Aus der Wörtersammlung: flugzeug

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aleppo

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char­lie : 20.05 — Als Kind konn­te ich an Geräu­schen der Luft unter­schei­den, ob ich einer sin­gen­den Amsel lausch­te oder einer Mei­se, einer Ler­che, einem Rot­kehl­chen. Ich hör­te nun, die Kin­der von Alep­po sol­len in der Lage sein, sehr genau zu unter­schei­den, um wel­che Art Muni­ti­on es sich han­delt, die nachts ihre Bet­ten erschüt­tert, wel­che Flug­zeug­gat­tun­gen sich am Him­mel befin­den, das Kali­ber deto­nie­ren­der Gra­na­ten zu erra­ten. — stop

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vom zufall

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del­ta : 0.12 — Hen­ry erzähl­te, er habe vor eini­gen Wochen eine Kar­ton­schach­tel erwor­ben für 80 Cent. Zu Hau­se habe er im Inne­ren der Schach­tel ein­hun­dert­und­zwölf Schwarz-Weiß-Foto­gra­fien ent­deckt, Foto­gra­fien einer Zeit um das Jahr 1965 her­um. Men­schen, die auf die­sen Foto­gra­fien zu sehen sind, tra­gen Schuh­werk jener Jah­re, Män­tel, Hüte. Auch Auto­mo­bi­le, die da und dort im Hin­ter­grund zu sehen sind, ver­wei­sen auf die Mit­te eines Jahr­zehn­tes, als Hen­ry selbst gebo­ren wor­den war. Er habe die Bil­der nun digi­ta­li­siert und wür­de sie in weni­gen Tagen auf einer Web­sei­te ver­öf­fent­li­chen mit der Bit­te, sich bei ihm zu mel­den, sobald man sich selbst auf einer der Foto­gra­fien ent­de­cken wür­de. Ich woll­te wis­sen, war­um er so han­de­le. Hen­ry ant­wor­te­te, er habe das Gefühl, die­se Auf­nah­men könn­ten viel­leicht feh­len, irgend­je­man­dem, einem Album, einer Geschich­te. Ja, selbst­ver­ständ­lich sei ihm bewusst, dass nur durch einen Zufall sei­ne Sei­te von genau jenen Men­schen besucht wer­den wür­de, die sich wie­der erken­nen könn­ten, es gehe ihm rein um die Mög­lich­keit, dass sich die­ser Zufall ereig­nen kön­ne, er habe im Grun­de die Mög­lich­keit eines Zufal­les geschaf­fen. Eine der Foto­gra­fien soll ein höl­zer­nes Feu­er­wehr­au­to zei­gen, das von Kin­der­hand geführt über einen Tep­pich fährt. In dem Tep­pich sei ein Loch, das ihn an ein Brand­loch erin­nert habe. Eine wei­te­re Auf­nah­me zei­ge eine Gar­di­ne, die sich im Wind zu bewe­gen schei­ne, im Hin­ter­grund etwas Him­mel, Wol­ken und ein Flug­zeug. Und die­se alte Frau, die auf einer Park­bank sitzt, sie wird, sag­te Hen­ry, viel­leicht oder sehr sicher nicht mehr unter den Leben­den sein. Sie hält einen Foto­ap­pa­rat, es könn­te sich um eine Lei­ca han­deln, in ihren Hän­den. Die alte Frau lacht, es ist Som­mer, sie lacht wie jene ande­re, etwas jün­ge­re Frau, die auf einem stei­ni­gen Weg breit­bei­nig steht, ein Fuß ist zur Sei­te geknickt, auch sie hält eine Kame­ra, ein Lei­ca viel­leicht, ihn ihren Hän­den. — stop

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jamaica

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echo : 20.26 — Ich will von einem Mann erzäh­len, der mir in einem Sub­way­wa­gon auf der Fahrt von der Lex­ing­ton Ave­nue nach Jamai­ca begeg­net war. Er trug, obwohl es im Abteil sehr warm gewe­sen war, Hand­schu­he an bei­den Hän­den. Das waren recht merk­wür­di­ge Hand­schu­he, denn die Dau­men des Man­nes wur­den von Schnü­ren, die an den Fäust­lin­gen befes­tigt waren, ins Inne­re der Hand gezo­gen. Fin­ger umschlos­sen sie fest, auch sie waren mit­tels Schnur­wer­kes gefes­selt. Man könn­te sagen, dass die Hand­schu­he, die der Mann trug, sei­ne Hän­de bän­dig­ten, indem sie Fäus­te form­ten. So, gefes­selt, saß der Mann wäh­rend der lan­gen Fahrt vor mir und nick­te. Er betrach­te­te sei­ne Hän­de, wie mir schien, mit zärt­li­cher Auf­merk­sam­keit, in der Art und Wei­se der Lie­ben­den viel­leicht, wenn ein Blick nachts heim­lich einen schla­fen­den Mund umschmei­chelt. Ich ver­such­te zu arbei­ten, konn­te mich aber nicht kon­zen­trie­ren. Nach eini­ger Zeit frag­te ich den Mann, ob er denn etwas in Hän­den hiel­te, etwas, das viel­leicht flüch­ten könn­te, wenn er sei­ne Hän­de öff­ne­te. Das schien nicht der Fall zu sein, weil der Mann sei­nen Kopf schüt­tel­te und lach­te, ohne indes­sen mit mir ein Gespräch auf­neh­men zu wol­len. Ich war­te­te also eini­ge Zeit, sah aus dem Fens­ter, spä­te Flug­zeu­ge, eine Ket­te von Lich­tern, näher­te sich dem Flug­ha­fen. Und da war mein müdes Gesicht im Spie­gel der Schei­be. Und dann wie­der der Mann und sei­ne Hän­de, die auf sei­nen Schen­keln lagen. Sie drü­cken die Dau­men, sag­te ich, ist das mög­lich? Der Mann lach­te jetzt. Er schien zu über­le­gen, dann ant­wor­te­te er mit lei­ser Stim­me, die in dem schep­pern­den Lärm des Sub­way­wa­gons kaum noch zu hören war, dass ein Pro­blem sei, dass er nicht wis­se, wie er sei­ne Fäust­lin­ge für das Wün­schen bei Nacht, ohne die Hil­fe eines wei­te­ren Men­schen anle­gen könn­te. Der lin­ke der Hand­schu­he war im Übri­gen von gel­ber, der rech­te von blau­er Far­be. — stop

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depesche aus neuseeland

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ulys­ses: 6.58 — Viel­leicht liegt die Foto­gra­fie, die Rahel vor zwei Tagen im Zug kurz vor dem Flug­ha­fen mit ihrem Han­dy von mir mach­te, soeben in Neu­see­land auf einem Holz­tisch in der Küche ihres Hau­ses, dun­kel­grü­ne Wei­den, Scha­fe vor den Fens­tern. Ja, viel­leicht, das ist denk­bar. Sicher ist, dass die­se Auf­nah­me tat­säch­lich gemacht wur­de, und dass ich auf ihr ver­mut­lich etwas unru­hig wir­ken könn­te, weil ich Rahel so vie­le Jah­re nicht gese­hen hat­te, wie sie plötz­lich vor mir sitzt, ein Geist sozu­sa­gen, ich glaub­te, sie sei längst gestor­ben. Man hat­te mir erzählt, ein Freund, sie sei tot, das war plau­si­bel, so wie Rahel leb­te. Von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de war sie in dem Moment der Nach­richt ihres Able­bens nach Jah­ren voll­kom­me­ner Abwe­sen­heit, wie­der zu einer Anwe­sen­den gewor­den, eine Tote nun mit einem Sta­tus. Jah­re war sie ein Nichts gewe­sen, weder da noch dort, eine Lee­re. Und plötz­lich saß sie in mei­ner Gegen­wart im Zug und nann­te mich beim Namen. Sie wun­der­te sich, sie frag­te: War­um siehst Du mich so selt­sam an? Ich ant­wor­te­te, dass ich über­rascht sei. Lie­be Rahel, sag­te ich, ich kann noch nicht glau­ben, Dich hier zu sehen. Ja, so sprach ich zu ihr hin, ohne mich eigent­lich hören zu kön­nen. Lei­der war kaum Zeit für ein Gespräch gewe­sen, ehe Rahel aus dem Zug stür­men wür­de, um das Nacht­flug­zeug nach Sin­ga­pur noch zu errei­chen. In die­ser Zeit, die nur Minu­ten dau­er­te, erzähl­te sie, dass sie damals, vor vie­len Jah­ren, nach Neu­see­land gereist und dort geblie­ben sei. Sie habe Euro­pa bei­na­he ver­ges­sen, sie sei nur des­halb zurück­ge­kom­men, weil ihre Mut­ter gestor­ben war. Stolz erwähn­te sie, dass sie zwei Töch­ter habe, und ich stel­le mir nun vor, wie sie viel­leicht in die­sem Moment, da ich mei­nen Text notie­re, jene Foto­gra­fie gemein­sam betrach­ten, die auf dem höl­zer­nen Tisch der Küche in Neu­see­land liegt, aus­ge­druckt in schwar­zer und wei­ßer Far­be, das Gesicht eines Man­nes, der staunt, der im Grun­de glaubt, zu träu­men. Ges­tern war die­ses Bild zu mir gekom­men, durch Luft, sagen wir, Signa­le. Ich hör­te, wie mein Tele­fon ein Geräusch mach­te, als die Foto­gra­fie voll­stän­dig ein­ge­trof­fen war. Unter dem Bild war eine klei­ne Notiz zu fin­den. Rahel schrieb: Lie­ber Lou­is, ich freu mich sehr, Dich gese­hen zu haben. Ich glaub­te, Du wärest nicht mehr unter uns. Mel­de mich wie­der. r. – stop

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beringer & söhne

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MELDUNG. 78 Kampf­flug­zeu­ge der Gat­tun­gen Me BF und Hur­ri­ca­ne Mk, — von 16.30 bis 17.30 Uhr MESZ über Farn­ham [ Hamp­shire : süd­li­ches Eng­land ] sowie Bridge­wa­ter [ Somer­set : süd­west­li­ches Eng­land ] abge­schos­sen, — ste­hen ab sofort bei Berin­ger & Söh­ne [ Spiel­hal­le / Ree­per­bahn 8 ] wie­der zur Ver­fü­gung. — stop
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rom : ein flugzeug

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marim­ba : 22.58 — Man müss­te ein­mal ein Flug­zeug erfin­den, das nicht sicht­bar und doch wir­kungs­voll anwe­send ist. Unsicht­ba­re Sit­ze, auf wel­chen sicht­ba­re Pas­sa­gie­re Platz genom­men haben, durch­sich­ti­ge Steu­er­knüp­pel, durch­sich­ti­ge Flü­gel, ein durch­sich­ti­ges Leit­werk. Man sieht nun Men­schen, wie sie über Taxi­way­bah­nen eines Flug­ha­fens schwe­ben, gut sor­tiert, acht Per­so­nen zu einer Rei­he neben­ein­an­der, so sitzt man. Da und dort lie­gen schlam­pi­ger Wei­se Taschen her­um, Ruck­sä­cke, Zei­tun­gen, auch sie sind sicht­bar wie ihre Besit­zer und die Ben­zi­ne in den Flü­geln der Maschi­nen, das Nest der Kof­fer am Flug­zeug­heck, jene zwei Her­ren mit ihren akku­rat gefal­te­ten Flie­ger­hau­ben an der Spit­ze der Pro­zes­si­on, bald wird man sehen, wie das alles fliegt sehr steil gegen den Him­mel zu. Und die­ser Blick nun nach unten, Seen, Stra­ßen, Wäl­der, Schnee auf den Ber­gen, das Meer, die gro­ße Stadt im Anflug, ein röt­lich brau­ner Fleck in einer hel­len Land­schaft. Es war viel Wind unter­wegs und bestän­dig das Gefühl in die Tie­fe zu fal­len, weil die Sub­stan­zen des Flug­zeu­ges nicht zu sehen gewe­sen waren. Jetzt aber Rom. Da ste­he ich mit bei­den Bei­nen fest auf einem Boden, unter dem viel Zeit­spur im Ver­bor­ge­nen liegt. Das Taxi, das durch das groß­zü­gi­ge Spa­lier der Zedern glei­tet, Schirm­pi­ni­en da und dort in Step­pen­land­schaft jen­seits der Stra­ße. Plötz­lich dich­tes Häu­ser­ge­fü­ge in war­men, erdi­gen Far­ben, braun, ocker, gelb, rot, oran­ge, an den Ampeln hel­le Wölk­chen von Blei­luft, die aus knat­tern­den Rol­ler­mo­to­ren paf­fen. Via del­la Maglia­na, Via Por­tu­en­se, Via Qui­ri­no Majo­ra­na, Via del­le For­naci, Via del­le Mura Aure­lie. Vor dem Haus lie­gen drei scheue, schlan­ke Kat­zen. Das Gespräch der Möwen auf ihrem Flug gegen Tras­te­ve­re. – stop
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ameisengesellschaft ln — 788

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MELDUNG. Amei­sen­ge­sell­schaft LN — 788 [ lasi­us niger ] : Posi­ti­on 48°21’N 07°01’O : Fol­gen­de Objek­te wur­den von 18.00 — 18.55 Uhr MESZ über das süd­öst­li­che Wen­del­por­tal ins Waren­haus ein­ge­führt : sechs tro­cke­ne Flie­gen­tor­si mitt­le­rer Grö­ße [ je ohne Kopf ], acht­zehn Baum­stäm­me [ à 5 Gramm ], elf Rau­pen in Grün, zwei­und­zwan­zig Rau­pen in Oran­ge, zwei Insek­ten­flü­gel [ ver­mut­lich die eines Zitro­nen­fal­ters ], drei Streich­holz­köp­fe [ à 2 Gramm ], vier Flie­gen der Gat­tung Cal­li­pho­ri­dae in vol­lem Saft, son­nen­ge­trock­ne­te Rosen­blät­ter [ ca. 100 Gramm ], sechs Schne­cken­häu­ser [ je ohne Schne­cke ], drei gelähm­te Schne­cken [ je ohne Haus ], 1162 Amei­sen anlie­gen­der Staa­ten [ betäubt oder tran­chiert ], acht Rüs­sel­kä­fer [ blau­tür­ki­se ], die Aas­ku­gel eines Pil­len­dre­hers, wenig spä­ter der Pil­len­dre­her selbst, eine Wild­bie­ne, ein Modell­flug­zeug­rei­fen [ Space­shut­tle Dis­co­very ] 12 Gramm. — stop

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fluggewicht

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marim­ba : 8.28 — Ver­gan­ge­ne Nacht hat­te ich einen lus­ti­gen Traum. Ich saß auf mei­nem Sofa mit einem Engel, der vom Flie­gen erzähl­te, davon genau­er, wie es ist, eine Rei­se über den Atlan­tik zu unter­neh­men, wenn man ein Engel ist, Flug­zei­ten (2 Stun­den), Flug­hö­he (8 Meter), Pro­vi­ant, Flie­ger­bril­le und alle die­se Din­ge, an die ich zuvor nie gedacht hat­te. Der Engel war im Moment unse­res Gesprä­ches unbe­klei­det gewe­sen, schnee­wei­ße Haut, 5 Zen­ti­me­ter Höhe. Eine fas­zi­nie­ren­de Situa­ti­on. Vor uns stan­den zwei gro­ße Kof­fer. Ich hat­te sie gewo­gen, Gepäck­stü­cke aus­ge­tauscht, um das Gewicht gut zu ver­tei­len. Und da war ein wei­te­rer Kof­fer, etwas klei­ner, ein Pilo­ten­kof­fer. Auch die­sen Kof­fer hat­te ich gewo­gen. Er war 15 Kilo­gramm schwer, ich soll­te ihn mit mir ins Flug­zeug neh­men. Wie ich den klei­nen Engel frag­te, war­um sein Kof­fer so schwer gewor­den sei, was er denn mit sich neh­men wer­de nach Ame­ri­ka, ein Wesen von 20 Gramm Gewicht, dar­an erin­ne­re ich mich noch, und wie der Engel bald auf sei­nem Kof­fer saß und ver­such­te einen Reiß­ver­schluss zu öff­nen. Dann wach. Regen in Strö­men. Sams­tag. – stop
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asmara tigri

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lima : 16.01 — Die Frau, die mir sofort eine Geschich­te erzäh­len wird, scheint müde zu sein. Immer wie­der fal­len für Sekun­den ihre Augen zu. Frü­her Mor­gen, Tigri hat die Nacht über gear­bei­tet. Wir sit­zen in einem Schnell­zug vom Flug­ha­fen in die Stadt. Gera­de woll­te sie noch wis­sen, war­um ich auf dem Note­book einen Film betrach­te, der von ein­stür­zen­den Tür­men des World Trade Cen­ters berich­tet. Sie habe, bemerkt Tigri, sechs Stun­den lang Brie­fe sor­tiert, das heißt, Luft­post­brie­fe für Inseln, die im Pazi­fi­schen Oze­an lie­gen, weil sie eine Spe­zia­lis­tin für Inseln ist, auch für Inseln atlan­ti­scher Gebie­te, aber vor allem ken­ne sie sich aus mit Inseln, die Kiri­ba­ti hei­ßen oder Ton­ga oder Palau oder Vanua­tu. Sie sagt, dass sie die­se Namen lie­ben wür­de, dass sie Anfang der 70er Jah­re in einem Dorf nahe der eri­tre­ischen Haupt­stadt Asma­ra gebo­ren wor­den sei und dass das Dorf im Jahr 1984 wie­der auf­ge­baut wer­den muss­te, weil an einem Sonn­tag­abend ein MIG-Flug­zeug das Dorf zer­stört habe und vie­le ihrer Freun­de getö­tet. Zu die­sem Zeit­punkt leb­te Tigri bereits in West­deutsch­land. Wenn sie den Namen ihres Dor­fes aus­spricht, bin ich nicht imstan­de, das schö­ne Geräusch in mei­nem Kopf zu behal­ten, aber das Wort Asma­ra kann ich mir mer­ken. Sobald ich das Wort Asma­ra for­mu­lie­re, leuch­ten ihre Augen, also sage ich drei­mal Asma­ra und freue mich über die Wirk­sam­keit die­ses Wor­tes. Asma­ra soll eine Stadt hel­len Lich­tes sein, sage ich, es soll dort immer­zu nach Kaf­fee duf­ten, und Tigri lacht und ich den­ke, dass das jetzt ent­we­der so ist oder dass das nicht so ist, dass sie jeden­falls das Hel­le mag und auch den Kaf­fee­duft. Man spre­che Tig­ri­gna dort in ihrer Gegend, sagt Tigri, und ich bemer­ke, dass ihr gan­zer Name selbst in die­sem Wort ent­hal­ten sei. Wie­der lacht die jun­ge Frau, schließt kurz die Augen, erzählt, dass ihr Bru­der, ein Gynä­ko­lo­ge, aus den Diens­ten eines Kran­ken­hau­ses ent­las­sen wur­de, weil man ihn nicht als das behan­deln woll­te, was er zu sein wünsch­te. Mein Bru­der, wis­sen Sie, möch­te ein König sein. Nun ist er arbeits­los und König. Er ist natür­lich schwarz wie ich, genau­so schwarz, und schwarz steht den Köni­gen nur in Afri­ka. Sie macht eine kur­ze Pau­se, reibt sich die Augen. Wir sind jetzt allein auf die­ser Welt, sagt Tigri, alles ging sehr schnell. Im ver­gan­ge­nen Jahr sei ihr Vater gestor­ben in Eri­trea, ein glück­li­cher Mensch, ein Bus­fah­rer, ein sehr stol­zer Herr. Im Okto­ber des­sel­ben Jah­res sei schließ­lich die Mut­ter mit dem Flug­zeug via Rom nach Frank­furt gekom­men. Sie habe, ohne das zu wis­sen, einen Tumor im Kopf mit­ge­bracht, im Febru­ar war sie dann umge­fal­len und tot im März. Tigri lehnt ihren Kopf an die Wand des Zuges, schaut aus dem Fens­ter. Ein hei­ßer, schwü­ler Mor­gen. Ob sie den Film anse­hen dür­fe, will sie wissen.
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menkem

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nord­pol : 4.56 — Flug­ha­fen. Frü­her Mor­gen. Regen. Das Licht ver­spä­tet sich, Flug­zeu­ge, die wei­te Stre­cken gegen die Nacht geflo­gen sind, rei­hen sich, eine Ket­te zit­tern­der Lich­ter, hin­ter­ein­an­der bis zum Hori­zont. Neben mir auf einer Bank, den Blick auf die Lan­de­bahn gerich­tet, sitzt ein alter Mann. Er heißt Men­kem. Men­kem lebt seit vie­len Jah­ren in Deutsch­land, ein afri­ka­ni­scher Mann, der Ita­lie­nisch flie­ßend spricht, Trig­r­in­ja und auch Deutsch, eine Spra­che, die ihm nicht so leicht von den Lip­pen gehen will, wes­we­gen er sehr lang­sam, Wort für Wort, for­mu­liert. Wir war­ten auf einen wei­ßen Vogel, einen Air­bus 380, Lini­en­flug LH 401 New York JFK – Frank­furt am Main, um 5 Uhr 15 soll das Flug­zeug ein­tref­fen. Da noch Zeit ist, fra­ge ich, ob sich Men­kems Fami­lie in Sicher­heit befin­den wür­de oder ob sie viel­leicht von Hun­ger bedroht sei in die­sen Wochen. — Lan­ge andau­ern­des Schwei­gen. — Dann ant­wor­tet mir der alte Mann. Er sagt: Afri­ka ist groß, sehr, sehr groß. Wir essen in Eri­trea nicht vom Boden, wir sit­zen immer auf einem Stein oder auf einem Stück Holz, wenn wir eines fin­den, oder wir haben ein Tuch, auf das wir uns set­zen kön­nen. Wir sind ein­fa­che Mahl­zei­ten gewöhnt, wir essen nicht kom­pli­zier­te Din­ge wie die Men­schen in Äthio­pi­en, sofern sie nicht in Armut leben. Aber wir essen nie­mals vom Boden. Unse­re Spei­sen sind scharf gewürzt. Oft haben wir sehr wenig. Immer müs­sen wir uns beei­len, essen, und dann sofort wei­ter. Der alte Mann macht eine schnel­le Bewe­gung mit sei­ner Hand, als woll­te er etwas von sich wer­fen. — stop



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