himalaya : 22.08 UTC — 28. Juli, ein sehr warmer Tag. Die Fenster sind geöffnet, Rollos weisen das Licht der Sonne zurück. Ich liege auf dem Sofa und beobachte mit einem Auge einen Käfer, der sehr langsam die Südwand meines Arbeitszimmers entlang spaziert. Man könnte sagen, der Käfer kommt auf mich zu, vielleicht wünscht er sich mit mir zu unterhalten, vielleicht wünscht er nachzusehen, was dieser Herr seit Stunden tut, warum er auf seinem Sofa ruht, Computerschreibmaschine auf seinem Bauch, Kopfhörer in den Ohren, fast bewegungslos, eine bekleidete Statue, ein um 50 Jahre gealterter Junge, der in einer Zeitkonstruktion ohne Schnitt, die Annäherung der Astronauten der Apollo 11 Mondlandemission beobachtet. Was für ein wunderbarer Tag. Von Zeit zu Zeit hole ich etwas zu trinken, dann wieder vor dem Bildschirm, die Stimmen dreier mutiger Männer in den Ohren, die mich ein Leben lang begleiteten, als wäre ich geboren worden, Zeuge zu sein, rechtzeitig, um 8 Jahre später ausreichend alt geworden zu sein, um zu verstehen, was sich ereignen wird. Ich erinnere mich, wie ich im Alter von drei Jahren auf warmem Land liege, das atmet. Bald fliege ich durch die Luft, schwebe über dem Bauch meines Vaters und lache, weil ich gekitzelt werde. Meine Stimme, meine kindliche Stimme. Und da sind eine hölzerne Eisenbahn, das Licht der Dioden, dampfendes Zinn, Lochkarten einer Computermaschine und die Geheimnisse der Algebrabücher, die der Junge von sechs Jahren noch nicht entziffern kann. Aber ein Forscher, wie der Vater, will er schon werden, weshalb er die Schneespuren der Amseln, der Finken, der Drosseln in ein Schulheft notiert. Zu jener Zeit drifteten Menschen bereits in Geminikapseln durch den Weltraum, um das Sternreisen zu üben. Nur einen Augenblick später waren sie schon auf dem Mond gelandet, in einer Nacht, einer besonderen Nacht, in der ersten Nacht, da der Junge von seinem Vater zu einer Stunde geweckt wurde, als noch wirklich Nacht war und nicht schon halber Morgen. Die zwei Männer, der kleine und der große Mann, saßen vor einem Fernsehgerät auf einem weichen Teppich und schauten einen schwarzweißen Mond an und lauschten den Stimmen der Astronauten. Man sprach dort nicht Englisch auf dem Mond, man sprach Amerikanisch und immer nur einen Satz, dann piepste es, und auch der Vater piepste aufgeregt, als sei er wieder zu einem Kind geworden, als sei Weihnachten, als habe er gerade eben ein neues Teilchen im Atom entdeckt. In jener Nacht, in genau der selben besonderen Nacht, saß zur gleichen Minutenstunde irgendwo im Süden der Dichter Giuseppe Ungaretti vor einem Fernsehgerät in einem Sessel und deutete in Richtung des Geschehens fern auf dem Trabanten auf der Bildschirmscheibe, auf einen Astronauten, wie er gerade aus der Landefähre klettert, oder habe ich da etwas in meinem Kopf verschoben? Sicher ist, auf jenem Fernsehgerät, vor dem Ungaretti Platz genommen hatte, waren drei weitere, kleinere Apparate abgestellt. Alle zeigten sie dieselbe Szene. Echtzeit. Giuseppe Ungaretti war begeistert, wie wir begeistert waren. Ja, so ist das gewesen, wie heute, viele Jahre später. – stop
Aus der Wörtersammlung: auge
abend mit fliege no 1
alpha : 22.45 UTC — Seltsam ist das mit den Fliegen geworden, den Faltern, den Käfern. Früher noch an warmen Sommerabenden, sobald ich meine Fenster öffnete, waren unverzüglich, als hätten sie gewartet, dutzende Tiere in meine Wohnung geflogen, saßen auf und in Lampenschirmen, spazierten über Bildschirme der Schreibmaschinen und des Fernsehgerätes, hockten an den Wänden, besuchten meine unbekleideten Beine und Arme, Stirn auch und meine Hände, während sie mit den Tasten arbeiteten. Auch an diesem Abend könnten sie mich besuchen, es scheint jedoch, als wäre niemand da draußen oder nur sehr wenige Käfer, die Marienkäfer sind. Wenn ich an diesem Abend von einem Zimmer ins andere gehen würde, indessen eine Fliege mich in Kopfhöhe begleitete, wäre sie in genau dem Augenblick, da ich ihre Existenz mit meinen Wörtern verzeichne, eine erfundene Fliege. — stop
kandinskyraupe
nordpol : 18.54 — Es existiert ein besonderer Grund, weswegen ich meinen Text von der Kandinskyraupe, den ich vor acht Jahren notierte, an dieser Stelle und an diesem Tag wiederhole. Ich habe, als ich ihn vor wenigen Minuten bemerkte, entdeckt, dass ich mich nicht erinnern konnte, ihn persönlich geschrieben zu haben. Der Text war mir fremd gewesen. Eine seltsame Erfahrung. Nun habe ich mir vorgenommen, in acht Jahren an diese Stelle zurückkehren und zu prüfen, wie es sich mit meinem Erinnerungsvermögen verhalten wird im Jahr 2027. Hier ist Dein Text, lieber Louis: Nach heftigem Gewitterregen habe ich einen Kandinsky entdeckt im Park, eine nasse Raupe von so wunderbarer Zeichnung, dass ich sie in eine Streichholzschachtel setzte und mit nach Hause genommen habe. Sie lungert jetzt auf meinem Schreibtisch herum. Der Eindruck, dass sie nicht sehr begeistert ist, sobald ich mich mit einem Finger oder meinen Augen nähere, vielleicht wegen meines Anblicks oder weil es eigentlich dunkel sein müsste um diese Zeit, da doch Nacht geworden ist. Drohende Haltung, das heißt, gesenkter Kopf, Fühler derart zu mir hin ausgerichtet, als wären sie Hörner eines Stieres. Ihrem Rücken entkommen vier Quasten von gelber Farbe senkrecht einer ledernen Haut, die dunkel ist und zart liniert, wie die Handflächen eines Berggorillas. Zarteste Federn, sie blühen feuerfarben an den Flanken des Tieres, aber grüne, sehr kurze Beine, acht links, acht rechts. Manchmal fällt die Kandinskyraupe um. Sie liegt dann recht flach auf der Seite zur Schneckenzeichnung geworden. Ob ich sie mit etwas Banane an mich gewöhnen könnte? Oder mit Cole Porter vielleicht? Zwei Stunden Cole Porter, das sollte genügen. – stop
papiere körper
echo : 0.14 UTC — Unlängst entdeckte ich in der digitalen Sphäre ein Buch des amerikanischen Autors David Foster Wallace. Ich dachte, dieses Buch ist sehr umfangreich, schwer vermutlich und verletzlich. Ich dachte außerdem, dass Sommer geworden ist, dass ich das Buch möglicherweise gerne in einem Park lesen würde, auf einer Bank sitzend oder im Gras liegend. Plötzlich kaufte ich eine elektronische Ausgabe des Romans Unendlicher Spaß, dessen Instanz wenige Sekunden später vollständig auf meiner kleinen, flachen Schreibmaschine angekommen war. Sehr erstaunlich, wie schnell das geht, geräuschlos, so die Anlieferung der vollständig Werkausgaben Anton Tschechows, Franz Kafkas, Flauberts wenige Wochen zuvor. Nun ist das so, dass ich spürte, dass irgendetwas fehlt, obwohl ich einen komplexen Text übermittelt bekommen, also zugenommen habe, meine Bibliothek, die Auswahl meiner Bücher, Wörter, Gedanken, die ich in meinem Zimmer auf und ab gehend sofort in die Hand nehmen und mir vor Augen halten könnte. Ich glaube, ich werde mir ein Stück Holz suchen, oder einen kleinen Karton, den ich beschriften könnte, um ihn stellvertretend in mein Regal zu stellen zu weiteren Büchern, die noch tatsächlich papierene Persönlichkeiten sind. — stop
babuschka no 2
charlie : 4.12 — Einmal, im Jahr 2013, hatte ich einen Text geschrieben, den ich nur deshalb notierte, um ihn mittels eines Verschlüsselungsprogramms in einen Zustand der Unlesbarkeit zu versetzen. Genaugenommen hatte ich den Text mit einer besonderen Haut, mit einer Zeithaut umgeben. Um ihn nämlich lesen zu können, müsste man den Text zunächst dekodieren, das heisst, solange mittels einer Computermaschine seine Öffnung probieren, bis der richtige Schlüssel gefunden ist. Gestern, bei großer Hitze, stellte ich mir vor, was geschehen würde, wenn nun nach Tagen, Wochen oder Jahren des Rechnens das suchende Programm melden würde: Ich bin fündig geworden! Wie ein menschlicher Analyst sich in diesem Moment zufrieden seinem Bildschirm nähert, um festzustellen, dass sich hinter den Zeichen eines verschlüsselten Textes weitere verschlüsselte Zeichen befinden. stop — Auf den ersten Blick ist folgendem kodierten Text nicht anzusehen, hinter wie vielen Zeithäuten sein lesbarer Ursprung verborgen liegen könnte: ANFANG === B U C W 0 G c o a G j I B W W f k p h Z L v 0 h 4 Y J j 9 4 4 t m c e K C l x B M b L 4 q T d x Y I w B U v V 3 E b p b X y A z Y B e R 5 C a 9 n b s E B p U I 6 z q 3 Z C 6 a Q A R Q 1 a 8 P I N 1 j T L B b V 9 e O F 0 j 5 G s F f y 5 E M D 3 5 a r / C G 0 j V z 4 v n e u M z p T K W Y t 4 D m s J t e / F E C Y C a j 3 Z L Z / h l x G M W I 4 7 v 8 / B I g H c E / Q 2 F 9 G s W Z i z Q K 0 7 k t O W 7 8 k S k A t q u J Z 5 2 F A u n a J 6 C G B u A 7 R o C u P p D n C m 8 F 7 9 F E e m H / T T 3 K x z S 7 r 3 i 0 y 4 g M Z u m G m x i A q 4 l z d A x i o P m 0 O I b x M i T I x P w X j 5 A I i 1 z c e + T W i i x A + 6 A h k p q h o n a D e M / y s A l y W r i p 4 s Z m m / q X y n 2 o P H R q z g U i + T s H B c z + J v K 3 A a d v j Z F L 9 i R M s C f m W y U d 6S 4 4 O f z l 8 x P z H B W z 1 H 2 6 z Z o z F s C U U D Y v k +Y N F 0 f U t A y k a Y 7 E L j / u N X s s q 1 K 1 V z A C i z K Z Y 7 F N J C q y t x s Q c b W r C 3 k 4 i f V 1 l K u g f b N i P t y O 8 1 7 e l u y x d r o i d 5 d X 3 E D g O V s X i T e e 5 Q q i 0 U 6 E o 3 G 5 y r 2 9 a f a w X M a U U r Q V d b i U A V 8 F e y 4 m k e W b 9 e u b 1 i S W F g m K y 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 V q b N W c v i 3 6 j L h / u O I j K 8 L s t Y B s 9 F 4 l l c Q A h B J s Q h U 6 i b R U 5 B 4 f g 3 f j r 2 C I i k c M q R U C 4 4 F E u o Y i R w A r D x H W u 2 2 P w 9 d 8 f A 1 f A r 3 5 D l V 3 B G p / J m h b h 8 w F n 7 p v x g x z 9 i b / S h F t K M v 6 l 6 W L A 5 r 7 U F R S O k l C f 0 L H B a J h n V y w Q 0 e Y k 9 w 9 y / Z M 4 Y m F W O T m x 4 s s A W 5 w X 2 N z L g 3 + 9 + d x L 7 T 8 U + A Y C U L b T M J y l M + H Q y S F 7 S T D I / 8 O 6 4 K F 0 4 d 7 g v I === ENDE / codewort : babuschka — stop. Sechs Jahre sind seither vergangen. Heute nun erhielt ich Meldung eines Algorithmus, der den Namen “Leporello N=8” trägt, ein Algorithmus evolutionärer Klasse. Er hatte meinen Text untersucht. Es ist berührend zu sehen, wie Leporello N=8 aus vorliegenden Zeichenketten einer Verschlüsselung, versuchte Wörter zu bilden. Eine gewisse Verzweiflung ist zu bemerken oder unbedingter Wille zu einem Ergebnis zu kommen. Lesen Sie selbst: ANFANG === BUCW 0 GcoaGjIBWWfkphZLv 0 h 4 YJj 9 4 4 tmceKClxBMbL 4 qTdxYIwBUvV 3 EbpbXyAzYBeR 5 Ca 9 nbsEBpUI 6 zq 3 ZC 6 aQARQ 1 a 8 PIN 1 jTLBbV 9 eOF 0 j 5 GsFfy 5 EMD 3 5 ar / CG 0 jVz 4 vneuMzpTKWYt 4 DmsJte / FECYCaj 3 ZLZ / hlxGMWI 4 7 v 8 / BIgHcE / Q 2 F 9 GsWZizQK 0 7 ktOW 7 8 kSkAtquJZ 5 2 FAunaJ 6 CGBuA 7 RoCuPpDnCm 8 F 7 9 FEemH / TT 3 KxzS 7 r 3 i 0 y 4 gMZumGmxiAq 4 lzdAxioPm 0 OIbxMiTIxPwXj 5 AIi 1 zce + TWiixA + 6 AhkpqhonaDeM / ysAlyWrip 4 sZmm / qXyn 2 oPHRqzgUi + TsHBcz + JvK 3 AadvjZFL 9 iRMsCfmWyUd 6S 4 4 Ofzl 8 xPzHBWz 1 H 2 6 zZozFsCUUDYvk +YNF 0 fUtAykaY 7 ELj / uNXssq 1 K 1 VzACizKZY 7 FNJCqytxsQcbWrC 3 k 4 ifV 1 lKugfbNiPtyO 8 1 7 eluyxdroid 5 dX 3 EDgOVsXiTee 5 Qqi 0 U 6 Eo 3 G 5 yr 2 9 afawXMaUUrQVdbiUAV 8 Fey 4 mkeWb 9 eub 1 iSWFgmKy 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 VqbNWcvi 3 6 jLh / uOIjK 8 LstYBs 9 F 4 llcQAhBJsQhU 6 ibRU 5 B 4 fg 3 fjr 2 CIikcMqRUC 4 4 FEuoYiRwArDxHWu 2 2 Pw 9 d 8 fA 1 fAr 3 5 DlV 3 BGp / Jmhbh 8 wFn 7 pvxgxz 9 ib / ShFtKMv 6 l 6 WLA 5 r 7 UFRSOklCf 0 LHBaJhnVywQ 0 eYk 9 w 9 y / ZM 4 YmFWOTmx 4 ssAW 5 wX 2 NzLg 3 + 9 + dxL 7 T 8 U + AYCULbTMJylM + HQySF 7 STDI / 8 O 6 4 KF 0 4 d 7 gvI === ENDE / codewort : babuschka — stop
im park
nordpol : 0.18 UTC — Es war ein warmer Regentag, den ich unterm Schirm spazierend im Palmengarten verbrachte. Ich ging Stunde um Stunde im Kreis mit einem wunderbaren Gefühl dahin, etwas Neues zu erleben. Der Schirm nämlich war ein besonderer Regenschirm, ich trug ihn zur Probe, es war ein Schirm, der über eine weitere feine Haut verfügte, die das eigentliche schützende Gewebe wie eine zweite Haut bespannte. Diese Haut war nun in der Lage, die Zahl der Tropfen, die auf die Oberfläche des Schirmes trafen, zu zählen, indessen sehr kleine Kameraaugen die Bewegungen meines Körpers beobachteten, der sich exakt wie der Körper eines Spaziergängers verhielt. Sie saßen in der Krone des Regenschirms fest, und ich denke, es entging ihnen nichts, sodass ein quantenmechanischer Algorithmus in Bruchteilen von Sekunden zu entscheiden vermochte, wie viele Regentropfen meinen spazierenden Körper getroffen hätten, wenn ich nicht beschirmt unterwegs gewesen wäre. Gegen acht Uhr abends hörte es auf zu regnen und ich ging nach Hause, um in der digitalen Sphäre nach Algorithmen des Sortierens zu suchen. Folgende Bezeichnungen wurden sofort gefunden: binary tree sort, bogosort, bubblesort, bucketsort, combsort, countingsort, gnomesort, heapsort, hybridsort, insertionsort, introsort, merge insertion, mergesort, quicksort, radixsort, selectionsort, shakersort, shellsort, slowsort, smoothsort, stoogesort, swap-sort, timsort. Nichts weiter. — stop
Игрок
sierra : 22.58 UTC — Vor einigen Tagen hab ich mir ein Buch gewünscht in russischer Sprache, nämlich Игрок von Fjodor Dostojewski. Nun werden Sie vermutlich fragen, ob Louis, der hier schreibt, die russische Sprache zu lesen vermag. Nein, ich kann die russische Sprache nicht lesen, aber ich höre sie gern, und es wird mir eine Ehre sein, ein berühmtes Buch in russischer Sprache auf meinen Schreibtisch zu legen. Da wird es dann liegen neben einer Übersetzung in die Deutsche Sprache von Swetlana Geier. Ich könnte vielleicht sagen, dass das eine Buch, das ich zu lesen vermag, vor jedem Satz, den ich in Augenschein nehmen werde, das andere Buch, das ich nicht zu lesen vermag, befragen wird. Das ist eine gute Vorstellung. Noch heute Abend setz ich mich auf mein Fahrrad. Gewitterlicht. — stop
zebraspringspinne
echo : 5.18 UTC — Ich beobachte an diesem Morgen auf dem Fensterbrett nach Süden zu eine Zebraspringspinne von höchstens 2 Gramm Gewicht. Sie spaziert dort unter meinen Augen furchtlos auf und ab. Möglicherweise ist sie kürzlich erst durch die Luft geflogen oder aber den ganzen Winter über in meiner Nähe gewesen, ohne dass ich sie bemerkte. Für einen Moment halten wir beide inne und schauen in Richtung der Dämmerung. Eine Straßenbahn kommt um die Kurve gefahren, es ist die erste Straßenbahn dieses Tages. Ich schließe die Fenster. Mit dieser ersten Straßenbahn kommt der Tag in die Nacht, Vögel steigen aus und hocken sich in Bäume und singen, während Fliegen und Falter aus meiner Wohnung flüchten, um einzusteigen und rasch davonzufahren. Ich sollte morgens einmal auf die Straße treten und zur Haltestelle gehen und warten, da nun die erste Fahrt der Linie 16 eintreffen und der Fahrer von Nachtfaltern bedeckt sein wird, und die Sitze und Lampen, und auch die Arbeiter und Arbeiterinnen der Frühschicht. Dichte, bittere, staubige Luft, ein sonores Summen zehntausender Flügel. Kleine, harte Käferkörper stürmen durch weichen, fliegenden Falterwald, ping, pong, ping. — Dieser Text wurde zum ersten Mal vor vier Jahren notiert. Als ich heut frühmorgens eine Zebraspringspinne entdeckte, war mein Text wieder möglich geworden. — stop
schreiben
himalaya : 0.05 UTC — Das Schreiben mit den Schreibmaschinen ist leiser geworden, man kann nicht sagen, ob jemand schreibt im Nebenzimmer oder nicht schreibt, das Schreiben wird vielleicht bald lautlos sein, ob mit einem Kugelkopfstift oder Tasturen, die hinter Glas erscheinen, man muss näherkommen, um noch hören zu können, ob jemand schreibt oder nicht schreibt, man muss das Schreiben mit den eigenen Augen sehen, die Bewegung der Hände, dann kann man sagen, ob jemand schreibt oder nicht schreibt. — stop
paris
echo : 22.08 UTC — Eine Frau trat an der Station Charles Michels in den Metrowagon, setzte sich und begann in einem Buch japanischer Zeichen zu lesen. Ich beobachtete ihre Augen, wie sie von der oberen Kante des Buches senkrecht nach unten wanderten, wie sie sofort wieder nach oben hüpften und ein wenig zur Seite, um dann erneut nach unten zu gleiten. Eine vertikale Welt. — Als sie mich aber musterte, mich oder meinen Blick, dann eine horizontale Bewegung: Auge um Auge, von dem einen zum anderen und wieder zurück. Ein seltsamer Moment. — Der Eindruck, dass die Frau meine Augen betrachtete, als wären sie Schriftzeichen, dass sie sich zunächst für die eine, dann für die andere Iris interessierte. Daraufhin die Einsicht, dass ich, wenn ich ein Auge, sagen wir, das linke Auge eines Menschen für sich betrachte, den Menschen hinter dem Auge weder sehen noch erkennen kann. — stop