romeo : 6.08 UTC — Wenn ich schlafe, wache ich immer wieder einmal auf, während meine Hände weiterschlafen. Das ist seltsam, meine Hände wachen zurzeit ein wenig später auf als ich selbst. Ich trete ans Fenster. Manchmal ist früher Morgen. Es ist noch dunkel. Straßenbahnen queren den Platz weit da unten. In ihrem Kabinenlicht sitzen Menschen mit Masken vor Mund und Nase. Es sind dieselben Personen, wie mir scheint, die ich gestern am Abend bereits durch mein Opernglas beobachtet habe. Sie werden vermutlich für das Umherfahren bezahlt. Zwei Tauben sitzen tief unter mir auf einer Straßenlaterne, sie schlafen wie meine Hände, die nun langsam wach werden, weil ich mit ihnen schreibe. Guten Morgen! — stop
Aus der Wörtersammlung: nase
schwarmerzählung
nordpol : 15.08 UTC — In den Monaten Dezember und Januar lernte meine Schreibmaschine folgende Wörter, die in ihren Prüfverzeichnissen bislang nicht zu finden gewesen waren: Akutagawa . Ammerseestraße . Aquarianergeschichte . Birders . Blütenbestäuber . Drohnenleuchten . Drohnenwabe . Erzählräume . Favicon.ico . Heron . Karpenzungenpastete . Holzstegfeder . Kolonialwarenladen . Lichtenbergfalter . Lichtfangmaschine . Lochplattenspieldose . Makitage . Mundnasemaske. Mundschutzalgorithmus . Nashornkäfer . Pistazienhühnchen . Rückenpropellerdrohne . Pigafetta . Propellerkäfer . Perlschiff . Picon . Schneekugelgestalten . somnolent . Schwarmerzählung. — stop
maskentier No 1
tango : 0.06 UTC — In einer gezeichneten Vorstellung der Maskentiere sind Augen zu bemerken. Das ist sehr seltsam, weil Augen nicht eigentlich sinnvoll oder unverzichtbar sind für den Zweck, dem Maskentiere bald einmal dienen werden. Es ist nämlich so, dass Maskentiere in der Lage sein sollten, sich auf menschliche Münder und Nasen niederzulegen, um dieselben zu beatmen, demzufolge Luft aus der Atmosphäre zu entnehmen, um diese eventuell kontaminierte Luft für Menschen oder andere Tiere sorgfältigst zu filtern, indem sie in Stunden, da sie ihrer Bestimmung folgen, auf vielfältig gestalteten Wangen, Nasenrücken, Halspartien so dicht zu liegen kommen, dass kein Gramm einer Virenlast je an ihren Rändern oder Enden entweichen könnte. Es ist stattdessen ganz wunderbar saubere Luft, die sie spenden, und es ist ganz wunderbar saubere Luft, die sie im Gegenzug wieder an die Welt zurückgeben werden. Natürlich ist denkbar, dass kein Wort, kein Schrei durch ihre Lederhaut hindurch nach draußen dringen wird, es wird also stiller unter den Menschen, die schweigen und sich sicher fühlen, sobald sie mit ihren wärmenden Masken über Straßen und durch Warenhäuser spazieren. Dann ist Abend geworden, und man legt das getragene Tier zurück in einen Behälter, der mit Wasser gefüllt ist. Dort schwimmen sie dann aufgeregt unter weiteren Maskentieren herum und erzählen sich Geschichten, was sie hörten und was sie gesehen haben während des Tages, indessen sie sich säubern und paaren, um weitere Maskentiere zu erzeugen. — Auch Ohren, jawohl! — stop
von telefonen
romeo : 0.08 UTC – Das Telefonbuch meiner Großmutter wurde von meinem Bruder in einer Kommode entdeckt, die vielfach mit uns umgezogen war. Es ist ein dunkles Bändchen von Karton und Papier, das in den tiefen Schattenräumen der Truhe beinahe übersehen worden wäre. In Sütterlin wurden dort Namen verzeichnet, sowie Ziffern, die einmal vor langer Zeit Telefonen verbunden gewesen waren, welche sehr sicher nicht länger existieren. Bei genauer Betrachtung sind vielfach Namen ein und derselben Nummer verbunden gewesen, vermutlich, weil die Telefone zur Nummer in Fluren oder Treppenhäusern an den Wänden befestigt waren, nicht in Wohnungen selbst, oder Telefonen, die sich in benachbarten Wohnungen befanden. Man rief nun Frau Sindelfinger an, die über ein Telefon verfügte, die Frau Huber zu sich holte, die selbst über kein Telefon verfügte, aber Frau Sindelfinger gefragt hatte, ob sie die Nummer ihres Telefons bei Gelegenheit weiterreichen dürfe. Frau Liebermann aus dem 1. Stock habe ich noch persönlich gekannt, da war ich 50 cm hoch und trug sehr kleine Lederschuhe von blauer Farbe. Kurz war ich versucht, eine der Telefonnummern zu probieren, das war mir dann aber doch zu unheimlich gewesen an diesem nebligen Tag, da mir beim Spazieren zum ersten Mal leuchtende Mundnasenmasken begegneten. — stop
der achte tag
echo : 14.08 UTC — Einmal liege ich ganz still und ohne jede Bewegung auf dem Sofa. Ich stelle mir vor wie es wäre, wenn ich nun erkrankt sein würde, wenn das Fieber kommen würde, wenn die Glieder schmerzen, mein Atem eine Rassel, meine Nase ohne jeden Eindruck, weder Thymian, noch Zimt, noch Eukalyptus, ein Nichts. Ich war kurz in der Küche, eine Reise, um da und dort nach meiner Nase zu suchen. Jetzt liege ich wieder auf dem Sofa. Ich überlege, was zu tun ist. Es ist mitten in der Nacht gekommen, es war plötzlich da, und ich denke nach, wo ich es aufgenommen haben könnte. Und ich denke noch, es ist ein Warten jetzt, das auf mich wartet, eine Zeit, die meine Letzte sein könnte. Ein erster Tag, dieser Tag, der mich spüren lässt, dass es angekommen sein könnte, das es wächst. Der wievielte Tag ist dieser erste Tag? Ist dieser erste Tag hoffentlich schon der sechste, ich fühle mich gut für einen sechsten Tag. Wie würde ich mich fühlen, wenn es schlechter werden wird? Wie an einem achten Tag? Wann würde ich das Telefon bemühen? Wie fühlt sich das an, wenn ich das Telefon bemühen muss? — stop
oktoberklee
nordpol : 8.12 UTC — Vom Bildschirm aus spricht eine ältere Frau, erzählt von Kontaktverfolgung wie sie im Gesundheitsamt, das sie leitet, verwirklicht wird. Ruhige Sprache, klug, sie scheint widerstandsfähig zu sein, gesund, man möchte meinen sie sei vielleicht eine Almwirtin, die in großer Höhe bei Wind und Wetter arbeitet. Nur ihre Stirn, ihre Augen, ihr graues Haar sind zu sehen. Mund, Nase, Wangen liegen hinter einem Mundschutz verborgen. Den möchte ich gern entfernen, weil ich diese energisch und zugleich warm und freundlich sprechende Person, wahrnehmen möchte, als wäre nicht Pandemiezeit. Tatsächlich entdecke ich in der digitalen Sphäre bereits im ersten Versuch eine Fotografie, die sie zeigt, als sie noch ohne Maske arbeiten konnte. — Heute leichter Regen, die Straßen von Kastanien bedeckt, Eichhörnchen durchsuchen das Meer der Früchte nach genießbaren Nüssen, die sie nicht finden. Es wird einen warmen Winter geben. Unter den Bäumen blüht der Klee. — stop
von brillen
tango : 0.25 UTC — In einer agentenbasierten Simulation des Infektionsverlaufes einer Sars-Cov‑2 Pandemie scheint zwischen einem Agenten ohne und einem Agenten mit Brille, ein grundsätzlicher Unterschied zu bestehen. Brillen auf Nasen schützen Augen vor Händen, die infektiös sein können. Von nun an werde im Dschungel der Stadt eine Brille tragen. — stop
lumineszenz
nordpol : 20.55 UTC — Vor Jahren einmal habe ich an dieser Stelle bereits über Winterkäfer nachgedacht, es war wohl Winter gewesen. Seltsamerweise ist mir damals ein ganz anderer Käfer eingefallen, ein Wesen, für das ich noch immer keinen Namen gefunden habe. Dieser namenlose Käfer sollte ohne Ausnahme paarweise erscheinen, weich sein wie eine Schnecke und von der Körpertemperatur der Menschen und genauso groß, dass er sich in die Augenhöhle eines Schlafenden einzuschmiegen vermag. Dort wird der noch namenlose Käfer sich nicht allein als Nachtschirm begnügen, stattdessen wird er ein wenig fließen und in dieser Weise in Bewegung, sehr entspannende Polarlichtspiele von milder, beruhigender Lumineszenz erzeugen auf den Augenlidern der schlafenden Menschen. — Ich habe diese kleine Geschichte gerade eben noch einmal erzählt, weil ich heute während des Spazierens überlegte, ob es nicht vorteilhaft wäre, Käferwesen zu entwerfen, die sich in schützender Weise auf meinen Mund und meine Nase legen würden, mich wärmen und die Luft zugleich filtrieren hinein und auch hinaus. Am späteren Abend werde ich eine Zeichnung versuchen. Käfer dieser Art sollten vielfarbig gestaltet sein. Nichts weiter. — stop
agenten
echo : 22.07 UTC — Da und dort Augenmenschen hinter Segeltüchern, deren Gesicht insgesamt ich längst vergessen habe, ihre Nasen, ihr Kinn, ihren Mund, aber nicht ihre Namen, nicht ihre Stimmen, die etwas verwirbelt, wie heiser, in meinen Ohren erscheinen. — Samstag. Was noch zu tun ist: Nachdenken über Agenten, wie sie in Simulationen existieren, sterbende Agenten und welche die überleben, Agenten, die einsam sind und andere, die zweisam sind an Donnerstagen, und über junge Tänzerraver, die an Samstagen solange tanzen, bis ihre Großmütter und Großväter nahe Friedhöfe besuchen bis das Spiel von vorn beginnt. — stop
von den lungenbäumen
india : 0.22 UTC — Ein besonderer Baum, bald nach dem Winter, bald im Frühling, erste Knospen faszinierenden Gewebes. Sobald man sich anschleicht, wird man bemerken, nicht Blätter, nicht Blüten, aber Hände, eine Ahnung zunächst, dann deutlich zu erkennen, menschliche Hände im Alter von sechs oder sieben Wochen, wie sie wachsen, wie sie sich entfalten, wie sie mit erster Bewegung beginnen. Auf einem weiteren Baum sprießen Ohren und Nasen, dann wieder Hände, vielleicht deshalb, weil man gerade sehr viel Hände benötigt. Und Augenbäume, Herzbäume, Nierenbäume, selbst Mund‑ und Zungenbäume sind denkbar wie Lungenbäume, und weitere schrecklich schöne Kreaturen. — stop / koffertext