Aus der Wörtersammlung: rom

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verständigung

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romeo : 6.18 — Im Gespräch mit einer jun­gen Mus­li­ma. Aus hei­te­rem Him­mel erzählt sie von ihrem Haar, das seit 25 Jah­ren vor den Bli­cken frem­der Män­ner geschützt unter einem Kopf­tuch ver­bor­gen liegt. Mein Erstau­nen zunächst, dass ich mit den Ohren erfah­ren darf, was ich mit den Augen nicht wahr­neh­men kann. Ich ver­mag Dein Haar mit den Ohren zu betrach­ten! Ant­wort: Alles, was Du in Dei­ner Vor­stel­lung mit den Ohren siehst, hast Du nie­mals wirk­lich gese­hen! Sie lacht jetzt, setzt hin­zu: Aber den Ima­men wür­de nicht gefal­len, was wir hier erzäh­len. — stop
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ampere

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del­ta : 1.58 — Eines Tages ein­mal unse­rer Haut eine licht­emp­find­li­che Sub­stanz ein­zu­ver­lei­ben, die Stern­strah­lung in Strom ver­wan­deln wür­de, in Span­nung, die zunächst gespei­chert und etwas spä­ter lust­voll von Mensch zu Mensch wei­ter­ge­reicht wer­den könn­te. — stop
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nachtmeldung : georges perec

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echo : 3.14 — Im elek­tri­schen Welt­wa­ren­haus lie­gen in die­ser Minu­te der Nacht zwei Taschen­buch­aus­ga­ben des Romans Ein Mann der schläft von Geor­ges Perec zum Kauf bereit. Das eine Buch, im Wert von 309,38 Euro, lagert in Euro­pa, das ande­re Buch, im Wert von 309,39 Euro, in Nord­ame­ri­ka. Bei­de Bücher sind gebraucht, sol­len sich jedoch in einem außer­or­dent­lich guten Zustand befin­den. — 3 Uhr und fünf­zehn Minu­ten, Sams­tag. Der Him­mel wol­ken­los, kaum etwas zu hören. Die Erde könn­te unbe­wohnt sein. — stop

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kilimandscharo

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ulys­ses : 5.05 – Fol­gen­des: Ein Buch für Berg­stei­ger soll­te von leich­tem Wesen sein, sagen wir, leicht wie eine Hand­voll Federn müss­te es sein, damit man das leich­te Buch im Gepäck nicht bemerkt, wenn man auf­wärts oder abwärts schrei­tet. Janet Frames Roman An Angel at My Table in der Aus­ga­be für Him­mels­stür­mer, wöge gera­de noch 12 oder 15 Gramm und wür­de im Fal­le höchs­ter Not, gleich­wohl zur Nah­rung die­nen, jeder Bis­sen so wir­kungs­voll im hung­ri­gen Bauch wie ein gebra­te­ner Enten­vo­gel oder eine Stau­de feins­ter Bana­nen. Auch ist wün­schens­wert zu die­ser spä­ten Stun­de der Nacht, dass das Buch, zur Ent­fal­tung gebracht, sich als wind­dich­tes Zelt erwei­sen könn­te, oder als Fall­schirm zur rech­ten Zeit. In einer Schnee­höh­le gebor­gen, wenn Eis­stür­me näher­kom­men, wür­de man lesen im Buch, auch das ist denk­bar, lesen zum Bei­spiel, um Ruhe zu bewah­ren, Sei­te um Sei­te könn­te man vor­wärts oder rück­wärts fabu­lie­ren und alles nach und nach ver­spei­sen, bis man geret­tet oder das Wet­ter ange­neh­mer gewor­den sein wird. — stop / für h.d.

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linie d

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india : 22.02 – In einem New Yor­ker Sub­way­zug mit geschlos­se­nen Augen frei­hän­dig ste­hen und balan­cie­ren, sagen wir eine zwei­stün­di­ge Fahrt mit der Linie D von Coney Island rauf zum Bedford Park Bou­le­vard. Das Rei­ten auf einem wil­den Tier. Viel­leicht könn­te ich sagen, dass das Erler­nen einer Sub­waystre­cke, das neu­ro­na­le Ver­zeich­nen ihrer Stei­gun­gen, ihrer Gefäl­le, ihrer Kur­ven, auch ihrer feins­ten Uneben­hei­ten, dem wort­ge­treu­en Stu­di­um eines Roman­tex­tes ver­gleich­bar ist. Aber dann die Zufäl­le des All­ta­ges, das Unbe­re­chen­ba­re, ein Tun­nel­vo­gel, eine schmut­zi­ge Möwe, Höhe 135. Stra­ße, die den Zug zur Brem­sung zwingt, die Eigen­art des Zuges selbst, das unvor­her­seh­ba­re Ver­hal­ten zustei­gen­der Fahr­gast­per­so­nen, wie sich eine Jazz­band nähert, wie ich drin­gend dar­um bit­te, man möge nicht näher kom­men. — stop
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malta : 81er bus

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echo : 22.05 – Sagen wir das so: Ich bin heu­te, an die­sem son­ni­gen Mon­tag mit dem Bus hin und her übers Land gefah­ren, mit einem 81er-Bus, mit Luca’s Bus, und zwar die Stre­cke von Val­let­ta nach Rabat bis rauf zu den Ding­li Cliffs, von wo man weit aufs Meer hin­aus süd­wärts nach Afri­ka schau­en könn­te, wenn die Erde nicht rund wäre wie wir sie vor­ge­fun­den haben. Luca ist ein Bus­fah­rer aus Lei­den­schaft. Er trägt ein blau­es Hemd, sei­ne Arme sind gebräunt wie sein Gesicht, rechts, von wo die Son­ne kommt, etwas stär­ker als von links. 47 Cent kos­tet eine ein­fa­che Fahrt nach Rabat. Jeder, der her­ein­kommt, wird begrüßt: Wel­co­me, wel­co­me! Dann 15 Kilo­me­ter ste­tig dem Him­mel zu, links und rechts der Stra­ße, Spu­ren von Wei­zen, Toma­ten, Kar­tof­feln, Inseln blü­hen­der Blu­men, Mohn und Mar­ge­ri­ten und Lini­en von Kak­teen­pflan­zen, als sei­en Mee­res­wel­len zu flei­schi­gen Blatt­kör­pern gefro­ren für alle Zeit. Da und dort ein Dorf, Büsche, Oran­gen­bäu­me, Wind­rä­der, Funk­an­ten­nen. Nach einer Stun­de kommt man dann an in Rabat oder Mdi­na, man weiß jetzt, dass man über einen Kno­chen­kör­per ver­fügt, und man ahnt, dass Luca sei­nen Weg noch fin­den wür­de, wenn er ein­mal blind gewor­den sein soll­te. Luca sam­melt Mari­en­bil­der wie ich Über­ra­schun­gen samm­le, Momen­te wie die­sen, da Luca bemerkt, dass ich nicht aus­stei­gen, dass ich wie­der mit ihm zurück­fah­ren wer­de, dass der Bus und er selbst für mich bedeu­ten­der sind, als Orte und Land­schaft, die wir durch­rei­sen. Jetzt darf ich ihn foto­gra­fie­ren und sein Arma­tu­ren­brett, Die­sel, Die­sel! Und ich darf ihm eine Fra­ge stel­len, ich woll­te näm­lich wis­sen, ob es für ihn denk­bar ist, sei­nen Bus ein­mal bis hin unter die Decke mit Was­ser zu fül­len, ob er sich vor­stel­len kön­ne, mit einem Bus voll leben­der Fische über Land zu fah­ren. Luca’s Hupe, eine Luft­trom­pe­te. — stop

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alesund

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romeo : 22.58 — Plötz­lich bin ich in Ale­sund am Meer. Mei­ne Arme lie­gen traum­wärts auf einem Tisch von Holz. Bäu­me wach­sen auf ihrer Haut, Regen­wäl­der, dicht. Wenn ich mich mit einem Ohr nähe­re, hör ich das Brül­len der Affen, das Sin­gen der Vögel. Blau­es, ewi­ges Licht. Die Erde steht still. Ein schnee­wei­ßes Schiff glei­tet geräusch­los am Pier vor­über. Eis­ber­ge schau­keln am Hori­zont. Wenn ich sie betrach­te, schla­fe ich auf der Stel­le ein. — stop

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zivilisation

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romeo : 5.51 — Ein schwer­ge­wich­ti­ger Mann unlängst am Ende der Nacht wäh­rend einer Stra­ßen­bahn­fahrt. Drückt mich samt Schreib­ma­schi­ne zur Sei­te. Ein har­ter, zunächst schwei­gen­der Kör­per, fah­les Gesicht. Dann mit gepress­ter Stim­me. Ich sei einer, der in der 1. Klas­se rei­sen soll­te. Unter­drück­te, mas­si­ve Gewalt­be­reit­schaft, die bei lei­ses­ter Pro­vo­ka­ti­on hem­mungs­los aus­zu­bre­chen droht. Enor­mer Hass aus klei­nen Augen. Ein Moment, da ich glau­be, dem Bösen höchst­per­sön­lich zu begeg­nen. Der mas­si­ge Mann folgt mir an die­sem Früh­lings­mor­gen kla­rer Luft über die Stra­ße. Das Sin­gen der Amseln in den Bäu­men. Der glü­hen­de Wunsch in mei­nem Kopf, die Gestalt hin­ter mir mit­tels eines Skal­pells sorg­fäl­tig in kleins­te Tei­le zu zer­le­gen. Ein Hauch nur, so fein die Haut der Zivi­li­sa­ti­on, die mich im Innern schützt. — Erneut enden­de Nacht. Ein Repor­ter stand gera­de noch vor mir auf einem Dach in Tokio. Er sag­te, die­se Situa­ti­on, mor­gens zu erwa­chen und zu bemer­ken, dass wie­der ein Kern­re­ak­tor explo­diert ist, sei sur­re­al. — Man müss­te, den­ke ich, auf der Stel­le Käfer­we­sen erfin­den, die sich rasch ver­meh­ren, Mil­li­ar­den Käfer Stun­de um Stun­de, Wesen, die sich unver­züg­lich auf die Jagd nach kleins­ten Teil­chen in der Atmo­sphä­re machen wür­den, um sie zu ver­spei­sen, weil das ihre Bestim­mung ist, ihre Lei­den­schaft, das Jagen, das Fan­gen und das Segeln auf strah­len­den Flü­geln weit aufs Meer hin­aus. — stop

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luftteilchen

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romeo : 6.02 — Wie mich das begeis­tert, Details einer Geschich­te nach­zu­den­ken, feins­ten Teil­chen einer Wirk­lich­keit, die spä­ter ein­mal unsicht­bar sein wer­den in der Zei­chen­li­nie auf Papie­ren, nur für mich wahr­nehm­bar im Moment der Erfin­dung. Ein Duft. Ein Geräusch. Die Far­be der Wol­ken über einer Land­schaft. Oder eine Bewe­gung. Die Bewe­gung einer Hand, eines Mun­des, einer Schrift. Das Mur­meln einer Stim­me im Schlaf. Ges­tern habe ich dar­über nach­ge­dacht, wel­cher Art ein Geschenk sein könn­te, das ich mit mir neh­men wür­de, wenn ich ein befreun­de­tes Ehe­paar besuch­te in sei­ner wohl­ge­stal­te­ten Woh­nung, die eine mensch­li­che Woh­nung ist, aber eben voll­stän­dig mit Was­ser gefüllt. Ich dach­te, dass ich ihnen eine Schmuck­schne­cke zum Geschenk machen soll­te, ein ganz beson­de­res Exem­plar von der Grö­ße einer Hand, das nun über die Wän­de der unter­see­ischen Behau­sung glei­ten und musi­zie­ren wür­de, war­me, lei­se pfei­fen­de Geräu­sche. Die­se freund­li­che Mol­lus­ke könn­te von innen her blau beleuch­tet sein, so weit lässt sich das gut den­ken. Wie aber ver­pa­cke ich mein Geschenk, ja, wie zum Teu­fel las­sen sich 2 Pfund Süß­was­ser­schne­cke art­ge­recht ver­schnü­ren? — stop

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