Aus der Wörtersammlung: is

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die sonne ist rund

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india : 5.08 — Wie in schwie­ri­ger Zeit im Schlaf die Welt nach und nach neu geord­net wird, kein Stein bleibt auf dem ande­ren. Jeder begin­nen­de Tag, ein Tag vor unbe­kann­ter Land­schaft. Jede erleb­te Geschich­te erzählt sich, als wäre sie nie gesche­hen. Die Son­ne ist rund.

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eisenbahn

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nord­pol : 15.02 — Als ich ges­tern Nach­mit­tag mit einer Such­ma­schi­ne in Sam­mel­ord­nern des Jah­res 2003 nach Notiz­tex­ten forsch­te, die ich in den Tagen des Irak­krie­ges notiert haben könn­te, ent­deck­te ich eine Pas­sa­ge, die von einem Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzählt. Ich konn­te das Loch damals von mei­ner Posi­ti­on aus als Beob­ach­ter auf dem Sofa vor dem Fern­seh­bild­schirm gut erken­nen. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te, die­ses Loch nun plötz­lich zu betrach­ten, obwohl ich vie­le Jah­re die Ver­let­zung des Tep­pichs, eine Schar­te von der Brei­te einer Hand, nicht wahr­ge­nom­men hat­te. Ich glau­be, ich hat­te die Geschich­te, die davon erzählt, wie das Loch in den Tep­pich gekom­men war, ganz ein­fach ver­ges­sen. Aber dann war sie plötz­lich gegen­wär­tig, weil ein ame­ri­ka­ni­scher Pan­zer wäh­rend einer Live­auf­nah­me in Bag­dad ein Hotel beschos­sen hat­te, in dem sich Jour­na­lis­ten befan­den. Die Gra­na­te des Pan­zers traf einen Bal­kon und auf die­sem Bal­kon einen Kame­ra­mann, des­sen Kör­per, der noch hef­tig blu­te­te, mit dem Auf­zug ins Foy­er gefah­ren wur­de. Eine Stim­me auf dem Bild­schirm kom­men­tier­te das Gesche­hen mit dem Satz, der Jour­na­list habe sich im fal­schen Moment am fal­schen Ort befun­den. Und da war nun jene Geschich­te von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de wie­der in mein Bewusst­sein zurück­ge­kehrt, die Geschich­te, die vom Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzähl­te. Ich saß auf dem Sofa und notier­te, dass ich mich wun­de­re, und ich betrach­te­te den Tep­pich und das Loch, das von dem Split­ter einer bri­ti­schen Gra­na­te im Jahr 1942 in das Gewe­be geris­sen wor­den war, und für einen Augen­blick sah ich mei­nen Vater, ein Kind, wie er auf die­sem Tep­pich, der sein Tep­pich gewe­sen war, spiel­te, viel­leicht mit einer Eisen­bahn aus Bunt­me­tall, die er gera­de noch recht­zei­tig auf­ge­ho­ben haben könn­te und mit­ge­nom­men in den Luftschutzkeller.

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george w. bush

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tan­go : 14.12 — Mr. Bush mit Gat­tin auf Bild­schirm. Wie­der die Wahr­neh­mung, dass nicht der Prä­si­dent, son­dern Mrs. Lau­ra Bush mir äußerst unheim­lich ist. – Lasst uns nicht trau­ern um die Gefal­le­nen, son­dern froh sein, dass die­se Men­schen gelebt haben. – Mr. Allis­ter [ Mili­tär­pfar­rer ] am 8. Tag der Boden­of­fen­si­ve kurz vor Bagdad. 

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taucher

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hima­la­ya : 0.12 — Men­schen, die tele­fo­nie­rend in U‑Bahnen sit­zen, machen Geräu­sche, als funk­ten sie aus einer ande­ren Zeit her­über, als wären sie Kon­ser­ve, als wür­de eine uralte Schall­plat­te abge­spielt, als wür­den sie in einem U‑Boot lang­sam sin­ken, krei­schen­de, knis­tern­de, kra­chen­de Töne aus ton­nen­schwe­rer Tie­fe, aus dem Infer­no spie­len­der Kra­ken Stim­men, die Frag­men­te flüs­tern, so dass man nur noch ver­damm­te letz­te Din­ge ant­wor­ten kann. Dann aber Stil­le. Ein wei­te­res Ende. Man steht her­um, man weiß nichts zu tun, man öff­net die Tür, Salz stürzt die Trep­pe her­auf, und Luft, eine Wel­le feuch­ter Luft, vom Was­ser gehetzt, das bereits um die Ecke don­nert. Kaum hat man einen Gedan­ken gefasst, ist alles geflu­tet, der Flur, das Bad, die Lun­ge. Jetzt trei­ben sie her­ein, schwe­ben in der Küche her­um, machen Zei­chen und Sät­ze, berich­ten von klei­nen Schreib­tisch­krie­gen, Kom­man­dan­ten der Tage.

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hieroglyphe

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tan­go : 0.05 — Eine Schreib­ma­schi­ne, die jedes Zei­chen, das ich notie­re, im Moment der Spei­che­rung in eine Hie­ro­gly­phe ver­wan­delt, so dass ich schrei­be einer­seits, also einen Text spei­che­re, ander­seits nicht sofort wie­der­ho­lend lesen kann, was ich für mich oder ande­re auf­ge­ho­ben habe. Schrei­ben. Den­ken. Auf dem Was­ser lau­fen. — Eine ver­nünf­ti­ge, das heißt, eine gute Schreib­ma­schi­ne, ist mit dem Inter­net nie­mals verbunden.

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yanuk : lichtmaschine

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india

~ : yanuk le
to : louis
sub­ject : FROGS
date : june 1 08 8.15 p.m.

Lie­ber Mr. Lou­is, seit acht Tagen Regen. Ver­brach­te zuletzt sechs Stun­den an den Stamm mei­nes Bau­mes gefes­selt, um nicht vom Sturm in die Tie­fe geris­sen zu wer­den. Ges­tern, sehr früh in der Mor­gen­däm­me­rung, dann auf Höhe 152 zurück­ge­kehrt. Das Lager, ram­po­niert. Ein paar Affen, Tama­ri­ne, haben sich breit gemacht, muss­te kämp­fen, ehe sie die Platt­form räum­ten. Habe mei­ne Vor­rä­te zum Trock­nen aus­ge­brei­tet, Nüs­se, vor allem Nüs­se, und ein paar Fleisch­kon­ser­ven sind da noch und etwas Brot, das hof­fent­lich nicht schim­meln wird. Bin jetzt ohne Licht­ma­schi­ne, der Sturm hat sie mit sich fort­ge­ris­sen. Aber die Amei­sen sind zurück, du erin­nerst Dich, trä­ge Amei­sen­tie­re, die nach Lan­gus­ten schme­cken. Des­halb ohne Furcht, habe Trink­was­ser im Über­fluss. Wer­de mor­gen wei­ter zu den Frö­schen spre­chen. Wie selt­sam, mei­ne Stim­me aus ihren Schall­beu­teln zu ver­neh­men. So deut­lich flüs­tern sie mir nach, als ob kei­ne ande­re, als die mensch­li­che Spra­che, ihnen je zu Ohren gekom­men wäre. Erstaun­li­che Ent­de­ckung. Wel­chen Namen, fra­ge ich Dich, soll ich ihrer Gat­tung geben? — Yanuk

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20.57 UTC
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yanuk to louis »

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wasseruhr

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marim­ba : 0.01 — Träum­te, mit einem Stück Holz unter Kraft­an­wen­dung einen Käfer getö­tet zu haben, der ein Schne­cken­haus auf dem Rücken trug, das der Käfer bewohn­te, wie Ein­sied­ler­kreb­se Muschel­häu­ser bewoh­nen. Ein Beses­se­ner durch und durch, schlug ich auf den gepan­zer­ten Rücken des klei­nen Tie­res ein, dann sit­ze ich vor dem Schreib­tisch mit den Werk­zeu­gen der Uhr­ma­cher und ver­su­che das Tier zu repa­rie­ren, wäh­rend das Was­ser in mei­nem Zim­mer steigt. – Acht Uhr zwölf in Ran­gun, Bur­ma. — stop

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blutgefäss

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romeo : 0.05 — Ein­mal, an einem hei­ßen Som­mer­abend, durch­wan­der­te ich eine Stadt. Sie lag bereits unterm Nacht­zep­pe­lin, wes­halb ich nicht sofort bemerk­te, dass an der Innen­sei­te mei­nes lin­ken Ober­schen­kels ein volu­mi­nö­ses Blut­ge­fäss aus der Fas­sung gesprun­gen war. Der selt­sa­me Ein­druck, wäh­rend ich spa­zier­te, ein klei­nes Tier wür­de mich kosend berüh­ren. Kurz dar­auf notier­ten Fahr­gäs­te eines U‑Bahnwagons, ich wür­de, der­art weit geöff­net, viel­leicht bald ernst­haf­ten Scha­den erlei­den. Und tat­säch­lich, da war ein Schlauch von dun­kel­blau­em Gum­mi, der nahe mei­ner Leis­ten­ge­gend unru­hig durch die Luft zap­pel­te. Ich konn­te sei­ne Bewe­gung sehr gut erken­nen, weil ich, weiß der Him­mel war­um, ins­ge­samt nicht beklei­det gewe­sen war. Eine älte­re Dame, eine Ärz­tin, nahm dann Platz in mei­ner Nähe. Mit blo­ßen Hän­den erwei­ter­te sie mei­nen Schen­kel bis hin zum Knie, so dass wei­te­re Schläu­che aus dem Ober­schen­kel fie­len, die sie sor­tier­te, wäh­rend sie gelas­sen eine Melo­die vor sich hin summ­te. Da waren Struk­tu­ren, kein Blut, in gel­ber, in roter, in grü­ner, in blau­er Far­be. Indem sie an einem der geschmei­di­gen Röhr­chen zog, an einem fili­gra­nen Gefäß, nein, an einem hauch­dün­nen Seil­zug, sand­far­ben, schloss sich das lin­ke mei­ner Augen gegen mei­nen Wil­len, und die Ärz­tin lach­te und sag­te, schau her, wie schön bunt Du doch bist. Wenn ich hier ein wenig zie­hen wer­de, machst Du auch noch das rech­te Auge zu. Dann wach. — Heu­te ist Sonn­tag, bald wie­der Nacht. Geträumt habe ich bereits am Samstag.

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zebraspringspinne

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echo : 0.50 — Kurz nach Mit­ter­nacht. Gera­de eben entert mei­ne Zebra­spring­spin­ne den Tisch. Eigent­lich woll­te ich rasch eine klei­ne Geschich­te erzäh­len, von einem afri­ka­ni­schen Mann, dem ich sehr häu­fig begeg­ne mor­gens vor der Zen­tral­sta­ti­on, einem Mann, der immer wie­der betrun­ken ist und immer wie­der nur einen Schuh trägt und eine selt­sa­me Spra­che spricht, eine Mix­tur aus fran­zö­si­schen, eng­li­schen, deut­schen und afri­ka­ni­schen Wör­tern. Aber jetzt sitzt die Spin­ne auf dem Tisch und der afri­ka­ni­sche Mann muss war­ten. Ich ahne bereits wo mei­ne Spin­ne wohnt. Wie­der die Fra­ge, ob die­se Spin­ne, die­sel­be Spin­ne ist, mit der ich den ver­gan­ge­nen Som­mer ver­brach­te? Wie groß wird die Spin­ne auf mei­nem Schreib­tisch ein­mal wer­den, wie lan­ge kann ich mit ihr noch befreun­det sein? Ob sie sich der Gefahr bewusst ist, in der sie sich befin­det? Was eigent­lich frisst die­se Spin­ne, die mei­ne Spin­ne ist, solan­ge sie nicht flieht? — Neun Uhr zwölf in Ran­gen, Bur­ma. — stop
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