MELDUNG. Junge Engel, Schule zu St. Nazaire, sind heute Abend ab Dämmerung bei leichter Nachtfliegerei über dem Nanga Parbat anzutreffen. — stop
Aus der Wörtersammlung: jung
brighton beach ave
~ : louis
to : mrs. valentina zeiler
brooklyn translation services
23 brighton beach ave,
Brooklyn
subject : BRYANT PARK
Sehr geehrte Frau Zeiler, ich danke Ihnen herzlich für Ihre rasche Antwort. Ich will nun abschließend den Auftrag erteilen, mein unten folgendes Schreiben in die englische Sprache zu übersetzen. Ich bitte um sorgfältigste Arbeit, Sie werden erkennen, in diesem Text ist von einem Reisetunnel nach Amerika die Rede, der in meiner Vorstellung von äußerster Bedeutung ist, ein poetischer Entwurf, jedes Wort scheint mir für seine Verwirklichung von hoher Bedeutung zu sein. Mit vereinbarter Vergütung bin ich einverstanden, der Betrag von 82 Dollar wurde bereits angewiesen. Weitere Aufträge werde ich mit Ihnen in Kürze bei einem Besuch in ihrem Büro persönlich besprechen. Darf ich an dieser Stelle meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, dass die Übersetzung desselben Textes in die chinesische Sprache 122 Dollar kosten würde? Ich frage mich, worin die erhebliche Differenz von 40 Dollar begründet sein könnte. Mit allerbesten Grüßen – Ihr Louis
BRYANT PARK — 570 WÖRTER > GO /// Es hatte Stunden lang geregnet, jetzt dampfte der Boden im südwärts vorrückenden Nordlicht, und das Laub, das alles bedeckte, die steinernen Bänke, Brunnen und Skulpturen, die Büsche und Sommerstühle der Cafés, bewegte sich trocknend wie eine abgeworfene Haut, die nicht zur Ruhe kommen konnte. Boulespieler waren vom Himmel gefallen, fegten ihr Spielfeld, schon war das Klicken der Kugeln zu hören, Schritte, Rufe. Wie ich so zu den Spielern schlenderte, kreuzte eine junge Frau meinen Weg. Sie tastete sich langsam vorwärts an einem weißen, sehr langen Stock, den ich eingehend beobachtete, rasche, den Boden abklopfende Bewegungen. Als sie in meine Nähe gekommen war, vielleicht hatte sie das Geräusch meiner Schritte gehört, sprach sie mich an, fragte, ob es bald wieder regnen würde. Ich erinnere mich noch gut, zunächst sehr unsicher gewesen zu sein, aber dann ging ich ein Stück an ihrer Seite und berichtete vom Oktoberlicht, das ich so liebte, von den Farben der Blätter, die unter unseren Füßen raschelten. Bald saßen wir auf einer nassen Bank, und die junge Frau erzählte, dass sie ein kleines Problem haben würde, dass sie einen Brief erhalten habe, einen lang erwarteten, einen ersehnten Brief, und dass sie diesen Brief nicht lesen könne, ein Mann mit Augenlicht hätte ihn geschrieben, ob ich ihr den Brief bitte vorlesen würde, sie sei so sehr glücklich, diesen Brief endlich in Händen zu halten. Ich öffnete also den Brief, einen Luftpostbrief, aber da standen nur wenige, sehr harte Worte, ein Ende in sechs Zeilen, Druckbuchstaben, eine schlampige Arbeit, rasch hingeworfen, und obwohl ich wusste, dass ich etwas tat, das ich nicht tun durfte, erzählte meine Stimme, die vorgab zu lesen, eine ganz andere Geschichte. Liebste Marlen, hörte ich mich sagen, liebste Marlen, wie sehr ich Dich doch vermisse. Konnte so lange Zeit nicht schreiben, weil ich Deine Adresse verloren hatte, aber nun schreibe ich Dir, schreibe Dir aus unserem Café am Bryant Park. Es ist gerade Abend geworden in New York und sicher wirst Du schon schlafen. Erinnerst Du Dich an die Nacht, als wir hier in unserem Café Deinen Geburtstag feierten? Ich erzählte Dir von einer kleinen, dunklen Stelle hinter der Tapete, die so rot ist, dass ich Dir nicht erklären konnte, was das bedeutet, dieses Rot für sehende Menschen? Erinnerst Du Dich, wie Du mit Deinen Händen nach jener Stelle suchtest, wie ich Deine Finger führte, wie ich Dir erzählte, dass dort hinter der Tapete, ein Tunnel endet, der Europa mit Amerika verbindet? Und wie Du ein Ohr an die Wand legtest, wie Du lauschtest, erinnerst Du Dich? Lange Zeit hast Du gelauscht. Ich höre etwas, sagtest Du, und wolltest wissen, wie lange Zeit die Stimmen wohl unter dem atlantischen Boden reisten, bis sie Dich erreichen konnten. – An dieser Stelle meiner kleinen Erzählung unterbrach mich die junge Frau. Sie hatte ihren Kopf zur Seite geneigt, lächelte mich an und flüsterte, dass das eine schöne Geschichte gewesen sei, eine tröstliche Geschichte, ich sollte den Brief ruhig behalten und mit ihm machen, was immer ich wollte. Und da war nun das aus dem Boden kommende Nordlicht, das Knistern der Blätter, die Stimmen der spielenden Menschen. Wir gingen noch eine kleine Strecke nebeneinander her, ohne zu sprechen. Ich sehe gerade ihren über das Laub tastenden Stock und ein Eichhörnchen mit einer Nuss im Maul, das an einem Baumstamm kauerte. Beinahe kommt es mir in dieser Sekunde so vor, als hätte ich dieses Eichhörnchen und seine Nuss nur erfunden. /// END
lukas
alpha : 0.18 — Für seinen Sohn, der gerade fünf Jahre alt geworden ist, hat sich Gustav L. etwas Besonderes ausgedacht. Er ist in den Keller gestiegen, um dem kleinen Lukas einen Drachen zu bauen, ein Geschenk von eigener Hand. Im Keller lagerten Holz und Seidenpapiere in Rot und Blau, und Schnüre, davon feine Sorten und etwas kräftigere Gewinde. Im Keller waren außerdem Werkzeuge zu finden, Sägen, Feilen, Hämmer, Cognac, alles das, was man so braucht, einen wunderbaren Flugdrachen zu bauen. Es ist ein schöner Oktobertag. Man zieht kurz nach Vollendung des Kellerwerkes los auf die nächste Wiese, die schön blüht, Margeriten vor allem. Lukas ist stolz auf den Drachen und der Vater ist es auch. Aus dem Drachen einer reinen Vorstellung ist ein wirklicher Drachen geworden, den man berühren kann, ein dreistöckiger Kastendrachen, der knistert. Gustav fühlt sich wohl, es ist ihm so richtig warm geworden, er hat sich gut eingepegelt. Einige Bienen fliegen zickzack herum. Ein starker Wind geht, der Drachen fliegt hoch hinauf. Der Sohn und der Vater halten ihn gemeinsam an der Schnur. Sie rennen über die Wiese. Einmal hebt der kleine Junge ab, der Vater erwischt ihn gerade noch am Fuß. Dann fällt der Vater um. – stop
ein junge und seine lehrerin
sierra : 5.14 — In dem Dokumentarfilm Selbstporträt Syrien von Ossama Mohammed und Wiam Simav Bedirxan spaziert die kurdische Künstlerin Wiam Simav Bedirxan mit einem Jungen, den sie filmt, durch die belagerte Stadt Homs. Der Junge hüpft herum, wie es Kinder tun, entdeckt Blätter, die seine Mutter vielleicht kochen könnte, und vor einer Häuserwand eine rote Blume, die der Junge pflückt. Im Hintergrund sind Detonationen zu hören, auch Vogelstimmen. Als der Junge einen Platz erreicht, an welchen sich eine breitere Straße anschließt, fragt er die Lehrerin, wie sie weitergehen werden. Die Lehrerin sagt: Wie Du willst. Und der Junge hüpft voran, er nimmt eine Treppe, er sagt: Da vorn ist ein Heckenschütze. Also will er dort nicht gehen, weil er weiß, was ein Heckenschütze ist. Wenige Minuten später erreichen die Lehrerin und der Junge eine weitere Straße, die sie überqueren wollen. Es ist vielleicht ein Ort, an dem schon viele Menschen zuvor erschossen wurden. Die Lehrerin ruft: Lauf! Ich sehe, wie der Junge schnell über die Straße springt, bis er den Schutz eines gegenüberliegenden Hauses erreicht, kurz darauf beschleunigt auch die Lehrerin ihre Schritte, das Bild hüpft auf und ab. Ich schloss in diesem Moment die Augen, als ich sie wieder öffnete, war eine Fotografie zweier Mädchen zu sehen, die in einen Fotoapparat lachten, auf einer weiteren Fotografie, die wenige Tage später aufgenommen wurde, liegen sie in smaragdgrünen Kleidchen nebeneinander auf dem Boden und sind tot. Ich bin müde, ich muss bald prüfen, ob ich erinnert habe, wie es war. — stop
sprengung — dendrobates auratus
MELDUNG. Zu Lissabon, im Teatro Nacional de São Carlos, werden am kommenden Sonntagabend, 13. März 2016, zwei seltene, junge Goldbaumsteigerfrösche der Gattung dendrobates auratus öffentlich zur Sprengung gebracht. Zündung des männlichen Tieres um 20 Uhr, Zündung des weiblichen Tieres um 20:30 Uhr. Die Vorstellung ist ausverkauft. — stop
morgenzeitung
himalaya : 0.36 — Meine Mutter überlegte vor einigen Tagen, ob sie ihre geliebte Zeitung, die sie ein halbes Leben lang jeden Morgen in aller Frühe studierte, nicht vielleicht abbestellen sollte, weil sie nicht mehr so schnell lesen würde wie früher noch, also weniger Zeitung wahrnehmen könne in derselben Zeit. Sie rief bei der Zeitung an. Ein junger Mann, der die Gefahr erkannte, eine treue Leserin zu verlieren, machte ihr unverzüglich ein großzügiges Angebot. Er sagte, wenn sie die Zeitung weitere 2 Jahre abonnieren würde, müsste sie ein halbes Jahr lang für ihre Zeitung nichts bezahlen, weswegen meine Mutter sofort von ihrem Wunsch, sich um ihr Lesevergnügen zu bringen, Abstand nahm. Sie abonnierte also die Zeitung für weitere 2 Jahre, obwohl sie doch möglicherweise langsamer und noch langsamer lesen wird, also jener Teil der Zeitung, der ungelesen, größer werden wird. Der junge Mann am Telefon hatte im übrigen auch für dieses Problem ungelesener Zeitungsabteile eine beruhigende Mitteilung zu machen. Er sagte, die Zeitung würde auch dann gedruckt, wenn Mutter sie abbestellen würde, was vermutlich der Fall ist, ein Argument, das wirkte. Als ich Mutters Geschichte hörte, dachte ich, man müsste einmal elektrische Papiere erfinden, hauchdünne Computerbildschirme, die zu einem Gefäß versammelt sind, das sich anfühlt wie eine Zeitung. Über Funk würden Zeichen gesendet werden, gerade so viele Zeichen wie üblicherweise gelesen werden von dem Besitzer des Zeitungsgefäßes, Zeichen über Literatur und Lokales und über die Politik der großen, weiten Welt. Eine Zeitung mit Augen, eine Zeitung, die vermerkt, wie viele ihrer Zeichen präzise gelesen werden, eine Zeitung beinahe wie ein Computer, oder, genauer gesagt, ein Computer, der sich wie eine Zeitung anfühlen würde, in dem man blättern könnte, ein Computer der raschelt, oder eben eine Zeitung, die man ausschalten kann. — stop
nahe montauk
charlie : 3.28 — Z. erzählte vor wenigen Tagen, sie habe einen Freund besucht, der in einem Strandhaus nahe Montauk auf Long Island lebe. Er habe ihr im wortwörtlichen Sinne sein Herz geschenkt. Dieses geschenkte Herz soll sich seit zwei Jahren freischwebend in Konservierungsflüssigkeit befinden, indessen das neue Herz ihres Freundes, ein tatsächlich sehr junges Herz, sich inzwischen mit einem sehr viel älteren Körper gut angefreundet habe. Z. sagte, sie habe das Herz, welches von Glas ummantelt sei, sorgfältig in ihrem Rucksack verstaut und sei damit in den Zug gestiegen. Im Zug habe sie das Herz hervorgeholt und vor sich auf den Tisch des Abteils gestellt. Sie habe während der langen Fahrt nach New York zurück das alte Herz ihres Freundes eingehend studiert, vor allem wie sich im Meereslicht, das durch das Zugfenster einströmte, die Konturen des Herzens und seine Farben lebhaft veränderten. — stop
piccadilly circus
2 minuten
alpha : 5.25 – Eine Freundin, B., erzählte, sie sei kürzlich in einer Straßenbahn gefahren, da habe ein Mann in ihrer Nähe Platz genommen. Sie habe gerade gelesen, als sich der Mann fast lautlos setzte, sie habe kurz ein wenig den Blick gehoben und auf dem Unterarm des Mannes die Zeichen ISLAM entdeckt, diese Zeichen seien dort eintätowiert gewesen, eine Hautbeschriftung wie für die Ewigkeit eines ganzen Lebens. Sie habe dann erst einmal ihre Lektüre fortgesetzt, aber sie habe sich nicht länger auf ihr Buch konzentrieren können, darum habe sie den Blick gehoben. Ihr Blick sei über die Inschrift ISLAM, sie war tatsächlich noch immer dort gewesen, hinweggehuscht zum Gesicht des Mannes hin, das ein junges Gesicht gewesen sei. Der Mann habe sie äußerst bedrohlich, also aggressiv oder so ähnlich, betrachtet, ein Blick unentwegt, ein Blick ohne einen Lidschlag, da habe sie sich gefürchtet, habe ihren eigenen Blick wieder gesenkt und das Buch angesehen, aber natürlich nicht gelesen, sondern nachgedacht. Ja, was sie gedacht habe, sei nicht gerade angenehm gewesen, sie habe sich überlegt, ob der Mann, der ihr gegenübersaß, vielleicht eine Waffe, gar einen Sprengstoffgürtel tragen könnte. Ihr sei auch in den Sinn gekommen, dass sehr viele Menschen in der Straßenbahn gefahren seien, was eigentlich ein gutes Zeichen gewesen sei, weil man ihr hätte helfen können, einer gegen viele, aber dann habe sie daran gedacht, dass gerade dort, wo viele Menschen sich befinden, Bomben explodieren, weil man in dieser Weise viele Menschen auf einmal umbringen könne, und sie habe den Eindruck gehabt, dass sie sofort aufstehen und aussteigen sollte. Aber dann habe sie sich gesagt, dass sie das jetzt aushalten müsse, und deshalb sei sie sitzen geblieben, und das alles in ein oder zwei Minuten. — stop
nahe central park
alpha : 6.55 – Früher Abend, Sommer. Ein Reporter befragt ein Mädchen nahe Central Park. Das Mädchen, 8 Jahre alt, trägt ein rotes Kleid. Was willst Du einmal werden, will der Reporter wissen. Das Mädchen schaut sich kurz um. Es scheint seine Antwort bereits zu kennen, aber vielleicht ist seine Antwort ein Geheimnis, von dem nicht jeder Kenntnis haben darf. Das Mädchen sagt: Ich will Meerjungfrau werden, und verdreht die Augen. Das ist aber eine schöne Idee, antwortet der Reporter. Das Mädchen überlegt für einen Moment. Nein, sagt es dann, das ist keine Idee, sondern Bestimmung. Freust Du Dich, Meerjungfrau zu werden, fragt der Reporter. Aber natürlich, sagt das Mädchen. Seit wann weißt Du denn, dass Du Meerjungfrau werden wirst? Ach, schon immer, antwortet das Mädchen, und verdreht wieder die Augen. Für einen Augenblick schweigt der Reporter, um dann fortzusetzen: Was ist die größte Herausforderung für Dich auf dem Weg, eine Meerjungfrau zu werden. Oh, sagt das Mädchen, die Luft anzuhalten. Jetzt hüpft es davon. — stop