Aus der Wörtersammlung: marimba

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bambus vol. 2

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echo : 1.08 — Wie Men­schen nun Han­dys nicht län­ger an ihre Ohren hal­ten, son­dern vor den Mund. Viel­leicht auch des­halb, um gleich­zei­tig spre­chen und lesen zu kön­nen, spre­chen also und hören und noch etwas Wei­te­res tun. — Wie­der Nacht. In einem Moment der Stil­le beob­ach­te­te ich vor weni­gen Minu­ten ein Bücher­re­gal, das in mei­nem Arbeits­zim­mer steht. Ich mein­te wie­der ein­mal, ein Geräusch wahr­ge­nom­men zu haben, in etwa hör­te sich das so an, als wür­de man ein Ohr an ein Bam­bus­rohr legen, durch wel­ches Kie­sel­stei­ne fal­len. Zunächst mel­de­te sich das Geräusch links oben unter der Decke, wo sich Bücher befin­den, die ich bis­her nicht gele­sen habe, war­ten­de Bücher, sagen wir, Mah­nen­de. Kurz dar­auf wan­der­te das Geräusch in die Mit­te des Regals, Chris­toph Rans­mayr klim­per­te, John Ber­ger, Janet Frame, Anto­nio Tabuc­chi. Ich hat­te für eini­ge Minu­ten den Ein­druck, das Geräusch oder sei­ne Ursa­che könn­te sich ver­viel­fäl­tigt haben. Wenn nun fol­gen­des gesche­hen wäre, dass sich die Bücher mei­nes Regals in Funk­bü­cher ver­wan­del­ten, in Bücher, die nur vor­ge­ben, Bücher von Papier zu sein, in Bücher also, die über Sei­ten ver­fü­gen, die eigent­lich Bild­schir­me sind, die man umblät­tern kann. Dann wäre denk­bar, dass ich jenes typi­sche Geräusch ver­nom­men habe, das in genau dem Moment ent­steht, da der Autor eines Buches mit­tels Funk­wel­len eine erneu­er­te Fas­sung sei­nes Wer­kes in die Zim­mer der Welt ent­sen­det. Ich muss dar­über nach­den­ken, was die Mög­lich­keit oder die Exis­tenz der Funk­bü­cher bedeu­ten wür­de für das Schrei­ben, für das Auf­hö­ren kön­nen, für Anfang und Ende einer Geschich­te. Und wenn nun Jean Pauls Komet in mei­nem Zim­mer rascheln wür­de, oder Dan­tons Tod, Georg Büch­ner? – Noch zu tun: Regen­wör­ter erfin­den. — stop

drohne15

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kurz vor panitanki

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marim­ba : 4.18 — Ich kann nicht mit Sicher­heit sagen, wo sich Mila­n­o­ma­ki gera­de tat­säch­lich auf­hält, ich weiß nicht ein­mal, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann han­delt, und wie alt die­ser Mensch sein könn­te, der mir erzählt. Zuletzt noch fol­gen­de Notiz im Dezem­ber: Ich soll­te ein Ohren­mensch sein. Ich sit­ze mit leicht zur Sei­te geneig­tem Kopf und höre zu, einem Men­schen viel­leicht oder einer Flie­ge, die über mir im Luft­raum turnt. Oder ich ste­he in einem Zim­mer ganz still, um so prä­zi­se wie mög­lich den­ken zu kön­nen. Kurz dar­auf set­ze ich mich an einen Schreib­tisch und mache vie­le Wör­ter, dann mache ich eine Pau­se, dann lese ich alles das Notier­te noch ein­mal durch, dann strei­che ich so vie­le Wör­ter mit dem Kopf, wie mög­lich ist, um bald wie­der nur einen Strich vor mir auf dem Papier vor­zu­fin­den. Ich habe viel erlebt. — Vor weni­gen Stun­den nun eine wei­te­re Nach­richt, die in einem Zug­ab­teil drit­ter Klas­se wäh­rend einer Fahrt von Mum­bai nach Dar­jee­ling ent­stan­den sein soll. Lesen Sie selbst: Ich kann nicht auf­hö­ren, rasen­des, unent­weg­tes Schrei­ben, weil mir jemand beim Schrei­ben zusieht. Ich schrieb über das Fie­ber der ver­gan­ge­nen Tage, aber dann ent­deck­te ich den Blick der roten Schu­he, und schrieb und schrieb nur noch über mei­ne flie­gen­den Hän­de, wie sie schnel­ler und immer schnel­ler notie­ren, wäh­rend sich die­ser eine rote, fla­che Schuh in mei­ner Nähe immer schnel­ler dreh­te, klei­ne Krei­se in die Luft zeich­ne­te, die sich beschleu­nig­ten, weil ich flin­ker und flin­ker schrei­be, ein Text über das Schnell­schrei­ben, das nur des­halb mög­lich ist, weil die Schreib­ma­schi­nen nicht mehr klap­pern wie frü­her noch, mein Gott, wür­den sie noch klap­pern die­se Schreib­ma­schi­nen, was wür­de das nur bedeu­ten, ein Getö­se, jetzt nur noch ein sanf­tes lei­ses Geräusch im Schrei­ben über das Schrei­ben, ein Ver­such, die­sen Schuh, der zu einem ande­ren Sys­tem gehört, schnel­ler und immer schnel­ler krei­sen zu las­sen. - stop

drohne12

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martha

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marim­ba : 20.24 — Als Mar­tha vor weni­gen Tagen ein neu­es Tele­fon bekam, soll­te ich ihr zei­gen, wie man den Anruf­be­ant­wor­ter des Tele­fons in Betrieb setzt, vor allem hel­fen, eine Begrü­ßung auf Band fest­zu­hal­ten. Als wir so weit gekom­men waren, dass sie spre­chen konn­te, mach­te Mar­tha ein bedeu­ten­des Gesicht, sie sag­te: Guten Tag, guten Tag! Hier spricht Mar­tha, ich bin nicht zu Hau­se oder viel­leicht doch, ich rufe bald zurück. Sobald sie fer­tig gespro­chen hat­te, woll­te sie ihre Ansa­ge noch ein­mal hören, ich drück­te also auf den Knopf, der die Wie­der­ga­be star­te­te, und wir hör­ten nun gemein­sam Mart­has Stim­me, rau gewor­den von der Zeit. Mar­tha war zufrie­den: Schau, das klingt über­zeu­gend, das wird noch dann zu hören sein, wenn ich gar nicht mehr anwe­send sein wer­de. Und wie sie so durch ihr Wohn­zim­mer ging, sah ich in ihr eine lus­ti­ge Frau, die sich an Tischen, Stüh­len, Schrän­ken fest­hal­ten muss­te, ich konn­te mir vor­stel­len, wie sie noch ganz jung gewe­sen war, eben eine lus­ti­ge jun­ge Frau, leicht­fü­ßig. Sie such­te nach ihrem Tele­fon­ap­pa­rat, der ihr 12 Jah­re gedient hat­te, zuletzt waren sei­ne Tas­ten für Mart­has zit­tern­de Hän­de zu klein gewor­den. Sie sag­te: Ich will hören, wie ich damals gespro­chen habe. — stop

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von zeppelinkäfern

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marim­ba : 2.28 — Für einen Moment dach­te ich heu­te Nacht an eine Geschich­te, die ich vor lan­ger Zeit ein­mal erzähl­te. Das war gegen 2 Uhr gewe­sen. Ich beob­ach­te­te aus meh­re­ren Metern Ent­fer­nung, wie ein Käfer, der einem Zep­pel­in­kä­fer ähn­lich war, sehr lang­sam durch mein Zim­mer schweb­te, um auf einer Tisch­lam­pe zu lan­den. Dort blieb er für eini­ge Minu­ten sit­zen. Sofort such­te ich nach jener Geschich­te, die von einem Zep­pel­in­kä­fer han­delt. Sobald ich sie gefun­den hat­te, segel­te der Käfer, der mich an mei­ne Notiz erin­nert hat­te, in die Dun­kel­heit davon, sodass ich ihn bei­na­he für die per­so­ni­fi­zier­te Erin­ne­rung die­ser einen Geschich­te hal­ten möch­te. Sie geht so: Ein selt­sa­mes Wesen schweb­te kurz nach 1 Uhr in der Nacht schnur­ge­ra­de eine unsicht­ba­re Linie über den höl­zer­nen Fuß­bo­den mei­nes Arbeits­zim­mers ent­lang, wur­de in der Mit­te des Zim­mers von einer Luft­strö­mung erfasst, etwas ange­ho­ben, dann wie­der zurück­ge­wor­fen, ohne aller­dings mit dem Boden in Berüh­rung zu kom­men. — Ein merk­wür­di­ger Auf­tritt. – Und die­ser groß­ar­ti­ge Bal­lon von opa­k­em Weiß! Ein Licht, das kaum noch merk­lich fla­cker­te, als ob eine offe­ne Flam­me in ihm bren­nen wür­de. Ich habe mich zunächst gefürch­tet, dann aber vor­sich­tig auf Knien genä­hert, um den Käfer von allen Sei­ten her auf das Genau­es­te zu betrach­ten. — Fol­gen­des ist nun zu sagen. Sobald man einen Zep­pel­in­kä­fer von unten her besich­tigt, wird man sofort erken­nen, dass es sich bei einem Wesen die­ser Gat­tung eigent­lich um eine fili­gra­ne, flü­gel­lo­se Käfer­ge­stalt han­delt, um eine zer­brech­li­che Per­sön­lich­keit gera­de­zu, nicht grö­ßer als ein Streich­holz­kopf, aber schlan­ker, mit acht recht lan­gen Ruder­bei­nen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebra­pfer­de. Fünf Augen in grau­blau­er Far­be, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erd­bo­den gerich­tet. Als ich bis auf eine Nasen­län­ge Ent­fer­nung an den Käfer her­an­ge­kom­men war, habe ich einen leich­ten Duft von Schwe­fel wahr­ge­nom­men, auch, dass der Käfer flüch­tet, sobald man ihn mit einem Fin­ger berüh­ren möch­te. Ein Wesen ohne Laut. – Guten Mor­gen! Heu­te ist Sonn­tag bei gro­ßer Hit­ze. — stop

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kakteenorchester : telegramm ohne zwischenstops

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marim­ba : 15.02 — Im Pal­men­gar­ten im Wüs­ten­haus das fei­ne Geräusch der Kak­teen, sobald ich ihr Sta­chel­horn mit einem Pin­sel, einem Mika­do­stäb­chen, einem Fin­ger berüh­re. Hell. Federnd. Pro­pel­lernd. Klän­ge, für die in mei­nem suchen­den Wort­ge­hör noch kei­ne eige­ne Zei­chen­fol­ge zu fin­den ist. Oder in der Man­gro­ven­ab­tei­lung die­se merk­wür­di­ge Stil­le beim Durch­blät­tern eines feucht gewor­de­nen Buches. — Die­se Beob­ach­tun­gen habe ich zu einem frü­he­ren Zeit­punkt bereits ein­mal notiert. Sie sind mir so nah, als wür­de ich sie soeben erfun­den haben. — stop.

polaroidselbstaufnahme

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zola jackson

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marim­ba : 3.25 — Leich­ter, gnä­di­ger Regen heu­te Nacht. Gegen zwei Uhr neh­me ich Gil­les Leroys Roman Zola Jack­son zur Hand. Ich schaue auf die Uhr, fan­ge an zur vol­len Stun­de, ver­su­che so vie­le Sei­ten des Buches zu lesen in die­ser kom­men­den Stun­de wie mög­lich, ohne auf Gefüh­le, die Wör­ter erzeu­gen könn­ten, ver­zich­ten zu müs­sen. Um drei Uhr lege ich das Buch zur Sei­te. Drei Fal­ter sind in die Woh­nung vor­ge­drun­gen. Ich weiß nicht wes­halb, ich mei­ne in ihren pelz­ar­ti­gen Erschei­nun­gen ver­klei­de­te Wesen erken­nen zu kön­nen. Wenn ich einen Gedan­ken, der viel­leicht selt­sam ist, der Erfin­dung sein könn­te, lan­ge genug betrach­te, ver­mag ich die Kon­se­quen­zen die­ses Gedan­kens wahr­zu­neh­men, als wäre die Erfin­dung tat­säch­lich vor mir in der Luft, und flat­ter­te her­um, und such­te an den Wän­den mei­nes Zim­mers nach einem Aus­gang in den Tag, der nie­mals exis­tier­te. — stop
polaroidlungen

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gallipoli : melissano : ugento

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marim­ba : 2.10 — Lino­sa erzähl­te mir eine Geschich­te, von der ich nicht sagen kann, ob sie sich tat­säch­lich so ereig­ne­te wie behaup­tet, oder ob die Geschich­te rein erfun­den sein könn­te. Seit eini­gen Mona­ten erhal­te er näm­lich täg­lich einen Luft­post­brief aus Ita­li­en. In dem Brief sei jeweils ein beid­sei­tig bedruck­tes Blatt Papier ent­hal­ten, Text in eng­li­scher Spra­che, num­me­riert, fei­ne, prä­zi­se for­mu­lier­te Sät­ze. Er habe, so berich­te­te Lino­sa, eini­ge die­ser Sät­ze in die Mas­ke einer Such­ma­schi­ne ein­ge­ge­ben, wes­halb ihm nun bekannt sei, dass es sich wohl um ein zer­leg­tes Buch han­deln könn­te, das man ihm schi­cken wür­de, um Her­man Mel­vil­les Erzäh­lung Bart­le­by. Das sei für sich genom­men schon eine selt­sa­me Ange­le­gen­heit, noch merk­wür­di­ger kom­me ihm aber vor, dass dem Schrei­ben bis­her kei­ne Erklä­rung, Begrün­dung oder auch nur ein Gruß bei­gefügt wor­den sei. Manch­mal kön­ne er mit­hil­fe des pos­ta­li­schen Stem­pels ent­zif­fern, in wel­cher Stadt der Brief Tage zuvor auf­ge­ge­ben wur­de. Städ­te mit wun­der­vol­len Namen, Gal­li­po­li, Melis­s­a­no, Ugen­to, Lec­ce, Brin­di­si, sei­en dar­un­ter. Wäh­rend er sich in den ers­ten Tagen noch gewun­dert, ja sogar ein wenig gefürch­tet habe, wür­de er sich inzwi­schen dar­über freu­en, nach­mit­tags aus dem 12. Stock sei­nes Miets­hau­ses zum Brief­kas­ten hin abzu­stei­gen, um den Brief ent­neh­men, öff­nen und wie­der im Auf­stieg befind­lich lesen zu kön­nen. 34 Brie­fe habe er bis­lang erhal­ten, 16 wei­te­re Brie­fe soll­ten noch fol­gen, sofern der unbe­kann­te Absen­der in logi­scher Wei­se fort­set­zen wür­de. Der letz­te Brief, der ges­tern aus Fasa­no kom­mend, bei Mr. Lino­sa ein­ge­trof­fen war, soll eine beson­de­re Brief­mar­ke auf sei­ner Anschrif­ten­sei­te getra­gen haben, acht Ren­tie­re, die in einen ver­schnei­ten Him­mel flie­gen. Die­se Brief­mar­ke leuch­te nachts in der Küche im Dun­keln, wo sie nun auf dem Sta­pel zuvor ein­ge­trof­fe­ner Brie­fe so lan­ge sicht­bar ruhen wer­den, bis wie­der Nach­mit­tag gewor­den sein wird. — stop

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