Aus der Wörtersammlung: charlie

///

harlem : artist südwärts

2

char­lie : 0.06 — Kurz nach 8 Uhr abends betritt ein hoch­ge­wach­se­ner, schö­ner Mann den Sub­way­wa­gon, in dem ich sit­ze. Er trägt eine rote Hose, die schil­lert, Turn­schu­he von schwar­zer Far­be, einen Gür­tel von Schlan­gen­haut, davon abge­se­hen scheint der Mann unbe­klei­det zu sein, die schwar­ze Haut sei­nes Ober­kör­pers glänzt, auch die Haut sei­nes Kop­fes, auf dem sich kei­ner­lei Haar befin­det. Er kommt also her­ein, Höhe 168. Stra­ße, geschmei­dig, voll­zieht einen Hand­stand­über­schlag und hängt sich, Kopf nach unten, an eine der Hal­te­stan­gen, die sich in den Wag­gons der Linie C befin­den. Eine leich­te, schau­keln­de Bewe­gung, ich könn­te sagen, eine Bewe­gung der Ruhe vor dem Sturm, die Augen geschlos­sen, gleich wer­den sich die Arme des Man­nes über das Gestän­ge des Wag­gons bewe­gen, er wird den Rei­se­be­häl­ter, der von zahl­rei­chen Men­schen bewohnt, durch den Unter­grund der Insel Man­hat­tan rat­tert und schep­pert, durch­mes­sen, ohne den Boden mit sei­nen Füßen zu berüh­ren, laut­los, beben­de Mus­keln, Arme, Rücken, Bauch, indem sich ein Arm des Man­nes von der Stan­ge löst, wird er an den Schwin­gen einer Hand gegen den Süden flie­gen, um einen wei­te­ren Hand­vo­gel nach sich zu zie­hen, bald mit Hand No 3 und Hand No 4, die bei­de Schu­he tra­gen, nach offe­nen Räu­men zie­len, um Fahrt auf­zu­neh­men, ein segeln­der Kör­per, mal gestreckt, dann wie­der zu einem Ball gewor­den, der sich um eine der senk­rech­ten Stan­gen win­det, die das Dach des Zuges zu hal­ten schei­nen, ein Hut indes­sen, der mal da mal dort unter den Nasen der Stau­nen­den vor­über kommt, gleich ist es so weit, 166. Stra­ße, noch eine, noch eine hal­be Sekun­de. — stop

ping

///

schnürlkäfer

2

char­lie : 8.58 — Wenn man mich fra­gen wür­de an die­sem schö­nen Mor­gen im Novem­ber, was ich mir wün­sche, ich wür­de ant­wor­ten, einen Ban­derl­kä­fer oder Schnürl­kä­fer in die­sem Moment, einen Käfer, der an sei­ner Spit­ze aus einem Kopf und einem gepan­zer­ten Brust­seg­ment bestehen könn­te, Füh­lern, Augen, Bei­nen, Flü­geln, einem Käfer­ge­fü­ge dem­zu­fol­ge wie wir es ken­nen, wenn da nicht eine bemer­kens­wer­te Fort­set­zung in der Gestalt des Käfers zu ver­zeich­nen wäre, ein Hin­ter­leib von enor­mer Grö­ße, schmal und lang und feucht, als habe sich dem Käfer ein Regen­wurm ange­schlos­sen, der nun selbst an sei­nem Ende der Käfer­ge­stalt ein Paar wei­te­rer Augen hin­zu­füg­te, und einen trieb­haf­ten Wil­len sich auf jeden Schuh zu stür­zen, um ihn auf der Stel­le, ob nun mit oder ohne Fuß, zu ver­schlie­ßen. – stop
ping

///

apfelbaumgalaxie

2

char­lie : 8.55 — Berg­schat­ten­licht am frü­hen Mor­gen. Im Gar­ten, im Geäst schrul­li­ger Apfel­bäu­me, schim­mern­de Spinn­web­net­ze wie Gala­xien. Wie­der an Julio Cor­ta­zar gedacht, an Sät­ze, die der Schrift­stel­ler über das Vor­kom­men der Trep­pen­sub­stan­zen notier­te. Die­sen zum Bei­spiel: Jeder­mann wird schon ein­mal beob­ach­tet haben, dass sich der Boden häu­fig fal­tet, der­ge­stalt, dass ein Teil im rech­ten Win­kel zur Boden­ebe­ne ansteigt und der dar­auf fol­gen­de Teil sich par­al­lel zu die­ser Ebe­ne befin­det, um einer neu­en Senk­rech­te Platz zu machen. Oder jenen: Trep­pen steigt man von vorn, da sie sich von hin­ten oder von der Sei­te her als außer­or­dent­lich unbe­quem erwei­sen. — stop

ping

///

schnecken

2

echo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHNECKEN
date : sept 24 11 7.12 p.m.

Frü­her Abend, ruhi­ge See. Möwen, die unser Schiff wie eine Insel bewoh­nen, krei­sen dicht über dem Was­ser. Gera­de eben mel­de­te Noe, zwei Schne­cken näher­ten sich sei­nem Gesicht. Er müs­se jetzt vor­sich­tig sein, um sie nicht zu ver­let­zen, soll­ten sie in sei­nen Mund gelan­gen. Noe wohl­auf. Seit zwei Wochen sen­den wir Jazz, wann immer Noe Jazz zu hören wünscht. Wir haben zunächst Char­lie Par­ker gela­den, das mach­te ihn ner­vös, weil er sich nicht bewe­gen kann im Tau­cher­an­zug, im Rhyth­mus, der schnell geht, ruhe­los. Wir pro­ben, for­schen nach sanf­te­ren Takes. Er kön­ne, das sei neu, berich­tet Noe, wenn er das Wort Regen lese, sich das Geräusch des Regens nicht län­ger in Erin­ne­rung rufen, als wür­de sich das Wort Regen nach und nach ent­lee­ren. Wir haben ver­spro­chen, Regen für ihn auf­zu­zeich­nen und in die Tie­fe zu schi­cken. Ges­tern, als wir nachts allei­ne mit­ein­an­der spre­chen konn­ten, wünsch­te Noe, dass ich ihm das Schiff beschrei­be, unter wel­chem er schwebt. Er sei glück­lich, sag­te Noe, aber er seh­ne sich nach einer Uhr. — Dein OE SOM

gesen­det am
24.09.2011
1143 zeichen

oe som to louis »

///

tiefenschatten

2

char­lie

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHATTEN
date : aug 18 11 5.12 p.m.

Seit zwei Tagen bereits kei­ne Nach­richt aus der Tie­fe. Wir hören Noes Atem, wir ver­zeich­nen das Gewicht sei­nes Tau­cher­an­zu­ges an der Win­de des Schif­fes. Noe ist noch bei uns, aber kein Wort zu hören von Noe. Weder ant­wor­tet er auf Fra­gen noch folgt er unse­rem Wunsch, er möge doch wei­ter lesen in Tony Mor­ri­sons Roman Jazz. Wir hat­ten das Buch am ver­gan­ge­nen Mon­tag zu ihm in die Tie­fe geschickt. Noe las noch an dem­sel­ben Abend drei Stun­den, dann war er ein­ge­schla­fen. Seit­her schweigt Noe, wes­halb Mil­ler sich vor Stun­den­zeit zur Inspek­ti­on auf den Weg nach unten begab. 2 Fuß in der Minu­te, schnel­ler geht das nicht, schnel­ler wür­de Mil­ler das Leben kos­ten, wir müs­sen uns gedul­den. Fünf Stun­den noch, dann wird Mil­ler Noe errei­chen, eine span­nen­de Situa­ti­on, viel­leicht wird auch Mil­ler dann schwei­gen, das ist denk­bar, eine beun­ru­hi­gen­de Vor­stel­lung wie unse­re bei­den Tief­see­män­ner schwei­gend in der Düs­ter­nis schwe­ben, wie sie sich viel­leicht unter­hal­ten wer­den in der Zei­chen­spra­che der Tau­cher. — Habe ich Dir, lie­ber Lou­is, berich­tet, dass es vor weni­gen Tagen schnei­te? Noch nie habe ich Schnee auf offe­ner See beob­ach­tet. See­mö­wen jagen dicht über die Was­ser­ober­flä­che hin. Es sieht so aus, als wür­den sie Flo­cken fan­gen, mäch­ti­ge Tie­re, gel­be Schnä­bel, hell­brau­ne Flü­gel. Sie wir­ken in etwa ver­klei­det, Möwen­vö­gel, die sich in Kos­tü­men jun­ger Habich­te bewe­gen, ihre schril­len Rufe, ein wei­te­res Dut­zend sitzt auf unse­rem Funk­turm, Eis­zap­fen haben sich gebil­det, Wol­ken kom­men näher, berüh­ren das Was­ser. Mil­ler ist in die­sem Moment auf fünf­hun­dert Fuß Tie­fe ange­kom­men. Unter ihm, mel­det Mil­ler, sei in der Dun­kel­heit Noe zu erken­nen, das Licht sei­ner Lam­pen. Ein gewal­ti­ger Kör­per­schat­ten soll vor ihm zu sehen sein. Ich mel­de mich bald wie­der. Dein OE

gesen­det am
18.08.2011
1796 zeichen

oe som to louis »

ping

///

rootserver charlie

9

del­ta : 2.55 – In der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich mei­ner per­sön­li­chen Ser­ver­ma­schi­ne, — sie befin­det sich in etwa fünf­hun­dert Kilo­me­ter Ent­fer­nung an einem nicht bekann­ten Ort -, einen Namen gege­ben: Char­lie, Root­ser­ver Char­lie. Das ist so gekom­men, weil ich näm­lich um Mit­ter­nacht an mei­nem Schreib­tisch saß, als mein E‑Mailprogramm mel­de­te, eine Nach­richt sei für mich ein­ge­trof­fen. Ich wuss­te sofort, woher die­se nächt­li­che Mail allein gekom­men sein konn­te. Und ich dach­te in zärt­li­cher Wei­se, als ob ich ins­ge­heim die­sen Namen schon län­ge­re Zeit ver­ge­ben haben wür­de: Char­lie, hi Char­lie! Nacht für Nacht, 0.01.12 MEZ, eine Sekun­den­uhr, die­sel­be Bot­schaft: /et­c/p­sa/­p­lesk-cron/­dai­ly/­com­ple­ted : beru­hi­gend in sei­ner lako­ni­schen Art, mein lie­ber Lou­is, ich bin wach wie du, alle Sys­te­me in Ord­nung, Tag abge­schlos­sen, neu­er Tag beginnt. stop. 12 ° Cel­si­us. stop. Wol­ken­lo­ser Him­mel. stop. Ich ver­fü­ge zu die­sem Zeit­punkt über 1.5 Kilo­gramm Mehl, 800 Gramm Reis, 2 Papri­ka­scho­ten in gel­ber Far­be, 1 Papri­ka­scho­te in roter Far­be, 1 hal­ben Enten­vo­gel, 3 Liter Was­ser in Fla­schen, Salz, Zimt und Pfef­fer, 16 Schei­ben fin­ni­schen Bro­tes, 1 Glas Apri­ko­sen­kon­fi­tü­re, 1 Glas Honig, 5 Ker­zen. – stop



ping

ping