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ai : RUSSISCHE FÖDERATION

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MENSCH IN GEFAHR : “Wla­di­mir Kara-Mur­sa wur­de am 11. April 2022 in der Nähe sei­ner Woh­nung in Mos­kau fest­ge­nom­men und ein­zig auf­grund sei­nes fried­li­chen poli­ti­schen Akti­vis­mus und sei­ner Kri­tik an den rus­si­schen Behör­den vor Gericht gestellt. Grund­la­ge für die Vor­wür­fe sind Vor­trä­ge, in denen er den rus­si­schen Ein­marsch in der Ukrai­ne kri­ti­siert hat­te, sowie sei­ne Ver­bin­dung zu der oppo­si­tio­nel­len Grup­pie­rung Open Rus­sia. Am 17. April wur­de Wla­di­mir Kara-Mur­sa schul­dig gespro­chen und zu 25 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teilt. Das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung wird sowohl durch das Völ­ker­recht als auch die rus­si­sche Ver­fas­sung garan­tiert. Die Wahr­neh­mung die­ses Rechts darf daher nicht mit Repres­sa­li­en oder gar lan­gen Haft­stra­fen ein­her­ge­hen. Wla­di­mir Kara-Mur­sa lei­det Berich­ten zufol­ge in bei­den Füßen an Poly­neu­ro­pa­thie, was gemäß rus­si­schem Recht eigent­lich bedeu­tet, dass er nicht inhaf­tiert wer­den darf. Auf­grund sei­ner lan­gen Haft­stra­fe besteht Sor­ge um sei­nen Gesund­heits­zu­stand.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen unter > ai : urgent action

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von vögeln

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alpha : 23.50 UTC — Ich hör­te von Droh­nen­vö­geln, die der­art natur­nah gestal­tet sind, dass sie am Him­mel von tat­säch­li­chen Vögeln beglei­tet wer­den. Selt­sa­me Sache. — Es ist jetzt kurz vor Mit­ter­nacht. Das Radio erzählt, in der Stadt Mariu­pol sol­len Men­schen sich in Hin­ter­hö­fen auf Stüh­le unter den Nacht­him­mel gesetzt haben, um auf den Tod zu war­ten. — stop

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mensch auf einem fahrrad

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romeo : 15.12 UTC — Viel­fach bekannt: Ein Kriegs­schiff sank im ver­gan­ge­nen Jahr in einem Sturm, der nicht exis­tier­te. Gegen 22 Uhr die Nach­richt, das Schliff seit tat­säch­lich unter­ge­gan­gen. Die rus­si­sche Nach­rich­ten­agen­tur Tass bestä­tig­te den Unter­gang des Schif­fes, des­sen Ende von ukrai­ni­schen Nach­rich­ten bereits Stun­den zuvor ange­kün­digt wor­den war. Wirk­lich­keit exis­tiert als Sum­me von Nach­rich­ten­er­eig­nis­sen. Und da war eine Stras­se, auf der sich dicht an dicht Pan­zer­fahr­zeu­ge reih­ten. Von weit oben her, aus dem Welt­raum betrach­tet, moch­te man mei­nen, jene Pan­zer­amei­sen, die sich über eine Stras­se hin bewe­gen, wür­den doch nicht sehr gefähr­lich sein. Aber jene Gegen­stän­de oder Wesen, auf die die Pan­zer­am­m­ei­sen schies­sen, sind noch klei­ner, sie wären auf Welt­raum­bil­dern kaum noch sicht­bar. Es ist sehr schwer Grö­ßen­ver­hält­nis­se zu ver­ste­hen in krie­ge­ri­schen Wirk­lich­kei­ten. Und Feu­er­bäl­le. Und über­haupt die Zeit. In einem Dorf schoss ein Pan­zer auf einen Rad­fah­rer. Auch dies wur­de von oben her betrach­tet, aus gerin­ge­rer Höhe. Der Rad­fah­rer hör­te voll­stän­dig auf zu exis­tie­ren in Bruch­tei­len einer Sekun­de. — stop

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ansichten

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echo : 15.07 UTC — Ein Schlacht­schiff war am 14. April des Jah­res 2022 im Schwar­zen Meer. gesun­ken. Man erzähl­te, dem Schiff wür­de Gewalt zuge­fügt wor­den sein. Und da ein iden­ti­sches Schiff nicht aus­rei­chend schnell her­ge­stellt wer­den konn­te, muss­te das Ver­schwin­den des Schif­fes nach etwas Bedenk­zeit offi­zi­ell bestä­tigt wer­den. In die­ser Zeit des Nach­den­kens wur­de ein Sturm­tief erfun­den, hef­ti­ge Win­de, die solan­ge Zeit mit dem Schiff ver­han­delt haben sol­len, bis es ihren Anwei­sun­gen folg­te. An dem­sel­ben Tag wur­de eine ukrai­ni­sche Scharf­schüt­zin von hohem Anse­hen erschos­sen. Ein toter Kör­per lag zum Beweis in einem Gra­ben in der Land­schaft. Mil­lio­nen Augen­paa­re betrach­te­ten das unge­schütz­te Gesicht der Frau. So ein Tag im April, so ein Tag. — stop

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ein bein

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hima­la­ya : 10.52 UTC — Ges­tern Abend notier­te ich auf einen Notiz­zet­tel: Das Bein einer Frau ruh­te auf einem Dach. Heu­te Mor­gen fand ich die­sen Zet­tel vor. Ich erin­ner­te mich, eine Foto­gra­fie wahr­ge­nom­men zu haben, die das Bein einer Frau auf dem Dach eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol zeig­te. Ich bemerk­te, dass ich mich nicht gewun­dert hat­te, das abtrenn­te Bein einer Frau auf einem Dach bemerkt zu haben. Das Bein trug noch einen Schuh am Fuss, einen Stie­fel. Auch war ich mir nicht sicher gewe­sen, die Exis­tenz die­ser Foto­gra­fie über Nacht in mei­nem Gedächt­nis zu behal­ten. Ich notier­te auf dem Zet­tel eine Anwei­sung: Foto­gra­fie sichern! Selt­sa­me Sache. — stop

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am tiber

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nord­pol : 10.15 UTC — An einem spä­ten Abend beob­ach­te­te ich von einer Brü­cke aus einen Mann, der am Ufer des Tiber­flus­ses kau­er­te. Der Mann füt­ter­te grö­ße­re und klei­ne­re Tie­re mit sei­ner lin­ken Hand, in der rech­ten Hand hielt er eine Angel fest. Das war nicht sofort zu erken­nen gewe­sen, weil sich im Fluss und auch in der Luft über dem Fluss nichts beweg­te, nicht ein­mal das Was­ser zeig­te Strö­mung. Die Fluss­ober­flä­che schim­mer­te im Mond­licht wie ein See, und das Schilf des Ufers schien von Win­den, nicht von wil­dem Was­ser gebeugt. Da waren Schat­ten im Gras der klei­nen Insel, hun­der­te vor­wärts oder rück­wärts sprin­gen­de Sche­men. Noch nie zuvor habe ich so vie­le Rat­ten auf einen Blick gese­hen. Wie Eisen­spä­ne einer phy­si­ka­li­schen Anord­nung zur Unter­su­chung magne­ti­scher Fel­der waren sie zu dem Mann hin aus­ge­rich­tet, wir­bel­ten durch­ein­an­der, sobald der Mann Fut­ter­wa­re unter die Tie­re schleu­der­te. Dann wie­der stil­les War­ten. Eine Bisam­rat­te, scheu­er Herr­scher, enter­te das Land. — Am fol­gen­den Tag kehr­te ich mor­gens zur Nacht­brü­cke zurück. Der Mann kau­er­te noch immer nah der klei­nen Insel und angel­te im Fluss. Möwen hat­ten sich genä­hert. Rat­ten waren nur weni­ge zu sehen, aber Tau­ben. Wenn der Mann einen Fisch erbeu­te­te, warf er ihn sei­nen Freun­den vor die Füße. An den stei­len Wän­den der künst­li­chen Tiber­fas­sung da und dort blü­hen­de Büsche. Eidech­sen zün­gel­ten gegen die Son­ne. — Das Radio erzähl­te von einer Frau, die nachts um 3 Uhr im 5. Stock eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol in ihrer Küche stand und koch­te, als die Stadt vom Krieg über­fal­len wur­de. — stop

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bienengeschichte

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lima : 18.12 UTC — Die fol­gen­de Geschich­te ist natür­lich eine erfun­de­ne Geschich­te. Ich habe sie vor Jah­ren bereits schon ein­mal erfun­den. Und wie­der wer­de ich so tun, als wäre sie nicht erfun­den. Am bes­ten begin­ne ich in die­ser ein­ge­üb­ten Wei­se: Seit zwei Wochen hal­te ich mich stun­den­lang unter frei­em Him­mel auf. Das ist des­halb so gekom­men, weil ich eine Auf­ga­be über­nom­men habe, die mir nach wie vor sehr inter­es­sant zu sein scheint. Ich beob­ach­te Bie­nen wie sie sich über eine Wie­se fort­be­we­gen. Des­halb lie­ge oder knie ich oder lau­fe gebückt dahin, den Kopf dicht über dem Boden, was nicht immer ganz leicht ist, weil Bie­nen doch sehr schnel­le Flie­ger sind. Jene Bie­nen­tie­re, die ich beob­ach­te, woh­nen in nächs­ter Nähe am Saum eines Wal­des, des­sen prä­zi­se Posi­ti­on ich nicht ver­ra­ten darf. Sie tra­gen Num­mern von 1 – 100 auf ihren Rücken, was für mei­ne Arbeit sehr bedeu­tend ist, da ich Bie­nen, die ohne eine Num­mer sind, nie­mals beach­te. So lau­tet mei­ne Instruk­ti­on, Bie­nen ohne Num­mer ist nicht zu fol­gen, viel­mehr ist solan­ge Zeit am Ran­de der Wie­se zu war­ten, bis eine Bie­ne mit Kenn­zeich­nung auf der Wie­se erscheint. Ich tra­ge eine Schirm­müt­ze gegen die Blend­wir­kung der Son­ne und eine Mon­okel­lu­pe, die vor mei­nem rech­ten Auge sitzt und mir einen prä­zi­sen Blick in die klei­ne Welt der Bie­nen in der Nähe des Bodens ermög­licht. Genau­ge­nom­men ist es mei­ne vor­neh­me Auf­ga­be, eine Bie­ne, die ich ein­mal in den Blick genom­men habe, solan­ge wie mög­lich zu beglei­ten auf ihrem Flug von Blü­te zu Blü­te. Ich bin indes­sen nicht ein­mal stumm. Ich sage zum Bei­spiel: Hier spricht Lou­is. Es ist 15 Uhr und 12 Minu­ten. Ich fol­ge Bie­ne No. 58. Wir nähern uns einer But­ter­blu­men­blü­te. Ja, das genau sage ich laut und deut­lich. Ich spre­che in ein Funk­ge­rät, von dem ich weiß, dass mir in der Fer­ne im See­bad Brigh­ton an der eng­li­schen Küs­te irgend­je­mand an einem ande­ren Funk­ge­rät zuhört. Ich sage: Hier spricht Lou­is. Bie­ne No 58: Lan­dung But­ter­blu­me. OVER! Dann betrach­te ich die Bie­ne wie sie in der Blü­te arbei­tet und war­te. Bald fliegt die Bie­ne wei­ter und ich sage kurz dar­auf: Bie­ne No 58: Lan­dung Feu­er­nel­ke. OVER! Ja, so mache ich das. Ich wer­de immer bes­ser dar­in. Ich glau­be, die Bie­nen mögen mich. Ich bin ihnen ver­traut gewor­den. In eini­gen Tagen wer­de ich viel­leicht etwas genau­er erzäh­len, war­um ich Bie­nen beob­ach­te. — Das Radio erzählt von Men­schen, die die rus­si­sche Höl­len­ma­schi­ne der Stadt Mariu­pol über­leb­ten. Man­che wür­den nun in der Frem­de lebend, Schlüs­sel ihrer ver­las­se­nen oder zer­stör­ten Woh­nun­gen in Taschen von Hosen und Män­teln und Klei­dern mit sich füh­ren. — stop

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kapriole

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tan­go : 6.15 UTC — Ein­mal erwach­te ich, weil ich Schrit­te hör­te, tan­zen­de Füße in Tanz­schu­hen auf Par­kett. Unmög­lich, dach­te ich, so etwas geht doch nicht. Ich mach­te Licht und hüpf­te aus dem Bett. Wie ich so im geräu­mi­gen Hotel­zim­mer stand, bemerk­te ich, die Geräu­sche der Schu­he kamen nicht von oben, son­dern von unten her, wes­halb ich eine Trep­pe abwärts vor ver­däch­ti­ger Türe ener­gisch klopf­te, wes­halb mir geöff­net wur­de, wes­halb ich unver­züg­lich in ein höchst selt­sa­mes Zim­mer trat. Tisch und Stüh­le und Bett und wei­te­re kom­mo­de Din­ge befan­den sich dort an der Decke. Ein Mann, sehr fein geklei­det, ein Tän­zer im dunk­len Anzug grüss­te kopf­über zu mir her­un­ter. Er sag­te, ange­neh­me Stim­me: “Guten Mor­gen, mein Herr! Sie sind wohl Einer, der an der Decke zu gehen ver­mag.” — Das Radio erzählt, ein klei­ner Jun­ge in der Stadt Mariu­pol habe mit eige­nen Augen gese­hen wie eine ihm bekann­te alte Dame in einem Hin­ter­hof von einem Schrapnell in den Bauch getrof­fen wur­de. Er habe, erzählt der klei­ne Jun­ge, sei­ne Hän­de vor sei­ne Augen gehal­ten, es war aber zu spät gewe­sen. — stop