Aus der Wörtersammlung: tiefsee

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lufteisschrift

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romeo : 2.18 — Ein Eis­buch besit­zen, ein Eis­buch lesen, eines jener schim­mern­den, küh­len, uralten Bücher, die knis­tern, sobald sie aus ihrem Schnee­schu­ber glei­ten. Wie man sie für Sekun­den lie­be­voll betrach­tet, ihre pola­re Dich­te bewun­dert, wie man sie dreht und wen­det, wie man einen scheu­en Blick auf die Tex­tu­ren ihrer Gas­zei­chen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den lei­se sum­men­den Eis­buch­rei­se­kof­fer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeis­ter­ten Bli­cke der Fahr­gäs­te, wie sie flüs­tern: Seht, dort ist einer, der ein Eis­buch besitzt! Schaut, die­ser glück­li­che Mensch, gleich wird er lesen in sei­nem Buch. Was dort wohl hin­ein­ge­schrie­ben sein mag? Man soll­te sich fürch­ten, man wird sei­nen Eis­buch­rei­se­kof­fer viel­leicht etwas fes­ter umar­men und man wird mit einem wil­den, mit einem ent­schlos­se­nen Blick, ein gie­ri­ges Auge, nach dem ande­ren gegen den Boden zwin­gen, solan­ge man noch nicht ange­kom­men ist in den fros­ti­gen Zim­mern und Hal­len der Eis­ma­ga­zi­ne, wo man sich auf Eis­stüh­len vor Eis­ti­sche set­zen kann. Hier end­lich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefro­ren, hier sitzt man mit wei­te­ren Eis­buch­be­sit­zern ver­traut. Man erzählt sich die neu­es­ten ark­ti­schen Tief­see­eis­ge­schich­ten, auch jene ver­lo­re­nen Geschich­ten, die aus purer Unacht­sam­keit im Lau­fe eines Tages, einer Woche zu Was­ser gewor­den sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist kei­ne Zeit für alle die­se Din­ge. Es ist immer die ers­te Sei­te, die zu öff­nen man fürch­tet, sie könn­te zer­bre­chen. Aber dann kommt man schnell vor­an. Man liest von uner­hör­ten Gestal­ten, und könn­te doch nie­mals sagen, von wem nur die­se fei­ne Luft­eis­schrift erfun­den wor­den ist. – Guten Mor­gen. Heu­te ist Mitt­woch. — stop

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radare

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gink­go : 20.58 — Pal­men­gar­ten. Die Son­ne geht gegen sechs Uhr unter, Enten gehen schla­fen. Der Schirm ihrer Augen, der sich regel­mä­ßig öff­net, als wür­den sich in ihren klei­nen Köp­fen Halb­scha­len von Perl­mutt­haut lang­sam dre­hen. Gehen und Kom­men, Wie­der­ho­lung, Rhyth­mus, Rada­re. Trans­fe­rier­te in der Däm­me­rung hand­schrift­li­che Tex­te aus Notiz­bü­chern in die Schreib­ma­schi­ne, das kann man jetzt dru­cken, die Bewe­gung der Sub­way­zü­ge, die sich in den Zei­chen zur Unle­ser­lich­keit fort­setz­te, ver­schwun­den. — Wie spre­chen, wie erzäh­len? — Erin­ner­te mich an den Moment, da ich erfah­ren habe, dass Buckel­wa­le zur Paa­rungs­zeit über eine Spra­che ver­fü­gen, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist. Seit­her, von Zeit zu Zeit, die Wie­der­ho­lung der Fra­ge, was ich unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che ver­ste­hen soll­te, die atem­lo­se Spra­che der Lust viel­leicht oder die Spra­che der Chat­räu­me? Ob eine die­ser mensch­li­chen Spra­chen viel­leicht geeig­net wäre, sich mit­tels einer Pro­ze­dur der Über­set­zung von Wal zu Mensch zu ver­stän­di­gen? Wir könn­ten uns vom Land und von der Tief­see erzäh­len. Eine gran­dio­se Vor­stel­lung, auf hoher See Luft per­lend vor einem Wal zu schwe­ben und zu war­ten und zu wis­sen, dass er gleich, nach ein wenig Denk­zeit, zu mir spre­chen wird. Etwas also sagen oder sin­gen, das nur für mich bestimmt ist. Viel­leicht eine wei­te­re Fra­ge: Wie heißt Du, mein Freund? — Oder: Ich hör­te von Bäumen!
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george ferry terminals tiefseeelefanten

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sier­ra : 17.10 — Hat­te einen Traum, eine Wahr­neh­mung, die mir lan­ge Zeit, ich war längst erwacht, ein sehr wirk­li­cher Raum gewe­sen zu sein schien. Dort, im Nacht­zim­mer, war­te­te ich an einem spä­ten Abend in der zen­tra­len Hal­le des Saint Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals auf das nächs­te Schiff nach Man­hat­tan zurück. Ich war­te­te lan­ge, ich war­te­te den hal­ben Tag und eine hal­be Nacht, begeis­tert vom Anblick einer Her­de fili­gra­ner Tief­see­ele­fan­ten, die über den hel­len, san­di­gen Boden eines Schau­aqua­ri­ums wan­der­ten. Sie hat­ten ihre meter­lan­gen Rüs­sel zur Was­ser­ober­flä­che hin aus­ge­streckt, such­ten in der See­luft her­um und berühr­ten ein­an­der in einer äußerst zärt­li­chen Art und Wei­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch war zu hören, sobald ich eines mei­ner Ohren an das war­me Glas des Gehe­ges leg­te. Die­ses Geräusch nun sucht seit Stun­den nach einem Wort für sich selbst, nach einem Zei­chen­satz, der ver­mut­lich nie­mals exis­tie­ren wird. — stop
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penn station

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marim­ba : 23.
12 — Penn­sta­ti­on am spä­ten Abend. Namen, Leucht­stof­fe, Ziel­or­te, die auf Tafeln klap­pernd von Zei­le zu Zei­le fal­len. Montauk. stop. Baby­lon. stop. Syra­kus. stop. Keroo­kee. stop. Muscheln­de Geräu­sche, Wör­ter, Sät­ze fort­be­we­gend, Dos Pas­sos, sagen wir, Man­hat­tan Trans­fer, Edi­ti­on für Tief­see­tau­cher. stop. 700 selbst­leuch­ten­de Sei­ten a 1200 Gramm. stop. Funk­blät­te­rung. stop. 1 x 0.5 Meter Kan­ten­län­ge. stop. Him­mel, was für ein gro­ßes, schwe­res Buch. stop. Schwe­bend. stop. 550 Fuß Tie­fe. — stop
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schlafbild

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bamako : 22.15 — Inwie­fern wür­de sich die Welt der Bil­der ver­wan­deln, wenn wir über die Mög­lich­keit ver­füg­ten, unse­re Schlaf­träu­me zu foto­gra­fie­ren? Ich mei­ne so zum Bei­spiel, wäh­rend eines nächt­li­chen Spa­zier­gan­ges über einer Hoch­ebe­ne flam­men­der Ahorn­bäu­me die Anwei­sung zu geben: stop.aufnahme.jetzt. Schon am nächs­ten Mor­gen dann auf dem Küchen­tisch neben Kaf­fee­tas­se, Melo­nen­schei­be, Mor­gen­zei­tung, jener Stoß im Traum gebann­ter Momen­te, glü­hen­de Bal­da­chi­ne, sagen wir, über schnee­wei­ßen Wol­ken, Ele­fan­ten der Tief­see, feder­leicht im Spiel vor Neu­fund­land, Louisiana’s schil­lern­de Küs­te. Wie man sich neu­er­dings zur Ruhe legt, lan­ge vor der übli­chen Zeit, im Sam­mel­fie­ber blit­zen­de Augen. Wo und womit wäre nun in der Ver­wirk­li­chung der Idee des Traum­bild­ap­pa­ra­tes anzu­fan­gen? — stop
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lufthupe

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gink­go : 6.25 — Ob sich die Trom­pe­ten­spra­che der Tief­see­ele­fan­ten von der Trom­pe­ten­spra­che der Step­pen­ele­fan­ten unter­schei­det? — Lässt sich die­se Fra­ge foto­gra­fie­ren? — stop
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fiebermöwen

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india

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : FIEBERMÖWEN

Ver­gan­ge­ne Woche, lie­ber Jona­than, ist etwas Merk­wür­di­ges gesche­hen. Ich hat­te Fie­ber und geträumt, dass Sie mir einen Brief geschrie­ben haben. End­lich, end­lich, dach­te ich, um Him­mels wil­len, eine Fata Mor­ga­na, und wach­te auf und erin­ner­te mich an Ihre Wor­te in einer Wei­se, dass ich Traum von Wirk­lich­keit nicht unter­schei­den konn­te. Das mag an mei­nem hei­ßen Kopf gele­gen haben, und so ant­wor­te­te ich auf einen Brief, der nie­mals exis­tier­te. Sie wer­den sich, mein lie­ber Kek­ko­la, viel­leicht gewun­dert haben und noch immer amü­sie­ren. Nun, es geht auf Mit­ter­nacht zu, ist fol­gen­de Sache zu erwäh­nen. Im April wer­de ich eine Samm­lung von Papier­we­sen erhal­ten, einen Bogen 20 x 28 cm. Darf sie umsor­gen und pro­bie­ren, wie sie sich so machen, wenn einer wie ich sie mit wil­den Tex­ten beschreibt? Unse­ren Tief­see­ele­fan­ten geht’s vor­treff­lich. Nahe Ber­mu­da, so wird berich­tet, sol­len sie einen Schwarm ver­irr­ter Möwen aus der Luft gefan­gen haben. Ahoi! Bis bald am Strand. Ihr Louis

gesen­det am
1.03.2010
22.58 MEZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

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dämmerschritte

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kili­man­dscha­ro : 6.26 — Tief­see­ele­fan­ten, wo auch immer sie sich befin­den, schla­fen gemein­sam zur sel­ben Zeit. Sie gehen dann lang­sam, step by step, träu­mend rück­wärts über den Mee­res­bo­den hin. — Selt­sa­me Sache. – An die­sem frü­hen Mor­gen denk ich noch etwas ande­res von Schla­fes­din­gen. Gera­de öff­net Ber­fin die Tür ihrer Woh­nung. Sie kommt von einer Nacht­schicht zurück. Fünf Stun­den Arbeit. Jetzt wird sie noch eine hal­be Stun­de schla­fen, dann auf­ste­hen, ihre Kin­der, drei Mäd­chen, mit Küs­sen auf klei­ne hei­ße Ohren wecken, Früh­stück berei­ten und sie zur Schu­le brin­gen. Ber­fin schläft 21 Stun­den pro Woche. Sie lacht gern. Ein zar­tes Gesicht. Augen, die viel Krieg gese­hen haben. Meis­tens pla­gen sie Kopf­schmer­zen. Müde bin ich, sagt sie, dafür gibt’s kein Wort. 
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rüsselhupe

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echo : 12.03 — Sagen wir das so: Tief­see­ele­fan­ten, sobald sie gebo­ren wer­den auf hoher See in gro­ßer Tie­fe, blei­ben ihren Müt­tern lan­ge Zeit ver­bun­den. Solan­ge Zeit genau wan­dern sie in nächs­ter Nähe, bis ihre Rüs­sel aus­rei­chend gewach­sen sind, um zur Ober­flä­che des Mee­res gelan­gen zu kön­nen. Wie sie sich küs­sen von Zeit zu Zeit in ewi­ger Dun­kel­heit, wie eine Mut­ter ihrem klei­nen Ele­fan­ten Luft ein­haucht, wie das tau­meln­de Wesen im Moment der Über­ga­be lust­voll sei­ne blin­den Augen schließt, eine Ahnung vom berau­schen­den Duft der Welt weit über ihm, von sal­zi­gen Schäu­men, von Motor­ölen, Tang und wei­te­ren ange­neh­men Sub­stan­zen, die ihm bald unmit­tel­bar begeg­nen wer­den. Manch­mal, eher sel­ten, stei­gen sie, Minia­tu­ren einer spä­te­ren Zeit, lang­sam auf­wärts. Sie haben dann aus dem Mun­de ihrer Mut­ter einen Bal­lon süßer Luft ent­ge­gen­ge­nom­men, der zu groß gewor­den sein könn­te von Sor­ge und Lie­be. Zwei oder drei Tage sind sie nun schwe­bend unter­wegs, bis die Ober­flä­che des Was­sers erreicht sein wird. Das fei­ne Geräusch ihrer ers­ten Rüs­sel­hu­pe, mit der sie die lich­te Welt begrü­ßen. – Sonn­tag. Leich­ter Schnee­fall. Viel Jazz im Kopf. — stop

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update

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romeo : 0.05 — Vor weni­gen Minu­ten hat­te ich das Licht über mei­nem Schreib­tisch aus­ge­schal­tet und etwas Lebens­zeit in Dun­kel­heit ver­bracht. Ich will Ihnen rasch erzäh­len, war­um ich so gehan­delt habe. Ich war näm­lich spa­zie­ren gewe­sen stadt­wärts unter Men­schen in Waren­häu­sern und auf einem Weih­nachts­markt, weil ich nach­se­hen woll­te, ob sich in die­ser Welt, die wir bewoh­nen, etwas geän­dert haben könn­te, da doch vor weni­gen Stun­den durch Unter­las­sung ent­schie­den wor­den ist, dass Ban­gla­desch, dass das Gan­ges­del­ta in den Golf von Ben­ga­len sin­ken wird. Ich dach­te, das eine oder das ande­re soll­te doch spür­bar, sicht­bar, fühl­bar wer­den, ein wenig Unru­he, ein lei­ses Klap­pern der Zäh­ne viel­leicht. Aber nein, alles Bes­tens, alles im Lot. Und als ich wie­der an mei­nem Schreib­tisch saß, war da plötz­lich ein star­ker Ein­druck von Unwirk­lich­keit, das alles und ich selbst könn­te rei­ne Erfin­dung sein. Ich lösch­te das Licht über dem Schreib­tisch und war­te­te. Und wäh­rend ich so war­te­te, lausch­te ich den Stim­men der Tief­see­ele­fan­ten, einem Orches­ter zar­tes­ter Rüs­sel­blu­men, wie sie auf hoher See den Him­mel lock­ten. Und als ich das Licht wie­der ein­ge­schal­tet hat­te, saß ich dann noch immer vor dem Schreib­tisch, die Hän­de gefal­tet. — Schnee fällt. stop. Lang­sam. stop. Lei­se. stop. – Fro­he Weih­nach­ten und ein gutes, ein nach­denk­li­ches, ein glück­li­ches Jahr 2010! — stop



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