Aus der Wörtersammlung: brille

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fliegende brillen

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alpha : 17.03 – Heu­te Mor­gen, war noch dun­kel im Haus, hör­te ich ein sir­ren­des Geräusch. Das Geräusch näher­te sich über die Trep­pe abwärts. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine der Bril­len mei­ner Mut­ter, die seit dem Vor­abend über zar­te Roto­ren ver­fü­gen, wel­che in der Lage sind, Bril­len­kon­struk­tio­nen bis hin zu einem Gewicht von 80 Gramm in die Luft zu heben, sie vor­wärts­zu­be­we­gen oder rück­wärts durch Räu­me oder den Gar­ten. Lang­sam durch­quer­te die Bril­le den Raum, kreis­te ein­mal um mei­nen Kopf, und lan­de­te schließ­li­ch sanft auf dem Ess­ti­sch in der Nähe des Stuh­les, auf dem mei­ne Mut­ter sitzt, sobald sie ihr Früh­stück zu sich neh­men möch­te. Über drei Bril­len ver­fügt mei­ne Mut­ter, und jede die­ser Bril­len kann nun flie­gen. Eine Bril­le wur­de im Dach­ge­schoss sta­tio­niert, eine wei­te­re Bril­le im Erd­ge­schoss, die drit­te zu ebe­ner Erde. Wenn nun Mor­gen wird, zu einer Zeit, da fast alle Men­schen noch schla­fen, erwa­chen vor den Vögeln bereits die Bril­len mei­ner Mut­ter. Sie begin­nen zu blin­ken, Dioden in gel­ber Far­be, Zei­chen, dass sie sich mit­tels Funk­si­gna­len ori­en­tie­ren. Bald flie­gen sie los, die Dach­ge­schoss­bril­le ins Dach­ge­schoss, die Bril­le der ers­ten Eta­ge in die ers­te Eta­ge, die Bril­le des Erd­ge­schos­ses ins Erd­ge­schoss. Das Suchen hat nun ein Ende, alles wird gut! – stop

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trillerpfeife

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alpha : 8.25 — Vor einem Jahr im Früh­ling, wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges, erzähl­te eine Freun­din vom Tod ihres Vaters. Dass sie sich lan­ge Zeit vor­be­rei­tet habe. Ihn manch­mal betrach­te­te, als sei er schon nicht mehr anwe­send, eine Vor­stel­lung, eine Erin­ne­rung. Sie habe ihn dann berührt, um sich zu ori­en­tie­ren. In den letz­ten Jah­ren sei­nes Lebens habe ihr Vater vor­wie­gend geschla­fen. Er konn­te die Ber­ge vor sei­nem Fens­ter nicht mehr sehen, obwohl er noch gute Augen hat­te, eine Bewe­gung, als wür­de er sei­nen Blick nach innen rich­ten. Als dann der Vater tat­säch­lich gestor­ben war, sei nichts so gewe­sen, wie sie es sich aus­ge­malt hat­te. Man kön­ne sich, sag­te sie, nicht vor­be­rei­ten, es sei ein sehr merk­wür­di­ges Gefühl, ein Pas­sa­gen­ge­fühl, wie auf einer wil­den Schau­kel flie­gend. – Die Schu­he mei­nes Vaters an die­sem Mor­gen. Der Ses­sel, in dem er saß. Sein Foto­ap­pa­rat. Sei­ne Com­pu­ter­ma­schi­ne. Sein Radio. Sei­ne Bril­le. Die Tril­ler­pfei­fe, mit wel­cher er uns um Hil­fe rufen konn­te. Sei­ne Uhr. — stop
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ein engel im koffer

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zou­lou : 2.18 — Jeder Mensch soll­te für Zei­ten der Sor­ge, der Furcht, der inne­ren Not über einen Kof­fer klei­ner Geschich­ten gebie­ten, Geschich­ten, die man sich selbst erzäh­len kann, ohne die Lip­pen öff­nen zu müs­sen, hei­te­re, tröst­li­che Kopf­ge­schich­ten, Geschich­ten, die sich bei Tag und bei Nacht, auch eben im Dun­keln ereig­nen. Ich selbst tra­ge seit bald 15 Jah­ren einen Kof­fer die­ser Art mit mir her­um. Manch­mal, wenn ich an mei­nen Kof­fer den­ke, fan­ge ich an zu lachen, ohne ihn noch geöff­net zu haben. Es ist ein Kof­fer, – jeder, der selbst einen Behäl­ter die­ser Art besitzt, wird das wis­sen -, der durch sei­ne rei­ne, gehei­me Anwe­sen­heit bereits wirk­sam wer­den kann. Man­che mei­ner Geschich­ten sind kur­zen Fil­men ähn­lich, sie ver­fü­gen über kaum eine Hand­lung, und weil ich sie mir immer wie­der vor­stel­le oder erzäh­le, sind sie zu wah­ren Geschich­ten gewor­den. Ein­mal, zum Bei­spiel, in einem weit in der Zeit zurück­lie­gen­den Som­mer saß ich auf mei­nem Sofa und las in irgend­ei­nem Buch her­um. Als ich kurz zum Fens­ter sah, flat­ter­te ein Zitro­nen­fal­ter vor­über, er flog von links nach rechts, und zwar sehr gera­de, das heißt in ein und der­sel­ben Höhe. Kaum war er ver­schwun­den kehr­te er wie­der, die­ses Mal flog er von rechts nach links, war nun aller­dings nicht mehr allein, ein Engel, groß wie ein Men­schen­fin­ger, folg­te ihm. Die­ser hell­häu­ti­ge Engel ver­such­te in der Art und Wei­se der Zitro­nen­fal­ter zu flie­gen. Er hat­te eine Flie­ger­bril­le auf den Kopf gesetzt und sei­ne äußerst fili­gra­nen Arme über einem run­den Bauch gefal­tet, er flog näm­lich auf dem Rücken und stürz­te aus die­ser unge­wöhn­li­chen Hal­tung ab. Bald war der Zitro­nen­fal­ter vor mei­nem Fens­ter ver­schwun­den gewe­sen, aber der Engel kam wie­der und wie­der vor­bei in dem Ver­such, ein Fal­ter zu sein. Sei­ne Stür­ze waren so senk­recht wie plötz­lich, ein tap­fe­res Wesen, das nicht auf­ge­ben woll­te. Ich las dann bald wei­ter in irgend­ei­nem Buch, und war glück­lich, wür­de ich sagen. – 2 Uhr Nacht. Lou Donald­son Cal­lin’ all cats. — stop
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abschnitt neufundland

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Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 208, Luft­fahrt — 1287, Auto­mo­bi­le — 86734], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 5, 19. Jahr­hun­dert – 106, 20. Jahr­hun­dert – 437 , 21. Jahr­hun­dert — 722 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 215, gelöscht : 188 ], Kas­si­ber Type SOS Homs / Syria [ 18455 ], Öle [ 0.5 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 14, Knie­ge­len­ke – 18, Hüft­ku­geln – 235, Bril­len – 876 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 276, Grö­ßen 38 — 45 : 2187 ], Kühl­schrän­ke [ 18 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 15, mit Tau­cher – 3 ], Engels­zun­gen [ 886 ] | stop |

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manhattan : canal street

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tan­go : 10.15 — Ich habe einen merk­wür­di­gen Kon­duk­teur der Sub­way mit Tau­cher­bril­le beob­ach­tet. Der Mann war auf der N‑Linie von Brook­lyn her kom­mend in die Canal Street ein­ge­fah­ren. Ein sel­te­ner Anblick. Sein schma­ler Kopf, der aus einem der mitt­le­ren Wag­gons des Zuges rag­te, im Fahrt­wind wehen­des, schloh­wei­ßes Haar, und eben sei­ne Bril­le, deren Schei­be Augen und Nase unwirk­lich ver­grö­ßer­te. Für einen Moment hat­te ich den Ein­druck, die Tau­cher­bril­le des Man­nes sei mit Was­ser gefüllt. Ich woll­te den Mann foto­gra­fie­ren, aber das Licht der Sta­ti­on war spär­lich und der Mann schau­kel­te ohne Pau­se sei­nen Kopf hin und her wie ein alter, müder Ele­fant, ver­mut­lich weil er sich um einen umfas­sen­den Blick der Ereig­nis­se auf dem Bahn­steig bemüh­te. Es ist nun denk­bar, dass ich eine Per­son beob­ach­tet habe, die fest mit dem Füh­rer­haus des Zuges ver­wach­sen war, denn der Mann füg­te sich har­mo­nisch in das Bild, das ich mir seit jeher von wirk­li­chen Zug­füh­rern mache, Men­schen, die auf Zug­stän­den gebo­ren wer­den, Men­schen, die auf Zügen fah­rend ihre Kind­heit ver­brin­gen, Men­schen, die letzt­lich ihren per­sön­li­chen Zug zur Leb­zeit nie­mals ver­las­sen. — stop

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fluggewicht

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marim­ba : 8.28 — Ver­gan­ge­ne Nacht hat­te ich einen lus­ti­gen Traum. Ich saß auf mei­nem Sofa mit einem Engel, der vom Flie­gen erzähl­te, davon genau­er, wie es ist, eine Rei­se über den Atlan­tik zu unter­neh­men, wenn man ein Engel ist, Flug­zei­ten (2 Stun­den), Flug­hö­he (8 Meter), Pro­vi­ant, Flie­ger­bril­le und alle die­se Din­ge, an die ich zuvor nie gedacht hat­te. Der Engel war im Moment unse­res Gesprä­ches unbe­klei­det gewe­sen, schnee­wei­ße Haut, 5 Zen­ti­me­ter Höhe. Eine fas­zi­nie­ren­de Situa­ti­on. Vor uns stan­den zwei gro­ße Kof­fer. Ich hat­te sie gewo­gen, Gepäck­stü­cke aus­ge­tauscht, um das Gewicht gut zu ver­tei­len. Und da war ein wei­te­rer Kof­fer, etwas klei­ner, ein Pilo­ten­kof­fer. Auch die­sen Kof­fer hat­te ich gewo­gen. Er war 15 Kilo­gramm schwer, ich soll­te ihn mit mir ins Flug­zeug neh­men. Wie ich den klei­nen Engel frag­te, war­um sein Kof­fer so schwer gewor­den sei, was er denn mit sich neh­men wer­de nach Ame­ri­ka, ein Wesen von 20 Gramm Gewicht, dar­an erin­ne­re ich mich noch, und wie der Engel bald auf sei­nem Kof­fer saß und ver­such­te einen Reiß­ver­schluss zu öff­nen. Dann wach. Regen in Strö­men. Sams­tag. – stop
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abschnitt montauk

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Abschnitt Montauk mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 2078, Luft­fahrt — 703, Auto­mo­bi­le — 6044 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 5, 19. Jahr­hun­dert – 102, 20. Jahr­hun­dert – 865 , 21. Jahr­hun­dert — 23 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 17, gelöscht : 28 ], Tele­fon­bü­cher [ Chi­ca­go — 5, New Orleans — 2 ] Licht­fang­ma­schi­nen [ Min­ox AF X 5 : 3 ], Öle [ 0.8 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz­rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 16, Knie­ge­len­ke – 8, Hüft­ku­geln – 32, Bril­len – 1071 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 1001, Grö­ßen 38 — 45 : 178 ], Kühl­schrän­ke [ 321 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 8, mit Tau­cher – 22 ], Engels­zun­gen [ 158 ] — stop 

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mann mit stäbchen

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india : 21.02 — Ich habe einen Mann betrach­tet. Die­ser Mann war ganz sicher weit über 70 Jah­re alt, trug trotz gro­ßer Hit­ze einen schä­bi­gen Win­ter­man­tel, Turn­schu­he, einen zer­schramm­ten Ruck­sack vor der Brust, außer­dem Leder­hand­schu­he, schmut­zi­ge Tei­le, eine Bril­le mit rand­lo­sen, run­den Glä­sern, und eben ein fili­gra­nes Stäb­chen, einen Spa­zier­stock genau­er, mit dem er über den Boden tas­te­te. Die­ser Stock nun war kein gewöhn­li­cher, viel­mehr ein höchst merk­wür­di­ger Stock. Er war von hel­lem Metall und konn­te mit­tels klei­ner, im Inne­ren des Sto­ckes befes­tig­ter Elek­tro­mo­to­ren, ein- und aus­ge­fah­ren wer­den, eine Art Tele­skop­stock, außer­dem leicht und blitz­blank, sodass sich die Stadt und der Him­mel über ihr in ihm spie­gel­ten. An der Spit­ze des Sto­ckes einer­seits war ein rund­li­cher Vor­satz befes­tigt, am ent­ge­gen­ge­setz­ten Ende ent­ka­men einem Knauf zwei Kabel, die mit Hör­ge­rä­ten ver­bun­den waren, die der alte Mann in sei­nen Ohren trug. Die­se Beob­ach­tun­gen, die ich mach­te, als ich die Madi­son Ave­nue süd­wärts spa­zier­te, führ­ten zunächst zu der Ver­mu­tung, der alte Mann belau­sche den Boden, weil ich die Ver­stär­kung an der Spit­ze sei­nes Sto­ckes, zunächst für ein Mikro­fon gehal­ten habe. Dann aber blieb der alte Mann Höhe 42nd Stra­ße nahe der Bord­stein­kan­te ste­hen. Er tas­te­te im Rinn­stein, eine Hand führ­te den Stock, die ande­re beweg­te sich in der Tasche sei­nes Man­tels. Indem ich eben­falls ste­hen­blieb und mich dem alten Mann zuwen­de­te, ver­kürz­te sich plötz­lich mit­tels einer geschmei­di­gen Bewe­gung der Stock des Man­nes so weit, dass der alte Mann einen hal­ben Dol­lar von sei­nem Ende pflü­cken konn­te, ohne in die Knie gehen zu müs­sen. — Ende der Geschich­te. Don­ners­tag. Es ist Abend, die Luft kühl vom Regen. Eine Flie­ge tas­tet über den Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne, der Him­mel blitzt, die Seen sind voll, das Schilf neigt sich dem Boden zu. — stop

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schneebrille

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alpha : 22.03 — Aus der Luft, aus dem Nichts her­aus, Gedan­ken, von Sekun­den­räu­men her, die sich unmit­tel­bar vor dem Zeit­punkt ihrer Wahr­neh­mung befin­den. Ob es über­haupt mög­lich sein kann, einen Gedan­ken erfin­dend zu kon­stru­ie­ren? Das Wort S c h n e e b r i l l e in die­sem Moment, viel­leicht des­halb, weil ich vor Stun­den notier­te: Win­ter­pen­del­fahrt auf Sta­ten Island Fer­ry. stop. Obe­res Deck. stop. Fes­te Schu­he. stop. Penn­sta­ti­on ab: 7.49 am. stop. Montauk an: 10.52 am. stop. Strand­spa­zier­gang. - stop
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abschnitt neufundland

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Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 1458, Luft­fahrt — 2011, Auto­mo­bi­le — 32569 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 6, 19. Jahr­hun­dert – 56, 20. Jahr­hun­dert – 582 , 21. Jahr­hun­dert — 32 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 122, gelöscht : 88 ], Licht­fang­ma­schi­nen [ Has­sel­blad 503 CW : 1 ], Öle [ 0.3 Ton­nen ], strah­len­de Fische [ 2.98 Ton­nen ],  Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 5, Knie­ge­len­ke – 8, Hüft­ku­geln – 25, Bril­len – 4582 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 37 : 987, Grö­ßen 38 — 45 : 458 ], Kühl­schrän­ke [ 57 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 2, mit Tau­cher – 68 ], Engels­zun­gen [ 32 ] | stop |

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