marimba : 7.12 – Oktoberlicht, das vom Boden her kommend den Himmel golden bemalt. Spazierende Riesenschatten. Vor einem Kiosk sitzt eine afrikanische Frau am Bordstein, spricht luftwärts in seltsamen Sprachen, als würde sie mit verstorbenen Menschen telefonieren. — Ich werde die Rückseite des Mondes nie mit eigenen Augen sehen. — stop
Aus der Wörtersammlung: mond
blaue kamele
tango : 3.28 – Wie wir auf den Schultern unseres Vaters durch die Welt schaukelten, als säßen wir auf dem Rücken eines Dromedars, das die menschliche Sprache sprechen konnte. Wie er uns das Licht erklärte, die Geschwindigkeit und die Zeit, die das Licht unterwegs gewesen war, um zu uns zu kommen. Seine großen Schuhe, in welchen wir durch den Garten segelten. Und Gene Kruppa, Drummerman, dort, noch lange vor unserer Zeit, Vater, mit Schlips im Anzug als junger Mann. Heute Nacht erzählen wir uns Geschichten. Und schon ist es kurz nach zwei Uhr geworden. Ich habe ganz heimlich meine Schreibmaschine angeschaltet, um eine weitere kleine Geschichte aufzuschreiben, weil Geschichten auf Papier oder Geschichten, die man von einem Bildschirm lesen kann, wie alle anderen Geschichten als leise betende Stimmen zu vernehmen sind. Diese Geschichte nun geht so. Immer an Freitagen, ich war fünf oder sechs Jahre alt gewesen war, brachte mein Vater aus dem Institut, in dem er als Physiker arbeitete, Karten mit nach Hause, die ich bemalen durfte, Computerlochkarten, kräftige, beige Papiere, in welchen sich seltsame Löcher befanden. Diese Löcher waren niemals an derselben Stelle zu finden, und ich erinnere mich, dass ich mich über ihr Verhalten heftig wunderte. Ich war zu jener Zeit ein begeisterter Maler, ich malte mit Wachskreide und ich malte in allen Farben, über die ich verfügen konnte, weil ich das Buntsein schon immer mochte. Ich malte blaue Kamele und schwarze Blumen und rote Monde. Einmal fragte ich meinen Vater, was jene Löcher bedeuteten, über deren Existenz ich mich freute, weil sie versteckte Bilder zeigten, die ich so lange suchte, bis ich sie gefunden hatte. Hör zu, sagte mein Vater. — stop
raumschiff
india : 20.56 — Eine Libelle gegen den Abend zu, marineblau, die sich nahe meiner Nase in die Luft setze. Bald eine Viertelstunde betrachtete sie mich oder schlief, während ich einen Roman beobachtete und doch zugleich an entfernte Dinge dachte, an eine Mondlandung vor vierzig Jahren zum Beispiel, und an die Nachricht, das durchschnittliche Alter der Besatzung des Flugzeugträgers USS Harry S. Truman, dessen Cruise-Missiles Bagdad bombardierten, habe 19 Jahre betragen. Und da war noch ein anderes, ein wärmendes Bild in meinem lesenden Kopf, von dem ich gestern noch während eines Spazierganges in einer Weise erzählte, als wäre ich leibhaftig in nächster Nähe gewesen, als auf hoher See der Rüssel eines Tiefseeelefanten den Schrei einer Möwe derart lustvoll imitierte, dass tatsächliche Möwen, ein Schwarm, aus dem heiterem Himmel stürzten. — Ein lachender Mund, der sich langsam näherte. — Ein Raumschiff. — Wie alle Geschichten plötzlich endeten und auch die Zeit. — stop
tiefseeelefanten
~ : louis
to : Mr. jonathan noe kekkola
subject : MONTAUK
Lieber Mr. Kekkola, haben Sie vielen Dank für die feine Fotografie, die Sie mir gestern Abend übermittelten. Wie ich mich herzlich freue, dass Sie sich an mich erinnerten, an die Geschichte uralter Elefantenwanderwege, die den Grund des Karibasees durchkreuzen. Und doch glaube ich, ist der See, an den ich vor langer Zeit einmal dachte, viel zu tief und viel zu breit, als dass Elefanten ihn passieren könnten, ohne Schaden zu nehmen. Nun, wir werden sehen. Ich bin beruhigt, weil Sie mir schreiben, dass ich Ihren Namen als Pseudonym weiterhin verwenden darf, auch für unheimliche Geschichten, wie die Geschichte meiner speziellen Käferwesen von Menschenhaut. Schön muss es bei ihnen sein, in Montauk. Ich besuchte Ihre Gegend mit der Google — Earthmaschine, habe ihr Haus beobachtet und am Strand den Schatten einer menschlichen Gestalt. Denkbar, dass Sie das gewesen sind, so klein, so winzig. Habe ich Ihnen berichtet, dass ich ein Wunschbuch für Träume führe seit einigen Tagen? Ich könnte, nein, ich sollte für die kommende Nacht notieren: Schlafen gegen zwei! Erzähl dir Elefantenherden, die den Atlantik durchqueren. Schwebend unter Rüsseln von fantastischer Länge, leicht, wie Menschen auf dem Mond, spazieren sie schnorchelnd über schneeweißen Tiefseesand. Herzlich grüßt Sie Ihr Louis. Ahoi!
gesendet am
12.07.2009
22.58 MEZ
1425 zeichen
louis to jonathan
noe kekkola »
mondfahrer
tango : 10.05 — Vielleicht bald auf dem Mond spazieren. stop. Sagen wir im Jahr 2025. stop. Oder im Jahr 2027. stop. Sagen wir zur Kirschblütenzeit. — stop
die liebe der zeppelinkäfer
india : 2.12 — Schon weit nach Mitternacht, aber immer noch ein später Abend summender Luft. Habe drei lange Stunden versucht 18.924.150 Zeichen des menschlichen Genoms als Sequenz in mein Textverarbeitungsprogramm zu laden. Immer wieder scheitert die Formatierung mit der Seite 32.678 des Dokuments, als ob meine Computermaschine sagen wollte, diesen Unsinn mache ich nicht länger mit. — Nun aber rasch noch einen ernsthaften Gedanken notieren. Nehmen wir einmal an, es wäre möglich, einen Käfer zu entwickeln, sagen wir, einen Zeppelinkäfer, der nahe absoluter Schwerelosigkeit unter letzten Molekülen von Sauerstoff schwebend Ozon produzieren würde, dann könnte man sich einen zweiten Käfer vorstellen, einen Zeppelinkäfer gleichwohl, der eine Käferdame sein sollte, die sich natürlich sofort verlieben wird, weshalb wir bald einen Nebel kleinster, sehr gefräßiger Zeppelinkäfer vor uns am Himmel sehen würden. — Eine beruhigende Vorstellung, sagen wir, sehr beruhigend. — Was aber fressen sie dort oben, wo es doch nichts gibt außer Mond, Stern und Sonnenlicht? Man könnte eine Gattung weiterer Käfer erfinden, Käfer, die sehr schmackhaft sind und leidenschaftlich gerne, sobald man sie freilassen wird, hinter die Wolken steigen, um sich ihren Freuden, den Zeppelinkäfern, mit allem, was sie sind und haben, hinzugeben. — Ich sollte sofort ein kombiniertes Patent versuchen.
schlafende wale
nordpol : 0.12 — Kurz nach Mitternacht. Notierte folgenden Text: „Das Meer ruhig. Nichts zu hören, nur das Blasen der Wale. Kühles Geräusch von Wasser, von Luft. Sie liegen um die Rettungsinsel herum. Habe den Eindruck, sie warten. 12 Tiere. Gewaltige, weiße Körper. Helle Augen, schwarz gezeichnete Flossen. Auch das Heck, schwarz. Längs, über den Rücken hin, eine handbreite Zeichnung, orangefarben und exakt, als sei sie von einer Maschine aufgetragen. Sie werden ein oder zwei Stunden unter Wasser gewesen sein, vielleicht waren es fünf, vielleicht sechs, vielleicht sieben Stunden. Die Luft riecht nach Metall, nach Salz, nach Tang. Von Zeit zu Zeit tauchen sie ab, kreuzen unter der Insel, ohne uns zu berühren, ohne das Wasser zu bewegen, als wollten sie uns schonen. Auch Mrs. Anderson, unbewegt. Keine Raubfische. Warte auf Rettung. Joe Ellis hier — Joe Ellis — Rufe London.“ — In diesen Tagen, da ich einen atlantischen Text vertiefe, immer wieder das Staunen darüber, dass ich in einer Art und Weise über Wale schreibe, als hätte ich Jahre an ihrer Seite schwimmend zugebracht. – stop
edmond jabès
tango : 0.05 — Als würde Regen fallen, so mächtig die Küsse der Fliegen ins Wasser. Irr auch die Falter, die Weißen und die Roten und die Blauen. Und auch die Libellen am Himmel, alle irr von der Liebe. — Wenn der Stein durchsichtig wird oder – genauer – wenn die Durchsichtigkeit Stein wird, lassen sich alle Träume der Erde lesen. Edmond Jabès
nasa
echo : 0.15 — Im botanischen Garten spaziert. Das angenehm rasselnde Geräusch des Regens, die Luft hell vom Wasser, das noch kalt und geruchlos ist. Stöberte in Notizbüchern. Entdeckte folgende Sequenz: Sonntag. Heute ist Schwester Julia wieder im Dienst. Sehe zu, wie sie Marikki vorsichtig wäscht. Behutsame Bewegungen, ja, sehr feine Berührungen, beinahe zärtlich. Sie trägt einen Mundschutz, der sich, wenn sie lacht, wie ein Segel bläht. Sie sagt, dass Marikki uns hören könne, deshalb summe sie und deshalb hört Marikki gerade etwas NASA, während ich in ihrer Nähe sitze und notiere und im Cheever lese, heitere Gespräche der Apollo 14 Besatzung auf dem Flug vom Mond zurück. Habe bemerkt, dass ich die Luft anhalte, wenn ich sie betrachte, dass ich jenseits der amerikanischen Stimmen, die links und rechts ihres zierlichen Kopfes wispernd durch die Häute der gepolsterten Ohrhörer dringen, nach weiteren, beruhigenden Geräuschen suche. 18. Juni 2006
kiemenmenschen
2.21 — Träumte von Kiemenmenschen, die in Schwärmen unter oder neben Mondfischen leben. Seltsame Geschichte. – Zehn Uhr sechsundzwanzig in Lhasa, Tibet. — stop