kilimandscharo : 22.58 UTC — Und wieder die Frage, wie ist das mit der Wirklichkeit oder der Wahrheit in meinem schreibenden Leben? Jahrelang wohnte eine Schnecke in meiner Wohnung, außerdem ein Lichtenbergfalter, Springspinnen, Libellen, ein Puma und Teefliegen, immer wieder Teefliegen. Ich habe sie mit eigenen Augen alle gesehen oder mit meinen erfindenden Augen, die in meinem Kopf verweilen. Ich könnte deshalb sagen, nicht jeder meiner Trompetenkäfer wäre vorzeigbar, aber doch vorstellbar. Einmal ich eine weitere deutliche Spur gelegt hin zur Arbeitsbeschreibung, Radar war zu lesen unter jedem meiner Particles — Texte, ein Hyperlink, der auf einen Text verwies, welcher meine Arbeit beschreibt. Dieser Text existiert seit 15 Jahren, ich hatte jene Textpassage, die Wirklichkeit und Erfindung bedeutet, zunächst unterstrichen, dann, wenige Minuten später in kursive Zeichen gesetzt. Das musste genügen, und genügt immer noch. — Das Radio erzählt von einem schwer erkrankten Kind, das in einem Keller der Stadt Mariupol nahe des Meeresboulevards, solange leise gesungen haben soll, bis seine Stimme für immer verstummte. — stop
Aus der Wörtersammlung: particles
radiotauben
sierra : 22.08 UTC — Einmal, am späten Abend, folgte ich einem Hyperlink, der von meiner Particlesmaschine automatisch erzeugt worden war nach Regeln, die ich nicht präzise beschreiben könnte. In dieser Weise arbeitend, begegnete ich einem Text, der von einem Radio erzählte. Es ist seltsam, ich konnte mich zunächst nicht erinnern, diesen Text selbst geschrieben zu haben. Ich las ihn und dachte: Diesen Text musst Du erfunden haben, rein erfundene Texte lassen sich nicht so leicht erinnern, wie Texte, die von einer erlebten Geschichte berichten. Nun also, in dem ich meinen Text, den ich im April des vergangenen Jahres notierte, lese, schreibe ich ihn zum zweiten Male, er wird mir vermutlich ein weiteres Jahr später, noch in Erinnerung sein, wie der Abend, an dem ich ihn wiederholte, also erlebte, weil ich ihn in mein Leben versetzte: Ich stellte mir vor, wie ich in der Küche vor einem Tisch sitze. Auf dem Tisch steht ein Radio. Das Radio ist 10 cm lang und ebenso breit und ebenso hoch, ein Würfel demzufolge. Der Würfel verfügt über zwei Knöpfe, die ich vertiefen einerseits und an welchen ich drehen kann andererseits. Dort, wo ich Schrauben erkenne, die in das hölzerne Gehäuse eingelassen sind, scheint sich die hintere Seite des kleinen Radios zu befinden. Ich kann das Radio öffnen. Als ich es öffne, entdecke ich weitere winzige Schrauben, eine Platine, Dioden, Widerstände, Beschriftungen in einer Sprache, die ich nicht zu lesen vermag, außerdem einen Zylinder. Ich entdecke also viele Dinge, aber nichts, was mir behilflich sein konnte, das Radio zum Schweigen zu bringen, das Radio spielt nämlich in einem Abstand von einer Stunde eine Passage aus der 2. Symphonie Rachmaninows, die weder leiser noch lauter einzustellen ist, sie ist eben, wie sie ist, laut genug, um das Radio vor das Fenster stellen zu müssen. Einmal sitzen zwei Tauben links und rechts des Radios. Als das Radio seine Musik spielt, erschrecken sie und fliegen davon. Ein anderes Mal kommen sie wieder und bauen auf dem Radio ein Nest. — Heute Abend erzählt das Radio, ukrainische Kinder seien von russischen Behörden aus der Stadt Mariupol entführt worden. Man, ich meine, eine Sprecherin der russischen Behörde, sagte im Radio, die Kinder, die freiwillig in Busse eingestiegen seien, sollten sich nur erholen. Die junge Frau sagte weiterhin, die Kinder würden sehr schreckliche Dinge erlebt haben, weil ukrainische Truppen ihre Heimatstadt verwüstet haben sollen. Das sagte die Frau. — stop
zeitoun
whiskey : 9.35 UTC — In den letzten 10 Tagen des Oktobermonats lernte meine Schreibmaschine folgende Wörter, die in ihren Prüfverzeichnissen vordem nicht zu finden gewesen waren: Abstandsignale . Aquarelia . Bangsein . Birdy . Brieftaubenwörter . Camar . Carecon . Clustersuche . Contagion . Coronasimulation . Drohnenauge . Drohnensichtung . Drohnenvogel . Drollbirne . Ebolavirus . Eichhörnchenschatten . Fingercurser . Inari. Inzidenz. Jennifer.five . Kolibriwesen . Krokodilmodell . Kürbissuppe . Libellenlarven . Looters . luren . Meeresgewächse . Meereswesen . Monroe . Mundschutzalgorithmus . Nachtschifftag . neuronal . Palanca . Pandemietote . Pandemiezeit . Particleszeichen . Pfuhlschnepfe . Plexiglasscheiben . Resilienz . Rotkopfschildkröten . Sars-Cov‑2 . Sarslämpchen . Schiffpendelbewegung . Schlafdurcheinanderzeit . Seeanemonenblüte . Seetangklumpen . Spätabendmenschen . Spelling . Superdomehalle . Süßwasseranemone . Tänzerraver . Teillockdown . Tresspassangers . Vakzin . Warlogs . Wortkernbilder . Zattere . Zeitoun . Zeppelinwerkstatt . Zeppelinwolken. — stop
chicago
echo : 15.12 UTC — Am Ende jeden Tages eine Aufgabe notieren, die sofort nach Schlafzeit zu tun ist, zum Beispiel: Nathalie Sarrautes Kindheit lesen. Oder: 1 Particles schreiben, welches? Oder eine Romansequenz studieren: Dave Eggers Zeitoun. Ein brütend heißer Tag. Ludwig rief an, ja, der Ludwig, dieser nervöse, freundliche Mann, der seit Jahren von einer kleinen Erbschaft lebt, die ihm seine Mutter hinterließ, etwas Geld also für bescheidenes Leben, sowie ein Kabinett voll grausamer Erinnerungen. Ludwig berichtet, er habe nun 580 Masken der Schutzklasse FFP2 zur Verfügung, ein Vorrat, geliefert von der Post nach un d nach, der für viele Jahre ausreichend sein könnte, wenn man bedenkt, dass Ludwig nur ein oder zwei Male in der Woche für kurze Zeit seine Wohnung verlässt. Er trägt wunderschöne Schuhe, ich würde Ludwig sofort anhand seiner Schuhe erkennen. Auch seine Schuhe liefert die Post. Im Grunde, das ist denkbar, wurde Ludwigs Leben durch die Pandemie nur unwesentlich verändert. Das Leben draußen war bereits sehr gefährlich, als das Virus noch nicht existierte, als das Virus nur eine Idee gewesen war. Ludwigs Geld könnte an Wert verlieren, darüber haben wir nicht gesprochen, aber über den Klang der Wassersprachen. — stop
von spazierenden zeichen
quebec : 3.22 UTC — Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Ich hatte von Kommata geträumt, wie sie durch meine digitalen Texte wanderten. Da wollte ich nachsehen. Ich machte Licht, öffnete meine Particlesarbeit und begann zu lesen. Da war alles an seinem Platz, Abstand für Abstand, so wie es sich gehörte. Ich legte mich wieder aufs Sofa. Es nahezu still. — stop
ein zerbeultes saxophon
nordpol : 11.03 — Ein Leser schrieb eine E‑Mail. Er habe, notierte er, einen Fehler in einem meiner Particlestexte entdeckt. Ob er mir schreiben solle, wo ich den Fehler finden würde. Ich korrigierte den Text und dachte noch: Das ist interessant, dieser kleine aber doch bedeutende Fehler hatte sechs Jahre in meinem Text existiert, ein Buchstabe nur, in einer Geschichte, die ich nie wieder vergessen sollte, die Geschichte selbst und auch nicht, dass sie existiert, dass sie sich tatsächlich ereignete, eine Geschichte, an die ich mich erinnern wollte selbst dann noch, wenn ich meinen Computer und seine Dateien, meine Notizbücher, meine Wohnung, meine Karteikarten bei einem Erdbeben verlieren würde, alle Verzeichnisse, jede Spur. Diese Geschichte, ich erzähle eine sehr kurze Fassung, handelt von Giuseppi Logan, der in New York lebt. Er ist Jazzmusiker, ein Mann von dunkler Haut. Giuseppi Logan, so wird berichtet, atme Musik mit jeder Zelle seines Körpers in jeder Sekunde seines Lebens. In den 60er-Jahren spielte er mit legendären Künstlern, nahm einige bedeutende Freejazzplatten auf, aber dann war die Stadt New York zu viel für ihn. Er nahm Drogen und war plötzlich verschwunden. Manche seiner Freunde vermuteten, er sei gestorben, andere spekulierten, er könnte in einer psychiatrischen Anstalt vergessen worden sein. Ein Mann, ein Blackout. Über 30 Jahre lang war Giuseppi Logan verschollen gewesen, bis man ihn vor wenigen Jahren in einem New Yorker Park lebend entdeckte. Er existierte damals noch ohne Obdach, man erkannte ihn an seinem wilden Spiel auf einem zerbeulten Saxofon, einzigartige Geräusche. Freunde besorgten ihm eine Wohnung, eine Platte wurde aufgenommen, und so kann man ihn nun wieder spielen hören, live, weil man weiß, wo er sich befindet von Zeit zu Zeit, im Tompkins Square Park nämlich zu Manhattan. Ein Wunder, das mich sehr berührt. Ich will das kleine Wunder unter der Wortboje Giuseppi Logan in ein Verzeichnis schreiben, das ich auswendig lernen werde, um alle jene Geschichten in meinem Gedächtnis wiederfinden zu können, die ich niemals zu vergessen wünsche. — Giuseppi Logan: Hört ihm zu!
osramlanguste
echo : 20.58 UTC — Unter Schwerhörigen wird es immer lauter. Eine Beschleunigung vermutlich und ein Gefühl, indessen, das ich begründen kann, eine Begründung jedoch, die ich nicht fühlen kann. 12 Jahre sind seit der Entdeckung der Osramlangusten vergangen. Das Wort Osramlanguste ist in den Räumen der Suchmaschinen nach wie vor ausschließlich mit meiner Particlessphäre verbunden. — stop
von teefliegen
ulysses : 22.55 UTC — Wie ist das mit der Wirklichkeit oder der Wahrheit in meinem schreibenden Leben? Jahrelang wohnte etwa eine Schnecke in meiner Wohnung, außerdem ein Lichtenbergfalter, Springspinnen, Libellen, ein Puma und Teefliegen, immer wieder Teefliegen. Ich habe sie mit eigenen Augen alle gesehen oder mit meinen erfindenden Augen, die in meinem Kopf verweilen. Ich könnte deshalb sagen, nicht jeder meiner Trompetenkäfer wäre vorzeigbar, aber doch vorstellbar. Nun habe ich eine weitere deutliche Spur gelegt hin zur Arbeitsbeschreibung, Radar ist zu lesen unter jedem meiner Particles – Texte, ein Hyperlink, der auf einen Text verweist, welcher meine Arbeit beschreibt. Dieser Text existiert seit 12 Jahren, heute habe ich entsprechende Textpassage, die Wirklichkeit und Erfindung bedeutet, zunächst unterstrichen, dann, wenige Minuten später in kursive Zeichen gesetzt. Das muss genügen. — Ich wünschte, eine Raupe würde noch heute durch mein Zimmer spazieren. — stop
radiotauben
echo : 22.05 UTC — Gestern, am späten Abend, folgte ich einem Hyperlink, der von meiner Particlesmaschine automatisch erzeugt worden war nach Regeln, die ich nicht präzise beschreiben könnte. In dieser Weise arbeitend, begegnete ich einem Text, der von einem Radio erzählte. Es ist seltsam, ich konnte mich zunächst nicht erinnern, diesen Text selbst geschrieben zu haben. Ich las ihn und dachte: Diesen Text musst Du erfundenen haben, rein erfundene Texte lassen sich nicht so leicht erinnern, wie Texte, die von einer erlebten Geschichte berichten. Nun also, in dem ich meinen Text, den ich im April des vergangenen Jahres notierte, lese, schreibe ich ihn zum zweiten Male, er wird mir vermutlich ein weiteres Jahr später, noch in Erinnerung sein, wie der Abend, an dem ich ihn wiederholte, also erlebte, weil ich ihn in mein Leben versetzte: Ich stellte mir vor, wie ich in der Küche vor einem Tisch sitze. Auf dem Tisch steht ein Radio. Das Radio ist 10 cm lang und ebenso breit und ebenso hoch, ein Würfel demzufolge. Der Würfel verfügt über zwei Knöpfe, die ich vertiefen einerseits und an welchen ich drehen kann andererseits. Dort, wo ich Schrauben erkenne, die in das hölzerne Gehäuse eingelassen sind, scheint sich die hintere Seite des kleinen Radios zu befinden. Ich kann das Radio öffnen. Als ich es öffne, entdecke ich weitere winzige Schrauben, eine Platine, Dioden, Widerstände, Beschriftungen in einer Sprache, die ich nicht zu lesen vermag, außerdem einen Zylinder. Ich entdecke also viele Dinge, aber nichts, was mir behilflich sein konnte, das Radio zum Schweigen zu bringen, das Radio spielt nämlich in einem Abstand von einer Stunde eine Passage aus der 2. Symphonie Rachmaninows, die weder leiser noch lauter einzustellen ist, sie ist eben, wie sie ist, laut genug, um das Radio vor das Fenster stellen zu müssen. Einmal sitzen zwei Tauben links und rechts des Radios. Als das Radio seine Musik spielt, erschrecken sie und fliegen davon. Ein anderes Mal kommen sie wieder und bauen auf dem Radio ein Nest. — stop
long string
himalaya : 0.12 UTC — Irgendjemand oder irgendeine Maschine muss einer Analyse zur Folge während der vergangenen Nacht einen Particlestext im World Wide Web mehrfach angesteuert haben. Ich habe meinen Text, den ich im Juni 2007 notierte, auf diesem Wege wiederentdeckt. Ich konnte mich noch erinnern, ihn geschrieben zu haben, nicht aber an mich selbst in der Zeit, da ich ihn notierte. Der Text geht so: Using the same code that computer keyboards use, the Japanese group, led by Masaru Tomita of Keio University, wrote four copies of Albert Einstein’s famous formula, E=mc2, along with “1905,” the date that the young Einstein derived it, into the bacterium’s genome, the 400-million-long string of A’s, G’s, T’s and C’s that determine everything the little bug is and everything it’s ever going to be. — International Harald Tribune / June 26, 2007. — Die Vorstellung eines menschlichen Lebewesens, das 15 Jahre in seinem persönlichen Code nach Informationen sucht, die nicht zu ihm gehören, add-ons, die Literatur sind. — stop