tickt und pfeift von Zeit zu Zeit. Ich meinte, buchstäblich Walfischstimmen gehört zu haben, ein berührender Moment. — Ich erinnere mich, einmal gelesen zu haben, dass Buckelwale zur Paarungszeit über eine Sprache verfügen, die einfachen menschlichen Sprachen ähnlich ist. Immer wieder seither die Frage, was ich unter einer einfachen menschlichen Sprache verstehen sollte. Ob eine dieser einfachen menschlichen Sprachen vielleicht geeignet wäre, sich mittels einer Prozedur der Übersetzung von Wal zu Mensch zu verständigen? Wir könnten uns vom Land und von der Tiefsee erzählen. Eine grandiose Vorstellung, wie ich in der Tiefe vor einem Wal schwebe und darauf warte, dass er bald, nach ein wenig Denkzeit, zu mir sprechen wird, etwas also sagen oder singen, das nur für mich bestimmt ist. Vielleicht eine Frage: Wie heißt Du, mein Freund? Oder: Ich hörte von Bäumen! — stop
bbc
alpha : 15.22 UTC — Mein Freund Samuel ist ein Freund, mit dem ich sehr gerne spreche, weil ich immer wieder beobachte, dass Wörter oder Sätze, die ich in dem Glauben verwende, sie seien für alle menschlichen Wesen gleichermaßen gültig, in unserer gemeinsamen Welt nicht existieren. Selbst die beiläufige Betrachtung eines Fernsehbildschirms provoziert Diskussionen. Wir sitzen, es ist später Abend, in einem Café am Flughafen. Die BBC zeigt Ausschnitte einer Pressekonferenz des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in einem Loop. Wiederholt demzufolge hören und sehen wir, wie der 45. Präsident eine farbige Journalistin beschimpft, die ihm eine sachliche Frage stellte. Ich sage zu meinem Freund, schau, hör zu, er beschimpft diese Frau. Nach fünfzehn Minuten, die Szene der Beschimpfung war dreimal wiedergekehrt, sagt mein Freund mit trockener Stimme: Das ist nicht Wirklichkeit, das ist eine Erfindung des Fernsehens. — stop
regenzeit
nordpol : 18.15 UTC — Es ist früher Abend und es regnet in Strömen. Tatsächlich, wenn ich vor dem Fenster stehe und meinen Blick derart in die Luft richte, dass ich den Regen wahrzunehmen vermag, meine ich für Sekunden, Schnüre von Wasser erkennen zu können, deren Ursprung ich nicht sehen kann. Die Beobachtung der Wasserschnüre bereitet mir Freude, ich sehe etwas, das ich nicht wirklich sehen, aber mir so gut vorstellen kann, dass es tatsächlich wirklich zu sein scheint. — stop