charlie : 22.25 UTC — Einmal erzählte M., sie trage ein Wollhäubchen unter ihrem Kopftuch. Dass M. mit einem Mann, der weder mit ihr verwandt noch ihres Glaubens ist, über ihr Kopftuch sprach, war vielleicht deshalb möglich geworden, weil wir jahrelang immer wieder einmal über amerikanische Filme diskutierten, M. ist nämlich eine hervorragende Kennerin des amerikanischen Kinos, aber sie will niemals natürlich dorthin nach Amerika reisen, eine seltsame Geschichte. Ihre Kopftücher, die allesamt farbenfroh sind, seien gewöhnliche Tücher, sagte M., 90 × 90 cm. Ich dürfe sie niemals ungefragt fotografieren, das sei ähnlich wie ihr die Hand zu geben, ich darf ihre Hand nicht ergreifen, sie reicht mir die Hand, wenn sie mir die Hand geben will, sie habe nicht eigentlich ein Problem damit, mir die Hand zu geben, es darf aber niemand beobachten, der über sie deshalb urteilen würde. Burka, sagte M., das gehe gar nicht, man kann eine Burkaträgerin nicht fotografieren, nur die Burka. Ja, dass M. mit einem Mann, der weder mit ihr verwandt noch ihres Glaubens ist, über ihr Kopftuch noch immer spricht, ist vielleicht deshalb möglich geworden, weil wir uns seit derart langer Zeit begegnen, dass ich ihr Kopftuch nicht mehr bemerke. — stop
Aus der Wörtersammlung: op
8 Uhr 36
alpha : 20.36 UTC — Wann wurde das Wort Nilgans zum ersten Mal von einem menschlichen Mund formuliert? Oder das Wort Ohrfeige? Oder das Wort Chlorgas? — stop
im park
nordpol : 0.52 UTC – Im Park hockte ein junger Mann auf einer Bank. Auf seinen Knien ruhte ein Buch. Ich bemerkte bald, dass der junge Mann, anstatt zu lesen, das Buch zerlegte. Er ging in dieser Arbeit sehr sorgfältig vor, legte ein Lineal auf eine Seite des Buches, fuhr kurz darauf mit einem feinen Messer die Kante des Lineals entlang, trennte also mit einer vorsichtigen Handbewegung eine Seite von der Bindung des Buches, legte die Seite neben sich auf die Bank und beschwerte sie mit einem Steinchen, dass er zuvor mit eben der Hand, die gerade noch das Messer führte, angehoben hatte. Eine Seite nach der anderen Seite löste er in dieser Weise aus dem Körper des Buches heraus, gleichmäßige Bewegungen, als sei ihm die Arbeit der Zerlegung eines Buches vertraut. Es war ein windiger Tag gewesen. — stop
ruhen
kilimandscharo : 18.55 UTC – Kopfsegel, wunderbares Wort. Oder das Wort Coka. Kopfsegel existierten tatsächlich lange Zeit, ehe ich das Wort entdeckte, eine Bezeichnung durchbluteter Strukturen an Köpfen der Stirnbaseliken. — stop
nordpol : 18.55 UTC – In den Echokammern der Twitterwelt üben menschliche Lebewesen inverse Methoden, beispielsweise die Methode, bezüglich einer Position grundsätzlich das Gegenteil zu glauben, etwas zu glauben also, auch dann, wenn es nicht sein kann. Am Abend des 7. April beobachtete ich, wie ein junger Mann einer jungen Frau notierte: Erhäng Dich. Die junge Frau hatte zu einem frühen Zeitpunkt unterstellt, ein Anschlag in der Stadt Münster sei von Mitgliedern des IS verübt worden. An anderer Stelle sprach sie von Menschen, die aus Eritrea nach Israel geflüchtet sind, diese Menschen seien VIEHZEUG. Die junge Frau antwortete unverzüglich: Dein Satz hat das falsche Satzzeichen. Es müsste “Erhäng Dich!” heißen. Der junge Mann wiederum notierte, er denke, dass der Kontext ( sie solle sich erhängen ) auch ohne Satzzeichen “rüber” komme. Das hier ( Twitter ) sei ein Kurznachrichtendienst und kein Diktat. — stop
montauk
ai : INDIEN
MENSCH IN GEFAHR: „Am 2. April wurde Gokarakonda Naga Saibaba von den Gefängnisbehörden zu einem Krankenhaustermin gebracht. Seine Frau erhielt jedoch keine Informationen über den Termin. Zuvor wurde ihr bereits der Zugang zu ihrem Mann und seinem Arzt verwehrt. Am 27. März hatte sie bei der Nationalen Menschenrechtskommission die Untersuchung seines Gesundheitszustandes sowie den Transfer in ein Gefängnis in einer anderen Stadt beantragt, die über besser ausgestattete Krankenhäusern verfügt und in der er durch seine Familienangehörigen unterstützt werden kann. / Am 7. März 2017 wurde Gokarakonda Naga Saibaba unter anderem der „rechtswidrigen Aktivitäten“, „Verabredung zu terroristischen Handlungen“ und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil basierte hauptsächlich auf Unterlagen und Videoaufnahmen, die das Gericht als Beweis für seine Mitgliedschaft in einer Organisation der verbotenen Kommunistischen Partei Indiens (Maoisten) ansah. Amnesty International ist der Ansicht, dass die Anklagen gegen Gokarakonda Naga Saibaba konstruiert sind und dass sein Prozess nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprach. / Seine beiden Beine sind infolge von Kinderlähmung gelähmt und er sitzt im Rollstuhl. Zudem ist bei ihm eine akute Pankreatitis diagnostiziert worden. Aufgrund dieser Erkrankung hat er Schwierigkeiten mit seiner linken Schulter und der linken Hand. Er leidet außerdem an einer Herzerkrankung sowie Bluthochdruck. Nach seiner Festnahme und seiner Inhaftierung im Zentralgefängnis von Nagpur in Maharashtra verschlechterte sich sein Zustand erheblich. Seine Frau berichtete, er habe starke Schmerzen und habe seit seiner Verurteilung bereits dreimal das Bewusstsein in seiner Zelle verloren. In einem Brief teilte er vor kurzem mit, er habe Schmerzen im Bauch und in seiner linken Hand und leide unter Kopfschmerzen. Er schrieb zudem, es sei ihm nicht möglich, grundlegende Körperfunktionen wie das Urinieren ohne starke Schmerzen durchzuführen. Auch das Schreiben des Briefes würde schmerzen und fiele ihm sehr schwer. / Obwohl Gokarakonda Naga Saibabas Familie wiederholt wichtige Informationen über seinen Gesundheitszustand angefordert hat, gaben die Gefängnisbehörden diese Informationen nicht heraus. Im vergangenen Jahr wurde ein Antrag gestellt, ihn aufgrund seines Gesundheitszustands bis zum Rechtsmittelverfahren auf Kaution freizulassen. Die Anhörung zu diesem Antrag soll kommende Woche stattfinden.“ - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 16.5.2018 unter > ai : urgent action
vor dem radio
himalaya : 18.55 UTC – Ich stelle mir vor, wie ich in der Küche vor einem Tisch sitze. Auf dem Tisch steht ein Radio. Das Radio ist 10 cm lang und ebenso breit und ebenso hoch, ein Würfel demzufolge. Der Würfel verfügt über zwei Knöpfe, die ich vertiefen oder an welchen ich drehen könnte. Dort, wo ich Schrauben erkenne, die in das hölzerne Gehäuse eingelassen sind, scheint sich die hintere Seite des kleinen Radios zu befinden. Ich könnte das Radio öffnen. Als ich das Radio öffne, entdecke ich weitere winzige Schrauben, eine Platine, Dioden, Widerstände, Beschriftungen in einer Sprache, die ich nicht zu lesen vermag, außerdem einen Zylinder. Ich entdecke also viele Dinge, aber nichts, was mir behilflich sein konnte, das Radio zum Schweigen zu bringen, das Radio spielt nämlich in einem Abstand von einer Stunde eine Passage aus der 2. Symphonie Rachmaninows, die weder leiser noch lauter einzustellen ist, sie ist eben, wie sie ist, laut genug, um das Radio vor das Fenster stellen zu müssen. Einmal sitzen zwei Tauben links und rechts des Radios. Als das Radio seine Musik zu spielen beginnt, erschrecken sie und fliegen davon. Ein anderes Mal kommen sie wieder und bauen auf dem Radio ein Nest. — stop
5 uhr drei
alpha : 5.03 UTC — Vor fünf Minuten erst notierte eine Frau Namens Wolfsrudel77 öffentlich, ich solle mich erschießen. — Ist das eine Nachricht? — stop
taliban light
romeo : 7.55 UTC — Im Traum wurde ich von einer Taliban-Gruppe gefangen. Ich verfügte weder über Gepäck noch Papier, hatte keine Stifte. Ich fragte nach einer Schreibmaschine. Wir wanderten durch sandiges Gebiet. Einmal hielten wir an, ich wurde befragt, ich antwortete nicht korrekt, wurde mit leichten Hieben auf meine Fußsohlen bestraft. Das sei erst der Anfang, hörte ich, zuletzt würde ich ohne meine Füße weitergehen. In einem kleinen Laden in einer Höhle entdeckte ich ein Regal mit Büchern in deutscher, französischer, englischer und russischer Sprache. Man erklärte, wenn ich eines der Bücher kaufen würde, würde man mir das Buch sogleich wieder abnehmen und zurückstellen ins Regal. Da waren im Traum noch Skorpione mit blauen Augen, die vorzüglich schmeckten. — stop